Zuerst erschienen in: konkret Nr. 3/1990, S. 18f.
Sozialismus als AuslaufmodellRobert KurzWar der reale Sozialismus in Wirklichkeit »eine veritable bürgerliche Notstandsökonomie«, deren gnadenloser Sachzwang auch durch eine »demokratische Partizipation« der Werktätigen nicht gebrochen werden konnte? Auf Kurt Hübners Analyse der DDR-Ökonomie und seine Vorschläge zur Besserung ihrer Lage (KONKRET 1/90) antwortet Robert Kurz mit einer Kritik jener »fundamentalen Lebenslüge« linker Theoretiker, »daß ein wie immer geplanter Markt' eine sozialistische Reproduktion konstituieren könne«. 1.Was war das für ein Sozialismus, der vor unseren Augen im Zeitraffer von »Geschichte live« zu Staub zerfallen ist? So schmerzlich die Erkenntnis auch sein mag: Der Zusammenbruch dieser Gesellschaftsformation verweist auf eine Lebenslüge nicht allein der Herren Honecker, Mittag, Ceausescu, Li Peng u. Co., sondern nahezu der gesamten marxistischen Linken. Diese Lebenslüge bezieht sich weniger auf den stalinistischen Überbau, dessen Strukturen als »undemokratisch« zu verabscheuen leicht und heute geradezu billig ist, als vielmehr auf die Formbestimmungen der gesellschaftlichen Basis, deren Bankrott von der westlichen Presse genüßlich als derjenige einer »Marx-Wirtschaft« apostrophiert wird. Ausgeblendet bleibt dabei, daß die »Sowjetökonomie« niemals eine praktische Konsequenz der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie sein konnte, sondern ihr realhistorisches Vorbild in Wirklichkeit die Kriegswirtschaft des deutschen Kaiserreichs war: eine veritable bürgerliche Notstandsökonomie. Der Notstandspragmatiker Lenin, dessen Partei in einer verzweifelten Zwangslage einer weitgehend kapitalistisch noch unentwickelten Gesellschaft an die Macht gespült wurde, postulierte im ideologischen Salto mortale die Umbenennung der Basisformen einer bürgerlichen Kriegswirtschaft in »Sozialismus«, und zwar durch einen bloßen politischen Vorzeichenwechsel: Mit der proletarischen Partei an der Macht sollten ein- und dieselben ökonomischen Grundstrukturen plötzlich anderen, entgegengesetzten Zwecken zugeführt werden. Die vielfältigen Skrupel hinsichtlich dieses Konstrukts, die sich bei Lenin noch finden, wurden mit fortschreitender Entwicklung der Sowjetgesellschaft jedoch eliminiert, und zwar keineswegs bloß von Stalin und den Seinen. Dieser Ursprung der realsozialistischen Lebenslüge ist jedoch nicht nur der historischen Zwangssituation und Unterentwicklung Rußlands geschuldet, sondern spiegelt den verkürzten Sozialismus-Begriff der gesamten alten Arbeiterbewegung. Die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie sagt jedem, der lesen kann, daß »Sozialismus« erstens nur die Konsequenz einer Überentwicklung und Reproduktionskrise des Kapitals und zweitens seinem eigenen Inhalt nach nur die positive Aufhebung des Marktes, d. h. der »Ware-Geld-Beziehung« sein kann. Dafür aber gab es zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch nirgendwo auf der Welt ausreichende Voraussetzungen, auch im Westen nicht. Die marxistische Arbeiterbewegung reflektierte diese Situation unbewußt mit einem ideologischen Trick. Sie ließ nämlich die »politische Revolution« einerseits und die ökonomische Formbestimmung des Sozialismus im Marxschen Sinne andererseits um eine ganze Epoche, womöglich um Jahrhunderte auseinanderfallen. Dazwischen sollte eine nebelhaft definierte »Übergangsgesellschaft« existieren, in der »das Proletariat« die »Macht« ergriffen hat, gleichzeitig aber die bürgerlichen Basiskategorien »Wert«, Ware, Geld und Markt munter weiterbestehen, jedoch vom »proletarischen Staat« nunmehr in aller Treuherzigkeit »planmäßig ausgenutzt« und »zum Wohle des Volkes« angewendet. Kein Wunder, daß in diesem ideologischen Kontext die deutsche Kriegswirtschaft für prinzipiell instrumentalisierungsfähig im »sozialistischen« Sinne gehalten werden konnte. Im krassen Gegensatz zum Marxschen Paradigma einer Aufhebung des Marktes beinhaltet das realsozialistische Paradigma somit die logische Unmöglichkeit einer »Planung des Marktes«, was ungefähr dasselbe ist wie die Quadratur des Kreises, d. h. Planung in der Form der Nicht-Planbarkeit, Bewußtheit in der Form der Bewußtlosigkeit oder Sehen in der Form der Blindheit. Das elementare Dilemma dieser Position erzeugte nicht nur bei den sowjetischen Legitimationsideologen, sondern auch bei den westlichen Linken ein ideologisches Kraftfeld, in dem sich allmählich und klammheimlich das