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Thomas Meyer: »Gesellschaftliche Naturkatastrophen« und die neue Klimaschutzbewegung


Zuerst erschienen auf Telepolis am 18.2.2020. Für die Neuveröffentlichung wurde der Text überarbeitet und aktualisiert.

»Gesellschaftliche Naturkatastrophen« und die neue Klimaschutzbewegung

Thomas Meyer

1.

Die rasante Ausbreitung der Klimaschutzbewegung über die ganze Welt ist in der Tat bemerkenswert (vgl. Haunss; Sommer 2020). Bemerkenswert ist auch der Hass, den diese Bewegung teilweise erfährt, speziell der gegen Greta Thunberg. Das bürgerliche Subjekt in der Krise will einfach nicht wahrhaben, dass seine kapitalistische Lebensart unhaltbar geworden ist. Bereits kleinste Stellschraubenänderungen bringen den ›besorgten Bürger‹ in Rage. So wird die Klimabewegung nicht als Anlass oder Gelegenheit zur Reflexion wahrgenommen. Vielmehr wird diese schon im Keim durch »hysterische Abwehrreaktionen« unterbunden (vgl. Hartmann 2020, 118ff.) Die ›toxische Männlichkeit‹ entläd sich in unzähligen Hasskommentaren und in solchen absurden und vollkommen reaktionären Gegen-Bewegungen wie ›Fridays for Hubraum‹ (mit derzeit etwa 500.000 Mitgliedern).1 Diejenigen, die ihr dickes Auto als eine Schwanzverlängerung ansehen, fühlen sich anscheinend durch eine Jugendliche symbolisch kastriert.

Obgleich der Klimawandel unübersehbar geworden ist, wird er von Rechtspopulisten und Rechtsradikalen stur geleugnet (so wie von Donald Trump und Beatrix von Storch). Selbst wo sie es nicht gänzlich tun, leugnen sie den menschlichen Beitrag zum Klimawandel oder sie sagen, man könne ohnehin nichts tun.2 Die Apologeten des Amok laufenden Kapitalismus haben offenbar nur noch die ›Freiheit zum Tode‹ anzubieten. Selbstverständlich werden von ihnen auch alle Maßnahmen gegen den Klimawandel abgelehnt, seien sie auch noch so seicht und unbedeutend. Oder sie streben Umweltschutz statt Klimaschutz an.3 Umweltschutz als ›Heimatschutz‹ versteht sich. Heimatschutz, als rassistische Abwehr von allem, was nicht ins völkische Bild passt, schließt als ›Klimaschutzmaßnahme‹ die Abwehr von (Klima)Flüchtlingen mit ein. Daraus würde erst recht ein Ausgrenzungsimperialismus (vgl. Böttcher 2016) mit noch mehr Mauerbau und Schießbefehl folgen. Obgleich in den letzten Jahren Faschisten in der neueren Ökologiebewegung nicht Fuß fassen konnten (so in den Protesten um den Hambacher Forst, Ende Gelände), so bedeutet das nicht, dass dies so bleiben wird.4 Deutlich machen dies Bestrebung ›Umweltschutz‹ von rechts zu (re)formulieren, wie nicht zuletzt Neugründungen rechter Ökologiezeitschriften5 zeigen (ausführlich dazu: Jahrbuch Ökologie 2020. Vgl. auch Hartmann 2020, 135ff.).

2.

Es mutet ein wenig seltsam an, dass Fridays for Future, neben all dem Hass, viel Zuspruch von so vielen Seiten erfährt. Das lässt zunächst vermuten, dass Fridays for Future bisweilen nicht wirklich aneckt: »Widerstand, der keinen Widerstand hervorruft, ist keiner«, formulierte Gerhard Stapelfeldt (vgl. Stapelfeldt 2019, 3). Ihm zufolge handelt es sich bei den neueren Klimaprotesten eher um eine konformistische Rebellion: »In jedem Fall wird die Überwindung des Klimawandels auf gesellschaftlich und ökonomisch konformistische Weise gesucht. Von diesem Konformismus geht der gegenwärtige Protest aus – darum ist er ›niedrigschwellig‹, darum nehmen die Einladungen an Teilnehmer der Proteste von Seiten der Regierungen, Parlamente und Parteien kein Ende« (ebd., 4, Hervorh. i. O.).

