Wertkritik nach Altherrenart. Bemerkungen zum Linkskonservativismus Anselm JappesRoswitha ScholzAnselm Jappe gilt als Vertreter der Wertkritik und hat dafür gesorgt, dass Wertkritik auch im nicht-deutschsprachigem Raum vertreten ist. Er hat sogar eine Einführung in die Wertkritik („Die Abenteuer der Ware“ 2005) geschrieben. Manchmal gilt er gar als Mitbegründer der Wertkritik, was nicht stimmt, da ihre zentralen Essentials vor dem Auftauchen Jappes in der ersten Häfte der 1990er Jahre bereits formuliert waren. Er gilt also im internationalen Rahmen als „Experte“ für Wertkritik. Mittlerweile vertritt Jappe jedoch Positionen, die das glatte Gegenteil von Wertkritik darstellen. Hatte die Wertkritik ein personalisierendes Kapitalismusverständnis stets scharf kritisiert, taucht es bei Jappe nun auf einmal wieder auf, mit einer gewissen Nähe zu Verschwörungstheorien (Jappe: Haben sie Gesundheitsdiktatur gesagt? wertkritik.org). Seitdem ist er mit anderen WertkritikerInnen, die diesen Turn nicht mitgemacht haben, über Kreuz. Sein Hang zur Agrarromantik, zu Ontologie und Anthropologie, seine „Liebe“ zur Natur und einer angeblichen Natur des Menschen, die vor malthusianischen Annahmen nicht zurückschreckt, geht seitdem mit ihm durch. Damit ist er freilich auf Linie mit einem autoritären Zeitgeist, der Authentizität, Eigentlichkeit u. ä. schätzt. Jappe unterzieht die Wertkritik in seinem Text „Lebendiges und Totes in der Wertkritik“ (wertkritik.org), um den es im Folgenden vor allem gehen soll, einer Revision. Dabei werden in diesem schnell hingeworfenen Artikel Essentials der Wertkritik falsch bzw. verzerrt wiedergegeben. Weitergehende Entwicklungen seit ihrer Entstehung nimmt Jappe dabei nur unzureichend zur Kenntnis. Zudem ist vieles, was er an Einwänden bringt, großenteils schon vor Jahrzehnten diskutiert worden. Insofern kann vielem, was Jappe hervorbringt, mit der Copy-and-paste-Methode begegnet werden, derer ich mich auch ausgiebig in dieser Antwort bedienen werde. Jappe geht auf längst vorgebrachte Argumente nicht ein, sondern pocht dogmatisch auf eine vergangene/tote Wertkritik nach Altherrenart. 1. Die Wertkritik habe ein mangelndes internationales RenommeeAnselm Jappe wurmt es, dass die Wertkritik heute im großen Maßstab in der Linken und ihren Theorieorganen keine große Rolle spielt. Stattdessen hätten Badiou, Žižek, Negri, Harvey und selbst Nichtmarxistinnen wie Judith Butler nach wie vor einen zentralen Platz. Er bedauert die mangelnde Resonanz: Die marxistischen Dinosaurier, von denen die Wertkritik in den 1990er Jahren gesprochen hat, seien nach wie vor dominierend. Da sie auf Theorie gesetzt habe, seien auch die sozialen Bewegungen kein Resonanzfeld. Dazu muss gesagt werden, dass sich etwa Kurz nie der Illusion hingegeben hat, der traditionelle Marxismus sei nun erledigt. Bis zum Ende seines Lebens hat er sich hiervon abgegrenzt und sein Zombie-Dasein aufgezeigt. Ebenso muss festgestellt werden, dass Krisis sich nach der Spaltung vor 20 Jahren dazu entschlossen hat, auch praktisch zu werden, was sich in der Offenheit für Commons, solidarische Ökonomie (die m. E. eher Pseudokonzepte sind und der Krisenverwaltung zuträglich sein können), Mietkämpfe usw. zeigt. Theoriebildung scheint bei Krisis nicht mehr oberstes Ziel zu sein, sondern die „Vermittlung“. Die „Wertkritik“ gewissermaßen als fester Block wie in der Anfangsphase gibt es längst nicht (mehr) bis hin zu regressiven Varianten, wie wir sie bei wertkritik.org und den Streifzügen (streifzüge.org) finden können. Um Vermittlung geht es auch Jappe. Er wäre gerne Mitglied einer „anerkannten Schule“, die nun endlich akademische Weihen empfangen hat. Irgendwie scheint er auf ein falsches Pferd gesetzt zu haben. Auffallend ist, dass die gesellschaftliche Situation und die gesellschaftlichen Verhältnisse für den Stellenwert der Wertkritik bei Jappe gar keine Rolle spielen. Die gesamte Linke ist heute auf dem Hund und in einer Flaschenpostsituation , ob sie dies nun wahrhaben will oder nicht. Deshalb versuchen große Teile der Linken populistisch den Stammtisch zu bedienen – auch in der Theorie. Auch wenn die Dinosaurier noch da sind, sind es immer noch Dinosaurier. Die fundamentale Krise im Weltmaßstab bringt es mit sich, dass in einem bestimmten Stadium ihres Verfalls Regressionen aller Art, von rechts wie von links, anzutreffen sind. Die Wertkritik wird vom akademischen Betrieb geschnitten, wie auch Jappe weiß. Dabei gehört das Gegreine des linken akademischen Betriebs, dass er nur unter den Seinen bleibt und sich japsend nach außeruniversitären Initiativen sehnt, zur Routine, die immer wieder mal abgespielt wird, ohne dass daraus wirklich Konsequenzen gezogen würden, ja sie ist geradezu die Bedingung, unter sich bleiben zu können (siehe Scholz, Fetisch Alaaf Exit Nr. 12 2014, siehe auch: exit-online.org). Vielleicht tut die Wert-Abspaltungs-Kritik stattdessen gut daran, sich nicht partout Gehör bei einer ohnehin einflusslosen Linke verschaffen zu wollen, die nicht nur zu scheitern droht, sondern ohnehin schon gescheitert ist. Der Zusammenbruch des Ostblocks ist völlig unaufgearbeitet, man setzt auf Lenin und andere Verblichene und auf Klassenkampf, Arbeit, Imperialismuskritik, regrediert im Antizionismus usw., greift also in die Mottenkiste. So zeigt sich eine allgemeine Regression in der Linken. Es ginge eher darum, Badiou, Ranciere, Žižek, Agamben usw. zu kritisieren, anstatt zu beklagen, dass man nicht an ihrem Tisch Platz nehmen kann, der ohnehin schon ein Katzentisch ist. In exit! ist dabei nicht zuletzt schon seit Längerem der reaktionäre Rückgriff auf den Hl. Paulus und (christliche) Religion überhaupt, versetzt mit Carl-Schmittschen Versatzstücken (siehe hierzu Herbert Böttcher: Hilft in der Krise nur noch beten, Exit Nr.16 2019), die einem allenthalben sichtbar werdenden autoritären Bedürfnis nachkommen, Gegenstand der Kritik. Die Linke muss sich indes inhaltlich völlig neu sortieren. Wie soll ein Projekt wie die Wert-Abspaltungs-Kritik zur Sekte geworden sein, so Jappe, wenn die marxistische Kirche selbst in Auflösung begriffen ist? Es muss darum gehen, sich einen „Begriff“ von einer gesellschaftlichen Situation zu machen, in der dies geschieht. Dies verlangt heute noch mehr als vor 30 Jahren einen anderen Bezugsrahmen, wie es eine Wert-Abspaltungs-Kritik seit Jahrzehnten fordert, anstatt auf alte Dogmen zu setzen. Alle Bemühungen, „linke Politik“ zu machen, sind nach dem Niedergang des Ostblocks gescheitert. Selbst „Fridays for future“ hat nicht mehr viel Zulauf und das Interesse an Ökologie ist längst rückläufig. Man kann heute mühelos jugendliche Bewegungswracks finden, die sich in der ersten Hälfte der 20er befinden und völlig frustriert sind, dass ihre Anklebereien für nachhaltige Klimamaßnahmen folgenlos geblieben sind. Die Klimabewegung ist momentan dabei, überhaupt aus der Mode zu kommen. Dem Versagen der Linken stellt sich die Linke