Startseite
Aktuelles
zurück
Druckversion
Glossar
Deep Link

Robert Kurz: Nachhaltigkeit für alle


Nachhaltigkeit für alle1

Robert Kurz

Die Friedensbewegung war erledigt, als Nicole ›ein bisschen Frieden‹ trällerte und Ronald Reagan sich samt family in die Menschenkette einreihte. Heute ist jeder Rüstungsindustrielle und Folterknecht für ›ein bisschen Frieden‹, und für Demokratie sowieso. Ebenso geht es der sozialökologischen Bewegung mit dem Beliebigkeitsbegriff der ›Nachhaltigkeit‹, der haarscharf an einer grundsätzlichen Kritik des betriebswirtschaftlichen Kalküls vorbeizielt.

Seit der Moderne ein postmodernes face lifting verpasst wurde, geht alles, weil nichts mehr etwas bedeutet. Vor dem Hintergrundrauschen der globalen Marktmaschine ist alles egal: in Geldpreisen ausgedrückt, scheinen alle Dinge und Lebewesen dieser Welt von der gleichen austauschbaren Qualität zu sein. Und Freiheit ist Einsicht in die Notwendigkeit der Marktanpassung; Orwell brauchte gar kein ›Neusprech‹ mehr zu erfinden. Ein gefräßiger Plastikdiskurs greift um sich, der alle Begriffe vereinnahmt und alle Differenzen einebnet, je mehr er von ›Individualität‹ und ›Vielfalt‹ redet. Jede Gesellschaftskritik wird verschluckt, um sie in einen Marktgegenstand neben Kreditkarten, Slipeinlagen und Mobiltelefonen zu verwandeln. Politik und Medien rühren dabei jene Fertigsuppe des Zeitgeistes an, in der zwecks Verkäuflichkeit die jeweils neuesten Wortbrocken schwimmen müssen; auch wenn sie nicht mehr Substanz haben, als eine ›Hühnersuppe‹ von Knorr oder Maggi reales Huhn enthält. Wie es scheint ist der Plastikbegriff ›Nachhaltigkeit‹ (sustainability) geradezu für diesen Fastfood-›Diskurs‹ erfunden worden. Dieses Neuwort ist bestens geeignet, beinharte Marktinteressen mit ökologischem Verantwortungsgeraune zu amalgamieren, um das für jeden genießbare Produkt in den Endlosbetrieb des Häppchen-Journalismus einzuspeisen.

Mit Hilfe der ›Nachhaltigkeit‹ kann man mühelos als ökosoziale Lichtgestalt firmieren, ohne die herrschende gesellschaftliche Ordnung und deren betriebswirtschaftliche Ökonomisierung der Welt zur Disposition stellen. Inzwischen weiß jedes Kind, dass die betriebswirtschaftliche Rationalität permanent Kosten externalisiert: auf die Gesamtgesellschaft, auf die Zukunft und eben auch auf die Natur. Es hat sich praktisch als unmöglich erwiesen, diese ausgelagerten sozialen und ökologischen Kosten durch politische Regulation wieder in die betriebswirtschaftliche Bilanz zu internalisieren.

Das hätte man aber vorher wissen können, denn das Wesen der Betriebswirtschaft besteht in jenem partikularen Kalkül, das sich im Interesse der ökonomischen Selbsterhaltung buchstäblich einen Dreck um das Ganze zu scheren hat. Wer die Welt nicht versaut, den bestrafen die Märkte. Es wäre ohnehin ein absurdes Verfahren, die Gesellschaft weiterhin nach einem Prinzip zu organisieren, das die sozialen und ökologischen Folgekosten systematisch herausrechnet, um sie dann im nachhinein wieder hineinrechnen zu wollen. Warum nicht gleich vernünftig mit den gesellschaftlichen Ressourcen umgehen?

Diese Vernunft ist leider nur zu mobilisieren, wenn die Gesellschaft mit dem blinden betriebswirtschaftlichen Kalkulationsroboter Schluss macht. Aber ans Eingemachte darf es nicht gehen. Die sozialökologische Debatte der 70er und 80er Jahre war offensichtlich ein Luxusprodukt der Weltmarktgewinner. Jetzt ist Schluss mit lustig. Und genau in einer Zeit, in der Ökodumping und soziale Deregulierung die Krise beschleunigen, macht die ›Nachhaltigkeit‹ Karriere. Sie ist der Titel für die Kapitulationsurkunde der sozialökologischen Gesellschaftskritik.

Je schneller die Tropenwälder dahinschwinden und das Trinkwasser verseucht wird, je dramatischer globale Massenarbeitslosigkeit und Massenarmut ansteigen, desto allgemeiner ist auch das Bekenntnis zur ›Nachhaltigkeit‹. Deshalb kann sogar ein marktradikaler Scharfmacher wie BDI-Chef Olaf Henkel als Autor der Nachhaltigkeitsdebatte auftreten. Alle Böcke werden Gärtner, und die siegreiche Mikroökonomie zerstört nachhaltig die Welt.


  1. Anm. d. Red.: Dieser Text ist zuerst erschienen in: Politische Ökologie Januar/2000, S. 10. Der Text hätte auch heute geschrieben worden sein können. Einige Namen wären andere und das Wort Klimakatastrophe wäre ergänzt worden.^




zurück
Druckversion
Glossar
Deep Link