Startseite
Aktuelles
zurück
Druckversion
Glossar
Deep Link

Thomas Meyer: Zwischen Ektogenese und Mutterglück


Thomas Meyer

Zwischen Ektogenese und Mutterglück

Zur Reproduktion der menschlichen Gattung im krisenhaften warenproduzierenden Patriarchat

I.

Die Krise des warenproduzierenden Patriarchats zeigt sich nicht nur in dem Abschmelzen der Arbeitssubstanz, sondern auch auf der subjektiven Seite: So ist der narzisstische Sozialcharakter zu einem Massenphänomen geworden (Wissen 2017) und es zeigen sich massive ideologische Verwerfungen, wie nicht zuletzt der Aufstieg des Neofaschismus zeigt (vgl. z. B. Späth 2017 sowie Konicz 2018).

Aber auch der Bereich der Reproduktion der menschlichen Gattung zeigt seinen eigenen Krisenverlauf. Dieser äußert sich z. B. im Zerfall der Familie und vor allem darin, dass das Kinderkriegen zu einem grundsätzlichen „Störfaktor“ wird. Im öffentlichen Diskurs erscheint dieses Problem zum einen in einem „Staatsfeminismus“, der unter Emanzipation der Frau vor allem die Integration in den (prekären) Arbeitsmarkt versteht und dass dazu immer mehr Fürsorgetätigkeiten an den Staat delegiert werden (sollen)1. Zum anderen die neokonservative Seite, die diese staatsbürgerlich-feministische Form der Emanzipation zurückweist und auf privates Familienglück setzt.

Allerdings wird das linksbürgerliche Glücksversprechen, wonach die Frau nun auch endlich lohnarbeiten kann und muss, unter den Bedingungen der Krise ohnehin gegenstandslos, wobei speziell in Deutschland, wie Lent und Trumann in ihrem Buch betonen (Lent; Trumann 2015), die erhöhte Berufstätigkeit der Frauen in den letzten Jahren vor allem in der Expansion des Niedriglohnsektors begründet liegt (auf Deutschland beziehen und beschränken sich Lents und Trumanns Analysen).

Andererseits betont die neokonservative Seite, so etwa Birgit Kelle2, führe solche Emanzipation schlussendlich nur zu einer Überbelastung der Frauen, schlössen sich „Karriere und Kind“ in der Regel gegenseitig aus.3 Kelle betont weiterhin, dass Frau sich nicht ausreden lassen will, dass die Aufzucht der eigenen Kinder sinnstiftend und lebenserfüllend sein kann, statt dass diese an den Staat abgegeben und der Lebenssinn von einer Lohnarbeit erfüllt werden muss.

Schwanger- und Mutterschaft sind nach Kelle für den Kapitalismus insofern Zumutungen, als die Frau durch sie für eine gewisse Zeit dem Arbeitsmarkt entzogen bleibt. „Wer darauf abzielt, dass Frauen einfach nur Kinder bekommen sollen, um sie schnellstmöglich irgendwohin weiterzureichen, der behandelt Frauen wie Brutkästen. Da wird die Schwangerschaft zum notwendigen Übel, zur medizinisch erforderlichen Übergangssituation, die den Produktionsprozess in der Wirtschaft leider immer wieder stört.“ (Kelle 2017, 170) Es bleibt daher nichts unversucht, Frauen nach erfolgter Schwangerschaft so schnell wie möglich wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren (z. B. durch Kita für Alle). Die Bedingungen der Arbeit und ihr Inhalt stehen dabei natürlich nicht zur Debatte (Lent; Trumann 2015, 69f.). Hinzu kommt, dass eine Lohnarbeitskarriere für Frauen eine andere Qualität hat als für den Mann, und zwar dahingehend, dass die Frau als Lohnarbeiterin ihre eigene private Kompensation zur Lohnarbeit sein soll, so schrieb Christel Eckart 1987: „Anders als der berufstätige Mann, für den die geschlechtliche Arbeitsteilung die ‚Frau an seiner Seite’ als Karrierehelferin vorsieht, müssen Frauen auf ihrem Berufsweg auch ihre Reproduktionsbedingungen planen und gestalten lernen […] und sie müssen als Berufstätige sich selbst ein komplementäres Privatleben erst erschaffen. […] Die weibliche Sozialisation, die emotionale Differenzierung und personenorientiertes Handeln […] fördert, und der Schub der Arbeitsmarktindividualisierung, der Frauen in die kognitiv-intellektuelle Differenzierung und in instrumentelles Handeln führt, setzen Frauen objektiv unter Druck[,] wiederzuvereinen, was die bürgerliche Gesellschaft mit der Trennung von Öffentlichkeit und Privatsphäre und in der Polarisierung der Geschlechtscharaktere auseinandergerissen hat.“ (Eckart 1987, 12f.) Eine Integration der Frau in den Arbeitsmarkt ist also nach Eckart keineswegs emanzipativ, da sie nur eine Angleichung an die männliche Subjektform bedeutet, wobei zugleich die Frau für sich selbst die Rolle „der Frau“ übernehmen muss.

Die Tatsache, dass Kinderkriegen, d. h. ein Familienleben und Berufstätigkeit (in Vollzeit) grundsätzlich unvereinbar und immer weniger durchhaltbar sind (aufgrund von Prekarisierung usw.) wurde von feministischer Seite immer wieder kritisiert (so kürzlich von Lent; Trumann 2015, vgl. auch Scholz 1999). Lent und Truman führen ebenfalls an, dass in der feministischen Bewegung und Theorie das Kinderkriegen eher ausgespart und als Privatproblem betrachtet wurde. Einspruch dagegen formulierten jene Strömungen, die man als „Differenzfeminismus“ bezeichnete, dessen Kritikpunkt war, dass der Mainstream des Feminismus „Mütter ausgrenzte und Frauen nur als Berufstätige ernst nahm“ und ebenso wurde der „vorherrschende Umgang mit Mutterschaft in der Gesellschaft“ kritisiert. So kam es dazu, dass Mütter als revolutionäres Subjekt betrachtet wurden (Lent; Trumann 2015, 14). Zudem forderten die Differenzfeministinnen „nicht die Anpassung an die bestehende bürgerlich-kapitalitische Welt […], sondern deren vollständige Umwälzung.“ (ebd., 35).4

Auf der andern Seite wurde zurecht die Abrichtung der Frau als Gebärmaschine für Staat und Kirche kritisiert. Shulamith Firestone ging dabei soweit, die Fähigkeit zum Gebären als solche zu einem entscheidenden Hindernis der Emanzipation der Frau anzusehen, weshalb sie es begrüßte, dass das Schwangerwerden und Kinderkriegen durch die Reproduktionstechnologien abschaffbar sein könnten bzw. abzuschaffen wären. Dabei setzte Firestone ein biologisches Faktum mit dem patriarchalen Umgang damit gleich. Wenn folglich Menschen in Zukunft gezüchtet werden würden, würde eine entscheidende Rechtfertigung und Begründung des Patriarchats wegfallen und Frau könnte endlich in der produktiven Arbeitssubjektivität mit dem Mann gleichziehen. Diese androzentrische bürgerliche Arbeitssubjektivität, die die Existenz als Arbeitskraftbehältnis zum Maßstab nimmt, sollte aber selbst Gegenstand der Kritik und nicht anzustrebendes Ziel sein, zumal in Zeiten der Krise die bürgerliche Subjektform ohnehin obsolet wird. Sonst droht das Ganze, wie Felicita Reuschling schreibt, „in eine eugenische Position umzukippen, die die Natur von alten, jungen und anderen hilfsbedürftigen Körpern weiter an der Norm der Funktionalität des Kapitalismus misst“ (Reuschling 2009, 58) Firestones Kritiklosigkeit und Naivität gegenüber den Reproduktionstechnologien und diversen Züchtungsphantasien sind daher einigermaßen erschreckend. Sie warnt zwar davor, dass man einen Alptraum verwirklichen würde, wenn die „künstliche Fortpflanzung in den Händen der heutigen Machthaber läge“ (Firestone 1975, 187), aber hier geht sie ähnlich wie der handelsübliche Marxismus davon aus, dass Technologie neutral ist und nur eventuell in den falschen Händen liegt.