Wie Stapelfeldt betont, sind die Protestierenden alles Menschen, die im Neoliberalismus aufgewachsen sind, von daher ist es folgerichtig, dass die Proteste einen privatistischen Charakter haben und einen »gesellschaftlichen Analphabetismus« aufweisen: Es ist bei Fridays for Future zwar von einer Klimakrise die Rede, aber nicht von einer Krise der kapitalistischen Gesellschaft. Es wird an die Politik appelliert, sie solle die Erkenntnisse der Klimaforschung endlich die nötige Aufmerksamkeit zu Teil werden lassen und entsprechend handeln. Es wird aber nicht gefragt, warum, trotz allen Wissens und aller Versprechungen und Klimagipfel usw. jahrzehntelnge nichts wirksames passiert.6

Zwar wird von Fridays for Future zum Teil darauf hingewiesen, dass eine Fixerung auf den Einzelnen und seinen Konsumgewohnheiten unzureichend ist, da der Einzelne keineswegs eine freie Wahl hat.7 Fridays for Future aber auf einen ›individualistischen Nachhaltigkeitsprotestantismus‹ (wie er bei Postwachstumsökonomen wie Niko Paech deutlich zu Tage tritt, vgl. Meyer 2021) reduzieren zu wollen, verfehlt deren eigentliche Kernanliegen.8 Es ist also m.E. richtig festzustellen, dass sich die Reflektionen und die Forderungen von Fridays for Future in der kapitalistischen Immanenz bewegen. Auf dieser Ebene werden aber durchweg gesamtgesellschaftliche Perspektiven entwickelt und als notwendig erachtet (Wobei etwa die Forderung nach einer CO2-Bepreisung sich längst als kompletter Unsinn erwiesen hat, vgl. Hartmann 2020, 65ff.). Dennoch wird angeführt, vor allem im ›öffentlichen Diskurs‹, ›was der Einzelne tun kann‹ oder tun sollte, z.B. Verzicht auf Flugreisen und auf Fleisch.9 Das Gesellschaftliche und vor allem die Produktionsweise kommen durch solche Appelle nicht in den Blick. Dies entspringt der Blindheit gegenüber der gesellschaftlichen Form. Es scheint, als sei alles nur eine Sache der ›richtigen Technik‹ und der ›richtigen Konsumgewohnheiten‹. Gerade in den Reihen der Oliv-Grünen10, die am Kapitalismus »nicht rütteln«, sondern »ihn nur regulieren und begrünen« wollen (Hartmann 2020, 42) ist eine solche Denke weit verbreitet. »Das Zauberwort heißt grünes Wachstum« (ebd.).

Das öffentliche Interesse an Fridays for Future bleibt allerdings bisweilen folgenlos. Seit Jahrzehnten wird die angehende Klimakatastrophe11 thematisiert, aber Klimaschutzmaßnahmen werden nach wie vor simuliert oder blockiert. Alle Maßnahmen, so unzureichend sie vonvornherein auch sind, werden stets entschärft, sodass sie als wirkungslos verpuffen. Der ›Standort‹ hat immer Vorrang. »Wer Arbeitsplätze schützen will, darf bei ökologischen Schäden nicht zu zimperlich sein« (Hartmann 2020, 16). Auch das famose ›Klimaschutzpaket‹ der bundesdeutschen »Groko-Haram-Koalition« (Martin Sonneborn) im Herbst 2019 zeigte, dass nichts Ernsthaftes getan werden soll. Alles soll im Wesentlichen beim Alten bleiben.12