Verhältnis von Basis und Überbau auf den Kopf stellte: Unter dem Vorwand einer Kritik des »Ökonomismus« entstand ein »politizistischer« Marxismus, der nur noch auf politische Machbarkeit und Veränderung der Überbau-Strukturen setzte, während die bürgerlichen Basisformen des warenproduzierenden Systems gegen theoretische wie praktische Kritik abgeschottet und geradezu tabuisiert wurden. Die westlichen linken Kritiker der Sowjetunion beschränkten sich daher auf die Denunzierung der stalinistischen Ideologie- und Herrschaftsstrukturen, vor allem mittels des hilflos-soziologistischen Begriffs der »Bürokratie«, deren Herleitung aus der Problematik »nachholender Industrialisierung« sie eher entschuldigte, während die warenförmige gesellschaftliche Basis der Planwirtschaft unangetastet blieb. Ein trauriges Beispiel dafür ist die Analyse des realsozialistischen Bankrotts am Beispiel der DDR durch Kurt Hübner (KONKRET 1/90). Wenn Hübner zu dem Resümee gelangt, daß es ausgerechnet »die theoretisch unbegründete Verwechslung von Markt und Kapitalismus« sei, wodurch die »Transformationsdebatte« nicht in »perspektivisch integrierter Form« geführt werden könne, so ist diese Aussage nicht nur ihrerseits theoretisch unbegründet, sondern transportiert mit der größten Selbstverständlichkeit genau jene fundamentale Lebenslüge des Realsozialismus, daß ein wie immer »geplanter Markt« eine sozialistische Reproduktion konstituieren könne. Theoretisch könnte ein nicht-kapitalistischer Markt höchstens ein vor-kapitalistischer sein. Aber in diese bloß scheinbar idyllischen Formen der Warenproduktion kann es kein Zurück geben. Die Modernisierungsmaschine der bürgerlichen Revolution hat nicht nur die Produktivkräfte und die Bedürfnisse über die alte Agrargesellschaft und die darin eingeschlossene Nischen-Warenproduktion hinauskatapultiert (dies nannte Marx ihre positive Seite oder »zivilisatorische Mission«), sondern damit gleichzeitig das Geld irreversibel in einen fetischistischen Selbstzweck und auf diese Weise die gesamte gesellschaftliche Arbeit in »abstrakte Arbeit« verwandelt. Diese Verwandlung der Ware in eine gesamtgesellschaftliche Reproduktionsform hat bekanntlich eine Zweck-Mittel-Verkehrung in der ökonomischen Basis der Gesellschaft bewirkt. Der Zweck der Arbeit ist jetzt nicht mehr die Produktion von nützlichen Gebrauchsgütern, sondern die »Selbstdarstellung« abstrakter gesellschaftlicher Arbeitsmengen als Geld, oder anders gesagt: die Verwandlung lebendiger in tote Arbeit und deren Anhäufung. Dieser fetischistische, tautologische Bezug der abstrakten Arbeit auf sich selbst macht nur »Sinn« in rein quantitativer Hinsicht durch das Mehrwert-Prinzip: Daß produzierte Gebrauchsgüter einen »Wert« haben, also ein Quantum abstrakter gesellschaftlicher Arbeit »darstellen«, diese Tatsache wird erst dadurch zur gesamtgesellschaftlichen Reproduktionsform, daß der abstrakte output an »Wert« (toter Arbeit) in jeder Reproduktionsperiode größer ist als der vorherige input. Der gesamte gesellschaftliche Lebensprozeß zerfällt so in abstrakte betriebswirtschaftliche Vernutzungsprozesse von Mensch und Natur; die Individuen dieser Gesellschaft reduzieren sich mit zunehmender Totalität auf Vernutzungsmonaden abstrakter Arbeit. Sobald aber auf diese Weise die Warenform den gesamtgesellschaftlichen Reproduktionsprozeß übergreift, ist der Markt auch notwendigerweise nicht mehr einfach Vermittlungsinstanz von Gebrauchsgütern, sondern vielmehr gerade umgekehrt seinem Zweck nach »Realisierungssphäre« der abstrakten Arbeit: der gesellschaftliche Ort also, an dem die Verwandlung lebendiger in tote Arbeit, d. h. in Geld stattfindet, und zwar in »mehr Geld«, als die in Bewegung gesetzten »Produktionsfaktoren« vorher gekostet haben. Weder wurde diese Stufenfolge der kapitalistischen Basiskategorien durch die Kriegswirtschaft aufgehoben, noch ist dies überhaupt dadurch möglich, daß dem monströsen Fetisch des abstrakten Mehrwert-Prinzips irgendein anderes politisches Mäntelchen umgehängt wird. Jeder Eingriff in den Reproduktionsprozeß, der die »Ware-Geld«-Basis unangetastet läßt, muß sich schließlich an deren Eigengesetzlichkeit blamieren. So wenig sich der Markt als Realisierungssphäre der abstrakten Arbeit diktatorisch von einer byzantinischen Staatskamarilla kommandieren läßt, wie nicht bloß Deng Xiaoping zu seinem Entsetzen erfahren mußte, ebensowenig läßt er sich umgekehrt durch eine »Demokratisierung« wohlmeinenden Zwecken zuführen: