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Robert Kurz


Robert Kurz

Alles im Griff auf dem sinkenden Schiff
Überakkumulation, Verschuldungskrise und "Politik"

Schon seit Mitte der 70er Jahre mehren sich die Anzeichen für eine schwere Reproduktionskrise des warenproduzierenden Weltsystems. Sinkende oder stagnierende Wachstumsraten, eine vom Konjunkturzyklus weitgehend entkoppelte "strukturelle" Sockel-Massenarbeitslosigkeit in den entwickelten OECD-Ländern ebenso wie an der Peripherie des Weltmarkts, zunehmender Protektionismus und aufflackernde Momente eines "Handelskriegs" zwischen den USA, Japan und Europa, nicht zuletzt die schwelende "Schuldenkrise" der Dritten Welt markieren eine nicht abzuleugnende krisenhafte Phänomenologie, die zudem überlagert wird von der gefährlich anwachsenden Krise des Öko-Systems im planetarischen Maßstab: vom "Ozonloch" in der Erdatmosphäre bis zur Zerstörung der Regenwälder Afrikas und Amazoniens, von der Ausbreitung der Wüstengebiete bis zur Vergiftung der Nahrungsketten, von der Vernichtung ökologischer Binnensysteme wie Nordsee, Alpen und Mittelmeer bis zur irreversiblen Verseuchung des Bodens und des Trinkwassers usw.
Gleichzeitig ist aber auch der angebliche "Realsozialismus" als Ex- und Scheinalternative dieses destruktiv gewordenen Systems der Warenproduktion, in Wirklichkeit jedoch Fleisch von demselben Fleisch, in eine, zumindest aktuell, womöglich noch schärfere Krise eingetreten. Stagnation und kulturelle Sklerose, ein immer stärkeres Zurückfallen in der Produktivität gegenüber dem Westen, nationale Unruhen und Separatismus sind ebensolche Kennzeichen dieser Krise wie eine rapide Umweltzerstörung, vielleicht das einzige Gebiet, auf dem der "westliche Standard" nicht nur erreicht, sondern sogar übertroffen wurde.
Aber "irgendwie" scheint es in beiden maroden Systemen doch immer weiterzugehen; der Mensch gewöhnt sich eben an alles, anscheinend sogar an seinen eigenen Untergang. Nachdem eine Zeitlang wohlfeile und moralisierende Apokalypsen in Mode waren, geht es den diversen Krisenpropheten heute ungefähr so wie jenem lügnerischen Schafhirten, der viele Male falschen Wolf-Alarm ausgelöst hatte und dem keiner mehr glauben wollte, als der Wolf wirklich kam. Speziell in der Linken ist seit langem nichts so verpönt und out wie auch nur der leiseste Anklang an jedwede "Zusammenbruchstheorie", was immer auch im einzelnen darunter verstanden wird. Der Kapitalismus erscheint als flexibler und widerstandsfähiger denn je; so sprach Anatoli Dobrynin, Leiter der internationalen Abteilung des ZK der KPdSU, unter dem Zeichen anpassungsstrategischer "Perestrojka" geradezu ehrfürchtig von "... neuen Erscheinungen in der Entwicklung des Kapitalismus, der viel grössere Beständigkeit zeigt, als ursprünglich angenommen wurde"(1). Die Akkumulation des Kapitals scheint sich in der Tat zu verewigen durch alle Krisenphänomene hindurch. An die "relative" Massenarbeitslosigkeit hat man sich gewöhnt; die in absoluter Verelendung und De-Industrialisierung versinkende Dritte Welt zahlt noch immer weiter; der historisch beispiellose Crash der Aktienmärkte vom Oktober 1987 scheint spur- und folgenlos weggesteckt worden zu sein und selbst Tschernobyl ist schon wieder vergessen und versunken wie ein böser Fiebertraum. Der "Realsozialismus", ohnehin von Geburt an ein armer verwachsener Krüppel zwischen "Plan" und "Markt" auf dem Boden warenfetischistischer Reproduktion, schickt sich an, endgültig "vernünftig" zu werden und der betriebswirtschaftlich orientierte Management-Reformer "Gorbi", der Medien wie sämtlicher "Demokratisierungs"-Idioten liebstes Kind, wird es schon richten. So lautet denn offenbar die allgemeine Devise: "Alles im Griff auf dem sinkenden Schiff". Die kurzlebigen Bewusstseinsmoden des Zeitgeistes lassen die zeitweilig gepflegte Untergangsstimmung längst schon wieder als langweilig erscheinen, eben weil das Schiff bis jetzt nicht abgesoffen ist. Zwar nennen sich gelegentlich Rock- und Pop-Gruppen noch immer "Einstürzende Neubauten" oder "Erste Allgemeine Verunsicherung", aber das Krisenbewusstsein wurde ebenso wie die Gesellschaftskritik zum Faschingsschlager verniedlicht. Quer durch alle politisch-ideologischen Lager wird dem weltweiten kapitalistischen Management eine weitreichende Krisenbewältigungs-Kompetenz zugetraut.
