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Johannes Vogele: Die Krise der Wahrheit. Zur Paralyse des Geistes in der Krise


Die Krise der Wahrheit

Zur Paralyse des Geistes in der Krise

2020 war nicht nur das Jahr der Wiederentdeckung der Pandemie, sondern auch ein großes Festival der Verschwörungstheorien in all ihrer Vielfalt und all ihren Ausprägungen. Nicht dass diese Formen der Wirklichkeitsdeutung neu wären; sie haben bereits eine lange Geschichte, sicherlich eine Vorgeschichte und zweifellos auch eine Zukunft. Allerdings treten sie in Krisensituationen in den Vordergrund, in denen sie als Widerspruchsbearbeitung der erlebten Zumutungen auf das Material ihrer schon alten Geschichte zurückgreifen können.

In einer Zeit, in der die Idee der Wahrheit bereits stark angeschlagen ist, in der Erklärungen, Versprechungen und andere Vorhersagen aus „offiziellen Quellen“ aus dem letzten Loch pfeifen und in der die Idee der Zukunft zu einer Glaubenssache geworden ist, blüht der Markt für „alternative Erzählungen“. Da die Wahrheit aus dem Munde von Politiker·inne·n, Ökonom·inn·en und Wissenschaftler·inne·n, oft aus berechtigten Gründen, viel Glaubwürdigkeit verloren hat, gilt es sich anderweitig umzusehen und, Überraschung, das Angebot übertrifft alle Erwartungen. Auf der anderen Seite herrscht Empörung: Demokratie und Wissenschaft sind bedroht, wir müssen uns gemeinsam und schützend vor sie stellen. Und hier sind wir wieder einmal in der alten Binarität gefangen, welche die gesamte kapitalistische Moderne kennzeichnet: Demokratie oder Diktatur (einschließlich Markt gegen Staat), Gut oder Böse, Licht oder Dunkelheit. Diese Dualität schließt jede emanzipatorische Kritik an der kapitalistischen Zivilisation grundsätzlich aus und verbleibt in der polaren Immanenz und der Verewigung eines idealisierten Pols.

Es ist wichtig zu betonen, dass Verschwörungstheorien nicht einfach alternative Auslegungen einer Tatsache oder eines Ereignisses vornehmen. Es handelt sich vielmehr um eine „Weltanschauung“, durch die Fakten und Ereignisse wahrgenommen und verarbeitet werden. Obwohl es sich um komplizierte Elaborate und oft um ungeheure Ansammlungen von Details und „Beweisen“ handelt, bleiben die Denkmuster, durch die sie angeordnet und interpretiert werden, kindlich einfach. Es handelt sich, wie schon angemerkt, um ein dualistisches Weltbild, welches das Gute dem Bösen, die „Oligarchie“ dem „Volk“ „Uns“ den „Ihnen“ usw. gegenüberstellt. Zum Ärgernis der Positivisten, die nur die Fakten kennen, die sie mit der Wahrheit verwechseln, geschieht für den Verschwörungstheoretiker1 nichts zufällig und er will entdecken, was hinter dem Schein steckt, die verborgene Wahrheit, aber vor allem: die Schuldigen! Diese Suche lässt ihn finden, was er gesucht hat: die große Verschwörung, gewaltige Mächte, die mit einem korrupten und perversen Willen ausgestattet sind und einem machiavellistischen Plan folgen, der bis ins kleinste Detail organisiert ist und oft einen sehr langen historischen Zeitraum umfasst. Dieser Plan wird im Geheimen ausgeführt, um die Macht zu festigen oder zu übernehmen, und wer seiner Ausführung in die Quere kommt, muss eliminiert werden. Verschwörungsglaube entsteht aus einer konservativen – oft reaktionären – Sicht der Welt. Ein fast verschwundener und zerstörter Zustand mit mythischer Vergangenheit soll mit letzter Kraft und in letzter Minute vor okkulten Kräften gerettet werden, die oft als pervers und dekadent, aber auch als kosmopolitisch und „globalistisch“ beschrieben werden. Darin steckt wohl auch der Versuch, in einer chaotischen und als bedrohlich erlebten Welt Ordnung zu schaffen. Alles in eine ursprüngliche (kosmische) Ordnung einzufügen, versucht ja auch die Esoterik die vielfach nicht sehr weit und auch oft inmitten des verschwörungstheoretischen bzw. querdenkerischen Sumpfs anzufinden ist.