weil er nämlich seinem Wesen nach eine blinde, destruktive Vergesellschaftungs-Maschine ist. Indem Hübner ganz wie die Legitimationsideologen des zerfallenden »geplanten Marktes« keinerlei grundsätzliche Identität von Markt und Kapitalfetisch1 zu erkennen vermag, muß er mit den üblichen langweiligen Beschwörungsformeln des Demokratismus die alte Lebenslüge weiterzelebrieren und dabei stehenbleiben, die »Herrschaftsausübung einer Staatspartei« zu beklagen, die »ökonomische Entwicklungsziele ohne demokratische Legitimation oder gar Partizipation der Werktätigen festlegte«. Es bleibt sein Geheimnis, welchen Sinn eine »demokratische Partizipation« der Werktätigen an jenen gnadenlosen Sachzwängen betriebswirtschaftlicher Vernutzungslogik haben soll, die objektiv ihre eigene Ausbeutung und Verarmung bedeuten, deren Abschaffung aber als Option nicht einmal angedeutet wird. Reichen denn die katastrophalen Erfahrungen der einst hochgelobten jugoslawischen Arbeiterselbstverwaltung immer noch nicht aus? 2.Daß sich der Realsozialismus von der westlichen Form des Kapitalfetischs immer nur so weit unterschieden hat, wie dies auch schon für die Kriegswirtschaften auf dem Boden desselben Mehrwert-Prinzips galt, läßt sich leicht belegen. Diese Tatsache wurde sogar, im Unterschied zu ihrer stummen Selbstverständlichkeit im Westen, lauthals von den Titelseiten der Zentralorgane hinausposaunt, wo verquält die Planerfüllung als abstraktes Mehr an »dargestellter« toter Arbeit jenseits menschlicher Bedürfnisse gefeiert wurde: »Im Wettbewerb zum 40. Jahrestag der DDR [...] haben die Werktätigen des VEB Edelstahlwerk [...] den Plan bis Ende August erfüllt und überboten [...] Im Gesamtbetrieb wurde das Ziel, die geplante Nettoproduktion mit 800.000 Mark zu überbieten, noch um rund eine halbe Million Mark übertroffen« (Neues Deutschland v. 19.9.89). Wenn hier nicht von abstrakter Arbeit und dem Formwandlungsprozeß des Mehrwerts die Rede ist, wovon dann? Und insofern dieses fetischistische Prinzip, das notwendig jedem gesamtgesellschaftlichen Markt zugrunde liegt, inzwischen nicht mehr als Gegenstand eines absurden Presse-Räsonnements erscheint, sondern wie im Westen in den »stummen Zwang der Verhältnisse« (Marx) zurücktritt, so unterwirft es sich die Menschen umso mehr. Die gegenwärtige Debatte der Reformer ist nicht von ungefähr durch krasse Widersprüchlichkeit, Unsicherheiten und »luftige« Wortgebilde geprägt; aber keineswegs, wie Hübner behauptet, durch eine (letztlich völlig adäquate) Gleichsetzung von Markt und Kapitalismus, sondern umgekehrt gerade durch die Vernebelung dieser Basis-Identität. Während Pfarrer Schorlemer vom »Demokratischen Aufbruch« sich mit moralisierender Bedenklichkeit »gegen die Herrschaft des Geldes« äußert, fordert der Ostberliner Wirtschaftsprofessor Morgenstern, die »DDR-Wirtschaft soll das Geld entdecken«. Diese irrlichternde Hilflosigkeit hat freilich einen ganz realen Hintergrund. Natürlich muß der »geplante Markt« das Geld nicht erst »entdecken«, es ist in seiner abstrakten Inhaltslosigkeit immer dagewesen. Aber trotzdem hat dem Realsozialismus stets ein entscheidendes Stimulans des Kapitalismus gefehlt, worauf er geradezu seine distinkte Identität gründete. In beiden Systemen muß die abstrakte Mehrwert-Produktion der betriebswirtschaftlichen Vernutzungsprozesse gleichermaßen durch den Markt hindurch, um sich in der Inkarnationsgestalt des Geldes realisieren zu können; geschieht dies jedoch im Westen auf Gedeih und Verderb konkurrierender Wirtschaftssubjekte, so besteht die Crux des Realsozialismus darin, daß der Markt hier bloß als formelle, äußerlich und mechanisch von staatlichen Kommandos bewegte Sphäre der Verwandlung lebendiger in tote Arbeit (Geld) erscheint, ohne daß die blinde Kontrollinstanz der Konkurrenz in Funktion tritt. Während diese die fetischistische Anhäufung von Mengen toter Arbeit bei Strafe des Bankrotts nur auf dem jeweiligen »Gültigkeits-Niveau« der Weltmarktproduktivität und des optimalen technischen Gebrauchswerts zuläßt (und sei dieser seinem Inhalt nach ein destruktiver in Form von Atomkraftwerken, PS-starken Autos für den Individualverkehr oder Tranquilizern), werden die als »Wert« produzierten Quanten abstrakter Arbeit durch den staatlich kommandierten Markt in jedem Fall als Geld eingelöst – unabhängig von Gebrauchswert und Produktivität. Daß es dabei keine betriebswirtschaftlichen Verlierer geben kann, führt zu grotesken Erscheinungen, die seit langem