jedoch nicht, sondern versucht populistisch noch in der Konkurrenz mit den Rechten zu punkten auf der Grundlage eines Klassen- und Arbeitsfetischs, nicht selten, indem man Rassismus, Sexismus, Antisemitismus und Antiziganismus, Alter und Behindertenfeindlichkeit zu Nebenwidersprüchen erklärt, anstatt die soziale Frage umfassender zu konzipieren. Der Adressat eines Großteils der heutigen Linken ist der leistungsfähige, arbeitswillige Normalo, der sich von denen da oben betrogen fühlt, je mehr ihm selbst das Abgehängtsein droht. Für sozial Schwache, die diesen Anforderungen nicht entsprechen können, interessiert man sich nicht wirklich. Man versucht Klassenkampf und Ökologie zu vereinen – ein Widerspruch in sich. Die Wert-Abspaltungs-Kritik sollte diese Situation nicht einfach bedauern, sondern offensiv und provokativ ihr Projekt verfolgen und weiter ausarbeiten. Der Inhalt kann nicht einem fragwürdigen Renommee geopfert werden. Es ist auch überhaupt nicht gesagt, dass die momentan nicht sehr populäre Wert-(Abspaltungs)-Kritik nicht wieder auftaucht. Die frühere Frankfurter Schule etwa, ja Marx höchstselbst, waren zeitweise megaout und nur Gegenstand in Hinterzimmern, bis sie wieder hochploppten. Ob dies auch für die Wert-Abspaltungs-Kritik gilt, die in den 1990ern und Nullerjahren einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht hatte, ist völlig offen. Es gilt nach wie vor zu sagen, was ist, und nicht auch noch dem reaktionären Affen heute Zucker zu geben, indem man etwa in eine Agrarromantik zurückfällt mit malthusianischen und sozialdarwinistischen Implikationen, auch eine Variante linker Regression. Heute flüchtet man sich allenthalben nicht nur in eine klassenkämpferische Nostalgie, sondern gleichermaßen regressiv in Ursprünglichkeit, Authentizität u.ä. Hierfür steht auch Jappe mit seinem Rekurs auf Natur, die Natur des Menschen und eine „Kultur“, die offenbar als authentisch gedacht wird. Auch Heidegger und das „Eigentliche“ stehen wieder hoch im Kurs. Es ist die Krise des Gesamtsystems (nicht nur die ökonomische), in der nichts mehr normal ist (Stephan Lessenich), die zu Vereinfachungen – auch in der Theoriebildung – führt, so will man des Chaos und der viel beschriebenen Vielfachkrise (ökonomische, ökologisch, politische usw.) mit unterkomplexen Konzepten Herr werden. Die Nichtbeachtung der Wertkritik hat somit also auch systematische und ideologische Gründe, die beachtet und benannt werden müssen, anstatt sich in der narzisstischen Kränkung zu suhlen und schmollend nur projektinterne Gründe für die Ignoranz der Wertkritik zu suchen. Es gilt die Fallstricke dieser Linken klarzumachen und ihre Realitätsferne, die letztlich zu nichts führt, schlimmstenfalls in Querfrontpolitiken mündet. 2. Der Zusammenbruch des Kapitalismus habe immer noch nicht stattgefundenAls Lehre aus dem Crash von 2008, den Kurz als einer der ganz wenigen in der Linken prognostiziert hatte – und den nur der „renommierte“ Immanuel Wallerstein aus einer anderen Richtung kommend, vorausgesehen hatte – ergingen sich die Linken nach einem Intermezzo der „neuen Marxlektüre“ in Totenbeschwörungen und wendeten sich dem Klassenantagonismus als vermeintlichem Kern des Kapitalismus zu. Von hier aus soll die viel beschworene Vielfachkrise erklärt werden (gleichwohl fanden sich in der vergangenen Diskussion seit den 2010er Jahren viele Gedanken, die erstmals von der Wertkritik formuliert wurden, allerdings – natürlich – ohne Quellenangabe! Die Akademie hat`s selbst erfunden! Zwar ist richtig, dass Kurz einen Finanzcrash schon früher erwartet hatte, jedoch, ob sich dieser nun 1997 oder erst 2008 ereignet hat – historisch gesehen ist dies nur ein Wimpernschlag. Von einem jähen Crash, von dem Kurz angeblich ausgegangen sein soll, wie Jappe unterstellt, kann jedoch keine Rede sein. Bereits 1986 schrieb Kurz in seinem Artikel „Die Krise des Tauschwerts“: „Der Zusammenbruch des Wertverhältnisses beginnt eben nicht erst, wenn der letzte Arbeiter aus der unmittelbaren Produktion eliminiert ist; er beginnt vielmehr genau an dem historischen Punkt, in dem das allgemeine Verhältnis von Eliminierung und Re-Absorption lebendiger unmittelbarer Produktionsarbeit umzukippen beginnt, d.h. bereits in dem Moment (und sukzessive fortschreitend in dem Maße), wo (und wie) mehr lebendige unmittelbare Produktionsarbeit eliminiert als reabsorbiert wird. Vermutlich liegt dieser Punkt, soweit man von einem solchen sprechen kann, heute bereits in der Vergangenheit, etwa in der Zeit Anfang bis Mitte der siebziger Jahre: Nicht zufällig liegen in diesem Zeitraum sowohl der Zusammenbruch des Währungssystems von Bretton Woods als auch der Beginn der technologischen Massenarbeitslosigkeit. Auch darf man sich selbstverständlich den Zusammenbruch des Wertverhältnisses nicht als einen plötzlichen und einmaligen Akt vorstellen (obwohl plötzliche Einbrüche und Zusammenbrüche, z.B. Bankenkrachs, Massenpleiten etc. durchaus Bestandteile dieses Zusammenbruchs sein werden), sondern als einen historischen Prozeß, eine ganze Epoche von vielleicht mehreren Jahrzehnten, in denen die kapitalistische Weltökonomie aus dem Strudel von Krise und Entwertungsprozessen, anschwellender Massenarbeitslosigkeit … nicht mehr herauskommen kann (Kurz, 1986, S. 35, Hervorheb. i.O.; siehe auch: exit-online.org). Hightecharbeiter erzeugen also keinen Mehrwert mehr wie Industriearbeiter, was Jappe offenbar annimmt, sondern arbeiten – zugespitzt formuliert – an ihrer eigenen Rationalisierung. Heute ist längst schon deutlich geworden, dass nicht nur die eben durch diesen Prozess vermittelte Verunmöglichung der Erzielung von Rendite durch Mehrwertgewinnung zu einem Ausweichen auf die Spekulations-Ebene geführt hat, sondern dass die darin gipfelnde gesamte Dynamik zum Zerfall des Kapitalismus führt. Auch in seinem letzten Buch bekräftigte Kurz noch einmal diese Sichtweise: „Das vulgäre Verständnis suggeriert, der `Zusammenbruch` müsse sich so augenblicklich vollziehen, wie ein Individuum, das einen schweren Infarkt erleidet, auf der Stelle tot umfällt. Wenn in diesem Sinne der Kapitalismus weder nach der Dotcom-Krise Anfang des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts, noch an dessen Ende nach dem großen Finanzcrash 2008/9 zu Staub zerfallen ist, dann wird das eilfertig als `empirische Widerlegung` der radikalen Krisentheorie genommen, weil sich ja die `Prophezeiung` wieder einmal nicht bestätigt habe. Die Metapher wird also eulenspiegelhaft wörtlich genommen, indem man den Zeithorizont der theoretischen Erklärung auf eine Art Tagesaktualität schrumpfen lässt. Der Unterschied zwischen aktueller oder lebensweltlicher bzw. historischer Zeit wird gelöscht. Das ist natürlich völlig unzulässig … Wie der Kapitalismus eine an Brüchen und Verwerfungen reife Epoche seiner Konstitution in der Frühmoderne durchlaufen hatte, so durchläuft er jetzt eine Epoche seiner inneren Auflösung … für die Theorie