Eine Kritik an Reproduktionstechnologien, Leihmutterschaft und genetischer Selektion usw. war auch Thema feministischer Kritik, vor allem in den 80er Jahren. Obgleich bereits Debatten und Kritik zu Eugenik seit den 60er Jahren wieder aktuell wurden (so im Zusammenhang mit der Konferenz der „CIBA-Foundation“ in London 19625, zur Kritik vgl. die Beiträge in: Wagner 1969), war das lange Zeit kein Thema für die Linken (Brockmann; Schwerdtner 1987, 58f.). Den Auftakt feministischer Kritik an Gen- und Reproduktionstechnologie machte dann Traude Bührmann (Bührmann, 1981). Dort wird mit aller Deutlichkeit aufgeführt, was die Biokraten antreibt: allen Ernstes sollen alle erdenklichen Probleme mittels Gentechnologie, also technisch, gelöst werden, anstatt die gesellschaftlichen Verhältnisse zu ändern; eine Argumentationslogik, die heute ebenso von den Schergen des Transhumanismus propagiert wird. So zitiert Bührmann den Genetiker und Nobelpreisträger Joshua Lederberg, einen „blindwütigen Gegner jeglicher Genforschungseinschränkung“. Ihm zufolge sei die Menschheit „durch den Einbruch der Technik […] aus den Fugen geraten“. Dabei kann dieses „Problem […] allein durch Gen-Anpassung des Menschen an diese Entwicklung gelöst werden, wobei“, Bührmann Lederberg zitierend, „ ‚das Problem eines nuklearen Selbstmordes der industriellen Menschheit durch deren genetische Anpassung (!) an das Atomzeitalter, das Negerproblem in den USA durch Eliminierung seiner genetischen Basis (!) und die Benachteiligung der Frauen in der Industriegesellschaft durch den genetischen Ausgleich oder Abbruch der Zweigeschlechtlichkeit, der sie entstammt (!),’ gelöst wird.“ (Bührmann 1981, 26f.) Seit den 90ern ist die Beschäftigung mit diesem Thema von feministischer Seite allerdings deutlich zurückgegangen, bis sie schließlich weitgehend „in der Versenkung verschwand“ (Trumann 2006, 9). Themen, denen sich neuerdings auch Birgit Kelle von neokonservativer Seite widmet! (Kelle 2017, 151f.)6 Das zeigt, dass die Themen selbst und die Notwendigkeit sich mit ihnen zu befassen, alles Andere als verschwunden sind!

Mit der Situation des Kinderkriegens wurde bzw. wird also verschieden umgegangen, zum Teil in Positionen, die gewisserweise komplementär falsch sind. Einerseits in Form der Verteidigung der bürgerlichen Kleinfamilie und dem Propagieren des Mutterglücks (wobei es als Glück sicher nur von den Bessergestellten erlebbar wird und sich für viele die angebliche Entscheidung Kinder oder Job sich gar nicht stellen kann), andererseits das Kinderkriegen als antiemanzipativer Störfaktor: Besser Frau verzichtet auf Kinder, so dass sie sich ganz und gar der Karriere widmen kann, oder sie nimmt eine Doppelbelastung in Kauf. Und wenn schon Kinder – dann bitte möglichst kostengünstig! „Ballastexistenzen“ haben in einer Leistungsgesellschaft keinen Platz! So kann sich jede Frau „frei“ gegen ein möglicherweise (!)7 behindertes Kind entscheiden. Also: Emanzipation durch Arbeit oder durch bürgerliches Familienglück, aber keine Emanzipation von beidem! Beiden Positionen ist zweifellos gemeinsam, dass sie die Struktur der Wert-Abspaltungs-Gesellschaft außer Acht lassen und sie damit nicht als kritisierbare und historisch überwindbare wahrnehmen. Stattdessen wären alle Verhältnisse umzustürzen, die den Wert menschlichen Lebens nach dessen Rentabilität und Leistungsfähigkeit bemessen und aus jedem Atom Arbeit herauszuziehen trachten. Daher sind die Nochnicht- bzw. die Nichtmehr-Leistungsfähigen (speziell auch die Alten, vgl. Urban 2018) für den Kapitalismus ein grundsätzliches Problem.

Im Folgenden soll es also darum gehen, die feministische Kritik an Reproduktionstechnologien wieder aufzugreifen. Obgleich die Beschäftigung mit diesen zurückgegangen ist, ist das Thema, wie schon gesagt, nach wie vor virulent. Sei es, dass wieder einmal gegen Behinderte agitiert wird8, sei es, dass das Kinderkriegen technisch rationalisiert wird, durch „social freezing“9 etwa, oder durch das immer wieder auftauchende Vorhaben, eine „künstliche Gebärmutter“ zu konstruieren. Ein Patent auf eine „künstliche Gebärmutter“ bzw. auf einen ersten technischen Versuch davon, gibt es bereits seit 1955!10 Für das Wachsen eines Embryos in einer künstlichen Gebärmutter gibt es übrigens einen eigenen Begriff: Ektogenese. Auch die Ideologen des Transhumanismus – wen wundert es? – sind ebenfalls in diesem Diskurs vertreten (dazu mehr in Abschnitt III).

II.

Dass die feministische Kritik an Reproduktionstechnologien seit den 90er Jahren in der Versenkung verschwand, mag damit zusammenhängen, wie Andrea Trumann anführt (Trumann 2006), dass Teile der feministischen Bewegung, durch ihre Insistenz auf der „freien Selbstbestimmung“ der Frau11, selbst zu Durchsetzung und Akzeptanz der Reproduktionstechnologien beigetragen haben.

Ein anderer Grund mag wohl im Poststrukturalismus liegen, der sich ebenfalls in den 90er Jahren durchsetzte. Für diesen sei ohnehin alles nur durch einen Diskurs konstruiert und alle Dinge erschöpften sich in der Sprache. „Natur“ selbst wurde somit als vortheoretisch und damit als belanglos vorausgesetzt. Folglich gäbe es auch keine „Natur“, die durch den Kapitalismus funktionalisiert und zugerichtet würde. Dem ist aber grundsätzlich zu widersprechen, auch wenn unser Bild von der Natur in der Tat durch Gesellschaft und Herrschaft immer schon mitgeprägt ist. Es ist überhaupt einer der zentralen Denkfehler des Poststrukturalismus, nicht zwischen dem (sprachlichen) Bild einer Sache und der Sache selbst unterscheiden zu können (oder zu wollen), also die Realität mit einem bestimmten (Miss)Verständnis derselben gleichzusetzen; als ob die Existenz der Dinosaurier nur ein diskursives Produkt wäre, ohne Referenz auf etwas außerhalb menschlichen Diskurses oder menschlicher Praxis (die Paläontologie entstand bekanntlich auch im 19. Jahrhundert, wie die moderne Psychiatrie und die Sexualwissenschaft).12„Die Einsicht“, schreibt Robert Kurz, „dass Sprache kein neutrales Medium ist, um eine davon unabhängige Wirklichkeit wiederzugeben, wurde überdehnt zu der Behauptung, dass Sprache das einzige Konstituens von Wirklichkeit, ja eigentlich die einzige Wirklichkeit selbst sei. (Kurz 2014, 69, Hervorheb. TM)

Da nach dem Poststrukturalismus Natur und das gesellschaftliche Verhalten zu ihr außerhalb theoretisch-kritischer Betrachtung verbleibt und Natur für den poststrukturalistischen Blick daher de facto nicht existiert, kann ihre Beherrschung und ihre Zerstörung nicht wirklich kritisiert werden. Tatsächlich wurde von dem „New Materialism“ (der sich anschickt, den Poststrukturalismus zu kritisieren) gefolgert, dass das Aberkennen einer Natur außerhalb des Diskurses, also eine Sicht der Natur als reine soziale Konstruiertheit, nichts Anderes ausdrückt, als den Anspruch vollkommener Verfügungsgewalt über und gegen diese (vgl. Hennig 2016, 70).13