bekannt sind: »Wird der Produktionsausstoß nach fertigen Maschinen gemessen, kommt es zu einem Mangel an Ersatzteilen. Werden die Planziele bei der Organisierung des Transports pro Kilometer gemessen, so werden optimale Transportmöglichkeiten vernachlässigt. Werden Kerzenständer nach Gewicht angegeben, so werden sie unnötig schwer. Wird Stoff nach Länge gemessen, wird er zu schmal« (Strotmann, 1969). Alle Versuche der Planbürokratie, diese bewußte Schrott- und Vergeudungsproduktion durch ein ständig erweitertes »Kennziffern«-System von Qualitätsmerkmalen ex post zu unterbinden, bleiben ein hoffnungsloses Unterfangen. Denn insofern das in diesem System konstituierte betriebswirtschaftliche Interesse darauf hinausläuft, losgelöst von jedem stofflich-inhaltlichen Gebrauchswert möglichst viel Arbeit und Material formell zu verausgaben, könnten im Prinzip geradeso gut Abermillionen völlig sinnloser Würfel und Oktaeder produziert werden. Auf diese Weise führt sich das abstrakte Arbeits-Ethos der alten Arbeiterbewegung selber ad absurdum. Konkurrenz findet dann zwar durchaus wieder statt, aber erst als sekundäres Resultat der aus diesem »geplanten Markt« notwendig resultierenden Mangelwirtschaft, in der die Betriebe gezwungen sind, sich zwecks optimaler Planerfüllung im rein formellen Sinn wechselseitig schlicht auf der Gebrauchswert-Ebene zu betrügen. Mit Tränen in den Augen berichtete ein Betriebsleiter beim sonntäglichen Bürgerdialog in Leipzig: »Jahr für Jahr haben wir zig Tonnen der wertvollsten Rohstoffe auf den Schrotthaufen geschmissen. Unser Betrieb hat die Aufgabe, Elektromotoren für den Export zu montieren. Dazu bekommen wir Spulen und Gehäuse aus anderen Kombinaten geliefert. Aber um die Spulen ist Kupferdraht gewickelt, dessen Durchmesser nicht der Bestellung entspricht. Also müssen wir den ganzen Draht abspulen und wegwerfen. Dann warten wir wochenlang auf Draht aus einem dritten Kombinat, den wir neu aufwickeln, bevor wir den Motor endgültig montieren können«. Es ist nur natürlich, daß marktwirtschaftliche Effizienz und Produktivitätszwang den Reformern und Oppositionellen eines derart absurden Systems wie Zauberworte in den Ohren klingen. Denn etwas anderes als die betriebswirtschaftliche Vernutzungslogik des Marktsystems kennen sie ja auch nicht; und da alle Reformansätze seit dem 2. Weltkrieg immer nur als ewige Litanei einer dann doch wieder gescheiterten »Entfaltung der Ware-Geld-Beziehungen« in Erscheinung traten, scheint die einzige Alternative schließlich in der Freisetzung der Konkurrenz nach westlichem Muster zu bestehen: also nach 70 bzw. 40 Jahren Stechschritt-Ökonomie der Übergang von kriegswirtschaftlichen Formen des Mehrwert-Prinzips zum stinknormalen Kapitalismus. Insofern ist das »wenn schon, denn schon« der marktwirtschaftlichen Reformer immer noch realitätsbewußter als die theoretischen Illusionen eines westlichen Sozialisten wie Hübner der sich an der »Versöhnlichkeit« von Markt und Sozialismus festkrallt. Daß Produktivitätssteigerung und persönliche Initiative, Sicherung des Gebrauchswerts und Bedürfnisbefriedigung auf hohem Niveau auch diametral entgegengesetzt durch endgültige Abschaffung des betriebswirtschaftlichen Vernutzungs-Fetischs und jener vielbeschworenen »Ware-Geld-Beziehungen« zu erreichen wären, dies kommt in der gesamten Debatte niemandem auch nur im Traum in den Sinn. 3.Daß weder die realsozialistische noch die westliche Ökonomie eine primäre Gebrauchswert-Orientierung kennt, ist bekanntlich auch beiderseits der Elbe an den ökologischen Zerstörungsprozessen abzulesen. Gleichgültig, ob »frei« oder »geplant«: Der gesellschaftliche Roboter des Mehrwerts kann nicht zwischen Schokoladentörtchen und Atombomben unterscheiden; die gesellschaftlichen Ressourcen werden mit blinder Gewalt in diejenigen Bahnen stofflicher Umwandlung gelenkt, die dem abstrakten Selbstzweck der geldförmigen Darstellung jeweils am günstigsten erscheinen – dem Prinzip nach völlig ohne Rücksicht auf die Inhalte und Folgen dieser entsinnlichten Vernutzung von Mensch und Natur. Die überwältigende Vernichtungskraft dieses flächendeckend gewordenen warenproduzierenden Systems konstituiert heute in globalen Dimensionen die wunderbare Alternative von Vergiftung oder Verarmung. Noch in den 70er Jahren entschieden sich die fordistischen Gewerkschaften (die Betriebsräte der Atomindustrie bis heute) ganz plump für die Vergiftung und gegen die Verarmung, d. h. sie machten im Namen des