Aber die Verhältnisse, sie sind nicht so. Die "fundamentals" haben sich nicht um ein Jota gebessert, sondern im Gegenteil weiter negativ zugespitzt. Der ebenso krude wie begriffslose Biertisch-Empirismus, wie er inzwischen allenthalben den allzu leichten "Glauben" an katastrophische Einbrüche der weltweiten kapitalistischen Reproduktion glücklich verfliegen liess, wird sich in seiner unglaublichen, von keiner Logik getrübten Kurzsichtigkeit noch gewaltig blamieren. Dieser Empirismus ist freilich das angestammte Element des bürgerlich-positivistischen "Tatsachen"-Denkens, das mit einem ungeheuer verkürzten Zeithorizont in den Tag hineinlebt wie ein Kind. Weil die Form der eigenen Vergesellschaftung weder begriffen noch gar unter praktischer Kontrolle ist, wird ihre Dynamik erlebt wie ein äusserer Naturprozess, auf den sich die Subjekte zwischen Furcht und Hoffnung beziehen wie auf die Wirkungen einer unbekannten Macht. Verspottete die bürgerliche "Wirtschafts"-Journaille noch wenige Monate vor dem "schwarzen Montag" vom Oktober 1987 alle "düstere(n) Voraussagen über den alsbaldigen Untergang des Welthandels, des Bankensystems, der Börse und überhaupt der ganzen Wirtschaftsordnung", zu denen man sich selbstverständlich "nicht gesellen" wolle(2), so hiess es dann ein knappes halbes Jahr später mitten im Katzenjammer: "Perdu ist der Glaube an die Machbarkeit"(3), während inzwischen schon wieder "patriotischer Optimismus"(4) angesagt und nach Einschätzung des Ifo-Instituts die "Skepsis als Folge des Börsenkrachs völlig verflogen" ist(5). Wenn sich die bürgerlichen Konjunktur-Auguren selber in aller positivistischen Unschuld eine "kurze Lebensdauer von Prognosen"(6) bescheinigen, dann darf als einigermassen zutreffend angenommen werden, wie Wolfram Engels, der Herausgeber der "Wirtschaftswoche", in einem Anfall von Ehrlichkeit die Realität bürgerlicher "Wirtschaftspolitik" beschreibt: "Der Kanzler erscheint wie ein Tolstoischer Feldherr, der aufgrund falscher Informationen falsche Entscheidungen fällt, die aber, weil sie zum falschen Zeitpunkt die Truppe erreichen, sich segensreich auswirken. Vielleicht war es auch so (!). Wenn die Entscheidung sich aber nachträglich als richtig erwiesen hat, dann sollte man sie wenigstens als das Ergebnis weiser Voraussicht (!) verkaufen"(7).
Dieser gespenstische Humor wirft freilich ein etwas eigenartiges Licht auf die vermeintliche Krisenbewältigungs-Kompetenz "des Kapitals" bzw. seiner Galionsfiguren und Charaktermasken. In Wirklichkeit hat das kapitalistische Krisenmanagement, will man dem "Beobachter aus unterrichteten Kreisen" Glauben schenken, offenbar überhaupt nichts "im Griff"; die fundamentalen Widersprüche der weltumspannenden Warenproduktion setzen sich nach wie vor und mehr denn je "hinter dem Rücken" der warenförmig konstituierten Subjekte durch, im Westen genauso wie im Osten. Der gefährlich und zerstörerisch gewordene Fetischismus der Warenform ist es ja, der beide "Systeme" zu einem Ganzen zusammenschliesst. Beide Gesellschaftsformationen basieren in ihrer Formbestimmung auf abstrakter Arbeit, "Wert", Ware und Geld, und darin liegt auch der gemeinsame Grund ihrer Krise, auch wenn diese sich dem jeweils spezifischen blinden Mechanismus der Warenform entsprechend unterschiedlich und historisch modifiziert äussert.