Ähnlich untauglich erweist sich der Poststrukturalismus für eine fundamentale Kritik des Kapitalismus und der entsprechenden Subjektform, auch wenn zu letzterem, v. a. durch Foucault, einiges zusammengetragen wurde. Wie sollte auch die bürgerliche Subjektform wirklich abgeschafft werden können, wenn der Mensch selbst nur eine Figur im Sand ist, die gänzlich verschwände, wenn der moderne Diskurs und die Disziplinierung, also die Subjektform, abgestreift würde?14 Zu Foucault und seinen Epigonen schreibt Georg Gangl: „Diese Aufwertung von marginale[m] Wissen, die im Innersten der Foucaultschen Theorie verankert ist und an der auch ein Großteil seiner politischen Praxis orientiert war […], macht ihn interessant für Standpunktepistemologien verschiedenster Coleur (postkolonial, feministisch, queer). Denn Foucault will ‚lokale, unzusammenhängende, disqualifizierte, nicht legitimierte Wissen’ gegenüber der ‚theoretischen Einheitsinstanz’ […] von Wahrheit und Wissenschaft aufwerten und es sind ja gerade [das] Wissen und [die] Erfahrungsschätze von Frauen, sexuellen und ethnischen Minderheiten etc., die in wissenschaftlichen Diskursen oftmals strukturell ignoriert werden. In diesem Sinne kann die Foucaultsche Perspektive, die den engen Zusammenhang von Macht, Wissen und Herrschaft betont, sicherlich hilfreich bei den Emanzipationsbemühungen dieser Gruppen sein […]. Das philosophische Grundgerüst, das viele Standpunktepistemologien mit Foucault teilen oder von ihm übernehmen […] ist im Endeffekt aber für diese Emanzipationsbemühungen hinderlich, da es, wie argumentiert, dazu tendiert, Wahrheit jenseits von Macht zu negieren und verunmöglicht, großflächige Zusammenhänge in den Blick zu bekommen.“ (Gangl 2012, 135, Hervorheb. TM)

Der poststrukturalistische bzw. konstruktivistische Einspruch gegen die Natur jedoch hatte auch einiges an Berechtigung, auch wenn dieser dann ins genaue Gegenteil des Kritisierten umschlug (etwa reine Kontingenz statt Determinismus) und jede Beschäftigung mit Natur und dem, was nicht einfach diskursiv konstruiert ist oder im Diskurs aufgeht, durch einen Essentialismusvorwurf abwehrte. So schreibt Ute Bertrand im Kontext einer feministischen Kritik von Biologie und Biotechnologie folgendes: „Sicherlich erleichtert der konstruktivistische Ansatz, wissenschaftliche Wahrheiten zu relativieren und den Existenzanspruch einer eigenen Wahrheit zu verteidigen. Indem Frauen die Unterscheidung zwischen ‚sex’ und ‚gender’ aufgeben und sämtliche wissenschaftliche Aussagen über Natur als soziales Konstrukt beschreiben, können sie sich gegen (molekular)biologisch begründete Zuschreibungen von Eigenschaften wehren. Sie brauchen sich nicht festlegen lassen, sich nicht von anderen sagen lassen, wie Frauen sind und sein sollen – ob es nun gerade die Struktur des Gehirns ist, die Mixtur der Hormone oder die Codierung der Gene, die Wissenschaftler als Charakteristika der Weiblichkeit beschreiben. […] Die Pose des Experten, der die Welt allgemeingültig und für alle verbindlich erklärt, ist der Lächerlichkeit preisgegeben; die ‚scientific community’ ist zu einer Sekte unter anderen geworden. […] Mit dem Konstruktivismus hat auch die Wissenschaftskritik einen neuen Aufschwung erlebt. Sie lädt dazu ein, wie Marsmenschen, die auf ethnologischer Forschungsreise zu Gast auf Erden sind, Aussagen von WissenschaftlerInnen unter die Lupe zu nehmen. Mit Distanz können Frauen die ‚Denkstile’ der verschiedenen ‚Denkkollektive’ analysieren und Erklärungen dafür suchen, warum sich manche Wahrheiten durchgesetzt haben und andere ein Schattendasein führen oder ganz in Vergessenheit gerieten.“ (Bertrand 1994, 125, Hervorheb. TM).

Den anzuerkennenden und sinnvollen Aspekten des Poststrukturalismus bzw. Konstruktivismus stellt sich aber das Problem entgegen, dass dieser letztendlich auf einen Wahrheitsanspruch verzichtet und, möglicherweise entgegen der Intention, durch Auflösung von Allem in Diskursen und Symbolen, ein ahistorisches Moment bekommt, zumal der Konstruktivismus damit einer Virtualisierung der Lebenswelt (vgl. Kurz 1999) gewisserweise entgegenkommt; so Bertrand weiter: „Mit der konstruktivistischen Relativierung der Wahrheit ihrer GegnerInnen aber schneidet sich die Kritikerin ins eigene Fleisch, muß sie doch die eigenen Wahrheiten (samt dem konstruktivistischen Ansatz) genauso relativieren. […]. Fehlt die historische Perspektive, verkehren sich konstruktivistische Argumentationsvorteile schnell ins Gegenteil. Denn die Modellhaftigkeit der Welt betonen heißt, dem Wirklichkeitsschwund Vorschub zu leisten. Informationen, Zeichen, Symbole, Repräsentationen der Wirklichkeit bestimmen das Schatten-Leben, die Selbst-Inszenierung in der Informationsgesellschaft. Nur das zählt, worüber geredet wird. […] Zu Recht kritisiert Barbara Duden den ‚Chor der Akademikerinnen’, der der ‚Selbstentkörperung in der modernen Mediengesellschaft den Anschein verleiht, im Interesse auch der Frauenbewegung zu sein’.“ (Bertrand 1994, 125f., Hervorheb. TM)

Diverse Autorinnen, etwa der Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis, hatten dagegen genau den Anspruch, die Biotechnologie und Reproduktionstechnologien und den daraus sich ergebenden eugenischen Anwendungsmöglichkeiten, im Zusammenhang mit einer grundsätzlichen Kritik des Kapitalismus (und dessen tatsächlicher Gegenwart) zu verknüpfen, im Unterschied zu den reinen Diskurstheoretikern/-innen, und erst recht zu heute akademisch domestizierten Kopfarbeitern/-innen. Dazu formuliert Gundula Kayser, wie an vielen Zitaten von Wissenschaftlern nachzuweisen, die Motive bzw. angestrebten Ziele gen- bzw. reproduktionstechnologischer Forschung: „Die Gebärfähigkeit von Frauen und die Manipulationsmöglichkeiten von Genen werden erforscht, um in Zukunft physische und psychische Qualitäten und das quantitative Auftreten bestimmter Menschentypen vor der Geburt genau festzulegen, entsprechend technisch zu planen und ihren Produktionsprozeß unter der Aufsicht von Menschenproduktionsspezialisten vollkommen zu kontrollieren. Wie jede andere Ware auch soll die Produktion der Ware ‚Arbeitskraft’ industrialisiert werden. […] Auf der politischen Ebene bedeutet dies m. E. eine Verfestigung faschistischer Tendenzen in der Weltbevölkerungspolitik. Diese haben sich bereits seit der Industrialisierung der Warenproduktion durchgesetzt und haben im Nationalsozialismus bisher ihre systematische Anwendung gefunden.“ (Kayser 1985, 55, Hervorheb. TM)

Die Reproduktionstechnologien werden offiziell vor allem damit motiviert, Frauen zu ihrem Kinderwunsch zu verhelfen. Gena Cora stellt aber heraus, dass die Reproduktionstechnologien und ihre Methoden letztendlich aus der industriellen Viehzucht stammen und entsprechend auf den Menschen übertragen werden (Corea 1986, 70f.). Sie kritisiert insbesondere, dass in der Regel die Schwierigkeiten, Misserfolge und die Leiden der Betroffenen nicht publik gemacht, sondern gern verschwiegen werden (ebd., 82f.). Hinzu kommt eine entmenschlichende und sexistische Sprache gegenüber Frauen/Müttern.15

Sowohl Corea als auch andere stellen die eugenischen Anwendungen diverser Reproduktionstechnologien heraus, so die Überprüfung des einzusetzenden Embryos auf mögliche Erberkrankungen, Behinderungen, wie Trisomie 21 (Down-Syndrom), und andere im Prinzip genetisch bestimmbare Eigenschaften.16 Hinzukommt die Bestimmung des Geschlechts durch die Fruchtwasseruntersuchung (Amniozentese), die dazu führt(e), dass, vor allem in Indien und China, Mädchen millionenfach, allein wegen ihres Geschlechts, abgetrieben wurden und werden (Patel 1985).17 Eine derartige Bevölkerungspolitik wurde von einigen Feministinnen als Femizid bezeichnet (Bührmann 1985, vgl. auch Corea 1986, 171f.). Damit ist die enorme Tragweite der Reproduktionstechnologien überaus deutlich.