betriebswirtschaftlichen Vernutzungsfetischs gegen die Umweltschützer mobil. Inzwischen hat sich allerdings dieser Gegensatz bei vorläufigen Weltmarktgewinnern wie der BRD eklektisch abgeschliffen; Gewerkschaften und Parteien geben sich zumindest verbal ökologisch geläutert, die Grünen umgekehrt sind zum ganz gewöhnlichen Bestandteil des bürgerlichen Fetisch-Systems mutiert. Der allgemeine rechtslinks-bürgerlichproletarische Gesamttenor lautet nun: Gebt der Betriebswirtschaft, was der Betriebswirtschaft ist, und der Ökologie, was das Ihre ist. In der berüchtigten Praxis läuft dies zunächst auf eine mittlere Verlaufsform zwischen gemäßigter Vergiftung der Gesamt- und begrenzter Verarmung einer Teilbevölkerung hinaus, wobei die demokratische Mitverwaltung dieses moderaten Zerstörungsprozesses gefordert und das ganze auf den schönen Namen »Realismus« getauft wird. Hübners DDR- und Sozialismus-Analyse wirft sich in dieser Frage ganz in die Pose jener satten und gesettleten Exportweltmeister-Linken, die sich das Luxusprogramm eines »ökologischen Kapitalismus« glaubt leisten zu können. Auf der einen Seite folgt er dabei dem »produktivkraftkritischen« Paradigma, wie es aus dem bürgerlichen Kulturpessimismus in die Linke eingesickert ist; die Logik dieser Kritik zielt ganz unvermittelt auf die naturwissenschaftlichen Grundlagen und die technologische Gebrauchswert-Produktivität der Industriegesellschaften statt auf die fetischistische Basis-Form der »Ware-Geld-Beziehung«. So wirft Hübner dem »Zielsystem« der DDR-Planwirtschaft »Quantitativismus« vor, der z. B. in der Hauptaufgabe des Siebenjahresplans von 1959 zum Ausdruck komme, »durch Erhöhung der Arbeitsproduktivität« die BRD »einzuholen und zu überholen«. Diesen »produktivistischen Reduktionismus« moniert er auch in den gegenwärtigen »Transformationsdebatten« der DDR-Reformer, die sich seiner Meinung nach »nahezu durchgängig durch einen in linken Kreisen des Westens nicht mehr bekannten Grad an Produktivkraftgläubigkeit auszeichnen«. Die in »linken Kreisen des Westens« mittlerweile griffigen Wortmonstren wie »Quantitativismus« und »Produktivismus« markieren jedoch lediglich einen hohen Grad an Problemvernebelung. Zwar benennen sie tatsächliche Erscheinungen des abstrakten betriebswirtschaftlichen Vernutzungsfetischs, ohne diesen jedoch beim Namen zu nennen und logisch zu durchdringen. Die Begriffe bleiben also im Zwielicht zwischen Kritik der politischen Ökonomie und (reaktionärer) Produktivkraftkritik. Jeder kann sich dazu das denken, was ihm gefällt und seinem Vorstellungsvermögen entspricht. Da kein Unterschied im Produktivitätsbegriff gemacht wird zwischen den Gebrauchswertpotenzen konkreter und der Vernutzungslogik abstrakter Arbeit, impliziert eine nebelhafte Kritik am »Quantitativismus« die Zumutung des Konsumverzichts: im Westen bei noch nicht verarmten sozialen Schichten vielleicht eine ideologische Option, für die konsumhungrigen Massen des Ostens aber eine unerträgliche Frechheit. Auf der anderen Seite jedoch findet der »Volkswirtschafts«-Sozialist Hübner nichts dabei, das gerade Gegenteil seiner Produktivkraftkritik zu postulieren. So beklagt er fast im selben Atemzug mit der »Produktivkraftgläubigkeit« »das mangelhafte Produktivitätsniveau der DDR-Ökonomie mit Blick auf die Weltmarktposition« und wirft dem »zentralen Leitungsmechanismus« vor, daß er die Betriebe nicht auf »Kostendeckung und Produktivitätssteigerung« ausrichten könne. Ja was denn nun, Genosse Hübner? Gehts nicht noch ein bißchen widersprüchlicher? Die schreienden Gegensätze dieser Argumentation spiegeln den Eklektizismus jener »linken Kreise des Westens«, die glauben, sich durch die Realwidersprüche der bürgerlichen Modernisierungsmaschine durchmogeln zu können. Die Linke des Ostens kann sich einen solchen Luxus freilich nicht leisten. Ebenso wie in den Staaten der 3. Welt stellt sich für die Länder des untergehenden Realsozialismus die Alternative von Vergiftung und Verarmung in ihrer vollen, gnadenlosen Schärfe, und vielleicht bekommen sie beides zusammen. Solange die abstrakte Vernutzungslogik weltweit ungebrochen bleibt, können die DDR oder Polen aus der Position des Weltmarktverlierers auf die natürlichen Lebensgrundlagen ebensowenig Rücksicht nehmen wie Brasilien oder die Philippinen. Der Giftmüllimport zwecks Devisenbeschaffung, die relative Umverteilung der Zerstörungspotenzen, gibt den »linken Kreisen des Westens« gerade den ideologischen Spielraum für produktivkraftkritische Wortblasen; und deshalb werden die Massen des Ostens völlig zu Recht diesem Zynismus der westlichen Reformisten kein Gehör schenken. 