Zuerst erschienen auf konicz.info am 23.3.2022
Ukraine auf Russlands SpurenMit Parteiverboten und Verhaftungen von Journalisten scheint Kiew den Weg in eine Kriegsdiktatur einzuschlagenTomasz KoniczDer ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ließ am frühen Morgen des 20. März viele linke oder russlandfreundliche Oppositionsparteien in der Ukraine per Dekret verbieten. Laut prorussischen Quellen1 ist von diesem Parteiverbot auch die größte parlamentarische Oppositionspartei betroffen, die prorussische „Oppositionsplattform – für das Leben“, die bei den letzten Parlamentswahlen rund 13 Prozent der Stimmen, vornehmlich im Osten des Landes, auf sich vereinigten konnte. Hinzu kommt noch eine Reihe kleinerer linker Parteien. Selenskyj rechtfertigte die Parteiverbote mit der russischen Invasion der Ukraine und den „politischen Verknüpfungen“, die diese Gruppierungen und Parteien mit Russland unterhalten sollen. Folgende Parteien sind von den Verboten betroffen (Schreibweise laut Quellenangabe): "Opposition Platform – For Life“, "Shariy Party", "Nashi", "Opposition Bloc", "Left Opposition", "Union of Left Forces", "State", "Progressive Socialist Party of Ukraine", "Socialist Party of Ukraine", "Socialists", "Volodymyr Saldo Bloc". Die genannten linken Parteien sind somit nun genauso illegal wie die Kommunistische Partei der Ukraine, die schon kurz nach dem prowestlichen Regierungsumsturz 2014 in die faktische Illegalität gedrängt wurde.2 Zudem wurde in Odessa der Journalist, Blogger und Physiker Yuri Tkachev vom berüchtigten ukrainischen Geheimdienst SBU verhaftet. Tkachev hat bei seiner Kriegsberichterstattung wiederholt die derzeitige Regierung kritisiert. Der SBU fiel zuletzt Anfang März durch die Hinrichtung eines Mitglieds der ukrainischen Waffenstillstandsdelegation, Denys Kireev, auf, dem Hochverrat vorgeworfen wurde.3 Kireev war an der ersten russisch-ukrainischen Verhandlungsrunde im belarussischen Gomel beteiligt, wenige Tage danach wurde er vom SBU bei seiner Verhaftung erschossen. Von den Verboten ist keine einzige jener rechten oder rechtsextremen Parteien oder Milizen betroffen, denen ein wachsender Einfluss4 innerhalb des ukrainischen Militär- und Sicherheitsapparates nachgesagt wird.5 Diese zunehmende Machtfülle der extremem Rechten innerhalb des ukrainischen Staats trat zuletzt im Dezember 2021 offen zutage, als Präsident Selenskyj einem führenden Mitglied der Naziorganisation „Pravy Sektor“ (Rechter Sektor), Dmytro Kotsyubail, den Staatsorden „Held der Ukraine“ verlieh.6 Der Rechte Sektor soll maßgeblich an dem Pogrom von Odessa im Jahr 2014 beteiligt gewesen sein, bei dem Dutzende Teilnehmer eines prorussischen Dauerprotests von ukrainischen Nazis und Sicherheitskräften umgebracht wurden. Hunderte Menschen wurden bei dem Pogrom verletzt.7 Die innenpolitisch signifikante Repression gegen die größte prorussische Partei der Ukraine, die „Oppositionsplattform“, begann schon vor dem Krieg.8 Das politische Spektrum der Ukraine war lange Jahre weitestgehend bestimmt durch oligarchische Seilschaften, die „ihre“ Partien oder Politiker finanzieren – und die entweder prowestlich oder prorussisch ausgerichtet waren. Der mit Putin befreundete Oligarch hinter der prorussischen Oppositionsplattform, Wiktor Medwedtschuk, wurde im Mai 2021 verhaftet und unter Hausarrest gestellt. Zuvor, im Februar 2021, wurden drei russischsprachige TV-Sender, die Medwedtschuk kontrolliert haben soll, verboten.9 Der derzeitige ukrainische Präsident Selenskyj, der einen Antikorruptionswahlkampf führte, wurde wiederum von dem Oligarchen Ihor Kolomojskyj unterstützt, der nach dem prowestlichen Umsturz 2014 als einer der Finanziers rechter und rechtsextremer Milizen10 – wie des berüchtigten Asow-Regiments – fungierte.11 Die Inhaftierungen prorussischer Politiker und die Verbote von TV-Sendern sind somit einerseits Ausdruck der üblichen Oligarchenkämpfe, wie auch andererseits Folge der geopolitischen Westanbindung der Ukraine, bei der russlandfreundliche Kräfte ausgeschaltet wurden. Das Atlantic Council begrüßte die Verbote russischer Fernsehsender in der Ukraine etwa als eine „couragierte Entscheidung“ des ukrainischen Präsidenten.12 Die autoritäre Formierung des ukrainischen Staates geht aber – und das war