Wie im Kontext der Wert-Abspaltungs-Kritik schon mehrfach formuliert, sind immanente Proteste wichtig: So gegen Sozialabbau, Mietenwahnsinn, Pflegenotstand usw. In einzelnen Fällen können sie möglicherweise auch Schlimmeres verhindern. Wenn sie in der Immanenz verbleiben, den Finanzierungsvorbehalt usw. nicht in Frage stellen, dann laufen sie entweder ins Leere oder sie laufen Gefahr, Teil der Krisenverwaltung zu werden (vgl. z.B. Kurz 2006, Böttcher 2018 und Meyer 2019). Ähnlich verhält es sich mit den Klimaprotesten. So bleibt es richtig, all die Krisenverwaltungsregime unter Druck zu setzen, wie es die Klimaschutzbewegung zu tun versucht, um eine ›ökologische Transformation‹ voranzutreiben »[e]gal wie unbequem und unrentabel es sein mag« (Thunberg 2019, 47, Hervorh. TM).

Hier spricht Greta Thunberg aus, dass die Rentabilität abzulehnen ist. Notwendiges Ziel ist es, die Welt als lebenswert zu erhalten. Sich etwas vorrechnen zu lassen, ist also keine Option. Eine Kritik der kapitalistischen Produktionsweise, der Verwertungsbewegung des Kapitals usw., spielen aber bisweilen keine bedeutende Rolle in der Klimaschutzbewegung. Nichtsdestotrotz ist Fridays for Future keine homogene Bewegung (Im Laufe von 2019 wurde sie vielfältiger. Es handelt sich zwar im Wesentlichen um eine Mittelschichtsbewegung, also um eine Bewegung der eher Besser-Situierten, aber längst nicht mehr um ›nur‹ eine von Schülern/Schülerinnen, vgl. Haunss; Sommer 2020). Es gibt zwar einige Gruppierungen (so wie ›Change for Future‹), die eine Kapitalismuskritik beanspruchen oder versuchen (wobei hier Kapitalismuskritik noch lange nicht auf eine radikale Kritik der Fetischkonstitution hinausläuft). Jedoch kann nicht davon die Rede sein, dass kapitalismuskritische Positionen für die Bewegung wesentlich sind.13 Es wird z.B. festgestellt, dass die Klimakrise nicht im gegenwärtigen Wirtschaftssystem lösbar ist.14 Die ›Systemfrage‹ wird also gestellt. Andererseits denken einige Fridays for Future-Aktivisten/-innen durch Wahlen oder Gewähltwerden etwas Wesentliches bewegen zu können.15 Ob Fridays for Future es schafft die Immanenz zu sprengen und nicht in Affirmation oder Opportunismus abzustürzen, wird sich noch zeigen (vgl. Konicz 2020).16

3.

Sicher ist es sinnvoll, bestimmte Produkte und Konsumgewohnheiten zu kritisieren und ihre Produktion einzustellen. Problematisch ist aber, wenn es dabei bleibt und man meint, es genüge, Plastiktüten und SUVs abzuschaffen, ohne dass die Produktionsweise selbst in den kritischen Blick kommt. Es ist keineswegs nur ein Problem der ›richtigen‹ Technik. In den Blick kommen, müsste vor allem der »Widerspruch zwischen Stoff und Form« (vgl. Ortlieb 2019a). Wie auch schon bei früheren Debatten um Veganismus oder grünen Kapitalismus wird nicht realisiert, dass auch ein grüner oder veganer Kapitalismus sich in der Konkurrenz durchsetzen muss, so dass die ›nachhaltige Produktion‹ so nachhaltig dann doch wieder nicht ist, vor allem dann nicht, wenn eine zahlungskräftige Nachfrage einbricht und Umweltschutzbestimmungen usw. sich als störend und für die weitere Kapitalakkumulation dysfunktional erweisen. Dass Besserverdienende in den kapitalistischen Kernstaaten sich mit allerhand ›ökologischen Produkten‹ eindecken können (und mit ihrem SUV Einkaufen fahren), sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass dies nur möglich ist, weil jene sozialen Schichten noch zu den Weltmarktsiegern gehören.