In der Tat ist Unfruchtbarkeit ein zunehmendes Problem.18 Aber über die Ursachen, wie psychosomatischer Stress oder Umweltverschmutzung (vgl. z. B. Peters 1993, 27f.), spricht man sich nicht aus. Stattdessen beruft sich die Wissenschaft zur Problemlöserin, ohne dass dabei die kapitalistische Gesellschaft und ihr destruktiver „Stoffwechsel mit der Natur“ (Marx) in den Blick radikaler Kritik kommen. Anwendung findet auch ein „genetisches Screeing“ (Hansen 1985), durch das Arbeiter/-innen analysiert werden, die eine (mutmaßliche) genetische Disposition zur Anfälligkeit gegenüber bestimmten Substanzen in der industriellen Produktion aufweisen, die dann nicht eingestellt oder, so die extrapolierende Zukunftsvision, am besten erst gar nicht geboren werden sollen, so dass die uns Nachgeborenen in einer vergifteten und verstrahlten Natur überleben können sollen (vgl. auch Ditfurth 1997, 77f.). Eine Änderung der stofflichen Zusammensetzung der Produktion sowie ihrer Inhalte und Resultate wird hier natürlich ebenso wenig angestrebt. Wie auch Daniel Cunha schrieb (Cunha 2016), werden im Kapitalismus dem eigentlichen Produktionsprozess Techniken nachgeschaltet, die der Umweltzerstörung oder -verschmutzung (mutmaßlich) abhelfen sollen (wie Rußfilter), sog. End-of-Pipe-Technologien, die den Produktionsprozess selbst aber in der Regel unangetastet lassen. Die anhaltende Propagierung von Reproduktionstechnologien, die in Zukunft in dem kapitalistischen Regime wohl kaum abnehmen wird, da immer mehr Menschen von Unfruchtbarkeit geplagt sind, fällt ebenfalls in diese Rubrik.

Die feministische Kritik an den Reproduktionstechnologien kritisierte also im Wesentlichen an diesen die patriarchal-technische Bemächtigung weiblicher Natur: die Enteignung der Gebärfähigkeit, das Abhängigmachen von Frauen von einem verdinglichenden technischen Apparat und endlich eine Entscheidungsfreiheit mit eugenischer Implikation, die nichts Anderes als eine Zumutung ist, die zu einer „Verstärkung der sozialen Kontrolle“ der Frauen und „durch die neuen Diagnosemöglichkeiten [zu] einem mehr oder weniger offenen sozialen Legitimationsdruck“ führt (Kontos 1985, 71). Denn, so Kontos weiter: „Die individuelle Entscheidung einer Frau für oder gegen die Austragung eines vermutlich behinderten Kindes ist in hohem Maße durch den gesellschaftlichen Umgang mit Krankheit, Leid und Behinderung vorstrukturiert.“ (ebd.) Und dieser Umgang besagt eben nichts Anderes, als dass „Ballastexistenzen“ zu vermeiden sind! Die Konsequenz ist eine grundsätzliche Behindertenfeindlichkeit, dessen Persistenz und die immer wieder zu beobachtende Zunahme seit den 80er Jahren wiederholt in der Kritik steht (so etwa in: Christoph 1990).

Kontos kritisiert allerdings auch eine pauschale Zurückweisung der modernen Reproduktionstechnologien, wie es in der feministischen Kritik oftmals geschieht. Denn entscheidend seien gar nicht die Technologien als solche und ihr „Einsatz oder Nichteinsatz“, sondern, vielmehr mit ihnen einhergehend, „die Umstrukturierung der sozialen Beziehungen, die den Reproduktionsprozess bestimmten.“ (Kontos 1985, 69) Eine unmittelbare, von Kultur und Technik unbeeinflusste Natur der Reproduktion gäbe es nicht, „[e]s ist schon immer versucht worden, die Fruchtbarkeit von Frauen zu beeinflussen […].“ Kontos überschlägt sich aber, meint Schwangerschaft usw. seien doch nur soziale Konstruktionen und deutet an, eventuell seien Firestones Ideen doch nicht ganz abzulehnen, zumindest zu diskutieren (ebd., 75).

Die pauschale Ablehnung führe zudem praktisch zu einem „Ruf nach einem Forschungsstop, der aller Wahrscheinlichkeit zur Folgenlosigkeit verdammt ist, weil er die gesellschaftlichen Bedingungen nicht antastet, auf denen die Reproduktionstechnologie aufsitzt. […] Um aber die gesamtgesellschaftliche Bedeutung der neuen Fortpflanzungstechnologien zu erfassen, müssen diese in den Kontext der allgemeinen Reproduktionsverhältnisse gestellt werden […].“ (ebd. 68f, Hervorheb. TM) Dem ist zuzustimmen, jedoch können Forschungsverbote oder zumindest Moratorien dennoch sinnvoll sein (wenn auch nicht müssen). Selbst wenn damit die gesellschaftlichen Ursachen nicht beseitigt sein mögen, tut es kaum Not, dies als Ausrede zu benutzen zuerst einmal jede Scheiße vollendete Tatsache werden zulassen (über die dann noch „ethisch“ verhandelt werden soll).19 Die gesellschaftlichen Bedingungen und Ursprünge wären zusammen mit dem Verbot oder Moratorium zu thematisieren um dann etwaige Entwicklungen in eine andere Richtung oder Qualität laufen zu lassen oder bestimmte Entwicklungen gänzlich abzuschaffen.

An Kontos anknüpfend kann man in der Tat sagen, dass Technologien in der Regel nicht pauschal abzulehnen sind, da ihre Möglichkeiten und Inhalte in der Fetischkonstitution, in der sie erfunden worden sind, nicht unbedingt aufgehen, ob diese jetzt der Kapitalismus oder die Antike sei. D. h., dass Dampfmaschine und Hammer noch kein Kapital ergeben und der Verbrennungsmotor noch kein Individualverkehr. Es ist daher auch ein Unterschied zu machen zwischen bloßer Erfindung und massenhafter Verbreitung bzw. betriebswirtschaftlicher Umsetzung. Eine Erfindung oder technische Möglichkeit wird aber bis zum Exzess produziert und verkauft, wenn dadurch eine entsprechender Profit in Aussicht gestellt ist, der Zweck der Produktion ist und bleibt im kapitalistischen Regime die Verwertung des Werts: G-W-G‘, die Infrastruktur und Lebenswelt werden dann entsprechend umgestaltet und das Resultat gilt fortan als irreversibel und erscheint als notwendiger „Fortschritt“. Die destruktiven Nebenwirkungen mögen in der Tat bekannt und erforscht sein, werden aber dennoch achselzuckend in Kauf genommen oder als linke Ökohysterie abgetan. Entsprechende ökologische Katastrophen haben dann mit der Produktionsweise angeblich nichts zu tun und sie in Frage zu stellen sei demnach nichts anderes als Linkspopulismus oder eine angebliche „Rückkehr ins Mittelalter“. Gerade Technologien, die als End-of-Pipe-Technologien entwickelt und produziert worden sind oder werden, werden aber fraglich, wenn ihr fetischistischer Anlass zur Kenntnis genommen wird. So ist in den letzten Jahren immer wieder auf das Bienensterben aufmerksam gemacht worden. Dem Bienenmangel abzuhelfen, werden Heerscharen an Arbeitern/-innen in Bewegung gesetzt, die manuell Bestäubungen vornehmen. Um aber Arbeit einzusparen, werden ernsthaft Versuche unternommen entsprechende Bestäubungsdrohnen (!) zu entwickeln.20

Ähnlich verhält es sich, wie schon angedeutet, mit den Reproduktionstechnologien. So mag ihr Ursprung in der industriellen Viehzucht und im androzentrischen Wissenschaftsbetrieb liegen, d. h. aber nicht, dass sie in jedem Fall an ihren herrschaftlichen Ursprung gebunden wären. Selbst das zugestanden, folgt daraus noch lange nicht die massenhafte Anwendung und ihre ach so freiwillige Inanspruchnahme. Gäbe es nicht die zunehmende Unfruchtbarkeit durch industrielle Verseuchung und die eugenische Nötigung: dass besser nur die geboren werden, die später als Arbeitskraftbehälter tauglich sein werden, dann hätten die Reproduktionstechnologien, obwohl durchaus bekannt und verwendbar, keine gesellschaftliche Bedeutung. Ebenso, wenn sich jemand ein Kind nach Maß bestellt, um seinen oder ihren kranken Narzissmus auszuleben. Ohne Patriarchat käme auch niemand auf die Idee, den Embryo aufs Geschlecht zu testen, damit ja kein Mädchen geboren wird! Die konkrete Wirkmächtigkeit von Technologie und ihre sozialen Konsequenzen sind gesetzt durch ihre gesellschaftlichen bzw. fetischistischen/herrschaftlichen Zweckbestimmungen und sind daher nur zusammen mit diesen zu kritisieren. Auf diese Weise würde man eine „undialektische“ Technikkritik vermeiden.

