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JustIn Monday


Langfassung eines in KONKRET 05/14 erschienenen Textes

JustIn Monday

Phantomepochenschmerzen

Marxistische Theorie hat es an deutschen Universitäten schwer. Nach einem Boom in den 1970er-Jahren, in denen Lehrstühle ergattert werden konnten mit dem Versuch, die eine oder andere Strömung des westlichen Marxismus mit der anderen oder einen seinerzeitigen Mode des akademischen Betriebs zu vermitteln, herrscht schon lange bloße Ignoranz seitens der offiziellen Lehre. Die damaligen Karrieren haben sich, analog zur Geschichte der APO, in Anpassung und Emeritierung verlaufen.

Unter den übrig geblieben Strömungen zu den beliebteren gehört die Regulationstheorie. Wenn einige ihrer heutigen VertreterInnen einen Tagungsband mit dem Titel „Fit für die Krise? Perspektiven der Regulationstheorie“ veröffentlichen, ist daher naturgemäß mit einer ganzen Menge Eigenwerbung zu rechnen, die an Selbstvergewisserung grenzt, weil sich außer dem eigenen Personal ohnehin kaum wer interessiert. Die meisten Beiträge verfolgen nicht zuletzt das Ziel nachzuweisen, dass die Paradigmen der eigenen Theorie die heutige Realität noch immer begreifbar machen, wenn sie denn auf den neuesten Stand gebracht werden. Der Band geht laut Klappentext der Frage nach, „ob die entwickelten Konzepte und Werkzeuge, die in der Krise des Fordismus erarbeitet wurden, fähig sind, die gegenwärtige multiple Krise zu erklären und wo an andere Theorien und Diskussionen angeknüpft werden muss“. Die gegebene Antwort lautet „Ja“, beinhaltet aber auch den Appell, dabei den politischen Motiven treu zu bleiben. Dies ist eine kaum überlesbare Implikation aller Argumentationen.

Diese Beiträge bzw. Passagen bieten viel akademischen Jargon. Sie sind dem entsprechend inhaltslos und indifferent, und ihre Lektüre ist ermüdend. Es wird dann viel „sichtbar gemacht“ oder „mitgedacht“, und unablässig wird gefordert, spezifische Formen von Irgendwas im Kontext noch spezifischerer Aushandlungsprozesse als kontingente Irgendwasanderes zu konzeptionalisieren. Tatsächlich spezifische, vom Gegenstand bestimmte Aussagen kommen so nie zustande. Statt Analysen finden sich hier Versprechen auf Analysen, und auch die Regulationstheorie wird in einem Rahmen entwickelt, in dem das nicht anders ist. Hier versichern sich SozialforscherInnen gegenseitig, dass alle ihr eigenes Steckenpferd haben dürfen und niemand eine allzu intensive Einmischung in das eigene Forschungsfeld zu fürchten hat. Das ist auch bei der Regulationstheorie nicht anders.

Um so interessanter ist es, wenn dann doch einmal Zusammenhänge entdeckt werden, die zurecht Aufmerksamkeit über die an den akademischen Spielchen Beteiligten hinaus auf sich ziehen. Die inhaltliche Attraktivität der Regulationstheorie resultierte immer aus der Beschäftigung mit der Frage, wie die Formveränderungen der kapitalistischen Produktionsweise, die diese in ihrer Geschichte erfahren hat, theoretisch zu begreifen sind. Es handelt sich hier um keine Theorie, die wahlweise seit Marx, Lenin oder Trotzki fertig gestellt worden sein soll und nun nur noch mit einem Parteiapparat und/oder einer außerparlamentarischen Opposition versorgt werden muss. Ihre zentralen Begriffe sind „Akkumulationsregime“ und „Regulationsweise“. Zwar gehe es letzten Endes immer um die Akkumulation von Kapital, aber in jeder Epoche des Kapitalismus entwickelten die verschiedenen Sphären der Gesellschaft epochenspezifische Eigenschaften. Der Weg von Epoche zu Epoche wird dabei nicht als logischer und damit theoretisch bestimmbarer Übergang begriffen, sondern als Bruch, der durch eine Krise hervor gerufen wird.

Was in der Zusammenfassung klar und wohlgeordnet erschient, sorgt bei seinen VertreterInnen momentan für grundlegende Irritationen, die die verschiedenen Texte des Bandes durchziehen. Denn der Epochenbruch, an dem die Theorie ihren Ausgang nahm, war das Ende des „Fordismus“ genannten Nachkriegskapitalismus mit der Krise der 1970er-Jahre. Um den damit einhergehenden Bruch zu markieren, wurde der Begriff des Postfordismus geprägt. Bei diesem sollte es sich um einen Hilfsbegriff handeln, der durch einen adäquateren ersetzt werden sollte, sobald sich aus den Unklarheiten des Umbruchs neuen Formen herausgebildet haben.