Wenn also festgestellt wird, es solle weniger Fleisch konsumiert werden, sodass weniger Regenwald vernichtet wird für die Produktion von Soja als Futtermittel, warum sollte ein Einbruch der Nachfrage nach Soja die Sojaproduktion dann weniger destruktiv machen, wenn Soja als menschliches Nahrungsmittel angebaut wird? Dann würde Regenwald weiterhin vernichtet zur Produktion von Soja-Schnitzeln oder Biosprit. Eine grüne ›Kritik‹, die auf den Einzelnen zielt und sich konkretistisch an einzelnen Konsumgütern abarbeitet, verfehlt also die Destruktivität der kapitalistischen Produktionsweise. Ein ›Green New Deal‹ ist unter kapitalistischen Bedingungen nur eine weitere Illusion, die Destruktivität des Kapitalismus loswerden zu wollen, ohne sie zum Thema zu machen und zu überwinden. Ein Green New Deal wäre dasselbe in Grün (vgl. Reckordt 2019). Die Destruktivität des Kapitalismus würde nur modernisiert. Wenn man sich also über Artensterben, industrielle Landwirtschaft und Autowahn beschwert, dann muss in den Fokus kommen, wie die Natur den kapitalistischen Verwertungskriterien gemäß zugerichtet und folglich durch sie zerstört wird. Es ist also die Naturbeherrschung und -zerstörung zum Thema zu machen und die Reduktion der Natur auf bloßen Rohstoff infrage zu stellen. Dabei ist auf den zutiefst patriarchalen Charakter der Naturbeherrschung durch das Kapital zu verweisen, wie er etwa in der Reproduktionsmedizin deutlich wird (vgl. Meyer 2018). Dieser Zusammenhang wird aber in der Klimaschutzdebatte nicht berührt, da Fridays for Future über keinen kritischen Begriff der (Natur)wissenschaften verfügt (vgl. Ortlieb 2019).

Robert Kurz betonte, dass es dem Menschen, obgleich Naturwesen, nicht möglich ist, sich ›harmonisch‹ zur Natur zu verhalten, da der Mensch mit der Natur nicht ›eins‹ ist. Das Verhältnis zur Natur besteht darin, einen spezifischen Stoffwechsel mit der Natur einzugehen, der auch dazu führt, dass die Natur umgeformt und damit selbst verändert wird (vgl. Kurz 2002). Die Natur ist also nichts Statisches. Eine Natur, die etwas Ursprüngliches und Unberührtes sein soll, ist eine projektive Wunschvorstellung des bürgerlichen Subjektes, das sich mit seinem eigenen Verhältnis zur Natur und damit zu sich selbst nicht kritisch auseinandersetzen kann oder will. Wenn also von Naturschutz die Rede ist, ist klar zu machen, welche Natur denn geschützt werden soll und warum überhaupt Natur geschützt werden muss: d.h. vor wem bzw. vor was eigentlich! Es wäre also deutlich zu machen, warum Umweltzerstörung Resultat einer bestimmten Produktionsweise ist und nicht Resultat einer bestimmten Technik oder eines Produktes allein, das der Einzelne dann konsumiert. Oder in den Worten von Robert Kurz: »Es wäre zu billig, die Dynamik der modernen Naturzerstörung allein der Technik zuzuschreiben. Gewiss sind es technische Mittel, die direkt oder indirekt in die Naturzusammenhänge eingreifen. Aber diese Mittel stehen nicht für sich, sondern sie sind Ergebnis einer bestimmten Form der gesellschaftlichen Organisation, die sowohl die sozialen Beziehungen als auch den ›Stoffwechselprozeß mit der Natur‹ bestimmt« (ebd.).