III.

Bekannterweise fiel auch der Transhumanismus nicht vom Himmel. Der Sozialdarwinismus und die Eugenik, also die Züchtung von „rentablen Menschenmaterial“, überhaupt Vorstellungen, der Mensch sei eine zu optimierende Maschine, können mit Recht als seine historischen Vorläufer gelten (vgl. z. B. Weß 1989). Gelegentlich schauen sich Transhumanisten auch ihre Geschichte bzw. historische Herkunft an, sie behaupten es zumindest, so Nick Bostrom in seinem Aufsatz „A History of Transhumanist Thought“.21 Natürlich habe der Transhumanismus nichts mit den Zumutungen dieser Gesellschaft zu tun, sondern seine Grundgedanken exisitierten gewissermaßen schon immer, so das Streben oder Wünschen nach Unsterblichkeit, das bereits im Gilgamesh-Epos auffindbar ist. Beliebt und immer wieder gern angeführt (vgl. Woyke 2010, 27f.) sind Denker aus der Renaissance, wie Giovanni Pico della Mirandola (1463-1494), der meinte, der Mensch sei von Gott frei geschaffen, so dass dieser die Freiheit hat sich zu entscheiden, als Pflanze, Tier oder gar Engel zu existieren, der Mensch daher gewissermaßen entwicklungsoffen und nicht festgelegt ist, worin die Transhumanisten sich und ihre Ideologie zu erkennen meinen.22 Bemerkenswert ist auch, dass unter den von Bostrom genannten Ideengebern des Transhumanismus (und einer „liberalen“ Eugenik) wie John Haldane (1892-1964) oder Julian Huxley (1887-1975) (vgl. Heil 2010) Trotzki nicht aufgelistet wird, obwohl er in seiner Kopenhagener Rede von 1932 in aller Deutlichkeit die „Hebung der menschlichen Rasse“ formuliert hat und daher mit Recht als Ideengeber des Transhumanismus gelten kann. So heißt es dort: „Ist er einmal mit den archaischen Kräften der eigenen Gesellschaft fertig geworden, wird der Mensch sich selbst in Arbeit nehmen, in den Mörser, in die Retorte des Chemikers. Die Menschheit wird zum ersten Male sich selbst als Rohmaterial, bestenfalls als physisches und psychisches Halbfabrikat betrachten. Der Sozialismus wird ein Sprung aus dem Reiche der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit auch in dem Sinne bedeuten, daß der gegenwärtige, widerspruchsvolle und unharmonische Mensch einer neuen und glücklicheren Rasse den Weg ebnen wird.“ (Hervorheb. TM)23 Obwohl Trotzkis Ausführungen Herrn Bostrom und den Seinen aus der Seele sprechen müßte, geniert sich anscheinend Herr Bostrom, sich auf Bolschewisten zu beziehen. Das liegt vermutlich auch daran, dass der NS und der Sozialismus für ihn und die Seinen „Reiche des Bösen“ sind und ein prinzipieller Unterschied zwischen deren Biopolitik und der der Liberalen gesehen wird, statt das ihre Überschneidungen und ihr gemeinsamer Ursprung in den Blick genommen werden.

Jedenfalls geht der Begriff „Ektogenese“ auf besagten Haldane zurückgehen, wie der Transhumanist Zoltan Istvan24 schreibt.25 Bei der Rechtfertigung der Entwicklung einer „künstlichen Gebärmutter“ wird auf das übliche wissenschaftliche Gesülze zurückgegriffen: man wolle ja nur helfen! Beispielsweise wolle man Frühchen eine größere Überlebenschance26 geben und ebenso sei eine künstliche Gebärmutter ein Vorteil für Frauen: so sei die Schwangerschaft doch eine riskante Angelegenheit: was wenn Frau in der Schwangerschaft bleihaltiges Leitungswasser trinkt oder sich eine Grippe einfängt oder das eine halbe getrunkene Weinglas sich negativ auf die Intelligenz des Kindes auswirkt?27 Auf die Idee, dass diese Technik noch viel mehr riskanter sein könnte, existiert sie erst einmal, kommt Istvan natürlich nicht. Bekannterweise sind Atomkraftwerke schließlich auch sicher! Weiterhin würde Ektogenese die Frauen noch stärker von der Haustätigkeit befreien (Firestone läßt grüßen) und endlich könnten Schwangerschaften im hohen Alter stattfinden (so dass Frau in jüngeren Jahren ganz und gar für die Lohnarbeit zu Verfügung steht) und Schwule oder Single-Männer (!) wären nicht mehr auf „Leihmütter“ angewiesen. Bei so vielen Glücksversprechen bleibt selbst dem Lama die Spucke weg!

Der Stress und die Belastung der Schwangerschaft, die ja keineswegs nur eine Naturangelegenheit sind, sollen also durch die Ektogenese abgeschafft oder reduziert werden, statt die gesellschaftliche Ursachen von Doppelbelastung usw. Im Grunde genommen läuft das Ganze auf eine angestrebte technische Rationalisierung der Schwangerschaft bzw. Reproduktion hinaus.28 Kelles höhnische Anmerkung, dass neun Monate Schwangerschaft eigentlich viel zu lange sei und der Wirtschaft zugute reduziert werden sollte, ist also eigentlich gar kein Witz: „Fehlt eigentlich nur noch, dass wir Schwangerschaften gesetzlich auf sechs Monate zu verkürzen. Neun Monate – was für eine Zeitverschwendung! Dass das den Ökonomen nicht längst eingefallen ist. Drei Monate mehr für die Wertschöpfungskette auf dem mütterlichen Arbeitsmarkt. Die Frühchen bekommen wir doch auch so groß. Von einem Brutkasten einfach in den nächsten, dann nahtlos weiter in die Krippe, Turbo-Abitur, schnell einen Bachelor, ein unbezahltes Praktikum und dann einen Job in Mindestlohn. Fertig. Wer aufmuckt, wird mit Ritalin ruhiggestellt.“ (Kelle 2017, 170f.)

Kelles Anmerkung läßt aber erahnen, dass die traditionelle bürgerliche Familie ihren Aufgaben und ihrem Zweck immer schwieriger nachkommen kann. Das hängt damit zusammen, dass ihre gesellschaftliche Grundlage zunehmend wegbricht (was Kelle und den Ihren natürlich nicht in den Blick kommt). Nun sollte man die Krise der Familie weder bedauern noch befeiern. Letzteres schon deshalb nicht, da „alternative Lebensmodelle“ unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen alles Andere als das Gelbe vom Ei sind. Im Fall von veganen Wohngemeinschaften oder tschetschenischen Clans sind sie oftmals noch schlimmer.

Nun ist allerdings zu hoffen, dass eine Kritik an Reproduktionstechnologien wieder aufgenommen wird und eine Kritik an den technischen Heilsversprechen des Transhumanismus (weiteren) Eingang in den radikal-feministischen Kontext findet. Zugleich, dass einer neofaschistischen oder neokonservativen Restitution der bürgerlichen Familie samt Zwangsheterosexualität und Mutterromantik (wie sie in Kelles Büchern immer wieder anklingt)29 widersprochen wird, ohne dass dabei die queer-postmoderne Vielfalt (vielmehr Einfalt) als das Ende der Geschichte angesehen wird.

Es ist klar, dass eine postmoderne Lifestylelinke (vgl. Kurz 1999), die vom narzisstischen Sozialcharakter tief geprägt ist (vgl. Wissen 2017), eben keine wirksame Antwort auf einen neoconservative turn bereit hält, geschweige denn auf eine Faschisierung.

Literatur

Bertrand, Ute: Die Modellbauer oder Der Glaube an die Macht der Gene, in: Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis, Nr. 38 (Schöpfungsgeschichte zweiter Teil – Neue Technologien), Köln 1994, 119–130.

Brockmann, Anna Dorothea: „Gehört mein Bauch mir?“ – Die Herausforderung des Selbstbestimmungsbegriffes durch die neuen Reproduktionstechnologien, in: Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis, Nr. 24 (Der Kaiserinnen neue Kleider – Feministische Denkbewegungen), Köln 1989, 105–118.