charakteristisch für den kapitalistischen Krisenprozess in vielen Ländern der Peripherie – mit dessen krisenbedingter Verwilderung einher. Die von Kolomojskyj finanzierten Milizen, etwa in Mariupol, üben ein hohes Maß an Autonomie aus. Die Region in der Nähe der Frontlinie im Donbass galt praktisch als deren Territorium, wo die Kontrolle der zentralen Staatsgewalt kaum wirksam war und wo diese Milizen auch Repression gegen abweichende prorussische oder schlicht liberale Kräfte ausübten – etwa während einer Demonstration anlässlich des Frauentages.13 Selenskyj gelang es zu Beginn seiner Präsidentschaft nicht, diese Nazi-Milizen im Osten unter Kontrolle zu bringen und zur Auflösung zu bewegen, sodass sie später in den Staatsapparat eingegliedert wurden. Formell dem ukrainischen Staat angehörig, scheinen diese rechtsextremen Kräfte an der Erosion ukrainischer Staatlichkeit mitzuwirken, die schon nach 2014 einsetzte, als im Gefolge von Regierungssturz und Bürgerkrieg überall von Oligarchen finanzierte Milizen auftauchten.14 Und offenbar haben diese fanatisch kämpfenden Milizen inzwischen genügend Einfluss akkumulieren können, um einen weiten Teil des politischen Spektrums der Ukraine verbieten lassen zu können. Je länger der Krieg dauern wird, desto weiter wird diese Wechselwirkung von autoritärer Staatsmobilisierung und innerer Staatserosion in der Ukraine voranschreiten, wie sie zuvor in Peripheriestaaten wie Syrien, Libyen oder dem Irak sich entfaltete. Damit befindet sich die Ukraine auf den Weg in eine instabile, von inneren Erosionstendenzen erfasste Kriegsdiktatur, was die Parallelen zu der politischen Lage in Russland offensichtlich werden lässt. Die drakonischen neuen Medien-15 und Repressionsgesetze, die der Kreml bei Kriegsbeginn erließ, lassen bloße Kritik am Krieg mit hohen Haftstrafen belegen16 – sie sind ihrem Charakter nach postdemokratisch. Putins öffentliche Angriffe gegen Volksverräter und eine liberale „fünfte Kolonne“, die mit Ungeziefer gleichgesetzt werden, seine Forderungen nach einer „Reinigung“ Russlands von dem „Unrat“ oppositioneller Kräfte – diese brutale Rhetorik ist schon faschistoid. Sie wurde offensichtlich bewusst gewählt, um das militärische Desaster der russischen Armee in der Anfangsphase des Krieges zu bemänteln. Die autoritäre, inzwischen wohl schlicht diktatorisch zu nennende Formierung, bei der eine absurde Kriegs- und Burgfrieden-Propaganda verbreitet wird,17 geht mit zunehmenden Spannungen innerhalb der russischen „Machtvertikale“, also des von staatsoligarchischen und mafiösen Seilschaften beherrschten russischen Staatsapparates einher. Inzwischen befinden sich führende Köpfe des russischen Geheimdienstes FSB unter Hausarrest – da sie den Kreml mit falschen Informationen bezüglich der Lage in der Ukraine versorgt haben sollen.18 Immer um die Gunst Putins buhlend, sollen sich die verschiedenen Seilschaften im Nachrichtendienst darin überboten haben, dem Kremlherrscher vor dem Krieg die Infos zukommen zu lassen, die er hören wollte: dass die Ukraine keinen nennenswerten Widerstand leisten werde. Zudem muss das militärisch der Ukraine weit überlegene Russland, dessen reguläre Armee aufgrund mangelnder Motivation und Organisation empfindliche Niederlagen einstecken musste, auf poststaatliche Akteure setzen, um militärische Erfolge rasch zu erzielen. Die ukrainischen Nazi-Milizen in Mariupol werden derzeit von den Söldnertruppen des tschetschenischen Machthabers Kadyrow bekämpft,19 die nur formell den russischen Truppen angehören, während sie faktisch als die Privatarmee eines in die russische Föderation integrierten Warlords agieren. Milizen und Söldnertruppen, militärische Akteure, wie sie charakteristisch für die anomische Gewaltstruktur in vielen Failed States der Peripherie sind, bilden somit die schlagkräftigsten Formationen im Krieg um die Ukraine, das sich zu einem zweiten Syrien zu wandeln droht. Charakteristisch in diesem Zusammenhang sind auch die Bemühungen beider Seiten, möglichst viele Freiwillige oder Söldner aus aller Welt für ihre Kriegsanstrengungen zu mobilisieren. Der Krieg führt somit in seiner Funktion als Krisenbeschleuniger zu einer Annäherung der Verhältnisse in Russland wie der Ukraine.
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