Die ließen allerdings auf sich warten. Grund für die Irritationen ist also, dass der Postfordismus inzwischen in der Krise ist, ohne das der Hilfsbegriff ausgedient hat. Von der Bezeichnung „Postfordismus“ kam man nicht los, weil der Theorie nach eine neuer Begriff erst dann fällig ist, wenn die neue Epoche einen Zustand „relativer Stabilität“ erreicht hat. Auch den RegulationstheoretikerInnen erscheint aber, von heute aus betrachtet, die Zeit seit den 1980er-Jahren als instabil. So heißt es in der Einleitung: „Die Einschätzung der aktuellen Konstellation hängt davon ab, ob die Phase kapitalistischer Entwicklung bis 2008 als Teil der Krise des Fordismus oder als Verwirklichung einer finanziarisierten Entwicklungsweise begriffen wird.“ (S. 16)

Hierin steckt bereits das ganze Dilemma und die im Band nachlesbaren Reaktionen hierauf sind verschieden. Joachim Hirsch etwa, neben Roland Roth Autor der 1986 erschienenen und für die Rezeption der Regulationstheorie in Deutschland maßgeblichen gewesenen Studie „Das neue Gesicht des Kapitalismus. Vom Fordismus zum Post-Fordismus“, hält es mit der zweiten Variante. Die aktuelle Krise sei „die 'Endkrise' der Formation […], die hilfsweise als Postfordismus bezeichnet wurde und womit die neoliberale Umstrukturierung des globalen Kapitalismus […] begrifflich zu benennen versucht worden ist.“ (S. 383). Eine These freilich, die ihn in die Not bringt zu begründen, wie denn eine „Umstrukturierung“ bereits ein Resultat von „relativer Stabilität“ sein kann. Seine Bezeichnung des Postfordismus als „marktradikal deregulierter Kapitalismus“ ist dabei kaum geeignet, ihn aus der Notlage zu befreien. Denn eine deregulierende Regulationsweise ist dann doch eher ein schwarzer Schimmel. Entsprechend ist sein Beitrag von Diskussionsmüdigkeit geprägt. Ob „der Postfordismus als besondere historische Formation […] jemals bestanden hat, schon wieder zu Ende oder vielmehr durchaus noch existent“ ist, sei „genau genommen unbeantwortbar“. Es könne nur „ein unendlicher und eigentlich nicht beizulegender akademischer Streit bezüglich der Existenz von Formationen und Krisen geführt werden.“ (S. 381f)

Vorsichtig in die andere Richtung argumentieren Roland Henry und Vanessa Redak: „Die Strategie, der Profitabilitätskrise der 1970er Jahre unter anderem mit einer Ausdehnung des Kredits zu begegnen, ist fehlgeschlagen.“ (S. 254) Dass eine fehlgeschlagene Strategie keine Formation begründet haben kann, ist hier evident. Allerdings trauen sich Henry und Redak nicht, diese Feststellung auszureizen. Ausweichend ziehen sie nur den Schluss, dass es sich gegenwärtig nicht um eine Finanzmarktkrise handelt, sondern um eine des Kapitalismus. Was aber in dem Spektrum, in dem hier diskutiert wird, ohnehin niemand bestreitet.

Als eine Art Synthese beider Seiten lässt sich der Aufsatz von Alex Demirovi? und Thomas Sablowski verstehen. Aus Hirschs Not machen sie eine Tugend, indem sie die Rede von der relativen Stabilität gleich gar nicht mehr auf durch ihre Eigenarten bestimmbare Epochen beziehen. Ihnen geht es nur noch darum „Muster [der] Veränderung [zu] unterscheiden, die für einen längeren Zeitraum relativ stabil sind.“ So können auch fehlgeschlagene Strategien eine Epoche bilden, wenn die Fehlschläge nur genügend häufig wiederholt wurden. Dementsprechend wollen sie eine „auf Unsicherheit beruhende finanzmarktkapitalische Regulationsweise seit den 1980er Jahren“ (S. 192) entdeckt haben.