einer aktuell gewordenen inneren Schranke … (fällt) deren Zeitraum in die erste Hälfte des 21. Jahrhunderts … ohne dass etwa ein exaktes Datum angegeben werden müsste“ (Geld ohne Wert 2012). Zu einer ähnlichen Einschätzung gelangt übriges wiederum auch Wallerstein. Kurz schreibt weiterhin: „Die Metapher des `Zusammenbruchs` auf den aktuellen Wahrnehmungshorizont zu verkürzen, gehört eindeutig zur Diskurstaktik von Gegnern der radikalen Krisentheorie, auch wenn es ihnen nicht immer in vollem Umfang bewusst sein dürfte, weil die Argumentation auch von vortheoretischen `Bauchgefühlen` bestimmt ist“ (ebd.). Dies hat der große „Kenner“ der Wertkritik Anselm Jappe offenbar völlig überlesen. Dabei ging Kurz immer davon aus, dass der konkrete Verlauf nicht antizipiert werden kann! Ein „Kollaps der Modernisierung“ zeigt sich heute zudem in der sog. Vielfachkrise. Dies erschließt sich, wenn man die Gesellschaft als Ganzes in den Blick nimmt und eben nicht nur die Ökonomie. „Die Welt ist aus den Fugen“ ist dabei eine häufig gestellte Diagnose, was die weltgesellschaftliche Situation heute betrifft. Zerfallsprozesse in der „Dritten Welt“ interessieren Jappe dabei ebenfalls nicht (siehe „Der Zusammenbruch der Peripherie“ – Gerd Bedszent“ 2014). Im Großen und Ganzen (nicht in jedem Detail) hat die Wertkritik sogar mehr recht behalten als das Gros der bürgerlichen und marxistischen Theoretiker und Wissenschaftler, was Korrekturen an ihr freilich nicht ausschließt. Darauf gehe ich noch zum Schluss ein. 3. Die Wertkritik vernachlässige die ÖkologieJappe führt als eigentliche Schranke des Kapitalismus die innere Schranke, die Ökologie an, mit der sich die Wertkritik auseinanderzusetzen habe. Er übersieht dabei geflissentlich, dass hierzu längst Arbeiten existieren; so hat Tomasz Konicz ein Buch zum Thema Klimakiller Kapital vorgelegt (das er auch in einem anderen Text erwähnt und kritisiert) und auch sonst explizit vieles zu diesem Thema geschrieben. Auch Kurz hat das ökologische Problem – wie auch andere Wertkritiker – thematisiert und dies in den 1990er Jahren, als Ökologie völlig out war und man in dekonstruktivistischer Manier davon ausging, dass Natur immer schon Kultur ist und es sie mehr oder weniger eigentlich gar nicht gibt bzw. als nicht zu beachtende Nebensache gilt. Auch hielt und halte ich an einer Sex-Gender-Natur-Kultur-Dialektik fest, trotz aller postmoderner Einsprüche. Dafür habe ich bei Veranstaltungen viele Prügel bezogen. Allerdings spricht sich Kurz gegen einen „ökologischen Reduktionismus“, den auch Jappe betreibt, aus: „Das Ende der Modernisierung bedeutet also, dass nicht nur die kapitalistische Form der Reproduktion überwunden werden muss, sondern eine nachkapitalistische Weltgesellschaft für lange Zeit die Folgen der kapitalistischen Naturzerstörung zu bearbeiten hat und daran leiden wird. Für die krisentheoretische Analyse und Kritik kommt es darauf an, die beiden historischen Schranken in ihrem inneren Zusammenhang zu sehen. Es besteht allerdings die Gefahr, dass die beiden Momente der historischen Krise gegeneinander ausgespielt werden; sowohl von den kapitalistischen Eliten als auch von Vertretern eines `ökologischen Reduktionismus`, die nur die äußere Naturschranke gelten lassen. Die kapitalistische Krisenverwaltung und der ökologische Reduktionismus könnten eine unheilige Allianz eingehen, die darauf hinausläuft, die ökonomische Schranke zu verleugnen und im Namen der ökologischen Krise den verarmten und verelendeten Massen eine Ideologie des `sozialen Verzichts` zu predigen. Demgegenüber muss festgehalten werden, dass die Krise, Kritik und Überwindung des kapitalistischen Formzusammenhangs Priorität besitz, weil die Naturzerstörung Folge und nicht Ursache der inneren Schranke dieses Systems ist“ (Robert Kurz, Der Tod des Kapitalismus, 2013)“. Ach, bliebe es doch bloß bei der Forderung des „Verzichts“. Kurz hätte sich wohl nicht träumen lassen, dass mit seiner Theorie das Aufzeigen der „Energieschranke des Kapitals“ (Sandrine Aumercier) letztlich in mathusianischen und sozialdarwinistischen Konsequenzen mündet, wie auch bei Jappe! (s.u.). Kurz war schon seit Anfang der 1990er Jahre kein Produktivkraft- und Technikfan mehr. „… in Bezug auf die kapitalistischen Artefakte wird sicherlich ein ,Programm der Abschaffungen’ sehr weit greifen müssen, weil die kapitalistische Formvergiftung der Dinge inzwischen ungeheuer weit fortgeschritten ist. Trotzdem kann das eben auch hinsichtlich der kapitalistischen Artefakte im weitesten Sinne nicht heißen, ein Tabula-rasa-Programm starten zu wollen ... Sicherlich sind die kapitalistischen Produktivkräfte in einem viel größeren Ausmaß aggregiert und vergesellschaftet als alle früheren; alle einzelnen Technologien befinden sich in einem weit reichenden Verkettungszusammenhang. Und gemäß der Wertabstraktion, die alle Sinnlichkeit negiert, ist dieser Zusammenhang gleichzeitig als ein System von Destruktivkräften ausgeprägt. Das kann jedoch nicht heißen, die Aggregierung von Technologien, Fertigkeiten und Kenntnissen per se und ,en bloc’ zu verwerfen. Das wäre eine totalitäre Negation nach demselben Prinzip einer inhaltlichen Tabula-rasa-Logik und bloß die Umkehrung des naiven arbeiterbewegungsmarxistischen Produktivkraft-Fetischismus. Die Negation von Inhalten und Artefakten kann nicht apriorisch einsetzen, unabhängig von der Bestimmung dieser Inhalte“ (Tabula rasa in: Blutige Vernunft 2004; siehe auch: Exit! Nr. 21, 2024). Was Jappe auch überhaupt nicht sieht ist, dass die von ihm infrage gestellte Wert-Abspaltung sehr wohl Naturbeherrschung und -zerstörung kritisiert hat und dies von Exit aufgezeigt wurde, so etwa in einem Text von Johannes Bareuther (aber gerade auch in Texten von Claus Peter Ortlieb oder aber von Thomas Meyer wird dieser Zusammenhang immer wieder hergestellt!). So heißt es in der Ankündigung eines Artikels von Johannes Bareuther in der Exit 12/2014: „Während im 17. Jahrhundert von Figuren wie Francis Bacon, Galilei und Descartes die Programmatik und die ersten Ausführungen einer neuen gesetzesförmigen Naturerkenntnis und der ihr entsprechenden mechanistischen Philosophie formuliert wurden, erreichten in Europa die patriarchalen Gräueltaten der Hexenverfolgungen ihren Höhepunkt. Dieser frappierenden historischen Koinzidenz nachgehend, entwickelt Johannes Bareuther Überlegungen ZUM ANDROZENTISMUS DER NATURBEHERRSCHENDEN VERNUNFT. Es erweist sich dabei, dass sich die mechanische Naturwissenschaft zwar wesentlich der sich zeitgleich durchsetzenden Wertvergesellschaftung verdankt, wie bereits Eske Bockelmann nachgewiesen hat. Darüber hinaus lassen sich jedoch Spuren des Gründungsverbrechens des warenproduzierenden Patriarchats, der ‚ursprünglichen geschlechtlichen Abspaltung‘ gewissermaßen, auch in den Kategorien und Bildern der neuen Naturauffassung aufzeigen. Sie werden im Verlauf des Textes in einen spekulativen Zusammenhang mit der Dialektik von innerer und äußerer Naturbeherrschung und der entsprechenden Dynamik des männlich-bürgerlichen Subjekts gebracht, wodurch die geschlechtliche Abspaltung als konstitutive Voraussetzung der neuzeitlichen Naturwissenschaft erkennbar wird“. 