Von Fans und Führern

„Der Soziologe und Politologe Samuel Salzborn […] stellt am Beispiel des Glaubens an die Existenz einer jüdischen Verschwörung zur Erlangung der Weltherrschaft bzw. der mörderischen Konsequenzen dieses Wahns im nationalsozialistischen Deutschland fest, dass ‚das, was den Anderen im Verschwörungsmythos vorgeworfen und vorgehalten wird, eigentlich das Eigene ist – die verdrängten und verleugneten Anteile des Selbst, die eigenen Wünsche, die zugleich als so monströs erfasst […] werden, dass sie, zunächst, nur in ihrer projektiven Form formuliert werden.‘ Der Verschwörungsglaube als ‚scheinbare Angst vor Verfolgung und Unterdrückung‘ sei letztendlich ‚Ausdruck wie zugleich Drohung derer, die nichts anderes wollen, als zu verfolgen und zu unterdrücken‘ “.

An einem anderen Ort beschreibt er die Verschwörungsideologien als „Phantasien von einer regredierten Welt, [den] Traum von einem harmonischen und widerspruchsfreien (völkischen) Selbst, in dem alles nur einer Logik gehorcht, nämlich der eigenen – keine Widersprüche, keine Ambivalenzen, nur (gemeinschaftliche) Identität“.2

In einem Artikel, erschienen in „Marseille Infos Autonomes“, wurde Folgendes angemerkt: „Verschwörungstheorien [...] erlauben denen, die sie propagieren, eine Gemeinschaft von Anhängern zu schaffen, die sich um diese Gewissheiten und diejenigen scharen, die sie schaffen. Wie in allen Gemeinschaften gibt es auch hier Erkennungszeichen und Anführer, welche die Rolle von Predigern spielen. Durch einen Prozess der Viktimisierung setzen sich die Propheten in ihrer eigenen Theorie oft selbst in Szene und werden so zu Hauptdarstellern: „ ‚Die jüdische Verschwörung ist real; zum Beweis: Sie zensieren mich und hindern mich daran, die Wahrheit zu enthüllen‘ “, usw.3.

Obwohl Verschwörungsideologien sicherlich eher in der rechten, regressiven Kultur angesiedelt sind, verschonen sie keineswegs die sogenannte „Linke“, in der es eine lange nationalistisch/antiimperialistische Tradition gibt, darin eingeschlossen den stalinistischen „Sozialismus in einem Land“, und überhaupt massenweise verkürzte und personifizierende Kapitalismuskritik bis hin zum nostalgischen Exotismus hinsichtlich „ländlicher Gesellschaften“ und anderer vormoderner oder angeblich außerkapitalistischer Kulturen.

Natürlich sind nicht alle diese Tendenzen a priori verschwörungstheoretisch, haben aber oft fatale Berührungspunkte mit dieser Weltanschauung. Um die vielen Verschwörungsbewegungen zu analysieren, wird es also auch notwendig sein, sich die sogenannte „Querfront“-Bewegung vorzuknöpfen, die sich in beiden ideologischen Lagern bedient. Es wird aber bei weitem nicht ausreichen, diese als Teil einer „Strategie der Rekuperation“4. zu verstehen, da es hier eben auch besonders um Bewusstseinsformen und bei weitem nicht nur um „Manipulationen“ geht.

Von Hexen und Illuminaten

Historisch gesehen gehört das Phänomen, das uns hier interessiert, in die Moderne. Was beispielsweise die Hexenverfolgung betrifft, so ist es interessant festzustellen, dass diese sich im Mittelalter fast ausschließlich gegen Einzelpersonen richtete. Erst mit dem Beginn der Neuzeit kam in ganz Europa die Vorstellung von groß angelegten „Hexenverschwörungen“ auf, die im 17. Jahrhundert in massenhaften und organisierten Vernichtungspogromen ihren Höhepunkt fanden.5

Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs war es nicht außergewöhnlich oder am Rande der Gesellschaft angesiedelt, Anhänger einer Weltverschwörungserklärung zu sein oder dieser oder jener Verschwörungstheorie anzuhängen. Verschwörungsideologien waren in Europa und den Vereinigten Staaten vorherrschend. Michael Butter schreibt, dass es „von George Washington bis Dwight D. Eisenhower [...] vermutlich keinen Präsidenten der Vereinigten Staaten [gab], der nicht an Verschwörungstheorien glaubte“6. In Deutschland schrieb Thomas Mann noch 1918 in seinen „Betrachtungen eines Unpolitischen“: „Die Geschichtsforschung wird lehren, welche Rolle das internationale Illuminatentum, die Freimaurer-Weltloge, unter Ausschluss der ahnunngslosen Deutschen natürlich, bei der geistigen Vorbereitung und wirklichen Entfesselung des Weltkrieges, des Krieges der „Zivilisation“ gegen Deutschland, gespielt hat. Was mich betrifft, so hatte ich, bevor irgendwelches Material vorlag, meine genauen und unumstößlichen Überzeugungen in dieser Hinsicht.“7.