Brockmann, Dorothea; Schwerdtner, Heike: Schlechte Menschen – Gute Gene: 50 Jahre Debatte zur Gen- und Reproduktionsforschung, in: Zipfel, Gaby (Hg.): Reproduktionsmedizin – Die Enteignung der weiblichen Natur, Hamburg 1987, 51–88.

Bührmann, Traude: Bevölkerungspolitik als Femizid, in: Autonomes Frauenreferat im ASTA der TU Berlin (Hg.): Gyno-Genetics – Frauen und die Zukunft der Reproduktionstechnologie, 2. Aufl. Berlin 1985 [1984], 27–34.

Bührmann, Traude: Gen-Manipulation und Retortenbaby – Männliche Tag-Träume eine perfekte y-Welt zu schaffen, Berlin 1981.

Christoph, Franz: Tödlicher Zeitgeist – Notwehr gegen Euthanasie, Köln 1990.

Corea, Gena: Industrialisierung der Reproduktion, in: Bradish, Paula; Feyerabend, Erika; u. a.: Frauen gegen Gen- und Reproduktionstechnologien – Beiträge vom 2. Bundesweiten Kongreß Frankfurt, 28.–30.10.1988, München 1989, 63–70.

Corea, Gena: MutterMaschine – Reproduktionstechnologien: Von der künstliche Befruchtung zur künstlichen Gebärmutter, Berlin 1986, zuerst New York 1985.

Cunha, Daniel: Das Anthropozän als Fetischismus, in: exit! – Krise und Kritik der Warengesellschaft, Nr. 13, Angermünde 2016, 25–45.

Ditfurth, Jutta: Feuer in die Herzen – Gegen die Entwertung des Menschen, Hamburg 1997.

E.coli-bri: Im Netz der Unabhängigkeit – Eine Auseinandersetzung mit dem Ideal der Selbstbestimmung, in: E.coli-bri – Materialien gegen Bevölkerungspolitik und Gentechnologie, Nr. 9/10, Hamburg 1994, 26–44.

Eckart, Christel: Verschlingt die Arbeit die Emanzipation? – Von der Polarisierung der Geschlechtscharaktere zur Entwicklung der Arbeits-Monade, in: Widersprüche – Zeitschrift für sozialistische Politik im Bildungs- Gesundheits- u. Sozialbereich, Nr. 23 (Geschlechterverhältnis und Reproduktion), Offenbach 1987, 7–18.

Firestone, Shulamith: Frauenbefreiung und sexuelle Revolution, Frankfurt 1975, zuerst New York 1970.

Gangl, Georg: Im Dschungel – Eine Kritik der theoretischen Grundlagen linker Biopolitik, in: exit! – Krise und Kritik der Warengesellschaft, Nr. 10, Berlin 2012, 112–189.

Hansen, Friedrich: Ökogenetik oder die Manipulation von Arbeitsplatzrisiken, in: Hansen, Friedrich; Kollek, Regine: Gen-Technologie – Die neue soziale Waffe, Hamburg 1985, 35–52.

Heil, Reinhard: Human Enhancement – Eine Motivsuche bei J.D. Bernal, J.B.S. Haldane und J.S. Huxley, in: Coennen, Christopher; Gammel, Stefan; Heil, Reinhard; Woyke, Andreas (Hg.): Die Debatte über „Human Enhancement“ – Historische, philosophische und ethische Aspekte der technologischen Verbesserung des Menschen, Bielefeld 2010, 41–62.

Hennig, Fabian: Materialismus ist kein Synonym für Kritik – Thesen zu New Materialism, Posthumanismus und Feminismus, in: Outside the Box – Zeitschrift für feministische Gesellschaftskritik, Nr. 6, Leipzig 2016, 67–73.

Jahn, Ilse; Löther, Rolf; Senglaub, Konrad: Geschichte der Biologie – Theorien, Methoden, Institutionen und Kurzbiographien, Jena 1985.

Jansen, Markus: Digitale Herrschaft – Über das Zeitalter der globalen Kontrolle und wie Transhumanismus und Synthetische Biologie des Leben neu definieren, Stuttgart 2015.

Kayser, Gundula: Industrialisierung der Menschenproduktion – Zum faschistischen Charakter der Entwicklung neuer Technologien der Geburtenkontrolle, in: Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis, Nr. 14 (Frauen zwischen Auslese und Ausmerze), Köln 1985, 55–67.

Kelle, Birgit: Muttertier – eine Ansage, Basel 2017.

Konicz, Tomasz: Querfront als Symptom, Telepolis vom 28.01.2018.

Kontos, Silvia: Wider die Dämonisierung medizinischer Technik – Die neuen Fortpflanzungstechnologien im Kontext der sozialen Kontrolle von Frauen, in: Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis, Nr. 14 (Frauen zwischen Auslese und Ausmerze), Köln 1985, 68–77.

Kurz, Robert: Der Kampf um die Wahrheit – Anmerkungen zum postmodernen Relativismusgebot in der gesellschaftskritischen Theorie, in: exit! – Krise und Kritik der Warengesellschaft, Nr. 12, Berlin 2014, 53–76.

Kurz, Robert: Die Welt als Wille und Design – Postmoderne, Lifestyle-Linke und die Ästhetisierung der Krise, Berlin 1999.

Kurz, Robert: Grau ist des Lebens goldener Baum und Grün die Theorie – Das Praxis-Problem als Evergreen verkürzter Kapitalismuskritik und die Geschichte der Linken, in: exit! – Krise und Kritik der Warengesellschaft, Nr. 4, Bad Honnef 2007, 15–106.

Lent, Lilly; Trumann, Andrea: Kritik des Staatsfeminismus – Oder: Kinder, Küche, Kapitalismus, Berlin 2015.

Meyer, Thomas: Die Freiheit zur Knechtschaft – Der Anarchokapitalismus als Schmuddelkind des Anarchismus (2017), auf exit-online.org.

Meyer, Thomas: Kritik des neokonservativen Feminismus von Birgit Kelle – oder: zum analytischen Elend im Queer-Milieu (2016), auf exit-online.org.

Mies, Maria: Selbstbestimmung – Das Ende einer Utopie?, in: Bradish, Paula; Feyerabend, Erika; u. a.: Frauen gegen Gen- und Reproduktionstechnologien – Beiträge vom 2. Bundesweiten Kongreß Frankfurt, 28.–30.10.1988, München 1989, 111-124.

Patel, Vibhuti: Amniozentese und Mord an weiblichen Föten, in: Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis, Nr. 14 (Frauen zwischen Auslese und Ausmerze), Köln 1985, 50–54.

Peters, Linde: Reprotopia – Die neuen Fortpflanzungstechnologien, Köln 1993.

Pico della Mirandola, Giovanni: Rede über die Würde des Menschen / Oratio de hominis dignitate, Hamburg 1990.

Reuschling, Felicita: Produktives Gebären – Elemente einer feministischen Ökonomiekritik, in: Outside the Box – Zeitschrift für feministische Gesellschaftskritik, Nr. 3 (Gebären), Leipzig 2011, 49–60.

Samerski, Silja: Entmündigende Selbstbestimmung – Über die Entscheidungszumutungen in der Pränataldiagnostik, in: Das Argument – Zeitschrift für Philosophie und Sozialwissenschaften, Nr. 275 (Reproduktionstechnologien), Hamburg 2008, 228–234.

Sandel, Michael: Plädoyer gegen die Perfektion – Ethik im Zeitalter der genetischen Technik, 3. Aufl. Berlin 2015, zuerst Cambridge MA 2007.

Scholz, Roswitha: Das Ende der Postmoderne und der Aufstieg „neuer“ Pseudorealismen – Wert-abspaltungs-kritische Einwände gegenüber einem Neuen Realismus, einem spekulativen Realismus und Akzeleration, in: exit! – Krise und Kritik der Warengesellschaft, Nr. 15, Springe 2018, 49–109.

Scholz, Roswitha: Die Müßiggängerin schiebt beiseite! – Zum Verhältnis von Geschlecht und Arbeit im Feminismus (1999), auf exit-online.org.

Scruton, Roger: Fools, Frauds and Firebrands – Thinkers Of The New Left, London/New York 2016 [2015].

Späth, Daniel: Querfront Allerorten! – oder: Die „Neuste Rechte“, die „neuste Linke“ und das Ende des gesellschaftlichen Transzendenz, in: exit! – Krise und Kritik der Warengesellschaft, Nr. 14, Angermünde 2017, 95–212.