Es macht also wenig Sinn, die Natur oder das Klima durch bloßes Verbot bestimmter Produkte oder Praktiken schützen zu wollen. Diese Verbote sollen bekanntlich die Emission von CO2 reduzieren. Alternativ wird in Produkte investiert, die einen geringeren C02-Ausstoß versprechen. Die Produkte werden aber nicht als spezifische Resultate einer Produktionsweise, also als Produkte in ihrer Gesellschaftlichkeit betrachtet. Dabei entscheidet die »Form der gesellschaftlichen Arbeit […] über die spezifischen Zwecke und Triebkräfte von Produktion und Konsumtion und über Art und Umfang der Eingriffe in die Natur« (Böhme; Grebe 1985, 27). Die ›Form der gesellschaftlichen Arbeit‹ (also die Arbeit als Realabstraktion) kommt bei Fridays for Future nicht in den Blick. Diese Form besteht in der Abstraktion vom Inhalt und von den Eigenqualitäten. Die Natur wird nur als Substrat für die Wertverwertung benutzt, sodass durch die Arbeit auch die Natur entsprechend zugerichtet wird, deutlich bemerkbar etwa in der Agrikultur, bei der die Industrialisierung der Landwirtschaft zu einem massiven Sortenschwund führte (vgl. Mooney; Fowler 1991). Hinzu kommt, dass der Kapitalismus gar nicht in der Lage ist, mit Ressourcen schonend umzugehen. Steigt die Produktivität, so dass ein Einzelkapital weniger Arbeit aufwenden muss, um den gleichen Ausstoß an Waren zu erzeugen, so führt dies dazu, dass aufgrund der mit der Produktivitätserhöhung einhergehenden Verbilligung der Produkte, das Einzelkapitel seinen Marktanteil vergrößert, Konkurrenten verdrängt und seinen Ausstoß an Waren insgesamt erhöht. Wenn eine Produktivitätssteigerung oder eine Produktinnovation dazu führt, dass eine (vermeintlich) umweltfreundlichere Produktversion sich in der Konkurrenz durchsetzt, dann wird der umweltschonende Anteil schnell überkompensiert, wenn das Einzelkapital dann alle Welt mit diesem Produkt überflutet. Die Einführung des Katalysators beim Auto beispielsweise führte nicht zu einer umweltfreundlicheren Mobilität, sondern zu noch mehr Individualverkehr.17 Könnten Weltmarktsieger eventuell umweltfreundlich und billig produzieren, so würde die übrige Welt unter die Räder geraten und müsste auf ›Umweltauflagen‹ dann erst recht verzichten. Die Konkurrenz führt dazu, dass sich stets das Billigere durchsetzt. Ist es also kostengünstiger, die Umwelt zu zerstören, natürliche Zyklen und Regenerationszeiten zu ignorieren, dann zwingt die Konkurrenz erst recht in der Krise des Kapitalismus dazu, dies auch zu tun. Durch die Dynamik des Kapitalismus führt auch ein umweltfreundlicheres Produkt zu mehr Umweltzerstörung, da der Ressourcenverbrauch in der Regel trotzdem zunimmt. Dies ist der sog. Rebound-Effekt, der auch schon bürgerlichen Ökonomen des 19. Jahrhunderts aufgefallen ist, aber unverstanden blieb.

Mit Marx lässt sich der Rebound-Effekt erklären: Wenn die gesamte Wertmasse sinkt bei steigender Produktivität, da für den Gesamtumfang an Waren weniger Arbeit verausgabt werden muss, dann muss die Anzahl der Produkte absolut erhöht werden, um die gleiche Wertmasse zu erhalten. Dies gilt umso mehr, als es nicht darum geht, die Wertmasse nur zu erhalten, sondern diese selbst ständig vermehrt werden muss, d.h. eine Produktion, die keinen Mehrwert abwirft, wird eingestellt (vgl. Ortlieb 2019a, 283ff.).