Die Verrenkungen machen deutlich, weswegen die Regulationstheorie in den letzten 20 Jahren ihre Perspektive verloren hat. Der Haken liegt in der vergangenen Beteiligung an den Bemühungen, der reichlich begriffslosen Rede vom „neoliberalen Kapitalismus“ und den „unkontrollierten Finanzmärkten“ einen marxistischen Begriffsrahmen zu verschaffen, ohne das Publikum mit Ideologiekritik zu verschrecken. Anstatt das möglicherweise ein wenig zu früh datierte, aber völlig korrekt wahrgenommene Ende des Fordismus krisentheoretisch zuzuspitzen, wurde mal wieder ein Vermittlungsversuch mit dem Zeitgeist versucht. Nun tritt offen zutage, dass dies besser gegen diesen geschehen wäre. Denn wie noch jeder Vermittlungsversuch endet auch dieser mit einem Offenbarungseid der Vermittler. An anderer Stelle reden Demirovi? und Sablowski statt von der „finanzmarktkapitalistischen Regulationsweise“ von einem „finanzdominiertem Akkumulationsregime“ und an nichts wird deutlicher, wie egal den beiden die begrifflichen Grundlagen ihrer eigenen Theorie sind. Bereits an ihren eigenen Fußnoten ist offensichtlich, dass mindestens eine von beide Bezeichnungen nicht im Sinne der eigenen Theorie sein können. Denn während die eine Fußnote erläutert: „Ein Akkumulationsregime 'ist ein Modus systematischer Verteilung und Reallokation des gesellschaftlichen Produkts“, weiß die nächste, dass Regulationsweise „die Gesamtheit institutioneller Formen, Netze und expliziter oder impliziter Normen“ bezeichnet, „die die Vereinbarkeit von Verhaltensweisen im Rahmen eines Akkumulationsregimes sichern“. Demnach sichert also der Finanzmarktkapitalismus die Vereinbarkeit von Verhaltensweisen im Rahmen der Dominanz der Finanzen oder so ähnlich.

Besonders ins Auge fallen solche begrifflichen Indifferenzen im Vergleich des heutigen Stands der Entwicklung der Regulationstheorie mit dem Prognosepotential, das am Anfang ihrer Entwicklung in Deutschland einmal gestanden hat. In „Das neue Gesicht des Kapitalismus“ (DnG) gibt es das Kapitel „Ein neues hegemoniales Projekt?: Zwischen Korporatismus und Populismus“. In ihm werden damalige Prognosen zum postfordistischen Zustand diskutiert. Dort hieß es noch skeptisch: „Die in der Diskussion gehandelten ökonomie- und gesellschaftstheoretischen Konzepte für eine postfordistische Gesellschaft sind bislang ebenso vielfältig wie vage geblieben. Die Erfolgsträchtigkeit 'monetaristischer' Programmatiken, die auf eine radikale Zurücknahme des Staatsinterventionismus und eine manchesterliberale 'Revitalisierung der Marktkräfte' setzen, ist im Fortgang der Krise und angesichts der Auswirkungen entsprechender Politiken höchst zweifelhaft geworden.“ (S. 140, Hervorh. i.O.) Nun ließe sich gegen diese Behauptung, die damals selbst auch noch eine Prognose war, einwenden, dass sich ihre Autoren halt geirrt haben und es anders kam als sie angenommen hatten. Die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse waren halt andere, und die Auswirkungen haben die Sieger in der Auseinandersetzung nicht interessiert.

Allerdings lässt sich eine solche Interpretation der Theorieentwicklung kaum aufrecht erhalten, denn im gleichen Kapitel werden Szenarien aufgemacht, die auf die dann folgende Entwicklung sehr viel besser passen als die heutigen, auf Monetarismus und Neoliberalismus fixierten Positionen. „Grundsätzlich“ gingen Hirsch und Roth etwa davon aus, „daß sich die postfordistische und postkeynesianische Herrschaftsform entgegen allen neoliberalen Versprechungen keineswegs auf einen schwachen, zurückgenommenen, den 'Marktkräften' wieder unbehinderten Spielraum gebenden Staat stützen wird, sondern im Gegenteil eher auf einen noch stärkeren, gegenüber relevanten gesellschaftlichen Interessen weiter verselbständigten, vielfach intervenierenden und nach innen wie außen hochgradig bewaffneten.“ (DnG, S. 142) Die Grundannahme, die hier zur Prognose diente, entsprach voll und ganz der begrifflichen Unterteilung der kapitalistischen Verhältnisse in ein Akkumulationsregime und in eine Regulationsweise, die beide differente soziale Beziehungsformen beinhalten. Eine Differenzierung, die wegfällt, wenn beide, wie in der Formulierung von Demirovi? und Sablowski, vom gleichen Prinzip, dem der Finanzmärkte, beherrscht sein sollen.