4. Die Wert- Abspaltungs-Kritik brauche es nicht (mehr)Hier wird schon erkennbar, dass die von Jappe inkriminierte Abspaltungs-Theorie, die es angeblich insbesonders heute nicht mehr bräuchte, keineswegs einfach ein Bereich, eine Sphäre jenseits des Werts ist, der mit Freundschaft, Vereinen u.ä. gleichgesetzt werden kann, sondern einen grundsätzlichen und kategorialen Zugang verlangt. Sie ist bei Jappe im Grunde unter die Begriffe „Gemeinschaft und Gesellschaft“ (Ferdinand Tönnies) subsumiert. Die Wert-Abspaltung zieht sich in dialektischer Vermittlung mit dem Wert durch die gesamte Gesellschaft. Dies zeigt sich trotz aller Sichtbarkeit von Frauen dadurch, dass sie immer noch wenigerverdienen als Männer, in Politik und Öffentlichkeit nach wie vor nicht wie Männer vertreten sind, trotz aller Quotenregelungen geringere Aufstiegschancen haben u. ä. Sie findet nicht nur auf der materiellen Ebene statt und umfasst Reproduktionstätigkeiten, die nicht umstandslos mit dem Arbeitsbegriff belegt werden können (Liebe, Hege, Pflege), sondern auch auf der kulturell-symbolischen Ebene, also im Blick darauf, wie Männlichkeit und Weiblichkeit normativ bestimmt sind, sowie in einer sozialpsychologischen Dimension, die die Subjektkonstitution beinhaltet. Hierin zeigt sich auch, weshalb Frauen (die Hälfte der Gesellschaft!) und das sog. Weibliche inferior gesetzt werden. Jappe hat stattdessen einen ausschließlich funktionalistischen Blick und denkt die Wert-Abspaltung schematisch: Hier ist der Wert und dort ist das Andere, worin er praktisch informelle Beziehungen jedweder Coleur und irgendwie gemeinschaftlicher Art unter „Abspaltung“ fasst. Diese werden von ihm von vornherein positiv bewertet, gewissermaßen der conditia humana entsprechend. Dabei scheint er eine Art Eiapopeia-Vorstellung von der Reproduktionssphäre zu haben. Sie wird von Jappe sozusagen als „Resonanzhafen“ (Hartmut Rosa) veranschlagt, ohne deren Borniertheiten, ihr verdinglichtes Dasein als separater Bereich und deren Zwangscharakter für Frauen zu erkennen. Sorgetätigkeiten in der Privatsphäre sind jedoch alles andere als allseits beglückend, sei es was Kindererziehung oder die Pflege betrifft. Trotz aller Hausfrauisierung von Männern fallen sie heute noch immer hauptsächlich den Frauen zu, trotz gleichzeitiger Erwerbstätigkeit. Eine bessere Ausbildung und eine zunehmende Erwerbstätigkeit von Frauen führt dabei zu Konstellationen, die sich nicht selten in Gewalt entladen, gerade wenn Frauen als Krisenverwalterinnen in Wirtschaft und Staat sichtbar werden. Frauen (und auch Migranten, die vermehrt in Staat und Wirtschaft anzutreffen sind) erobern sich so Kommandohöhen auf einem sinkenden Schiff (Andreas Urban müsste eigentlich aufjaulen, was Jappe hier äußert, hat er dies doch in seinem Text „Spitzenfrauen“ herausgearbeitet (Exit Nr. 18 2021, siehe auch wertkritik.org). Gewalt gegen Frauen und Femizide nehmen dabei bekanntlich zu. Man muss schon mit Blindheit geschlagen sein, um dies nicht zu sehen; ebenso nehmen auch Antisemitismus und Rassismus im Zuge einer allgemeinen Rechtswende zu. So viel zur leeren Abstraktion Jappes, dass sich „die fetischistische Logik von ihren Trägern gelöst hat“ (eine Sicht, die von der Wertkritik insbesondere in den 1980er Jahren vertreten wurde). Hier interessiert die von ihm ansonsten so hochgehaltene „Empirie“ offensichtlich nicht. Er will eine abstrakte androzentrische Wertkritik hochhalten und verrät so, dass er an den traditionellen Sesseln männlicher Suprematie klebt; in Wirklichkeit ist diese „fetischistische Logik“ selbst schon von vornherein wert-abspaltungs-logisch begründet. Frauen und eine Arbeiterklasse können nicht einfach gleichgesetzt werden, ja, je mehr sich diese Schicht in den letzten Jahrzehnten ökonomisch ausgedünnt hat, desto mehr wurde das Problem von Sexismus, aber auch Rassismus deutlich, das schon immer existiert hat, bislang jedoch bestenfalls eine Randstellung einnahm. Mit der Zunahme von rechten Bewegungen, aber auch dem neuerlichen Auftreten einer Retro-Linken, sollen derartige Probleme wieder in den Hintergrund gedrängt, wenn nicht negiert werden. Dagegen ist vehement Einspruch zu erheben! Selbst Krisis sieht sich in den letzten Jahren offenbar gezwungen, feministische Themen und Rassismus in größerem Stil mit hereinzunehmen (wobei Hinweise auf Ausarbeitungen seitens der Wert-Abspaltungs-Kritik, die diese Themen schon früh auf die Agenda gesetzt hat, bezeichnenderweise unterbleiben! (neuestes Beispiel: Ernst Lohoff, der die Wert-Abspaltungs-Kritik jahrelang bekämpfte, sie nun aber in dem Text „Jenseits des Homo faber oder die Rückgewinnung der Lebenszeit“, 2024, nun einfach referiert und für sich in Anspruch nimmt, ohne indes die Urheberin zu erwähnen – siehe www.krisis.org). Die Wert-Abspaltung gibt ebenso anderen (auch sozioökonomischen) Disparitäten als dem hierarchischen Geschlechterverhältnis gleichermaßen Raum (darauf kann ich hier nicht weiter eingehen und habe diesen Zusammenhang bereits in meinem Buch „Differenzen der Krise – Krise der Differenzen 2005 ausführlich behandelt). Es ist kein Wunder, dass Jappe dagegen auf einmal die „konkreten“ Analysen von Mies und Federici gegen die Wert-Abspaltungs-Kritik anführt, verfechten diese doch einen Subsistenzansatz, von dem auch Jappe einiges hält, allerdings billigen gerade diese Ansätze weiblichen Reproduktionstätigkeiten, also der „Abspaltung“, im Gegensatz zu Jappe einen entscheidenden Platz zu. Jappe, der ansonsten vom Feminismus nicht viel wissen will, vereinnahmt diese Ansätze einfach für seine Sichtweise. Derartige Subsistenzansätze sind m. E. jedoch Pseudolösungen, die in ihrer lebensphilosophischen und vitalistischen Ausrichtung in ihrer Borniertheit zu kritisieren sind, anstatt noch den Versuch zu unternehmen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Es ist ungeheuerlich, dass von ihm behauptet wird, der Wert-Abspaltungs-Ansatz sei nach meinem Text „Der Wert ist der Mann“(1992) nicht weiterentwickelt worden. Ich habe ein ganzes Buch „Das Geschlecht des Kapitalismus“ (bereits 2000 in erster Auflage veröffentlicht!) geschrieben, in dem ich die Wert-Abspaltungs-Kritik in Auseinandersetzung mit anderen feministischen Theorien weiter ausgearbeitet habe, was im Männerbund Krisis seinerzeit auf viel Ablehnung stieß. Empirische Studien, die ich dabei angeführt habe, auf die Jappe doch ansonsten so viel Wert legt, passen offensichtlich nicht in sein Konzept. Die Wert-Abspaltungs-Kritik verfolgt dabei – wenn man so will – einen Mehrebenen-Ansatz, der auch der historisch und soziologisch-empirischen Ebene einen ebenso relevanten Platz einräumt wie der Wert-Abspaltung als Formprinzip der Gesellschaft auf