Selbst wenn die Krise sich gegenwärtig der Oberfläche nach im Osten dramatischer darstellt, so geht ihre innere Dynamik doch vom Westen aus und muss auch primär anhand dessen Widerspruchspotentials begriffen werden. Die tiefe Akkumulations- und Weltmarktkrise wurde dabei durch die bisherigen "aufschiebenden Massnahmen" etwa der G 7 oder der nationalen Weltmarkt-Politiken nicht nur nicht entschärft, sondern vielmehr in ihrer Potenz zu geradezu schwindelerregender Höhe aufgetürmt. Die wirkliche Krisen-Kulmination steht erst noch bevor, und es fragt sich, ob die Möglichkeiten des "Aufschiebens" nicht bereits rettungslos ausgereizt sind. Um die tatsächliche Situation in ihrer ganzen Tragweite zu begreifen, muss allerdings die Logik des Verhältnisses von Wesen und Oberflächenerscheinung in der jüngsten Entwicklungsstufe des Kapitalverhältnisses nachgezeichnet werden.

Die Krise der Kapitalakkumulation

Nachdem die beiden Weltkriege im wesentlichen die vor- und frühkapitalistischen Restsektoren der globalen Reproduktion (das Kolonialsystem ebenso wie Formen traditioneller Subsistenzwirtschaft, Familienverbände, ständisch gefärbte und unflexible Klassenstrukturen usw.) als Hemmnisse einer weiteren Kapitalakkumulation und Totalisierung des Weltmarkts beiseitegefegt hatten, stieg die "fordistische" Nachkriegs-Akkumulation mit der Massenproduktion von Automobilen als "Schlüsselindustrie" sowie Haushalts- und Unterhaltungselektronik etc. zu historisch beispiellosen Wachstumsraten auf: zwischen 1951 und 1965 betrug das Wachstum in der BRD im Durchschnitt knapp 7%, mit sich abflachenden Spitzen von 11,8% (1955), 8,8% (1960) und 6,6% (1964). Die Basis für diese alle früheren Epochen übertreffende Akkumulation, die nach der langen, in den Zweiten Weltkrieg mündenden Depression und Stagnation der 30er Jahre wie ein "Wunder" erscheinen musste, bildeten aber nicht allein die Ausdehnung des Weltmarkts und die Öffnung der Grenzen unter dem Diktat der Vormacht USA, ebensowenig die Reifung neuer Produkte und Technologien zur Massenproduktion bzw. zum Massenbedürfnis schlechthin, sondern vielmehr in erster Linie (jedenfalls aus streng akkumulationstheoretischer Sicht) die damit verbundene Fähigkeit des Kapitals, auf neuer Stufenleiter riesige Massen lebendiger Arbeitskraft in den Zentren der wertproduktiven Industrie einzusaugen.
Dieses "Wunder" des vollentfalteten fordistischen Hochkapitalismus konnte freilich nur eine kurze historische Sekunde lang glänzen; die weitere Abflachung der Wachstumsraten setzte sich kontinuierlich fort: im Jahrzehnt zwischen 1965 und 1975 sank das Wachstum in der BRD auf einen Durchschnitt von knapp 3,2% mit der ersten Nachkriegsrezession im Jahr 1967 (minus 0,1%) und dem schweren Einbruch von 1974/75 (Nullwachstum 74, minus 1,4% 75); von 1975 bis 1987 sackte die durchschnittliche Wachstumsrate dann weiter ab auf knapp 2,3% mit der erneuten Rezession von 1981/82 (Nullwachstum 81, minus 1,0% 82). Dieser Prozess war im grossen und ganzen ein weltweiter, wenn auch innerhalb einer gewissen Schwankungsbreite; so lag das Wachstum vor allem in Japan und später in den südostasiatischen "Schwellenländern" immer und teilweise erheblich über dem Durchschnitt. Insgesamt aber hatte die von den Weltkriegen vorbereitete Totalisierung des Weltmarkts und damit der "abstrakten Arbeit", d.h. die Einbannung der gesamten Reproduktion der Menschheit in die Warenform, die relative Selbständigkeit der einzelnen Volkswirtschaften weiter ausgehöhlt, die weltweite Interdependenz ungeheuer gesteigert und so den Konjunkturverlauf immer mehr zu einem unmittelbaren Welt-Zyklus gemacht, während gleichzeitig die darin eingeschlossene Entfesselung der "betriebswirtschaftlichen" abstrakten Vernutzungslogik die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen einleitete. Sowenig daher den rohen subsistenzwirtschaftlichen Reproduktionsformen, blutsverwandtschaftlichen Verbänden usw. auch nur eine Träne nachzuweinen ist (nicht nur die Autonomen flennen in diesem Zusammenhang gleich literweise und beweisen sich so als pseudo-radikaler Bestandteil der reaktionären Produktivkraftkritik), so muss doch begriffen werden, dass mit der fordistischen Entfesselung der Produktivkräfte ein gewaltiges Destruktionspotential aufgebaut wurde, das seinen Kern im Widerspruch der Warenform selber hat.