4.Das argumentative Dilemma des viertelmarxistischen Volkswirtschaftlers hinsichtlich der Ökologie reproduziert sich in der sozialen Frage. Wie der Wendehals unter dem Druck der Verhältnisse sein Köpfchen sozusagen um 360 Grad drehen muß, so kommt auch die Hübnersche Argumentation im Kontext der Sozialstaats-Problematik plötzlich lebensgefährlich verdreht daher. Denn was macht »das Kapital« in einer Reproduktionskrise? Bekanntlich Austerity-Politik gegen die Masseneinkommen. Selbst beim glorreichen Weltmarktgewinner BRD wird dies von den »linken Kreisen« immer noch gelegentlich als »Abbau des Sozialstaats«, »Zweidrittelgesellschaft« etc. angeprangert. Ganz anders aber scheint es auszusehen, wenn das Subjekt dieser Politik nicht mehr so griffig mit altbewährter marxistischer Phraseologie definiert werden kann, obwohl die »Zwangsgesetze« (Marx) derselben gesellschaftlichen Basislogik dahinterstehen. Für seine DDR-Analyse schlüpft Hübner wie selbstverständlich in das Gewand des Sachzwang-Ideologen, wenn er feststellt, »daß der ökonomische Prozeß nicht genügend Ressourcen freisetzt, um die von der Honecker-Regierung Anfang der 70er Jahre initiierte Politik einer sozialpolitischen Befriedigung ohne störende Rückwirkungen auf das Reproduktionssystem finanzieren zu können«. Besser hätten es Lambsdorff oder Blüm auch nicht formulieren können. Weil er ebensowenig wie jeder bürgerliche Ökonom eine kritische Differenzierung von konkreter Gebrauchswertpotenz und abstrakter betriebswirtschaftlicher Vernutzungslogik kennt, verwechselt Hübner die materiellen Ressourcen mit deren fetischistischer gesellschaftlicher Form. Auf der materiellen Basis der heutigen Produktivkräfte, selbst in der DDR oder in Lateinamerika, müßte selbstverständlich kein einziger Mensch hungern, frieren, schlecht wohnen oder überhaupt »arm« sein. Das sogenannte Finanzierungsproblem rührt allein daraus, daß jenseits von Bedürfnissen und vorhandenen Ressourcen konkrete Produktionsprozesse nur unter dem Aspekt gelingender abstrakter Verwertung von Geld in Gang gesetzt werden – keinesfalls aber (wie z. B. im Mittelalter) aus dem Mangel an materiellen Ressourcen selbst. Im westlichen Kapitalismus kann man dies daran erkennen, daß in der konjunkturellen Flaute massenhaft intakte Produktionsanlagen für Gebrauchsgüter stillgelegt werden oder in der EG allein in den letzten 5 Jahren zur Preisstützung 8 Milliarden Kilo Obst und Gemüse auf den Müll gekippt wurden. Gelingt es also nicht, die kapitalfetischistische Reproduktion adäquat zu vollziehen, dann wird den Massen bzw. ihren nicht mehr »vernutzungsfähigen« Teilen mit dem größten und ehrlichen Bedauern mitgeteilt, daß sie jetzt leider auf Wasser und Brot gesetzt werden müssen; oder der Staat subventioniert eben durch Kredite bzw. die Notenpresse eine »Sozialpolitik«. In der Tat hat nicht erst die Honecker-Administration zu diesem Mittel gegriffen. Solche künstlich durch Staatskredit finanzierten Sozial-Subventionen existieren auch sonst überall in der 3. Welt und sogar in OECD-Ländern. Peinlicherweise ähnelt das System sozialpolitischer Subventionen in der DDR zum Verwechseln solchen Systemen, wie sie etwa der argentinische Diktator Peron oder der Fascho-Häuptling Franco (inclusive Arbeitsplatzgarantie übrigens) hervorbrachten. Statt nun aber die Subventionierung durch die Notenpresse, mit deren Hilfe das Verwertungsprinzip des Mehrwerts letztlich nicht überlistet werden kann, vom Gebrauchswert-Standpunkt der wirklichen menschlichen und stofflichen Ressourcen zu kritisieren, will der virtuelle Notstands-Sozialist Hübner allen Ernstes das Leben der Menschen in der DDR, insbesondere der »sozial Schwachen« (ein an sich schon perverser Ausdruck), der »Finanzierungsfähigkeit« unterwerfen, d. h. letztlich vom Weltmarkterfolg abhängig machen. Hier ist er Volkswirtschaftler, hier darf er's sein. Der Genosse Hübner redet denn auch durchaus thatcheristischen Klartext. Eine »sozialpolitische Überforderung der sozialistischen (!) Ökonomie« habe in der DDR stattgefunden, der Fehler einer »Entkoppelung von Leistung (!) und Einkommen« etc. sei gemacht worden; »unausweichlich« sei also »eine Redimensionierung des Systems der Sozialpolitik«. Das ist die Sprache der über Leichen gehenden Marktwirtschaft, die eben sehr wohl identisch mit Kapitalismus ist. In