einer Markroebene. Ansonsten könnte sie sowohl einen alltäglichen Sexismus und eine „Mikro-Misogynie“ (Carola Padtberg), wie sie sich heute breitmachen, wenn plumpe Sexismen heute nicht mehr so ohne weiteres durchgehen, als auch eine frei flottierende männliche Aggression, die nicht an gesellschaftliche Verbindlichkeiten rückgebunden ist, thematisieren. Die Wert-Abspaltungs-Theorie trägt in ihrer Entfaltung sehr wohl der Empirie Rechnung, allerdings ohne diese zu hypostasieren, und pocht auf den Rückbezug auf die Formebene. Die durchgängige Geschlechterhierarchie braucht nach Jappe offensichtlich keine systematische und kategoriale Erfassung, da es ja nicht nur Frauen sind, die in nicht-wertförmigen Bereichen zugange sind. Dass Theorie notwendigerweise immer auch Abstraktion ist, wird hier komplett „vergessen“. Deshalb braucht ein so zentrales soziales Verhältnis wie das hierarchische Geschlechterverhältnis auch gar nicht theoretisch und kategorial bestimmt zu werden. Es fällt für ihn ohnehin in die Rubrik Ontologie und Anthropologie, wie weiter hinten in seinem Text deutlich wird. Dabei ist für ihn freilich auch Homo- und Transphobie kein Thema. Er nimmt per se den Standpunkt eines „Zwangsheterobocks“ ein, wie Robert Kurz dies polemisch formulierte,. Die Wert-Abspaltung hat dabei – wie gesagt – auch eine kulturell-symbolische und sozialpsychologische Seite. Dies erweist auch ihre Relevanz für die Kritik des Aufklärungssubjekts. Durch Diskursanalysen kann gezeigt werden, wie sich Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit, die Geschlechterhierarchie und männliche Dominanz konstituieren: Psychoanalytisch betrachtet findet beim Mädchen eine Identifikation mit der Mutter statt, um die weibliche Rolle zu übernehmen; der Junge hingegen muss sich von der Mutter abgrenzen und sich mit dem Vater identifizieren, um ein „Mann“ zu werden, und niemand in abstrakten Geschlechtervorstellungen aufgeht. Es muss also zwischen Subjekt und Individuum unterschieden werden, ohne dass sich die konkreten Individuen geschlechtstypischen Normierungen völlig entziehen können. Diese beiden Ebenen sind für die Konstitution des (Aufklärungs-)Subjekts oder das männlich weiße-westliche Subjekt (MWW) wie Kurz es auch nennt, entscheidend, das sich in Kapitalismus und modernem Patriarchat als das Eine setzt, sich als der Mensch an sich versteht und das Allgemeine zu vertreten beansprucht, sich allen anderen überlegen wähnt und rational, „von Natur aus“, dominant sein Recht auf Weltenherrschertum ableitet. Selbst wenn zwischen Subjekt und Individuum unterschieden werden muss, das Individuum also nicht in den Geschlechtervorstellungen aufgeht, bleiben auch die Individuen von den entsprechenden Zuschreibungen nicht unberührt. Die kulturell-symbolische und sozial-psychologische Ebene wird von der Wert-Abspaltungs-Kritik also durchaus miteinbezogen, wie Jappe dies fordert, aber eben völlig anders, als er sich dies in seiner anthropologischen und ontologisierenden Sichtweise vorstellt. 5. Die Aufklärungs- und Subjektkritik gehe zu weitJappe pocht auf die Zwiespältigkeit der Aufklärung. Dass Kurz das Aufklärungssubjekt radikal kritisiert, ist ihm ein Dorn im Auge. Er unterstellt ihm sogar, dass er die Wert-Abspaltung nicht wirklich ernst genommen hat. In seinen politökonomischen Analysen etwa sei Kurz in seinem Element, sozusagen ein „ganzer“, „richtiger“ Mann; in seiner Kritik an Aufklärung und männlichem Aufklärungssubjekt zeige sich hingegen ein „exoterischer“ Kurz, er verbleibe bestenfalls auf der Oberfläche und werde hier sozusagen zum Weib (wahrscheinlich hat ihm das Ganze ohnehin seine Frau eingeflüstert), das die kategoriale, eben bloß wertkritische Grundsatzebene verlässt, die die eigentliche sein soll. Es mag sein, dass Kurz, was die Debatten um innermarxistische Kategorien (abstrakte Arbeit, Geld u.ä.) betrifft, die Abspaltung nur nebenbei behandelt hat. In seinem Buch „Das Weltkapital“ (2005) hat er sie allerdings sehr wohl zum Ausgangspunkt genommen, was ihm von manchen Rezensenten auch angekreidet wurde (2005 war der Feminismus noch megaout, was sich in der Folgezeit ändern sollte). Allerdings hatte er längst erkannt, dass die Inhalte innermarxistischer Debatten nicht alles sind und diese nicht allein die Totalität konstituieren. Dies gilt auch, wenn er kritisch die Aufklärung ins Visier nimmt. Kurz geht es dabei um eine radikale Kritik der männlichen Subjektform, die sich bei Kant sozusagen wie in einem Brennglas studieren lässt. Es geht ihm somit um den Bruch mit dem „fetischistischen Denk- und Handlungsmodus“ (Tabula rasa). Es gilt „einerseits, alle Ecken und Winkel (der Aufklärung R.S.) genau auszuleuchten, besonders sorgfältig zu argumentieren und kein Schlupfloch für klammheimliche Apologetik offenzulassen.“ Er plädiert somit für ein differenziertes Vorgehen, fährt jedoch sogleich fort: „Das kann jedoch gerade nicht heißen, auf zuspitzende Thesen zu verzichten … Denn andererseits muss die Kritik der Aufklärung sogar besonders aggressiv verfahren, da erst in diesem Punkt die Quelle aller Lähmung und Verblendung des emanzipatorischen Denkens in der Moderne erreicht wird“ (ebd.). Dabei sind Rassismus, Antisemitismus, Sexismus usw. nicht nur eine Folge der Aufklärung wie Jappe meint, sondern dieser inhärent. Sicherlich ist der Aufklärungsdiskurs kein einheitliches Gebilde und es sind dort auch Aussagen zu finden, die man gerade Jappe mit seinem Androzentrismus um die Ohren hauen könnte. Poullain de la Barre stellt aus einer cartesianischen Perspektive fest: „Der Mann ist immer Richter und Partei zugleich“. In Deutschland wendete sich Hippl gegen einen Biologismus und trat für die „Verbesserung der Weiber“ ein. Dies ändert jedoch nichts am Mainstream der Aufklärung, der sich durchgesetzt hat, und die damit einhergehende männliche Subjektform. Jappe führt das Ende der Sklaverei als Erfolg des Aufklärungsdenkens an. Fakt ist jedoch, dass viele Schwarze in den USA danach unter denselben Bedingungen lebten wie vorher. Die Rassentrennung in den USA wurde erst 1964 aufgehoben, also an der Schwelle zur Postmoderne, in der die Aufklärung dann in Frage gestellt wurde. Rousseau gilt gemeinhin als moderner Klassiker der „Polarisierung der Geschlechtscharaktere“ (Karin Hausen) und Begründer des modernen Patriarchats. Und nur auf Grundlage dieser „Polarisierung“ nahmen Frauenrechte zu. Dass Männer ihren Frauen verbieten konnten, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, wurde in der BRD erst 1977 revidiert. In der Moderne wurden die asymmetrischen Geschlechterverhältnisse der Vormoderne in eine völlig neue Qualität überführt. Dieser neuen Qualität gilt es Rechnung zu tragen. Jappe plädiert dafür, die „Zwiespältigkeit der Aufklärung“ zu sehen, und fragt, „worauf eine emanzipatorische Antimoderne eigentlich beruht“, die Kurz propagiert, und dass sie ohne Rekurs auf die Aufklärung in der Luft hinge. Eine Kritik der Aufklärung