Das Interview erschien am 28.02.2019 in der Jungle World
Roswitha Scholz, marxistische Feministin, im Gespräch - Interview Von Kim Posster„Mir ist es egal, ob es Frauenstreik oder feministischer Streik heißt“Roswitha Scholz ist Publizistin und Buchautorin. Sie lebt in Nürnberg und ist Redaktionsmitglied der von ihr mitgegründeten Zeitschrift Exit! Im Jahr 1992 schrieb sie erstmals in der Zeitschrift Krisis über das Theorem der Wertabspaltung, das sie in einer Reihe von Büchern und Aufsätzen weiterentwickelt hat. Ihr Buch „Das Geschlecht des Kapitalismus“ erschien 2000. Scholz publizierte auch zusammen mit ihrem 2012 verstorbenen Ehemann Robert Kurz. Mit der „Jungle World“ sprach sie über den geplanten Frauenstreik am 8. März 2019. Viele Frauen und Queers sind wütend: Sie werden diskriminiert, angegriffen, schlechter bezahlt und viele ihrer Tätigkeiten, wie die Haus- und Pflegearbeit, werden als Selbstverständlichkeit betrachtet. Andere wollen gar nicht glauben, dass dies immer noch so sein kann. Sie sagen hingegen, dies sei unvermeidbar, wegen der Grundstruktur unserer Gesellschaft. Warum? Ich gehe davon aus, dass das Geschlechterverhältnis tief in die kapitalistisch-patriarchalen Verhältnisse eingelassen ist und das es so etwas wie eine Grundstruktur bildet. Ich habe dafür die Theorie der Wertabspaltung entworfen. Da geht es darum, dass nicht nur die abstrakte Arbeit, der Marx’sche Wert, die Verhältnisse bestimmt, sondern eben auch die in seiner Theorie vergessenen Reproduktionstätigkeiten wie Liebe, Hege und Pflege. Die sind ebenso notwendig zum Systemerhalt, werden aber minder bewertet. Das erstreckt sich aber nicht nur auf die materielle Arbeitsteilung, sondern es gibt auch eine sozialpsychologische und kulturell-symbolische Ebene. Auf der kulturell-symbolischen Ebene lässt sich etwa mit Diskursanalysen zeigen, wie Geschlecht und die Minderbewertung der Frau hergestellt werden. Und auf einer sozialpsychologischen Ebene kann man sehen, wie Frauen und Männer eine weibliche, beziehungsweise männliche Identität annehmen. Außerdem ist es wichtig zu sehen, dass die Wertabspaltung nichts Starres ist, sondern sich historisch ändert: In den fünfziger Jahren hat sich das noch anders gezeigt, Stichwort Hausfrau und Ernährermodell. Heutzutage sind Frauen doppelt vergesellschaftet, also für Familie und Berufsleben gleichermaßen zuständig. Gegen diese Grundstruktur gibt es jetzt gerade Widerstand. Der diesjährige Frauenstreik richtet sich auch gegen die Benachteiligung und Abspaltung von den weiblichen Eigenschaften und Tätigkeiten. Halten Sie diese praktizierte Verweigerung für die adäquate Form von Widerstand? Ich halte Widerstand für sehr wichtig, auch wenn ich denke, dass ein Frauenstreik nicht das allumfassende Mittel ist. Aber er kann ein Signal setzen. Mich hat es auch echt gefreut, dass es in den letzten Jahren wieder mehr Widerständigkeit von Frauen gibt, die diesen Namen verdient. Gerade, weil ich diese schnöden neunziger Jahre mitgekriegt habe, wo der dekonstruktivistische Feminismus Oberwasser hatte. Aus dekonstruktivistischer Perspektive war Frauenunterdrückung eher eine Nebensache. Es ging bloß noch um die kulturelle Herstellung von Geschlecht. Dabei wurden zwar ganz viele Formen von Unterdrückung problematisiert, aber die einzelne Unterdrückung – und besonders die der Frauen – war gar nicht mehr kenntlich. In einigen Städtebündnissen des Streiks gab es ja Kontroversen darüber, ob der Streik “Frauenstreik” heißen soll, oder doch lieber “feministischer Streik”, weil das angemessener wäre, um die vielfältigen queeren Identitäten mitberücksichtigen zu können. Mir ist es egal, ob es Frauenstreik oder feministischer Streikt heißt. In der Queer-Theorie der Neunziger wurde im Kern gesagt: “Wenn du diese Frauenunterdrückung und das hierarchische Geschlechterverhältnis benennst, dann ist es so, dass du es eigentlich schon wieder hervorrufst.” Dann kam meiner Wahrnehmung nach, ab circa 2005, nach den Krisenerscheinungen, auch wieder eine Kapitalismuskritik mit rein und dann wurde aus queer „queerfeministisch“. Irgendwie ärgert mich das, weil mittlerweile die Differenz und der Konflikt zwischen materialistischem Feminismus und dekonstruktivistischem Feminismus – wenn man das