der »jungen Demokratie« Polen, die unter der Regie des IWF »Marktwirtschaft als Schocktherapie« eingeführt hat, kostet das Kilo Brot, auf bundesdeutsche Verhältnisse übertragen, gegenwärtig mehr als 10 Mark. Berichtet wird über eine Karikatur in der Tageszeitung der »Solidarität«, deren syndikalistischer Flügel Front gegen das Katholiken-Regime der Mazowiecki-Walesa-Clique zu machen beginnt: »Ein alter Mann mit einem Einkaufswagen greift im Supermarkt in einen Korb mit Brötchen und zieht einen Totenkopf heraus [...] selbst Brot ist so teuer, daß es für Rentner schon fast eine Luxusware ist« (Süddeutsche Zeitung v. 8.1.90). All dies erinnert bereits stark an die 3. Welt, wo z. B. in Argentinien nach Presseberichten das jüngste »Sanierungsprogramm« des Menem-Regimes selbst in Militär-Kreisen als »Genozid an der Bevölkerung« bezeichnet wurde. Es gehört schon eine gehörige Portion Frechheit dazu, sich in der Pose des expertokratischen Volkswirtschaftlers vor die Arbeitslosen, Rentner und Kinder hinzustellen, um ihnen etwas über ungenügend erbrachte »Leistung« zu erzählen und ihnen Armut, Hunger und Hoffnungslosigkeit im Namen der Selbstbewegung des Geldes zu verordnen. Gleichzeitig wird auf diese Weise deutlich, was von den sozialpolitischen Debatten derselben reformistischen Linken im Westen, in denen ja umgekehrt gerade eine »Entkoppelung von Leistung und Einkommen« (garantiertes Mindesteinkommen) diskutiert wird, im Ernstfall zu halten sein wird. Wenn solche »Garantien« überhaupt nur für den Fall des Weltmarkterfolgs des jeweils »eigenen« Kapitalfetischs gelten, ansonsten aber jederzeit annulliert werden können, dann erweist sich der soziale Kapitalismus als ebensolche Chimäre wie der ökologische, oder dieser Luxus muß wiederum zu Lasten der Weltmarktverlierer gehen. 5.Ungeachtet der argumentativen Blamage hinsichtlich »Produktivismus« und »Sozialpolitik« geriert Hübner sich andererseits gegenüber der DDR als sozialistische Mahnwache, wenn er einen »beutepolitischen Konsens« des BRD-Kapitals und seiner Parteien feststellt. Hier ist er plötzlich wieder Sozialist, hier darf er's sein. Ungeahnte kapitalistische Wachstumspotentiale drohen angeblich heraufzudämmern: »Eine Durchkapitalisierung der heutigen DDR Ökonomie würde dem bundesdeutschen Kapital ein Akkumulations- und Wachstumsfeld eröffnen, das berechtigte Hoffnungen auf ein zweites Wirtschaftswunder macht«. Das sind Worte wie aus dem Mund des keynesianistischen Wirtschaftsprofessors Hankel, der das vermeintliche Neo-Wunder im Handelsblatt allerdings der DDR versprochen hat. Die Realität freilich sieht anders aus. Allein die infrastrukturelle Modernisierung der DDR-Ökonomie würde nach Angaben der Wirtschaftswoche mindestens 1,3 Billionen DM kosten. Hübner spricht dabei von einem »verschleiernd als Kosten firmierenden Betrag«. Wie bitte? Natürlich wäre es z. B. für Siemens Umsatz und Gewinn, wenn der entsprechende Unternehmensbereich mit der Erweiterung des DDR-Telefonnetzes, mit dem Aufbau von Telefax-Verbindungen etc. beauftragt würde. In der Tat ein fetter Brocken. Trotzdem muß ja wohl irgendjemand diese Kleinigkeit bezahlen, und zwar in harten Devisen, weil Siemens nämlich nicht gerade als Wohlfahrtsbehörde für notleidende Volkswirtschaften bekanntgeworden ist. Es wäre wirklich eigenartig, wenn ein Fachökonom wie Hübner den kleinen Unterschied von Einzel- und Gesamtkapital vergessen haben sollte, die Tatsache also, daß jeder Umsatz und Gewinn an anderer Stelle in der Form höchst realer Kosten erscheinen muß. Diese Seite der Angelegenheit zu benennen, ist alles andere als »verschleiernd«. In der famosen Marktwirtschaft ist nämlich Zahlungsfähigkeit gefragt und nichts sonst. Wie zahlungsfähig also ist die DDR? Oder andersherum: Wenn die DDR der BRD einverleibt wird, wer bezahlt dann diese gewaltigen Kosten? Die DDR selber ist jetzt schon nicht mehr in der Lage, die Devisen auch nur für die notwendigsten Importe durch Außenhandel zu erwirtschaften, sie ist auf den wichtigsten Exportmärkten niederkonkurriert worden von Newcomern wie Taiwan, Südkorea und Singapur. Die Außenverschuldung in Dollar beträgt mindestens 20 Milliarden mit steigender Tendenz; die DDR würde also ähnlich wie Polen und Ungarn in das »Sanierungsprogramm« bereits mit einer beginnenden Schuldenkrise stürzen. Es ist derselbe Teufelskreis, der schon große Teile der 3. Welt in den Abgrund getrieben hat: Mega-Investitionen in die Modernisierung wären nötig, um auf dem Weltmarkt