stand Anfang der Nullerjahre noch im Abseits und wurde vor allem von poststrukturalistischen und postkolonialen Positionen aus geübt, die hierzulande allerdings randständig und von anderer Art als die Wert-Abspaltungs-Kritik waren. Mittlerweile hat sich dies jedoch geändert. Selbst Axel Honneth schreibt: „ … der Kolonialismus (hat) den wirtschaftlichen Wohlstand des Westens überhaupt erst geschaffen und damit die gesicherte Basis, auf der wir unsere moralischen Ideale einer friedfertigen Ordnung von Freiheit und Gleichheit schmieden konnten. Damit ist nicht nur unser Reichtum, es sind auch die normativen Prinzipien, mit denen wir unsere globale Vorreiterrolle seit je begründet haben, auf dem blutigen Boden der kolonialen Ausbeutung entstanden. Es ist also mehr als angebracht, diese Ideale, unser bisheriges Denken und Handeln, kritisch zu hinterfragen. Bereits ein Blick in die Ideenschmiede des Westens zeigt, wie weit diese Aufgabe in unsere Vergangenheit zurückreicht: Im Leviathan von Thomas Hobbes, der Gründungsschrift der modernen Tradition politischen Denkens in Europa, wurde die Unterwerfung der indigenen Völker Nordamerikas stillschweigend gerechtfertigt. Diese befänden sich schließlich, so die Unterstellung, noch im sogenannten Naturzustand. Damit war bereits im 17. Jahrhundert theoriegeschichtlich der Weg geebnet, auf dem die politische Philosophie und Gesellschaftstheorie alsbald zu der Überzeugung gelangen konnte, der Westen stelle die Norm aller soziokulturellen Errungenschaften dar“ (Ein Sockel muss bleiben: zeit.de). Freilich wäre Honneth nicht Honneth, wenn er nicht die Aufklärung wenigsten als „Sockel“ beibehalten wollte, besonders die Distanzfähigkeit, wohingegen Kurz hier weiter geht und davon spricht, dass es eben auch eine „Distanz zur Distanzfähigkeit“ geben müsse (ohne jedoch in ein Authentizitäts- und Eigentlichkeitsdenken zu verfallen, dem kann hier nicht weiter nachgegangen werden) und die Distanz also selbst erst einmal auf einer abstrakten Theorie-Ebene selbst ernsthaft infrage gestellt werden muss (Kurz: Tabula rasa s.o). Und Daniel Loik, der der neuesten Generation der Frankfurter Schule zugerechnet wird, schreibt etwas gewunden: „De Bois` Kritik der color line erinnert die amerikanische Gesellschaft an das Prinzip der Gleichheit, dem sie sich in ihrer Verfassung und ihren offiziellen Idealen verpflichtet hat. Dennoch impliziert diese Kritik nicht einfach die Forderung nach einer Vollendung oder Realisierung dieser Ideale. Als Materialist zeigt er vielmehr, warum es unter den bestehenden ökonomischen und politischen Bedingungen zu diesem Widerspruch kommen muss. Seine Kritik … drängt darauf, Verhältnisse zu überwinden, die beständig gegen ihre Normen verstoßen. Sie will keine Welt vervollständigen, sondern eine neue ‚schaffen‘“ (Daniel Loik: Die Überlegenheit der Unterlegenen 2004, Hervorheb i. O). Es kann also nicht einfach beständig an Freiheit, Gleichheit, Menschenrechten usw. als Maßstab festgehalten werden. Allzu sehr sind die antiemanzipativen Fallstricke der Aufklärung mittlerweile offenbar geworden. In ihrem Namen wurden mit missionarischem Eifer Kriege entfacht und Menschen dahingemetzelt. Selbst ein Honneth muss nun zu sich selbst zumindest teilweise auf Distanz gehen, gewissermaßen unter dem Druck der „normativen Kraft des Faktischen“, wenn die Anderen mehr und mehr Einspruch erheben. Eine Gesellschaftskritik heute kann eine immanente Kritik nicht mehr naiv auf aufklärerischer Basis gewinnen, allzu sehr ist deutlich geworden, dass Freiheit und Gleichheit selbst an Ausbeutung und Diskriminierung usw. der Anderen beteiligt sind. Eine emanzipatorische immanente Kritik kann heute so nur in der Einsicht in diesen Widerspruch gewonnen werden und nicht die Aufklärung und ihre Werte zum Maßstab nehmen, wie es Jappe tut. Kurz hat selbst durchaus die Widersprüche innerhalb des Aufklärungsdenkens gesehen: Es „gilt … auch die innere Widersprüchlichkeit der Aufklärungsphilosophie selber herauszuarbeiten. Aber eben nicht in der bisherigen Weise, wie etwa selbst noch Adorno ein vermeintlich ,gutes’, emanzipatorisches Moment aus dem herrschaftsideologischen, repressiven Ideenkorpus herauszufiltern versuchte. Vielmehr kann es nur noch darum gehen, zu zeigen, wie sich die Aufklärung in auf ihrem Boden unüberwindbare Antinomien und Aporien verstrickt und damit ungewollt enthüllt, wie der Totalitarismus der Wertvergesellschaftung nicht aufgeht und auch gar nicht aufgehen kann“ (Negative Ontologie 2004). Es ist dringend zu empfehlen, sich die von Jappe implizit kritisierten Texte im Original zu Gemüte zu führen, anstatt der Deutung Jappes Glauben zu schenken. 6. Zurück zu Ontologie, Anthropologie, zu Bauern und HandwerkernSieht man bei Jappe indes genauer hin, wird jedoch erkennbar, dass seine Insistenz auf der Zwiespältigkeit der Aufklärung eher ein ideologischer Durchgang zu agrarromantischen Vorstellungen ist. Es verwundert nicht, dass er positiv den Aufklärer Denis Diderot anführt, der – auch dies gehört zur Aufklärungstradition – den „Edlen Wilden“ hochhält. So schrieb Robert Kurz schon in der ersten Hälfte der Nullerjahre gegenüber entsprechenden Einwänden Jappes: „Die mehr oder weniger klare Apologetik und Affirmation dieser ,falschen’ Form des Selbst (die Subjektform R.S.) geht einher mit einem ontologischen Bedürfnis, das in irgendeiner Weise auf die falsche Kontinuität des Bewußtseins setzen möchte, die aber nur eine Kontinuität der Form sein könnte, mit der gerade gebrochen werden muß. Noch innerhalb der Kritik zeigt sich dieses ontologische Bedürfnis als Drang zur Konstruktion einer positiven Entwicklungslogik, einer Ahnengalerie, einer generativen Abfolge, in die man sich irgendwie einordnen kann (Tabula rasa s.o). Kurz schreibt weiterhin: „Der ontologische Bruch soll dann dadurch vermieden werden, daß der positive ontologische Boden geradezu agrarromantisch in der Vorvergangenheit verortet wird. Jappe formuliert also seine Antikritik an der radikalen Aufklärungskritik im Unterschied zu den Apologeten der Moderne weniger um der Aufklärung willen, sondern eher, um die vormoderne Agrargesellschaft als weitgehend positiven Bezugsrahmen und geradezu als Maßstab der Aufklärungskritik zu retten … da es ein Zurück zu den vormodernen Formen sowieso nicht geben kann, droht das form-apologetische Moment in solchen Argumentationen letztlich nur das wert-abspaltungslogische Subjekt … unfreiwillig zu flankieren“ (ebd.). Jappe will auf alte Bauern- und Handwerkergesellschaften zurück, die selbst auf nützliche technologische Artefakte, die nicht „formvergiftet“ (Robert Kurz) sind, verzichten (sie sollen höchstens zum Einsatz kommen, um Handwerk und Bauerntum zu unterstützen). In diesem Kontext ist auch sein Insistieren auf Anthropologie zu verstehen, die mit einer Hypostasierung „der Kultur“ einhergeht, auch wenn er gezwungen ist zuzugeben, dass die psychische Verfassung sehr plastisch ist. 