Feminismus nennen kann – gar nicht geführt wird. Ich finde es schon problematisch, wenn queer einfach so unter Kapitalismuskritik läuft. Wobei ich sagen muss: Mein Verständnis von Feminismus bezieht sich nicht nur auf das Geschlechterverhältnis im engeren Sinn. Auch andere Benachteiligungen werden betrachtet, aber nicht wie bei queer, denn der Zusammenhang muss klar sein zwischen Wertabspaltung und andern Diskriminierungen. Insofern ist es schon wichtig, dass bei diesem Frauenstreik gleichzeitig klar gemacht wird, dass man mit Rassismus, Antisemitismus und dem oft vergessenen Antiziganismus nichts am Hut hat. Das gilt besonders für die ganzen Querfronttendenzen. Ich finde, da müssen wir uns auf jeden Fall dagegen positionieren und massiven Widerspruch anmelden. Der Untertitel des Streikaufruf lautet: “Wenn wir die Arbeit niederlegen, steht die Welt still.“ Sie haben immer wieder gegen die Fetischisierung und Ausweitung des Arbeitsbegriffs angeschrieben — besonders wenn es um Reproduktionstätigkeiten geht. Warum? Es ist so, dass diese Reproduktionstätigkeiten nicht in einem Arbeitsbegriff aufgehen. Das zentrale Moment ist, dass du für Reproduktionstätigkeiten, wie Pflege und Kinderbetreuung zum Beispiel Zeit aufwenden musst, im Gegensatz zum Produktions- und Arbeitsprozess, wo es darum geht, Zeit einzusparen. Deswegen finde ich das problematisch. So eine politisch-praktische Ebene hat das Problem, dass alle Welt in diesen Arbeitskategorien denkt. Und es ist ja auch tatsächlich so, dass die Tätigkeiten mittlerweile auch innerhalb der abstrakten Arbeit verrichtet werden, wie bei Altenpflegerinnen, Krankenschwestern und Sozialarbeiterinnen. Da würde ich jetzt sagen, in der unmittelbaren Aktion kann man da einen Kompromiss machen. Trotzdem geht der Charakter der weiblichen Reproduktionstätigkeiten nicht in der Form der abstrakten Arbeit auf, selbst wenn sie professionell erbracht werden. Viele Frauen sind heute doppelt belastet, weil sie außer Reproduktion zu leisten auch Lohnarbeit verrichten. In den Streikbündnissen ist deshalb viel über das Verhältnis zu Gewerkschaften diskutiert worden. Sie haben ja immer sehr scharf gegen Bewegungen angeschrieben, denen es nur um Verteilungsgerechtigkeit geht. Wie sehen Sie diese Frage? Ich würde halt sagen: Natürlich kann man auch mit oder in den Gewerkschaften etwas machen. Aber man muss dabei immer sehen, dass das partikular ist. Mein Verständnis von Feminismus geht davon aus, dass man nicht nur die Betroffenheit zum Ausgangspunkt nimmt, sondern dass man auch einen umfassenderen Blick haben muss und auch für andere soziale Disparitäten offen sein muss. Und das muss man als Aktivistin und Aktionärin eben auch mitdenken. Das ist wichtig zu betonen, aber es ist auch wichtig zu sagen, dass Frauen ja nicht nur in Bereichen der Pflege oder der Sorge tätig sind. Sonst kommt man wieder, wie das im Dekonstruktivismus genannt worden ist, in eine essentialistische Schiene hinein. Es ist ja auch so, dass Frauen, wenngleich auch weniger als Männer, als Ingenieurinnen oder sonst etwas arbeiten, und eben nicht dem Stereotyp entsprechen. Aber die werden ja dann auch schlechter bezahlt und haben geringe Aufstiegschancen. Ich denke, das hängt eben auch mit dem Verständnis von Weiblichkeit und Männlichkeit im kapitalistischen Patriarchat zusammen. Sie haben einmal gesagt, ohne Kampf ginge es nicht als Frau. Wie können Frauen gegen das von Ihnen analysierte warenproduzierende Patriarchat kämpfen und wer könnten Verbündete und Mitstreiterinnen sein? Ich denke, es gibt nicht den zentralen Hebel, an dem wir ansetzen können. Ich denke aber ein Frauenstreik ist schon mal ein Signal. Aber auch im Alltag kriegst du ziemlich viel Sexismus mit als Frau. Das muss auch thematisiert werden. Es gibt da verschiedene Ebenen. Meine ist die der theoretischen Reflexion und ich habe ein bisschen Angst, dass dieser Bewegungshype das Nachdenken darüber killt, woher die ganze Unterdrückung eigentlich herkommt. Ich denke, was die Mitstreiterinnen angeht, dass du da überhaupt kein bestimmtes Subjekt oder eine bestimmte Gruppe nennen kann im Sinne eines “An die richten wir uns jetzt”. Man muss sich da einfach mit all denen Verbünden, die noch alle Tassen im Schrank haben. |