Es ist also keineswegs ›der Mensch‹ oder überhaupt die Nutzung der Natur, die zur Vernichtung der Natur und zur Klimakatastrophe führt, sondern eine irrationale Produktionsweise, bei der es um die Produktion von abstraktem Reichtum geht, um die Verwertung des Werts. Die Verwertungsfähigkeit stößt dabei an historischen Grenzen, was sich in einer verstärkten Hemmungslosigkeit und Destruktivität des Kapitalismus zeigt. Dies will aber kaum jemand wahrhaben. Viel leichter ist es, die Realität zu verdrängen, indem man sich als ›grün-nachhaltig‹ geriert oder indem man die ›Schuld‹ dem Menschen ›an sich‹ anlastet, d.h. es wird geschlussfolgert, dass die Existenz des Menschen selbst hier das eigentliche Verbrechen sei! So schlägt etwa Verena Brunschweiger18 allen Ernstes vor, man solle doch dem Klima zuliebe auf Kinder verzichten (In ihrem Buch: Kinderfrei statt kinderlos – Ein Manifest, zur Kritik: vgl. Meyer 2020). Auf diese Weise würde man CO2 einsparen. Hier sieht man schon, dass je weniger die kapitalistischen Produktions- und Lebensweise zum Thema gemacht und radikal kritisiert werden, Verleugnung des Problems und Realitätsverdrängung umso mehr um sich greifen und dazu führen, dass die menschliche Existenz selbst als Problem erscheint. Der Kapitalismus wird mit einer anthropologischen Konstante ausgestattet und als unhintergehbare Naturtatsache angesehen, so dass es realistischer erscheint, den Menschen selbst zum Verschwinden zu bringen, statt sich der Erkenntnis zu stellen, dass mit der Produktion abstrakten Reichtums Schluss gemacht werden muss. Ohne Verständnis/Kritik der gesellschaftlichen Formkonstitution wird eine ideologische Verarbeitung der Krise, aufgrund der Erosion/Verwilderung der wertabspaltungsförmigen Vergesellschaftung, solche Barbareien hervortreiben.

Literatur

Böhme, Gernot; Grebe, Joachim: Soziale Naturwissenschaft – Über die wissenschaftliche Bearbeitung der Stoffwechselbeziehung Natur-Mensch, in: Böhme, Gernot; Schramm, Engelbert (Hg.): Soziale Naturwissenschaft – Wege zu einer Erweiterung der Ökologie, Frankfurt 1985.

Böttcher, Herbert: »Wir schaffen das« – Mit Ausgrenzungsimperialismus und Ausnahmezustand gegen Flüchtlinge, 2016, online: https://exit-online.org/textanz1.php?tabelle=autoren&index=17&posnr=554&backtext1=text1.php.

Böttcher, Herbert: Wir müssen doch etwas tun! Handlungsfetischismus in einer reflexionslosen Gesellschaft, in: Die Frage nach dem Ganzen – Zum gesellschaftskritischen Weg des Ökumenischen Netzes anlässlich seines 25jährigen Bestehens, Koblenz 2018, 357380, online: https://exit-online.org/textanz1.php?tabelle=autoren&index=17&posnr=595&backtext1=text1.php.

Cunha, Daniel: Das Anthropozän als Fetischismus, in: exit! – Krise und Kritik der Warengesellschaft Nr.13, Berlin 2016, 25–45. Mit überarbeitetem Nachwort (2021) auch auf exit-online.org.

Hartmann, Kathrin: Grüner wird’s nicht – Warum wir mit der ökologischen Krisen völlig falsch umgehen, München 2020.

Haunss, Sebastian; Sommer, Moritz (Hg.): Fridays for Future – Die Jugend gegen den Klimawandel – Konturen einer weltweiten Bewegung, Bielefeld 2020.