7. Universalismus und Partikularismus, ja, aber im kulturkonservativen GewandIn diesem Rahmen ist auch seine Kritik an der Annahme einer absolute Universalisierung der Wertform zu sehen, die von einzelnen Kulturen abstrahiert. Ich habe bereits in meinem Buch „Das Geschlecht des Kapitalismus“ (2000/2011) geschrieben: „Die Wert-Abspaltung muß also insgesamt als Formprinzip des warenproduzierenden Patriarchats, auch wenn davon auszugehen ist, dass die patriarchal- warenförmige Entwicklung in den verschiedenen Weltregionen ungleichmäßig stattgefunden hat …, bis hin zu (ehemals) geschlechtssymmetrischen Gesellschaften, in denen die westlich-modernen Geschlechtervorstellungen bis heute nicht bzw. nicht gänzlich übernommen worden sind“ (Scholz 2011/2000: 127). Auch in meinem Buch „Differenzen der Krise-Krise der Differenzen“ habe ich für Diversität plädiert, selbst was Europa betrifft, ohne diese Diversivität jedoch zu verabsolutieren. Es gilt, die jeweiligen Kontexte zu berücksichtigen, allerdings vor dem Hintergrund der Wert-Abspaltung als Formzusammenhang, was die kulturell-symbolische Ebene freilich mit einschließt. In meinen Ausführungen im „Geschlechterbuch“ habe ich z. B. die Verwilderung des Patriarchats mit Irmgard Schulz anhand Jamaika konkret-empirisch aufgezeigt. In meinem Aufsatz „Gesellschaftliche Form und konkrete Totalität“ habe ich selbst auf den Einbezug empirischer und konkreter Ebenen gepocht vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Form: „Grundsätzlich geht es … darum, dass überhaupt konkretere Ebenen und deren inhaltlicher Bezug in der kapitalistischen Totalität bis hin zu dem, was darin überhaupt nicht aufgeht, auf gar keinen Fall vernachlässigt und als unwesentlich abgetan werden können, ebenso wenig wie umgekehrt der Bezug auf die gesellschaftliche Formbestimmung des Werts als abstrakte und leere ,Esoterik’ denunziert werden kann. Vielmehr ist die darin nicht aufgehende konkrete Analyse immer auf diesen Zusammenhang verwiesen“ (Scholz: „Gesellschaftliche Form und konkrete Totalität“ Exit! 6/2009). Dass das, was nicht in dieser Form aufgeht, zur Kenntnis genommen werden muss, ergibt sich schon allein aus der Kritik der Identitätslogik, die der Wert-Abspaltungs-Kritik wesentlich eignet. All dies ignoriert Jappe einfach, hat es nicht gelesen oder will es nicht zur Kenntnis nehmen. Das liegt vermutlich daran, dass Jappe Kultur tatsächlich essentialisiert. Dabei muss auch gesehen werden, dass traditionelle Kulturen und Gesellschaften niemals ein Wolkenkuckucksheim waren. So schreibt Kurz zum Beispiel: „Die sexuelle Verstümmelung kleiner Mädchen etwa kann kaum als positiver ,kultureller Inhalt’ geltend gemacht werden, und schon gar nicht als wunderbare Widerstandspotenz einer noch nicht vom Wertverhältnis versauten vormodernen Agrarkultur gegen die modernen Zumutungen“ (Tabula rasa s.o.). Zu kritisieren ist hierbei, dass im Feminismus und in der Linken heute allgemein geradezu ein Abstraktionstabu vorherrscht und man sich pseudokonkret und formabstinent wieder auf Klasse, Identität, aber auch Authentisches, Eigentliches u.ä. kapriziert. Dabei stützt Jappes vitalistisches Konkretionsdenken antisemitische Ressentiments, die mit einem Affekt gegen das Abstrakte innigst verbunden sind. Jappe goutiert einerseits im hier behandelten Text eine nicht-personalisierende Wertkritik, in anderen Texten geht er jedoch von einem traditionellen Klassengegensatz aus, inklusive Verschwörungsphantasien (Haben sie Gesundheitsdiktatur gesagt? wertkritik.org). Hier besteht offensichtlich eine kognitive Dissonanz, die sich nicht mehr rational erklären lässt. 8. „Verschwindet von der Erde“ hat mit Malthusianismus und Sozialdarwinismus nichts zu tun?Jappe wehrt sich mit Händen und Füße gegen den Einwand des Malthusianismus und Sozialdarwinismus, obwohl diese bei ihm doch ganz klar zum Ausdruck kommen. Zynisch schreibt er in dem Text: „Von Mixern und Sozialdarwinisten“: „Sicher, man muss kein ‚Malthusianer‘ sein, um zu finden, dass acht Milliarden Menschen wirklich sehr viel sind. Die starke Zunahme der Bevölkerung ist nichts ‚Natürliches‘, sondern eine Folge der weltweiten Verbreitung des Kapitalismus, der in jedem Land eine Phase durchgemacht hat, in der die Bevölkerung sich im Laufe weniger Jahrzehnte verdoppelte oder verdreifachte“. „Es gibt aber auch gute Gründe, anzunehmen, dass eine nicht-industrielle, klein strukturierte, mit geringem Technologieeinsatz betriebene Landwirtschaft nicht weniger, sondern vielleicht sogar mehr Menschen zu ernähren vermag als die heutige High-Tech-Agrarindustrie“. Schon bald schreibt er jedoch wieder: „Es braucht dabei nicht negiert zu werden, dass die Bevölkerung in der heutigen Größe für eine postkapitalistische Transformation, in deren Rahmen auch das Technikpotential radikal reduziert werden müsste, ein Problem darstellt“. In einer gewundenen und unstimmigen Argumentation will er uns dann wieder seine Handwerker und Bauerngemeinschaften als „Gegenteil von Sozialdarwinismus“ verkaufen. „Gerade das wäre das Gegenteil eines Sozialdarwinismus. Angesichts von acht Milliarden Menschen und knappen Ressourcen sollten wir uns erst einmal auf das Wichtigste konzentrieren: allen das Essen zu verschaffen und die lebensnotwendigen Gegenstände durch Handwerk. Selbstverständlich muss das auf einer egalitären Basis geschehen und mit der Abschaffung von Privilegien und Hierarchien einhergehen. Und natürlich ist ein neues Gleichgewicht von Stadt und Land nötig, also ein Rückfluss aufs Land“. So sieht also seine Verbindung von Aufklärung und Gegenaufklärung aus, wobei gesagt werden muss, dass Aufklärung und Sozialdarwinismus ohnehin keinen Gegensatz darstellen. Sozialdarwinismus und ein „Verschwindet von der Erde“ (Robert Kurz Schwarzbuch Kapitalismus 2000) waren dem „wahren Eden der Menschenrechte“ (Marx) niemals fremd. Jappe kritisiert, dass es Exit um die „unmittelbare Verhinderung des Leids konkreter Personen“ geht. Dabei wären Widerstände gegen die gesellschaftliche Verhältnisse schon immer mit „gewalttätigen Reaktionen“ verbunden. Der Aufklärungsapologet Jappe bringt dabei allen Ernstes sein malthusianisches „Verschwindet von der Erde“ in einen Zusammenhang damit, dass zum Beispiel „gewaltsame Reaktionen“ gegen den Faschismus notwendig sein können. Mit seinem Naturfimmel nimmt er also nicht nur Corona-Tote in Kauf, sondern geht auch sonst über Leichen. Wer da nicht mitmachen will, den zeiht er der „moralischen Erpressung“. Robert Kurz schrieb Anfang der 1990er Jahre gegen ein abstraktes Gerechtigkeitsgeschwurbel gerichtet: „Ein ‚Recht‘ auf Leben, Nahrung, Wohnung usw. aber ist an sich absurd; es macht nur Sinn in einem gesellschaftlichen Bezugssystem, das seiner Tendenz nach all diese elementaren Grundlagen menschlicher Reproduktion eben gerade nicht selbstverständlich voraussetzt, sondern im Gegenteil ständig objektiv in Frage stellt“ (Kurz 1993: 31). Von Jappe und den Seinen wird nun diese Selbstverständlichkeit, die keine moralische Rechtfertigung braucht, im Namen der Wertkritik mit sozialdarwinistischen und malthusianischen Argumenten bestritten und als moralisch gebrandmarkt. Das ist nicht nur zynisch, sondern führt schnurstracks in die Barbarei. In solchen Haltungen zeigt sich eine „rohe Bürgerlichkeit“ (Wilhelm Heitmeyer), die den brutalen Imperativen eines verfallenden Kapitalismus direkt entspricht. Dabei ist freilich auch die soziale Frage Jappes Sache nicht. Ein Kritiker des Beton-Buches (Beton 2024) von Jappe bringt es auf den Punkt: Jappe „verbleibt ... auf dem zynischen Niveau eines Großbürgers, der den elenden Vorstadt-Bewohner:innen empfiehlt, doch einfach öfter in ihre Landhäuser zu fliehen“ (Tilman Hahn: „Schade, dass Beton nicht brennt“, Soziopolis, 2023). 