Begründet wurde diese Differenz von Hirsch und Roth weitgehend oberflächlich mit sachlichen Erfordernissen der spätkapitalistischen Produktion: „Die Störanfälligkeit und Verletzlichkeit hochtechnisierter Produktionssysteme wird allen monetaristischen Glaubensbekenntnissen zum Trotz die Notwendigkeit einer politischen Regulierung des ökonomischen Prozesses eher noch verstärken. Erfahrungen mit der Thatcherschen Austeritypolitik in Großbritannien haben gezeigt, daß die mit einer antietatistischen Programmatik durchgesetzte Kürzung staatlicher Sozialausgaben im Endeffekt zu einer Verstärkung der zentralstaatlichen Kontrolle zu Lasten von Selbstverwaltungseinrichtungen führt. Und schließlich erzwingen andauernde soziale Desintegrations- und Spaltungsprozesse eine eher noch wachsende bürokratische Regulierung der Gesellschaft, wenn auch in möglicherweise repressiverer und selektiverer Weise.“ (DnG, S. 143) Die Erfahrungen mit Workfare-Systemen wie Hartz IV sind durchaus geeignet, zu ähnlichen Schlüssen zu führen.

Wären die RegulationstheoretikerInnen diesen aus den Grundannahmen resultierenden Prognosen treu geblieben, hätten sie zweifellos brauchbarere Einschätzungen der Lage des Kapitalismus der letzten 20 Jahre produziert und die heutige Irritation hätte nicht ganz so groß sein müssen, wie sie es nun ist. Dass die damalige Prognose sehr viel besser war als die heutige Diagnose, verweist darauf, dass Letztere nicht als Dummheit aus Unwissenheit, sondern als Dummheit wider besseren Wissens interpretiert werden muss. Anstatt daran festzuhalten, dass es eine Differenz zwischen dem gesellschaftlichen Selbstbild und der gesellschaftlichen Realität gibt, und anstatt diese Feststellung zum Anlass von Ideologiekritik sowohl des herrschenden Bewusstseins als auch derjenigen linken Positionen zu nehmen, die den Herrschenden jedes Selbstbild abnehmen und deren Absichten bloß umgekehrt als Bedrohung deuten, wurde mit der Verdrängung eigener Einsichten zugunsten gängiger Lehrmeinungen begonnen.

Offenbar schärft die Regulationstheorie also – im Gegensatz zu so manch anderer marxistischer Strömung – die Fähigkeit, gesellschaftliche Umbrüche zu registrieren. Auch ist zumindest ein Teil ihrer VertreterInnen so ehrlich, sich davon irritieren zu lassen. Genauso offenbar fehlt es aber an der Bereitschaft, den Kriseneinbruch selbst zu theoretisieren. Denn neben dem Opportunismus, den es braucht, um am akademischen Spiel beteiligt zu werden, gab es auch einen innertheoretischen Grund, auf den Zug der Neoliberalismuskritik aufzuspringen. Die Theorie verbietet es fast schon, der Krise eine größere Rolle innerhalb der Geschichte zuzubilligen als die des Moments, in dem sich der Umbruch vollzieht. Hier ist das Begriffssystem ausgesprochen rigide, weil ihm zufolge die nächste stabile Phase auf jeden Fall entsteht. So sicher, dass am Ende sogar „Unsicherheit“ als „relativ stabil“ beschrieben werden muss. Statt dessen folgt die Theorie hier einem Paradigma, nach dem alle dauerhaften Unklarheiten und Widersprüche aus der Permanenz „gesellschaftlicher Kämpfe“ folgen. Dies schloss in der Vergangenheit die Möglichkeit aus, den angeblichen Neoliberalismus als Regression mit entsprechend irrationalen, mythologischen Bewusstseinsformen zu thematisieren.

Auch die neoliberale Theorie sah einen staatlichen „Ordnungsrahmen der Marktwirtschaft“ vor. Der sollte, wenn er eingehalten würde, für die Ewigkeit „der Marktwirtschaft“ bürgen. Eingehalten wurde er, aber je weniger sich die Ewigkeit einstellen wollte, desto verbissener wurden die „Fehlschläge“ ausgeteilt. Der „Ordnungsrahmen“ wurde, siehe Hartz-IV, mit unmittelbaren Zwangsmaßnahmen unterfüttert. Die Vorstellung, es sei in den letzten 25 Jahren auch nur „relativ“ staatsfrei zugegangen, ist ein Mythos, der den Staat zur unmittelbaren Form menschlichen Zusammenlebens stilisiert, die er auch im Kapitalismus nicht dauerhaft sein kann.

Zwar finden sich im Band hin und wieder Warnungen, dass der ganze Schlamassel auch autoritär enden kann. Dies sind aber zumeist Warnungen im Hinblick auf die Zukunft. Ob aus der Regulationstheorie noch einmal gewinnbringende Einsichten folgen, dürfte sich im wesentlichen daran entscheiden, ob ihre VertreterInnen einzugestehen bereit sind, dass sie sich mit dem Versuch, die „neoliberale Epoche“ marxistisch zu begreifen, an der Rationalisierung vergangener und gegenwärtiger autoritärer Mythen beteiligt haben.




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