Jahrbuch Ökologie: Ökologie und Heimat – Gutes Leben für alle oder die Rückkehr der braunen Naturschützer?, Stuttgart 2020.

Konicz, Tomasz: Klima für Extremismus, Telepolis vom 05.08.2018.

Konicz, Tomasz: »Wir brauchen ein neues System!« – In Teilen der Klimabewegung reift die Erkenntnis heran, dass nur ein Systemwechsel den Klimakollaps verhindern kann. Doch was muss eigentlich überwunden werden?, in: Ökumenisches Netz Rhein-Mosel-Saar (Hg.): Bruch mit der Form: Die Überwindung des Kapitalismus in Theorie und Praxis, Koblenz 2020, 246–257.

Kurz, Robert: Gesellschaftliche Naturkatastrophen – Die synchronen Überschwemmungen und Dürren in der ganzen Welt kündigen eine neue Qualität der ökologischen Krise an, 2002, online: https://exit-online.org/textanz1.php?tabelle=autoren&index=31&posnr=74&backtext1=text1.php.

Kurz, Robert: Unrentable Menschen, 2006, online: https://exit-online.org/textanz1.php?tabelle=autoren&index=31&posnr=237&backtext1=text1.php.

Meyer, Thomas: Zwischen Ektogenese und Mutterglück – Zur Reproduktion der menschlichen Gattung im krisenhaften warenproduzierenden Patriarchat, 2018, online: https://exit-online.org/textanz1.php?tabelle=autoren&index=35&posnr=583&backtext1=text1.php.

Meyer, Thomas: »Neue Klassenpolitik«? – Kritische Anmerkungen zu aktuellen Diskursen, 2019, online: https://exit-online.org/textanz1.php?tabelle=autoren&index=35&posnr=590&backtext1=text1.php.

Meyer, Thomas: Kinderfrei statt CO2 – Gebärstreik als Maßnahme für den Klimaschutz, 2020, online: https://exit-online.org/textanz1.php?tabelle=autoren&index=36&posnr=614&backtext1=text1.php.

Meyer, Thomas: Alternativen zum Kapitalismus – Im Check: Postwachstumsbewegung und Commons und die Frage nach der ›gesellschaftlichen Synthesis‹, in: exit! – Krise und Kritik der Warengesellschaft Nr.18, Springe 2021. Im Erscheinen.

Mooney, Pat; Fowler, Cary: Die Saat des Hungers – Wie wir die Grundlagen unserer Ernährung vernichten, Reinbek bei Hamburg 1991.

Ortlieb, Claus Peter: Zur Kritik des modernen Fetischismus – Die Grenzen bürgerlichen Denkens – Gesammelte Texte von Claus Peter Ortlieb 1997–2015, Stuttgart 2019.

Ortlieb, Claus Peter: Ein Widerspruch zwischen Stoff und Form – Zur Bedeutung der Produktion des relativen Mehrwerts für die finale Krisendynamik, in: ders: Zur Kritik des modernen Fetischismus – Die Grenzen bürgerlichen Denkens – Gesammelte Texte von Claus Peter Ortlieb 1997–2015, Stuttgart 2019a, 263–293. Online: https://exit-online.org/pdf/WiderspruchStoffFormPreprint.pdf.

Stapelfeldt, Gerhard: Klimawandel. Heiße Sommer, Trockenheit: Fridays for Future und Die Grünen als neue Volkspartei, 2019, https://www.kritiknetz.de/images/stories/texte/Stapelfeldt_globaler_Protest_gegen_Klimapolitik.pdf .

Reckordt, Michael: Dasselbe in Grün, in: oekom e.V. – Verein für ökologische Kommunikation (Hg.): Green New Deal – Fassadenbegründung oder neuer Gesellschaftsvertrag?, München 2019, 46–52.