9. FazitWenn man den Text von Jappe liest, betritt man eine Gruft. Er geht von einer universalistischen Wertkritik aus, für die ökonomische Disparitäten, Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus keine Themen sind, das Partikulare findet sich bei ihm in einem im Grunde kulturkonservativen Anthropologieverständnis, das tatsächlich essentialistisch ist, auch wenn er einräumen muss, dass menschliche „Natur“ sich durch Plastizität auszeichnet. Nostalgisch will er zu Handwerker- und Bauerngesellschaften zurück. Ökologie bedeutet für ihn Biozentriertheit, wobei er vor malthusianischen Annahmen nicht zurückschreckt. Für ihn gibt es keine innere Schranke im Kapitalismus, dafür aber umso mehr eine äußere, ökologische. Jappe meint, seine Einwände müsste eine Wertkritik beherzigen, um aus der Schmuddelecke herauszukommen. Mit solchen Orientierungen könnte Wertkritik vielleicht tatsächlich an bestimmte Strömungen des Zeitgeistes andocken. Wert-abspaltungs-kritisch gesehen arbeiten derartige Ideologien rechten Bewegungen zu. Es gibt ja nicht nur ein z. B. rechtes Klimaleugnertum, das momentan weit verbreitet ist, sondern bekanntlich eben auch agrarromantische Strömungen von rechts. Allerdings nimmt das Interesse an Ökologie immer mehr ab, wie Untersuchungen zeigen, je mehr sich die soziale Frage in den Vordergrund schiebt. Und wie wir alle wissen, sind die behandelten Themen der Linken stets in hohem Maße zeitgeistabhängig. Es ist denkbar, dass die Bedeutung von Ökologie dann ganz altmodisch im linken Diskurs überhaupt wieder stark gemacht werden müsste. Was gerade „dran“ ist, kann also niemals ein Kriterium für eine ernsthafte Gesellschaftskritik sein, und sei es auch um den Preis, dann abseits zu stehen. Wenn Jappe fordert, dass Wertkritik sich umzuorientieren habe, dann gilt dies m. E. vor allem, was die Einschätzung und Ausbreitung rechter Entwicklungen betrifft. Zwar existieren hierzu einige frühere Texte. Ich selbst habe hierzu den Text „De Metamorphosen des teutonischen Yuppie“ (Krisis Nr. 16/17 1995, exit-online.org) und den Text die „Rückkehr des Jorge“ (Exit Nr. 3, 2006, exit-online.org) geschrieben, jedoch wurde dieses Thema in der Vergangenheit viel zu wenig beackert (was sich in den letzten Jahren geändert hat). Man hätte sich eigentlich denken können, dass das Chaos, das im Niedergang des Kapitalismus entsteht, den Ruf nach Ordnung und Autorität nach sich zieht, was diesen Niedergang dann freilich noch vorantreibt. Auf die chaotische Jelzin-Phase folgte dann nicht von ungefähr Putin. Wenn denn Russland heute eine Weltmacht darstellen sollte, steht diese vor dem Hintergrund der Weltkrise auf tönernen Füßen. Auch China wird von inneren Widersprüchen gebeutelt. Wenn diese Staaten vor allem aufgrund von kulturellen Differenzen erklärt werden sollen, ist dies lächerlich. Es geht heute um Weltmarktkonkurrenz, so verschieden die Kulturen auch sein mögen, die selbst schon weltgesellschaftlich überwuchert sind und darüber ihr perverses Eigenleben in modifizierter Form führen, die mit ihrer imaginierten Ursprünglichkeit nichts zu tun haben, wie etwa der islamische Fundamentalismus. China heute lässt sich dabei nicht einfach aus früheren Dynastien erklären, trotz aller Unterschiede zum Westen, die nicht unterschlagen werden, aber auch nicht hypostasiert werden dürften, wie dies bei Jappe der Fall zu sein scheint. Deglobalisierungstendenzen und Protektionismus, die nicht zuletzt eine Konsequenz aus dem Crash von 2008 sind, lösen keine Probleme, sondern führen noch weiter in die Weltkrise hinein. China wird nicht einfach Welthegemon, sondern es kommt zu einer Krise der Hegemonie. Gerade Tomasz Konicz hat zu diesen Themen, aber auch zu Ökologie und Rechtsruck Etliches veröffentlicht. Auch wurde in den letzten Jahren zu Technologie, KI und Digitalisierung einiges veröffentlicht, was Jappe einfach unterschlägt. Meyer zeigt dabei allerdings weniger eine „Autonomisierung der Technologie“ (Jappe) auf, sondern den Schein einer „Autonomisierung von Technologien“ in der Fetischgesellschaft. Dabei könnte die Wertkritik auf allerlei Gebieten weiter ausgearbeitet werden: Kunst, Literatur, Staat, Politik, Sozialpsychologie u.v.m. Wir sind allerdings keine Denkfabrik und unsere Personaldecke ist begrenzt. Wir halten niemanden auf, der Erweiterungsbedarf sieht, Entsprechendes auszuarbeiten, anstatt an uns quengelig die Beschäftigung mit bestimmten Themen von außen heranzutragen und damit rumzujammern, sie würden angeblich ignoriert werden. Wenn Jappe das Thema Triebstruktur und Wertvergesellschaftung behandelt wissen will, wobei er einräumen muss, dass der Trieb etwas Plastisches ist, geht es ihm nicht wie dem alten Marcuse (Triebstruktur und Gesellschaft 1965) vorwärts denkend um eine emanzipierte freie Gesellschaft, in der Arbeit zum Spiel und aggressive Energien umgelenkt werden könnten, sondern um eine „Natur des Menschen“, die für ihn eine gattungsmäßige Begrenzung darstellt. In dieser Hinsicht wäre Marcuses Ansatz tatsächlich noch einmal zu untersuchen, ob zumindest Teile hiervon für die Wert-Abspaltungs-Kritik fruchtbar gemacht werden könnten. Im übrigen ging Leni Wissen in ihrer Analyse zum (postmodernen) Individuum sehr wohl freudianisch von Triebdynamiken aus (Exit Nr. 14, 2017). Jappe hat dies offenbar wieder einmal nicht gelesen und versucht die Wert-Abspaltungs-Kritik zu denunzieren. Ob der sogenannten autoritären Wende wären nicht zuletzt Massenpsychologie und Ideologiebildung Themen, denen man sich zuwenden könnte. Dabei hat die Wert(-Abspaltungs-)Kritik wie jede andere Theorie auch einen Zeitkern, wie die berühmt berüchtigte Formulierung lautet. Manches ist dabei zu überdenken, sie muss weiterentwickelt werden. Wie aus Jappes Text selbst hervorgeht, ist die Wert-Abspaltung-Kritik in ihrer nun fast 40jährigen Geschichte nicht immer dieselbe geblieben. Jappes Kritik an der Wert-Abspaltungs-Kritik hebt diese jedoch nicht auf ein neues Niveau, sondern kommt mit den nun wirklich allerältesten Kalauern, die absolut nichts Neues darstellen und letztlich eine offene Flanke gegenüber bestimmten rechten Orientierungen haben. |