Die extremste und mit Abstand mörderischste Form des „Staats-Komplottismus“ stellte hier natürlich das nationalsozialistische Deutschland mit seinem „Erlösungsantisemitismus“8 dar.

Erst in der Nachkriegszeit wandten sich die westlichen kapitalistischen Gesellschaften, die von der fordistischen und wissenschaftlichen Entwicklung der Produktivkräfte der gesellschaftlichen Verhältnisse geprägt waren, tendenziell und für eine Weile von „extremen“ Ideologien ab, während gleichzeitig die Zwänge des kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisses stärker verinnerlicht wurden. Verschwörungsideologien wurden, wie andere auch, an den Rand der Gesellschaft gedrängt, wo sie eine mehr oder weniger eingeschränkte und verschwiegene Existenz fristeten. Jedoch blieben auch im kalten Krieg staatstragende Verschwörungstheorien und ihre Anwendungen aktiv. Hier sei erinnert an die paranoïde Verfolgung von Kommunisten in den 1950ern (McCarthy) oder an die Verfolgung von „zionistischen Agenten“ in der Sowjetunion.

Krise und jüdische Weltverschwörung

Aber mit der Wirtschaftskrise ab den 1970er und 1980er Jahren, die eine soziale und ökologische Krise, aber auch den ideologischen Zerfall implizierte, kehrten diese Vorstellungen allmählich in die Mitte der Gesellschaft zurück und begannen einen höchst paradoxen Kampf zu führen: Die Verteidiger einer als naturwüchsig verstandenen Gesellschaftsform, die von einem „ungezügelten“ und globalisierten Kapitalismus angegriffen und durcheinander gebracht würde, stehen den Verteidigern der Vernunft, der Wissenschaft, dem Fortschritt und der Demokratie gegenüber ohne freilich zu erkennen, dass der gemeinsame Boden, auf dem sie sich bekämpfen und den niemand in Frage stellt, der des patriarchalen Kapitalismus ist, der subjektlosen Herrschaft der Verwertungsmaschine, die in eine tiefe, um nicht zu sagen endgültige Krise geraten ist.

Um nur ein eher triviales Beispiel zu nennen: Klimaskeptiker die davon überzeugt sind, dass der Klimawandel eine Lüge ist, um eine Diktatur auf Weltebene zu errichten und die Vertreter der Staaten und der Wissenschaft, die Erklärungen und Konferenzen multiplizieren, stehen beide der realen globalen Erwärmung hilflos gegenüber. Um sich den Konsequenzen des Verwertungszwangs zu stellen, führt kein Weg an einer radikalen Kritik der patriarchalen, kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse vorbei.

Obwohl es also dringend notwendig ist, die Strömungen der konspirativen Mystifizierung ohne Nachsicht zu bekämpfen, hat es keinen Sinn, dies im Namen jenes Schoßes zu tun, aus dem sie gekrochen kommen. Sie entstehen als Krisenphänomen und sind gerade deshalb besonders gefährlich. Weit davon entfernt, die wirklichen Ursachen des Zusammenbruchs der sozialen Verhältnisse und der Beziehungen zur Natur zu benennen, schlagen sie Sündenböcke vor: soziale Gruppen, die ihrem Wesen nach böse seien und deshalb beseitigt werden müssten. Den „Theorien“ nach mag es sich um so weit hergeholte Akteure wie Reptiloide oder andere Außerirdische handeln, die meisten der erklärten Feinde jedoch sind Menschen wie Banker, Oligarchen und Politiker oder von ihnen geführte Gebilde wie Staaten und Geheimdienste. Hinter all diesen Feindbildern, sowohl in der Funktionsweise, die ihnen unterstellt wird, als auch in den Bildern, die sie repräsentieren sollen, ist sozusagen als Negativ, die „jüdische Weltverschwörung“ unschwer zu erkennen. Auch der große Einfluss, den die nachweislich frei erfundenen „Protokolle der Weisen von Zion“ nach wie vor in der Weltöffentlichkeit haben, zeugt davon. Es ist wichtig, sich diese Verwandtschaft vor Augen zu halten, die ihr Gewalt- und Faschismuspotential offenbart, wenn man mit jenen „Rebellen“, „Freiheitskämpfern“ und weiteren vermeintlich friedlichen, humanistischen und selbsternannt verfolgten „Aufklärern“ konfrontiert wird. Unter anderem auch deshalb muss jede Form der Verharmlosung des Antisemitismus angeprangert und bekämpft werden.