bestehen zu können; aber um diese Investitionen bezahlen zu können, wäre dieser Weltmarkterfolg bereits Voraussetzung. Erstens existiert kein Eigenkapital für die nötigen Investitionen, zweitens sind die Weltmärkte eng und besetzt, drittens müßten selbst bescheidene Exporterfolge zur Schuldenbedienung herangezogen werden. Binnenökonomisch aber geht gar nichts, im Gegenteil: Die »Sanierungsversuche« werden als erstes zur Depravierung der Massenkaufkraft und zu Arbeitslosigkeit führen. Der von Hübner ebenfalls favorisierte Massenkonsum als Wachstumsspritze (soeben war er noch dabei die Masseneinkommen zu redimensionieren) könnte sich nur als Sekundärphänomen eines Weltmarkterfolgs einstellen, als Ausgangsbasis aber ist er illusorisch und beruht auf einer Verwechslung von Konsumbedürfnis und zahlungsfähiger Nachfrage. Der Weltmarkt von 1990 ist eben nicht mehr derjenige von 1960. Oder sollte sich die fordistische Überakkumulation des Kapitals, über die von den akademischen Linkssozialisten in den vergangenen Jahren so fleißig geschrieben wurde, plötzlich aus Rücksicht auf die DDR oder das inkonsequente Denken dieser »linken Kreise« verständnisvoll in Luft aufgelöst haben? Letztenendes müßte die gesamte DDR-Modernisierung ebenso wie der Massenkonsum ihrer Bürger bei höchst unsicheren zukünftigen Verwertungspotenzen zunächst in gigantischem Ausmaß vom Westen gesponsert werden. Die Billionen des Privatkapitals aber richten sich erstens nach knallharten Renditeerwartungen kurzfristigster Art, und die sind immer noch eher von Portfolio-Investitionen auf den internationalen Finanzmärkten zu erwarten als von der Modernisierung Osteuropas. Zweitens aber haben die Massen des westlichen Kreditgeldes schon eine andere, äußerst prekäre Sponsor-Aufgabe zu erfüllen: Sie finanzieren nämlich die historisch beispiellosen Handels-Ungleichgewichte der OECD-Länder, insbesondere die gewaltigen Außendefizite der USA und Großbritanniens. Diese immanente Krisenpotenz des Westens selber, die auf jene »fordistische« Überakkumulation des Kapitals zurückzuführen ist, hat das internationale Zinsniveau gewaltsam und geldpolitisch irreversibel nach oben gedrückt und ist dadurch indirekt mitverantwortlich für die bereits manifeste Reproduktionskrise der 3. Welt und des Realsozialismus, die als schwächste Bestandteile des warenproduzierenden Weltsystems zuerst in die Bredouille geraten müssen. Eine Umlenkung jener 100 Milliarden DM Geldkapital, die von der BRD gegenwärtig jährlich ins westliche Ausland transferiert werden, auf die DDR hätte ein Wanken und vielleicht den Einsturz des längst wackligen internationalen Kreditüberbaus zur Folge und damit ein Ende der BRD-Exportweltmeisterei. Einschlägige Milchmädchenrechnungen, wie sie etwa der Altkeynesianer Schiller zum besten gibt, sollten also nicht unbedingt von Sozialisten abgepaust werden. Was wird bleiben unterm Strich? Gewiß, die Ausnutzung der Billiglohn-Option durch das westliche Kapital, jedoch sektoral beschränkt auf einige Zuliefer-Industrien. Sicherlich eine ganze Reihe von Joint-Ventures und vielleicht eigenständigen Hightech-Fabriken, jedoch begrenzt auf insulare hochwertige Weltmarktproduktion. Das gibt es auch in Mexiko (z. B. VW). Auf einigen Gebieten ist die DDR heute noch konkurrenzfähig, so bei Zement und Druckmaschinen. Aber ähnliches gilt auch für Brasilien. Mit anderen Worten: Ein neues Wirtschaftswunder kann es durch den Zusammenbruch der DDR nicht geben (ohnehin eine merkwürdige Gedankenverbindung). Osteuropa wird in den nächsten Monaten und Jahren mit allen Konsequenzen für die Mehrheit der Bevölkerung in die 3. Welt entlassen. Wenn die ideologischen Staubwolken der Demokratisierungs-Euphorie und der als Wundermittel gepriesenen Marktwirtschaft sich gelegt haben, wird ein Panorama der Verelendung und Barbarisierung sichtbar werden. Damit aber die (äußerst begrenzten) Vorteile dieser Entwicklung für das westliche Kapital überhaupt wirksam werden, gibt es eine völlig logische Grundbedingung: Die »sozialen Kosten« einer bloß sektoralen Einverleibung in den kapitalistischen Reproduktionsprozeß bei gleichzeitiger Verarmung der Mehrheit müssen den Staaten dieser Weltmarkt-Zonen verbrannter Erde selber überlassen bleiben. Deshalb wäre im Spezialfall Deutschland die Wiedervereinigung kein Siegeszug des »4. Reiches« der kalten Krieger, sondern viel eher ein außer Kontrolle geratender Katastrophenprozeß .
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