Worauf aber ist nun die zunehmende Akkumulationsschwäche des Welt-Kapitals zurückzuführen, die parallel zur "ökologischen" auch die "ökonomische" Krise zurückbrachte? Mit der Herstellung des totalen, vollentfalteten Weltmarkts musste die extensive Expansion des Kapitals an absolute Grenzen stossen, während sich gleichzeitig die intensive Expansion der fordistischen Massenproduktionen zu erschöpfen begann. Die relativ arbeitsintensiven fordistischen Schlüsselindustrien konnten sich nicht weiter ausdehnen, weil sie an die Grenzen des ausschöpfbaren Arbeitskräftepotentials stiessen: in diese Zeit fielen die "Vollbeschäftigung", der Zustrom von "Gastarbeitern" und die Verallgemeinerung der "Frauenerwerbstätigkeit". Mit dem Erreichen dieser Grenzen schrumpfte aber notwendig auch der Spielraum für profitable ERWEITERUNGSINVESTITIONEN zusammen. Mit anderen Worten: ein immer geringerer Teil des in einem Reproduktionszyklus realisierten gesellschaftlichen Mehrwerts konnte von den Kapitalien für eine weitere Expansion "sinnvoll" im Sinne zu erwartender Profite re-investiert werden. Die Investitionsquote begann zu sinken; die Nachkriegs-Akkumulation des Kapitals begann auf neuer Stufenleiter in eine Phase einzutreten, die in der Marxschen Krisentheorie als ÜBERAKKUMULATION bezeichnet wird. Vom Standpunkt der Expansionsfähigkeit des Kapitals ist "zu viel" Kapital akkumuliert worden, die Grenzen der abstrakten "Ausbeutungsfähigkeit" an der gegebenen lebendigen Arbeitskraft und AUF DEM GEGEBENEN NIVEAU DER PRODUKTIVKRÄFTE sind erreicht.
Wenn sich aber die Expansion der Aussaugung "abstrakter Arbeit" im Produktionsprozess erschöpft hat, tritt dies an der Oberfläche des Marktes bald als "Sättigungstendenz" und damit als tendenzielle oder manifeste Absatzkrise in Erscheinung: indem ein geringerer Teil des realisierten Mehrwerts profitabel re-investiert werden kann, werden auch weniger Investitionsgüter (Maschinen, Gebäude usw.) gekauft, weniger Arbeitskräfte neu eingestellt, wodurch auch weniger neue Konsumenten auf dem Markt erscheinen usw. Da sich aber ein Teil der Industrie in der gewöhnlichen kurzsichtigen Extrapolation des Konjunkturzyklus, als er noch in seiner expansiven Phase war, sozusagen "übernommen" und, wie sich jetzt herausstellt, unprofitabel investiert hat, muss dieses Kapital nun in der manifest werdenden Überakkumulation schrumpfen, also ganz oder teilweise vernichtet werden, was wiederum Entlassungen zur Folge hat. Irgendwo muss die Überakkumulation ja massiv in Erscheinung treten. Es wird dann also nicht bloss die weitere Expansion verlangsamt, sondern ein totaler Schrumpfungsprozess tritt im Konjunktur-"Abschwung" ein ("Rezession"), der sich sogar in einer Kettenreaktion zu einem langandauernden Schrumpfungs- und Kapitalvernichtungsprozess steigern kann ("Depression"). Noch ist es zur schweren Depression und damit zu einer neuen Weltwirtschaftskrise nicht gekommen, aber die Tendenz der Überakkumulation ist unübersehbar und hat sich seit Mitte der 70er Jahre zunehmend verschärft.
