Startseite
Aktuelles
zurück
Druckversion
Glossar
Deep Link

Tomasz Konicz: Ozeanien vs. Eurasien. Angesichts bröckelnder Wirtschaftsmacht geht Washington in der Auseinandersetzung mit China zu einer Strategie bloßer militärischer Dominanz über


Zuerst erschienen in: Analyse & Kritik Nr. 693 vom 16.05.2023.

Ozeanien vs. Eurasien

Angesichts bröckelnder Wirtschaftsmacht geht Washington in der Auseinandersetzung mit China zu einer Strategie bloßer militärischer Dominanz über

Tomasz Konicz

Es ist gut möglich, dass rückblickend der Krieg um die Ukraine als erster Akt eines globalen Großkrieges, als bloßes Vorspiel für die in Taiwan drohende militärische Auseinandersetzung zwischen den USA und China angesehen werden wird. Die Spannungen in der Straße von Taiwan scheinen zu einem prekären Dauerzustand zu werden, während der Blutzoll des russischen Angriffskrieges inzwischen in die Hunderttausende geht.

Beide Konflikte können tatsächlich auch als Momente eines globalen Hegemoniekampfes begriffen werden, der zwischen den fragilen Bündnissystemen der absteigenden USA und dem aufstrebenden China geführt wird. Auf der geopolitischen Ebene ließe sich von einem Kampf des von China angeführten Eurasien gegen das Ozeanien der Vereinigten Staaten sprechen. Washington verfolgt eine Eindämmungsstrategie gegenüber der chinesisch-russischen Allianz, bei der über den Pazifik und Atlantik hinausgreifende Bündnissysteme eine zentrale Rolle spielen. Und Taiwan ist im pazifischen Raum ein essenzieller Baustein dieser Containment-Strategie, bei der Washington bemüht ist, auch Südkorea, Japan, die Philippinen, Vietnam und Australien einzubinden.

Mit dieser Eindämmungsstrategie werden mehrere Ziele verfolgt: Zum einen soll die ungehinderte Formierung der rasch wachsenden chinesischen Militärmacht verhindert werden. Die globale Interventionsfähigkeit bildete die militärische Grundlage der Hegemonie der USA in den Dekaden seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Peking forciert derzeit ein gigantisches, rasch voranschreitendes Flottenrüstungsprogramm, um die US-Marine zu überflügeln. Bis 2024 soll die Zahl chinesischer Kampfschiffe von 340 auf rund 400 ansteigen, während die US-Navy nur über knapp 300 Schiffe verfügt. Die Effektivität dieser chinesischen Marinemacht würde aber von US-Stützpunkten unterminiert, die Washington am liebsten in allen Nachbarstaaten Chinas errichten würde, die den Machtzuwachs Pekings mit Unbehagen beobachten.

Andererseits geht es bei diesem Containment auch darum, angesichts der sich zuspitzenden sozioökologischen Krise die ungehinderte Extraktion von Rohstoffen und Energieträgern in der Peripherie des Weltsystems durch Peking zu verunmöglichen. Die militärische Absicherung der Schifffahrtswege ist für China unmöglich, solange Washington Bündnispartner vor der chinesischen Küste hat.

Eskalationsdynamik im Spätkapitalismus

Wo verlaufen die Grenzen Ozeaniens und Eurasiens? Diese geopolitische Frage, die in der Ukraine militärisch ausgefochten wird, stellt sich auch in Taiwan, das Peking als Teil Chinas betrachtet. Der Taiwan-Konflikt ist folglich innerhalb Chinas besonders stark national und ideologisch aufgeladen, während eine überwältigende Mehrheit der Bewohner*innen Taiwans für die Beibehaltung des Status quo oder gar die Unabhängigkeit plädiert. Der Hegemoniekampf zwischen den USA und China ist aber auch ein Kampf um die technologische Dominanz. Washington bemüht sich mit immer weitergehenden Sanktionen, den verbliebenen technologischen Vorsprung gegenüber der Volksrepublik aufrechtzuerhalten. Und Taiwan ist ein wichtiger Standort für IT und Hightech-Produktion. Die wichtigsten Fabrikationsstätten für Computerprozessoren und Chips befinden sich auf der Pazifikinsel. Washington will den Zugriff Pekings auf diese Fertigkeiten verhindern.

Die sich im Pazifik entfaltende Eskalationsdynamik bleibt aber unverständlich, wenn die zunehmenden sozialen, ökonomischen und ökologischen Krisentendenzen im spätkapitalistischen Weltsystem ausgeblendet bleiben. Es sind die systemischen Krisenprozesse, die sich immer deutlicher abzeichnenden inneren und äußeren Schranken des Kapitals, die die Staaten in die Konfrontation treiben. Auch der Angriff Russlands auf die Ukraine, der einem Akt nackten Wahnsinns gleicht, bleibt unverständlich, wenn die Aufstände in Belarus und Kasachstan kurz zuvor unberücksichtigt bleiben.

