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Robert Kurz


erschienen in der Online-Ausgabe
der Wochenzeitung „Freitag“
am 06.02.2009

Robert Kurz

TOTE AUF URLAUB

Ein Zusammenbruch der Arbeitsmärkte ist denkbar geworden

Gibt es eine Weltwirtschaftskrise mit stabilen Arbeitsmärkten? Die Bundesregierung hofft anscheinend immer noch auf die Quadratur des Kreises in dieser Hinsicht. Aber pünktlich zum Start des Krisenjahrs 2009 ist die Arbeitslosenzahl innerhalb weniger Wochen um eine halbe Million gestiegen. Wenn schon im Januar alle Befürchtungen übertroffen werden, kann man sich die weitere Entwicklung ausmalen. Gegen das Wegbrechen der Exportaufträge und der Inlandsnachfrage ist kein Kraut gewachsen. Trotz einer Rekord-Neuverschuldung von 50 Milliarden Euro gleichen die Konjunkturprogramme dem Versuch, eine Lawine mit vorgehaltenen Aktentaschen zu stoppen. Der voreilig gemeldete Erfolg der berüchtigten Abwrackprämie hat sich bereits als Rohrkrepierer erwiesen; nicht nur in der BRD stürzt der Absatz von Autos in einem nie da gewesenen Ausmaß ab. Quer durch das gesamte Branchenspektrum häufen sich die Hiobsbotschaften, obwohl die globale Kettenreaktion der konjunkturellen Abwärtsspirale noch gar nicht in vollem Umfang wirksam geworden ist.

Noch immer wird so getan, als hätten wir es mit einer vielleicht etwas größeren gewöhnlichen Konjunkturdelle zu tun. Tatsächlich ist das „finanzgetriebene Wachstum“ von mehr als zwei Jahrzehnten zum Stillstand gekommen. Die fiktiven Gewinne auch des industriellen Sektors aus den Aktien- und Immobilienblasen lösen sich in Rauchwolken auf. Die davon genährte Defizitkonjunktur war aber schon ein indirektes weltkeynesianisches Rettungsprogramm, das trotz langfristig steigender Sockelarbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung auch die Arbeitsmärkte relativ stabilisiert hatte. Nur deshalb konnten die Konzerne Kernbelegschaften halten, auch wenn diese in einem schleichenden Prozess abgebaut wurden. Die über die Autobranche hinaus um sich greifende Kurzarbeit zeigt, dass diese Stabilisierung zu Ende geht. Zwar will die Bundesregierung durch Verlängerung des Kurzarbeitergelds den Dammbruch verzögern, aber ein solche Subventionierung lässt sich bestenfalls einige Monate durchhalten. Von der Kernbeschäftigung in den Konzernen hängen Millionen Arbeitsplätze in den Zulieferbetrieben und bei den Dienstleistungen ab. Hier wird es kein Zwischenstadium der Kurzarbeit geben, sondern den direkten Übergang zu Massenentlassungen.

Selbst auf dem Höhepunkt der Defizitkonjunktur waren die Gewerkschaften viel zu zahm, um auch nur für die Kernbelegschaften dem Verfall des Lohnniveaus ernsthaft entgegenzutreten. In der Weltwirtschaftskrise versprechen die anstehenden Tarifrunden zum Trauerspiel zu werden, wenn die Konkurrenz um verbleibende Arbeitsplätze mit Zähnen und Klauen ausgetragen wird, während die kapitalkonforme Anbindung der eigenen Forderungen an das Gewinnwachstum ihren Gegenstand verliert. Jetzt sind auch die „aristokratischen“ Kernbeschäftigten in ihrer Arbeitsexistenz nur noch „Tote auf Urlaub“; nicht mehr bloß in Form einer langsamen Ausdünnung, sondern in großflächigem Ausmaß. Nachdem das Finanzsystem bereits die einst stolzen Banker massenhaft aufs Pflaster geworfen hat, ist einigermaßen unerfindlich, warum das produzierende Gewerbe verschont bleiben soll, das doch schon längst nicht mehr selbsttragend war, sondern zuletzt nur noch von der irregulären Kaufkraft aus den Finanzblasen gelebt hatte.

Wenn die Rettungspakete und Konjunkturprogramme nicht einmal den Einbruch der Kernbeschäftigung länger als einige Monate verzögern können, ist das Schicksal der angeschwollenen Randbeschäftigung noch weitaus kurzfristiger absehbar. In allen Industriestaaten schlägt die Stunde der Wahrheit für die geschönte Arbeitslosenstatistik. Den Krisenverwaltungen wird sehr schnell das Geld für die Maßnahmen ausgehen, mit denen Langzeitarbeitslose, Ältere oder Behinderte in einen miserabel ausgestatteten Wartestand abgeschoben wurden. Vor allem aber droht die millionenfache Billigbeschäftigung in einer bisher kaum vorstellbaren Größenordnung unterzugehen. Wie kein anderes europäisches Land hat die BRD im vergangenen Jahrzehnt einen gesellschaftspolitisch gewollten riesigen Billiglohnsektor hervorgebracht. Spiegelbildlich zur immer einseitigeren Exportorientierung wurde der Arbeitsmarkt in einen weitgehend globalisierten Sektor der schrumpfenden Normalarbeit und einen rapide wachsenden Binnensektor der Prekarisierung gespalten. Offenbar besteht die Absicht, in der Krise den ersten Sektor mühsam über Wasser zu halten und den zweiten unter nochmals verschlechterten Bedingungen weiter auszudehnen. So soll die in Aussicht gestellte Mindestlohnregelung für Zeitarbeiter wieder zurückgenommen werden.

Geht schon die erste Rechnung nicht auf, so die zweite noch weniger. Die ungeschützten Zeit- und LeiharbeiterInnen, geringfügig und in Teilzeit Beschäftigten, Scheinselbständigen und 1-Euro-Jobber springen als erste über die Klinge, denn diese ganze Scheinbeschäftigung war noch mehr auf Sand gebaut als diejenige des ersten Sektors. VW hat bereits die erste Entlassungswelle bei der Leiharbeit angekündigt; und das ist noch die Creme der Billigbeschäftigung. Es wäre ein Wunder, wenn ausgerechnet die große Menge der würdelosen Dienstleistungsklitschen im Domestiken- oder Putzgewerbe am Leben bliebe. Ein Zusammenbruch der Arbeitsmärkte auf breiter Front ist denkbar geworden. Sogar die „Wirtschaftswoche“ hat ein Worst-Case-Szenario entwickelt, das in der BRD bis 2013 einen Fall des Bruttoinlandsprodukts um 15 Prozent und eine Arbeitslosenzahl von 8 Millionen für möglich hält. Es geht nicht mehr um einen Abschwung, sondern um eine historische Systemkrise, die mit dem Vorstellungsvermögen und dem Instrumentenbesteck von Merkel, Steinbrück u.Co. nicht mehr zu bewältigen ist.




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