Trumann, Andrea: Frauen gegen Gen- und Reproduktionstechnologien, in: die röteln (Hrsg.): „Das Leben lebt nicht“ – Postmoderne Subjektivität und der Drang zur Biopolitik, Berlin 2006. 9–34.

Urban, Andreas: Alter(n) und Wert-Abspaltung – Grundrisse einer kritischen Theorie des Alters und Alterns in der warenproduzierenden Gesellschaft, in: exit! – Krise und Kritik der Warengesellschaft, Nr. 15, Springe 2018, 173–228.

Wagner, Friedrich (Hg.): Menschenzüchtung – Das Problem der genetischen Manipulation des Menschen, München 1969.

Weß, Ludger: Die Träume der Genetik – Gentechnische Utopien von sozialem Fortschritt, Nordlingen 1989.

Wissen, Leni: Die sozialpsychologische Matrix des bürgerlichen Subjekts in der Krise – Eine Lesart der Freud’schen Psychoanalyse aus wert-abspaltungskritischer Sicht, in: exit! – Krise und Kritik der Warengesellschaft, Nr. 14, Angermünde 2017, 29–49. Auch online: https://exit-online.org/textanz1.php?tabelle=autoren&index=20&posnr=561.

Woyke, Andreas: Human Enhancement und seine Bewertung – eine kleine Skizze, in: Coennen, Christopher; Gammel, Stefan; Heil, Reinhard; Woyke, Andreas (Hg.): Die Debatte über „Human Enhancement“ – Historische, philosophische und ethische Aspekte der technologischen Verbesserung des Menschen, Bielefeld 2010, 21–38.

Zizek, Slavoj: Der Mut der Hoffnungslosigkeit, Frankfurt 2018, zuerst London 2017.


1 Das ist natürlich die Situation in Deutschland. Diese Delegation fürsorglicher Tätigkeiten an den Staat geht natürlich nur solange gut, solang sie finanzierbar ist. Das ist hier wohl noch (!) der Fall, da Deutschland Weltmarktsieger ist und von seinem Exportchauvinismus profitiert. Damit wird aber früher oder später Schluss sein.

2 Zu Kritik an Kelle, vgl. Meyer 2016.

3 Auch Radikalfeminin, eine antifeministische Sektion der Identitären, beklagt, dass das Kinderkriegen in der herkömmlichen Lebensplanung nicht mitinbegriffen ist, vgl. Radikalfeminin – Frauen gegen Genderwahn, youtube.com vom 10.09.2017, ab ca. Min. 7.

4 Diese Aspekte werden bei der Kritik des Differenzfeminismus, wie Lent & Trumann feststellen, oft übersehen. Der Differenzfeminismus ist zweifellos dahingehend zu kritisieren, dass er die Tendenz hatte das als „weiblich“ Zugeordnete grundsätzlich positiv zu besetzen, worauf aber an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden kann.

5 Jan, Löther und Senglaub fassen den Inhalt dieses Symposions, der nicht zufällig an Argumentationen heutiger Transhumanisten/-innen erinnert, wie folgt zusammen: „Ihre [des Symposions, TM] Autoren gehen einmal vom alten Konzept der Kontraselektion aus und meinen, daß sich der Mensch durch die von ihm geschaffene technische Zivilisation und moderne Medizin dem Gesetz der natürlichen Auslese entzogen habe und nun genetisch degenerieren müsse, wenn nicht regulierend eingegriffen werde. Zum anderen glaubt man, der Mensch der Gegenwart mit seiner körperlichen Beschaffenheit und den Möglichkeiten seines Verstandes und seiner Vernunft vermöge mit der technischen Entwicklung, die er in Gang gesetzt hat, nicht mehr Schritt zu halten. Beides führt zur gleichen Konsequenz, zu Programmen der Menschenzüchtung und genetischen Manipulation der Menschheit, der eine Elite vorschreibt, wie sie sein soll, und sie dazu bringt. Für die Durchführbarkeit solcher Programme berufen sich ihre Verkünder auf die Ergebnisse und Perspektiven der Genetik. Aus ihr ergäben sich die nötigen Hilfsmittel für die Angeblich notwendige biologische Verbesserung der Menschheit.

Vorgesehen sind u. a. strenge Geburtenkontrollen mit eugenischer Zielstellung, Tiefkühlung von Sperma [von] als genetisch wertvoll angesehene[n] Spender[n] und künstliche Besamung, die Vergrößerung der Nachkommenschaft für genetisch besonders wertvoll erachtete Frauen vermittels des Austragens transplantierter befruchteter Eier durch niedrig bewertete menschliche Mutter-Wirte und andere in der Tierzucht und –züchtung erprobte bewährte Verfahren.“ (Jan; Löther; Senglaub, 585f.)

6 Vgl. auch Kelles Vortrag zum Thema „Leihmutterschaft: Wie Menschenhandel wieder salonfähig gemacht wird“, youtube.com vom 24.01.2018, vgl. auch Corea 1986, 192f.

7 So schreibt Silja Samerski: „In der Arztpraxis und im Beratungsgespräch erscheinen propabilistische Berechnungen als konkrete Vorhersagen oder gar Diagnosen. Selbst von genetischen Testergebnissen lassen sich – von wenigen Ausnahmen abgesehen – nur Wahrscheinlichkeitsaussagen ableiten: Ein im Labor identifizierter ‚Gendefekt’ oder ein ‚Gen für’ sagen in der Regel nur, dass die getestete Person krank werden könnte und dieses ‚könnte’ wird in Risikobegriffe gefasst. Dabei bleibt jedoch im Dunkeln, was das Denken in Risikobegriffen voraussetzt: nämlich eine Form des Kohortendenkens, durch das der einzelne Mensch zu einem gesichtslosen Mitglied in einer Grundgesamtheit mutiert.“ (Samerski 2008, 232, Hervorheb. i. O.).

8 Die AfD stellte eine Kleine Anfrage und wollte wissen, wie viele Behinderte es in Deutschland gäbe, speziell durch Inzucht und welcher Anteil daran durch Zuzug von Migranten bzw. Flüchtlingen besteht, vgl. Hilfe zur Hetze, neues-deutschland.de vom 23.04.2018.

9 Also durch das Einfrieren von Eizellen, damit sich Frau in ihren jüngeren Jahren schön brav der Karriere widmen kann und durch keine nervigen Kinder in der Betriebsamkeit gestört wird. Dann, wenn es eigentlich oder meist zu spät ist, kann sie sich ihre konservierte Eizelle befruchten und sie sich einsetzen lassen oder selbiges in eine „Leihmutter“; sprich gemieteten „Brutkasten“, vgl. Social Freezing – iZelle jetzt vorbestellen, taz.de vom 15.10.2014.

10 Vgl.: „Schöne neue Welt“ – Die künstliche Gebärmutter – Maschine statt Mama ist Realität, Netzfrauen.org vom 9.07.2016.

11 Wenn von „Autonomie“ oder „Selbstbestimmung“ die Rede war, so ist hierbei zu erwähnen, dass durchaus ein bürgerlicher Individualismus kritisiert wurde: Es wurde beansprucht, die kollektive Seite des feministischen Kampfes zu betonen, der darauf abzielte, die „Mann-Frau-Verhältnisse als Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse“ aufzuheben (vgl. das Editorial der Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis Nr. 14.) Ebenso wurde ein Emanzipationsbestreben kritisiert, das Frau dazu befähigen würde, als Eigentümerin ihres Körpers frei über diesen zu verfügen, da das auf ein verdinglichendes Verhältnis zum Körper und zur Natur hinführen würde, zu einer Einkleidung in die bürgerliche, Natur beherrschende männliche Subjektform, die ja gerade auch Gegenstand der Kritik sein sollte, vgl. Brockmann 1989, sowie Mies 1989. Es wurde ebenfalls kritisiert, dass von Selbstbestimmung unter Abstraktion des politischen und sozialen Kontextes die Rede war. Zumal Selbstbestimmung, als Emphase des bürgerlichen Subjekts, nicht zufällig mit rassistischer und sexistischer Herrschaft verbunden war, vgl. E.coli.bri 1994, 26f.

12 Dieser Punkt wird sogar von konservativen Philosophen gegen Foucault vorgebracht, so von Roger Scruton, in: Scruton 2016, 99f.