Auf globaler Ebene befinden sich die USA in einer ähnlich schwierigen Lage wie Russland in seinem abgetakelten und sozial zerrütteten postsowjetischen Hinterhof. Das jüngste »Bankenbeben« in den Vereinigten Staaten, das durch den Wertverfall von eigentlich als sicher geltenden US-Staatsanleihen ausgelöst wurde, ist Ausdruck der systemischen Sackgasse, in der die um den Dollar als Weltleitwährung zentrierte neoliberale Globalisierung steckt: Dem an seiner Produktivität erstickenden Weltsystem fehlt ein neuer industrieller Leitsektor, in dem massenhaft Lohnarbeit verwertet werden könnte, es läuft auf Pump. Die globale Verschuldung steigt schneller an als die Weltwirtschaftsleistung.

Dieser globale Verschuldungsprozess vollzog sich vermittels immer größerer Spekulationsblasen in der Finanzsphäre, wobei die Globalisierung zur Ausbildung von Defizitkreisläufen führte. Wirtschaftsstandorte mit Exportüberschüssen führten ihre Waren in Defizitländer aus, die immer größere Schuldenberge anhäuften. Die USA und China waren in diesem Prozess eng miteinander verstrickt. Im großen pazifischen Defizitkreislauf konnte China gigantische Exportüberschüsse gegenüber den USA erzielen, um diese sogleich in amerikanische Staatsanleihen zu investieren. Von China wurden über den Pazifik gigantische Warenmengen in die USA befördert, während in die Gegenrichtung US-»Finanzmarktwaren« (zumeist besagte Staatsanleihen) flossen, die China zu einem der größten Gläubiger der USA machten. (Ein ähnliches »Ungleichgewicht« zwischen dem deutschen Zentrum und der südlichen Peripherie prägte auch die Eurozone bis zum Ausbruch der Eurokrise.)

Mit dem Ende des Nachkriegsbooms, der Finanzialisierung und der Durchsetzung des Neoliberalismus wandelte sich somit die ökonomische Grundlage des westlichen Hegemonialsystems, das zuvor von der fordistischen Expansion getragen worden war: Die sich immer weiter verschuldenden USA wurden zum »Schwarzen Loch« des Weltsystems, das die Überschussproduktion exportorientierter Staaten wie China und der BRD aufnahm - um den Preis voranschreitender Deindustrialisierung und Verschuldung im eigenen Land. Ohne den US-Dollar wäre dies nicht möglich gewesen. Der Greenback als Weltleitwährung verschaffte Washington die Option, sich im Wertmaß aller Warendinge zu verschulden, um etwa seine Militärmaschinerie zu finanzieren. Wenn hingegen ein Erdogan die Geldpresse anwirft, dann wächst einfach die Inflation.

Bürgerliche Krisenpolitik in der Falle

Diese auf Pump laufende globale Finanzblasenökonomie wurde in den letzten Jahrzehnten immer krisenanfälliger. Die Krisenschübe fielen immer heftiger aus, die Aufwendungen der Politik zur Stabilisierung des Systems wurden immer größer, die Abstände zwischen den Krisenschüben immer kürzer. Mit der einsetzenden Inflationsphase scheint die neoliberale Epoche der Krisenverzögerung am Ende zu sein.

Die bürgerliche Krisenpolitik befindet sich in einer Falle: Sie müsste die Zinsen anheben, um die Inflation zu bekämpfen, während sie zugleich die Zinsen senken müsste, um den aufgeblähten Finanzsektor vor dem Kollaps und die gigantischen Schuldenberge vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Die USA sind im Rahmen der kollabierenden Finanzblasenökonomie und der besagten Defizitkreisläufe nicht mehr in der Lage, als »Schwarzes Loch« der Weltwirtschaft zu fungieren, womit das ökonomische Fundament der US-Hegemonie untergraben wird. Mit den zunehmenden Absetzbewegungen vom US-Dollar in der Semiperipherie des Weltsystems, wo etliche Staaten zu bilateralen Zahlungssystemen mit China übergehen, scheint die Zeit des Greenback als Weltleitwährung abzulaufen, was die Vereinigten Staaten zu einem riesigen, militärisch hochgerüsteten Schuldenstaat degradieren würde.

Die einzige Option, die Washington noch bleibt, um das erodierende Bündnissystem des »Westens« aufrechtzuerhalten, ist die der militärischen Dominanz. Das eigentliche Rückgrat der Vormachtstellung der USA wie auch der Stellung des Dollar als Weltleitwährung bildet der US-Militärapparat. Deswegen ist Washington bereit, dem chinesischen Expansionsstreben mit einer Konfrontationsstrategie zu begegnen - mit der altbekannten ideologischen Begleitmusik (der »freie Westen« gegen die »gelbe Gefahr« u.ä.) - solange die militärische Überlegenheit der Vereinigten Staaten noch besteht.




zurück
Druckversion
Glossar
Deep Link