Von Subjekten und dem freien Willen

Welche Bevölkerungsgruppen sind für Verschwörungstheorien besonders empfänglich? Es gibt eine reichhaltige und widersprüchliche Literatur (und Statistiken) zu diesem Thema, die nicht frei von einseitigen Interpretationen sind. Es ist hier kein Platz, auf diese Überlegungen einzugehen. Eine Beobachtung ist jedoch erwähnenswert: Der deutsche Forscher Michael Butter schreibt: „Die verschwörungstheoretischen Texte, Bilder und Videos, mit denen sich die Kulturwissenschaften beschäftigen, stammen nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch heute noch fast ausschließlich von Männern. Dasselbe gilt mehrheitlich auch für die Kommentare unter Videos, Blogeinträgen oder Artikeln mit konspirationistischem Inhalt.“9. Er fügt in Bezug auf das Anhängertum dieser „Theorien“ hinzu, dass Männer eher an große Verschwörungstheorien wie diejenigen über 9/11 und die Neue Weltordnung glauben würden, Frauen eher an solche, die das Leben direkt betreffen, wie Chemtrails oder Impfungen. Letzteres gilt natürlich auch für Männer, die diese aber eher in größere globale Verschwörungsnarrative einbinden würden. Daher sind bei Q-Anon auch recht viele Frauen unterwegs. Dies hängt vermutlich damit zusammen, dass es sich um eine ‚Pädophilenverschwörung’ handelt, die Kinder ‚opfert’. Die Parallele zur antisemitischen Ritualmordlegende ist deutlich.

Die globale Krise des Kapitalismus und ihre großen Zusammenbrüche erfahren die Einzelnen, also wir alle, in jedem Bereich unseres täglichen Lebens. Arbeitslosigkeit und Elend, ökologische und soziale Verwerfungen, Unsicherheit und Unberechenbarkeit verlangen nach Erklärungen. Die Corona-Krise hat einmal mehr gezeigt, wie fragil diese „Normalität“ ist, an die wir uns klammern. Das moderne Subjekt hatte gelernt, dass alles „eine Sache des Willens“ ist, dass der einzige wirkliche Akteur es selbst ist, ob in seiner individuellen oder kollektiven Form (Nation, Partei, Klasse, „Rasse“ usw.). Aber die moderne Formierung der Subjektivität hatte als Begleiterscheinung die Ingangsetzung einer immensen objektiven Maschinerie, die dem Subjekt und seinem Willen ihre Gesetze diktiert. Das ist der historische Prozess der Kapital- und Verwertungsgesellschaft, des „automatischen Subjekts“ (Marx), das vom Menschen als „zweite Natur“, als Ausdruck eines unausweichlichen Gesetzes verinnerlicht wird. Sie beinhaltet auch von Grund auf eine „Abspaltung“ (Roswitha Scholz) von dem, was als weiblich (und damit als minderwertig) konstituiert wird, und zwar als conditio sine qua non für die Durchsetzung und Reproduktion dieser Gesellschaftsformation. Erst durch diese Verinnerlichung konnte sich das Subjekt (vom Wesen her weiß, männlich und westlich) diesem falsch emanzipierten freien Willen hingeben. Aber die „zweite Natur“ ist ein gesellschaftliches Produkt, und die Subjekte, auf allen Ebenen der sozialen Hierarchie, reproduzieren sie jeden Tag durch ihre Alltagsgesten und die ideologischen Reflexe, die sie entwickeln.