Thunberg, Greta: Ich will, dass ihr in Panik geratet! – Meine Reden zum Klimaschutz, Frankfurt 2019.


  1. Vgl. https://www.akweb.de/politik/gegenwind-fuer-die-klimabewegung/. Vgl. auch den Vortrag von Ricarda Lang vom 21.3.2019: Feindbild Klimaschützerin: http://emafrie.de/audio-feindbild-klimaschuetzerin/?hilite=%27Ricarda%27%2C%27Lang%27. ^

  2. So Gauland im ZDF-Sommerinterview 2018: »Ich glaube nicht, dass es gegen den Klimawandel irgendetwas gibt, was wir Menschen machen können«. https://www.youtube.com/watch?v=HWUvTqlbsjg. Ab 2:31 Min.^

  3. Vgl. Vortrag von Gauland: Nachhaltigkeit ist ein konservatives Prinzip, youtube.com vom 22.8.2019, https://www.youtube.com/watch?v=TyxCIhhCVM0. ^

  4. Vgl. https://www.freitag.de/autoren/elsa-koester/die-allzuvielen sowie Konicz 2018.^

  5. Vgl. https://die-kehre.de/. ^

  6. Vgl. dazu den Vortrag von Stapelfeldt: Klima und Protest, youtube.com vom 25.8.2020, https://www.youtube.com/watch?v=zS4h34A9jHc. ^

  7. So etwa die Fridays for Future Aktivistin Clara Mayer: https://www.youtube.com/watch?v=D9Eqf7UlNWo.^

  8. Vgl. https://fridaysforfuture.de/wp-content/uploads/2019/04/Forderungen-min.pdf. ^

  9. So wird in Interviews immer wieder auf dies verwiesen: Luisa Neubauer von »Fridays for Future« zu Gast im Nach-Bericht aus Berlin: https://www.youtube.com/watch?v=YFUb6wMIHxU. Ab 17:20 Min.^

  10. Bzw. Polizei-Grünen: Vgl. z.B. Jörg Tauss: Brandmelder gelöscht: Grün, Olivgrün, Polizeigrün, Telepolis vom 20.7.2020, https://www.heise.de/tp/features/Brandmelder-geloescht-Gruen-Olivgruen-Polizeigruen-4847325.html.^

  11. Beispielsweise heißt es im Spiegel vom 11.08.1986 »Das Weltklima gerät aus den Fugen« https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13519133.html. ^

  12. Vgl. etwa https://www.spektrum.de/kolumne/klimaschutzpaket-der-bundesregierung-springt-zu-kurz/1675002 und https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/das-ist-unglaublich-fahrlaessig. Vgl. auch: Wolfgang Pomrehn: Groko verhöhnt die Jugend, https://www.heise.de/tp/news/Kohlevertrag-Groko-verhoehnt-die-Jugend-5024350.html.^

  13. Vgl. das Interview mit Change for Future: https://www.heise.de/tp/features/Ein-Wirtschaftssystem-das-auf-Wachstum-und-Profit-ausgelegt-ist-kann-nicht-nachhaltig-sein-4401440.html.^

  14. Vgl. https://www.rnd.de/politik/klimaaktivistinnen-greta-thunberg-und-luisa-neubauer-an-eu-die-uhr-tickt-5HPDTQ4QWLEM2CXMAHFPNMXW2E.html. ^

  15. Vgl. https://taz.de/Aktivisten-treten-zur-Wahl-an/!5704234/. Vgl. auch: https://www.klimaliste.de/.^

  16. Vgl. auch die Diskussion zwischen Vertretern von Fridays-for-Future, Gerhard Stapelfeldt und Dorothea Schoppek, youtube.com vom 28.9.2020, https://www.youtube.com/watch?v=N5ytkTQQtvA. ^

  17. Vgl. https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/monster-unter-artenschutz ^

  18. Die mit Fridays for Future allerdings nichts zu tun hat.^




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