13 Zur Kritik des Neuen Materialismus bzw. Neuen Realismus vgl. Scholz 2018, sowie Hennig 2016.

14 Zur Kritik an Foucault vgl. Gangl 2012, 117–136. Der Text ist auch online verfügbar auf exit-online.org, sowie Kurz 2004, 72f.

15 So ist beispielsweise von der „fötalen Umgebung“ die Rede, wenn eine Frau bzw. werdende Mutter gemeint ist.

16 So werden auch Embryonen nach der gewünschten Haar- (!) oder Augenfarbe (!) selektiert (vgl. Jansen 2015,146). Es geht also nicht nur mehr darum, etwa Downsyndromkinder abzutreiben, sondern Kinder auf Bestellung herzustellen. Unerwünscht ist schlussendlich jedes Neugeborene, das einem vorgesetzten Schönheitsmaßstab nicht entspricht (oder mutmaßlich nicht entsprechen wird). Makaber war ein Fall in dem ein taubes lesbisches Paar sich explizit ein taubes Baby wünschte und daher genetisches Material gesucht wurde, von einer Familie, in der es seit Generationen Taubgeborene gibt (damit das Baby dann sehr wahrscheinlich taub geboren wird). Begründet wurde es damit, dass Taubsein eine eigene „Lebensform“ (!), also eine kulturelle Identität (!), sei, die natürlich auf Anerkennung pocht. Dieser Identität müsse dann auch das Kind entsprechen, vgl. Sandel 2015, 23f.

17 Vgl.: Zu viele Männer: China und Indien kämpfen mit den Folgen des Geschlechterungleichgewichts, netzfrauen.org vom 22.05.2018.

18 So hat beispielsweise die Unfruchtbarkeit in den smogverseuchten Riesenstädten Chinas in den letzten Jahren massiv zugenommen, vgl. Florian Rötzer: Telepolis vom 14.11.2013. Als Ende 2016 etwa eine halbe Milliarde Menschen (!) in China wegen extremen Smog betroffen waren und tausende Menschen vor diesem aufs Land flohen (Smogflüchtlinge!), definierte die chinesische Regierung Smog einfach zu einer „meterologischen Katastrophe“ um, „um zu verhindern, dass die Behörden für das Desaster verantwortlich gemacht werden können.“ Vgl. Zizek 2018, 408f. Smog sei damit eine „Naturkatastrophe“ wie ein Wirbelsturm! Zudem hat sich die Anzahl der Spermien westlicher Männer in den letzten 40 Jahren halbiert, vgl. Florian Rötzer: Telepolis vom 11.10.2017.

19 Zumal bei solche Anlässen als Einwand immer die bekannte „Standortlogik“ bemüht wird: wenn nicht wir – dann tun es die Anderen. So gesehen kann man immer alles so lassen wie es ist, bzw. so akzeptieren, wie es kommt. Aber wenn ein Moratorium oder Verbot von z. B. bestimmten gentechnisch veränderten Produkten erwirkt wird, dann wird dadurch auch sichtbar, dass technische Entwicklungen gar nicht das unabwendbare Schicksal sind, als das sie immer gern hingestellt werden. Entscheidend ist, dass ein Verbot oder ein Moratorium einhergeht mit einer grundsätzlichen Kritik des Kapitalismus und seiner Erzeugnisse.

20 Vgl. z. B. Fliegender Supergel-Pinselroboter versucht Bienen zu ersetzen, spektrum.de vom 9.02.2017.

21 https://nickbostrom.com/papers/history.pdf.

22 „ ‚Wir haben dir keinen festen Wohnsitz gegeben, Adam, kein eigenes Aussehen noch irgendeine besondere Gabe, damit du den Wohnsitz, das Aussehen und die Gaben, die du selbst dir ausersiehst, entsprechend deinem Wunsch und Entschluss habest und besitzest. Die Natur der übrigen Geschöpfe ist fest bestimmt und wird innerhalb von uns vorgeschriebener Gesetzte begrenzt. Du sollst dir deine ohne jede Einschränkung und Enge, nach deinem Ermessen, dem ich dich anvertraut habe, selber bestimmen. Ich habe dich in der Mitte der Welt gestellt, damit du dich von dort aus bequemer umsehen kannst, was es auf der Welt gibt. […]’

Welch unübertreffliche Großmut Gottvaters, welch hohes und bewundernswertes Glück des Menschen! Dem gegeben ist zu haben, was er wünscht, zu sein, was er will. Die Tiere tragen gleich bei ihrer Geburt aus dem Beutel ihrer Mutter, wie Lucilius sagt, mit sich fort, was sie besitzen werden. Die höchsten Geister waren entweder von Anfang an oder bald danach, was sie bis alle Ewigkeit sein werden. Im Menschen sind bei seiner Geburt von Gottvater vielerlei Samen und Keime für jede Lebensform angelegt; welche ein jeder hegt und pflegt, die werden heranwachsen und ihre Früchte in ihm tragen. Sind es pflanzliche, wird er zur Pflanze, sind es sinnliche, zum Tier werden. Sind es Keime der Vernunft, wird er sich zu einem himmlischen Wesen entwickeln; sind es geistige, wird er ein Engel sein und Gottes Sohn. Wenn er sich nun mit keinem Los der Geschöpfe zufrieden, ins Zentrum seiner Einheit zurückgezogen hat, wird er, ein Geist mit Gott geworden, in der einsamen Dunkelheit des über allem stehendes Vaters alles überragen.“ (Pico 1990, 6f.)

23 https://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1932/11/koprede.htm.

24 Zoltan Istvan gründete 2014 übrigens die „Transhumanist Party“: https://www.huffingtonpost.com/zoltan-istvan/should-a-transhumanist-be_b_5949688.html. Mittlerweile ist er aber in der „Libertarian Party“ gelandet, also der Partei der Anarchokapitalisten. Zur Kritik des Anarchokapitalismus vgl. Meyer 2017.

25 Das Folgende ist angeführt in: https://motherboard.vice.com/de/article/4xampd/knstliche-gebaermuetter-sind-laengst-in-der-entwicklung.

26 Was das angeht, wird bereits eifrig an Tieren geforscht: so an einer künstlichen Gebärmutter für ein Lamm-Frühchen, vgl.: https://www.nature.com/articles/ncomms15112.

27 In der Tat zeugen solche Auflistungen von einer gewissen Paranoia. Gena Corea hat auch einige Zitate von „Pharmakraten“ aufgeführt, dass die „fötale Umgebung“, d. h. die Frau - wie es im sexistischen Jargon der „Pharmakraten“ heißt - für den Embryo gefährlich sei. Nur ein Beispiel: „Wir kommen zu der Erkenntnis, daß die Gebärmutter ein düsterer Ort ist, eine lebensgefährliche Umgebung. Wir sollten unseren möglichen Kindern einen Platz wünschen, an dem sie unter bestmöglicher Aufsicht (!) und bestmöglichem Schutz sind.“ Hier mag eine androzentrische Angst vor der Natur bzw. der weiblichen Natur die Ursache sein, da diese, obwohl angestrebt, nicht zur Gänze technisch verfügbar oder beherrschbar ist, vgl. Corea 1986, 227f. Hier tun sich Parallelen zum Hexenwahn auf.

28 In der Tat ist eine solche Rationalisierung nicht erst mit der Ektogenese gegeben: „Ein Aspekt der Industrialisierung der Reproduktion ist die Anwendung des Fabrik-Fließband-Prinzips auf die Zeugung. […] Effizienz ist das Schlüsselwort in der Geburtsfabrik. Um den Bedürfnissen der Fabrik zu entsprechen, sollen Frauen während der Dienstzeiten, Montag bis Freitag 9-17 Uhr gebären. Einige Ärzte haben nicht nur die ‚Tageszeit-Geburtshilfe’ praktiziert, d.h. die künstliche Einleitung der Wehen im Interesse der Bequemlichkeit, sondern dies auch offen verteidigt. Es liegen ebenfalls Beweise dafür vor, daß Kaiserschnitte, die in den USA eine skandalöse Rate erreicht haben, durchgeführt wurden, um die Geburt den bevorzugten Arbeitszeiten der Ärzte anzupassen.“ (Corea 1989, 63, Hevorheb. i. O.)

29 Gerade von christlich-fundamentalistischer Seite wird ein radikaler Roll-Back angestrebt. Dazu sind vor einiger Zeit entsprechende Dokumente durchgesickert, vgl. www.queer.de/detail.php?article_id=31059.




zurück
Druckversion
Glossar
Deep Link