Das verwildernde Subjekt

Die Krise des Kapitalismus ist auch die Krise dieses Subjekts. Komplottismus ist eine anomische Reaktion auf Letztere, motiviert durch die Angst vor Deklassierung, (die bereits im Gange ist), und das verzweifelte Festhalten an einer phantasierten Normalität. Dieser folgt selber dem postmodernen Prozess der Zersetzung: Seine Inhalte sind heute vielfältig und widersprüchlich und haben die „große Erzählung“ aufgegeben. Er konstituiert sich heute vielmehr als Puzzle verschiedener, manchmal kurzlebiger „Theorien“. Zu diesem Thema ist es interessant, die Funktionsweise der Pro-Trump-Verschwörungsbewegung „QAnon“ in den Vereinigten Staaten und in der Welt zu betrachten. Hier spielen sicherlich Internet und die sozialen Medien eine wichtige Rolle durch ihre unvermittelte Funktionsweise. Es wäre jedoch vergeblich zu versuchen, diese Entwicklung damit begründen zu wollen.

Schon das Bild jener Capitol-Angreifer, ihre übersteigerte und zur Schau gestellte Männlichkeit, ihr erklärter Rassismus und Antisemitismus sowie ihre spektakuläre Anbiederung an einen Führer, lässt erahnen, wie dieses verfallende westliche Subjekt aussehen wird und zu welchem Hass und welcher Gewalt es in den kommenden Zeiten fähig sein wird. Das Gleiche gilt z.B. auch für Teile der „coronaskeptischen“ Demonstranten in Deutschland.

Die „offiziellen“ Erklärungen10 und Bewältigungsstrategien einer Gesellschaftsformation die fortlaufend Krisen und Katastrophen produziert, stoßen auf immer stärkeres Misstrauen und Ablehnung. Ohne eine grundsätzliche Gesellschaftskritik des Kapitalfetischs und seiner Kategorien schlägt dieses Bauchgefühl des Argwohns jedoch in regressive und tendenziell gewalttätige Reaktionen um. Die Gesellschaft spaltet sich und verliert alle gemeinsamen Grundlagen, außer der verdrängten Krise ihres Reproduktionsmodells. Kein entrüsteter und moralisierender Appell wird ausreichen, um damit umzugehen, wenn wir es nicht wagen, uns der Wahrheit der Krise zu stellen.

(Johannes Vogele, crise&critique11)


  1. In der Tat handelt es sich bei den Machern dieser „Theorien“ in überwältigender Mehrheit um Männer, weshalb Gendern hier missbräuchlich wäre.^

  2. Beide Zitate aus: https://de.wikipedia.org/wiki/Verschw%C3%B6rungstheorie.^

  3. Marseille Infos Autonomes, 24 April 2020.^

  4. In der frz. Linken ist Rekuperation ein sehr geläufiger Ausdruck, mit dem eine Aktion der Staaten, Parteien, Gewerkschaften usw. bezeichnet wird, die die gute Revolte der Unterdrückten übernimmt um sie ihres revolutionären Charakter zu entledigen, zu institutionalisieren und ihren eigen Zielen unterzuordnen.

    ^

  5. Vgl. dazu: Silvia Federici: Caliban und die Hexe – Frauen, der Körper und die ursprüngliche Akkumulation, Wien 2017.^

  6. Michael Butter, Nicht ist wie es scheint, Berlin, Edition Suhrkamp, 2018, S. 120.^

  7. Thomas Mann, Betrachtungen eines Unpolitischen, (1974 [2018]), Frankfurt am Main, Fischer, S. 32, zit. nach Butter).^

  8. Der Historiker Saul Friedländer prägte diesen Begriff, mit der er die antisemitische Leidenschaft der Nazis beschreibt. Für sie geht es dabei um einen weltweiten Kampf auf Leben und Tod zwischen Ariern und Juden: Die Erlösung der Einen bedingt den Untergang der Anderen. Man kann diese auch als einen eliminatorischen Antisemitismus bezeichnen.^

  9. Michael Butter, a.a.O. S. 149/150.^

  10. Die konspirative Phraseologie der „offiziellen Versionen“ muss natürlich kritisiert werden. Jedoch so zu tun, als ob die herrschenden Politiker-, Wirtschaftsexperten-, Wissenschaftler- und Medienwelten frei von Ideologie wären und rein objektiv daher kämen, wäre selber ja schon ideologisch. ^

  11. Crise&critique ist ein Zusammenhang und ein Verlag, der im französischsprachigen Raum Analysen der "Wertkritik" und der "Wert-Abspaltungskritik" veröffentlicht und verbreitet.^




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