Um zu begreifen, wie die Überakkumulation des Kapitals zu einem negativen "selbsttragenden" Prozess wird und ihre krisenhafte Eigendynamik entfaltet, muss die von diesem Prozess selbst induzierte Umstrukturierung der Investitionen betrachtet werden. Dass der jeweils realisierte Mehrwert eines Produktionszyklus nicht mehr im grossen Umfang profitabel für Erweiterungsinvestitionen in "fungierendes" Kapital zurückverwandelt werden kann, heisst ja keineswegs, dass nun überhaupt nicht mehr investiert würde. Neben dem Anteil der blossen Ersatz-Investitionen für abgeschriebene Maschinen etc. beginnt vielmehr der Anteil von RATIONALISIERUNGS-UND WISSENSCHAFTS-INVESTITIONEN zu steigen. Da das Kapital insgesamt nicht mehr oder zunehmend geringer expandiert, in der Phase der "Vollbeschäftigung" sich überdies der Konkurrenz-Spielraum der Lohnarbeiter als eine Vorstufe der Überakkumulation verstärkt und die Löhne rasch steigen (nicht als Ursache, aber als verstärkender Impuls der Überakkumulation), kann die Profitabilität der Produktion auch zunehmend nur noch AUF KOSTEN ANDERER KAPITALE gehalten werden: "Die Konkurrenz verschärft sich". Die Jagd nach dem "Extramehrwert" steigert sich zur Existenzfrage, weil auf dem Markt ein rigider Verdrängungswettbewerb einsetzt, und zwar der historisch erreichten globalen Vergesellschaftung entsprechend in vielen Branchen direkt oder indirekt auf der Ebene des Weltmarkts. Für den regional bzw. national bornierten Blick kann dieser Zusammenhang zu einer Wahrnehmungsverzerrung führen und die Überakkumulation vorübergehend aus dem Blickfeld verschwinden, weil Kapitalvernichtung und Arbeitslosigkeit "erfolgreich" exportiert werden. Aus dieser Verzerrung heraus mag dann die Konjunktur bzw. Expansionsfähigkeit des Kapitals in einzelnen Ländern "gespalten" erscheinen: während im Montan-Sektor und im Schiffbau der Schrumpfungsprozess etwa in der BRD manifest ist, expandieren Teile der Automobil- und Elektrobranche noch munter weiter. Die scheinbare Gegenläufigkeit dieser Entwicklung hebt sich jedoch bei Betrachtung des Weltmarkts auf; es handelt sich nur um die Erscheinungsform, wie sich "Gewinner" und "Verlierer" im Gesamtprozess der krisenhaften Überakkumulation national unterschiedlich darstellen. Das "Gesamtkapital" ist selber kein nationales, "volkswirtschaftliches" mehr im alten Sinne, sondern unmittelbar WELTKAPITAL geworden.
Das Kapital wird also von den "Zwangsgesetzen der Konkurrenz" in eine Forcierung der Rationalisierung und Verwissenschaftlichung der Produktion getrieben: seit Jahren steigen die "FuE"-Investitionen, d.h. die Kosten für Forschung und Entwicklung, zumindest in den Schlüsselindustrien und Weltmarkt-Konzernen rapide an. Diese Rationalisierungs- und Wissenschafts-Investitionen sind selber UNPRODUKTIV, d.h. es wird dadurch unmittelbar kein "Wert" und damit natürlich auch kein Mehrwert "geschaffen", aber über die weltweite Konkurrenzvermittlung können sie dem jeweiligen Kapital einen grösseren oder zumindest gleichbleibenden Anteil am Welt-Mehrwert sichern. Sogar schrumpfende Anteile müssen zumindest in Schlüsselbranchen bereits mit hohen Wissenschafts-Investitionen belastet werden. In diesem Prozess wird der innere Selbst-Widerspruch des Kapitalverhältnisses, wie er sich "hinter dem Rücken" der Subjekte durchsetzt, besonders deutlich: indem das einzelne Kapital rationalisiert, Arbeitskräfte entlässt, mehr Produkte mit weniger lebendiger Arbeit herstellt und also seine "Kosten" pro Produkt und insgesamt senkt, um sich seine Profitabilität zu erhalten, trägt es damit ungewollt und unwissentlich, jedoch unvermeidlich zur weiteren forcierten Erosion der Welt-Mehrwertproduktion bei, was sich an der gesellschaftlichen Oberfläche im globalen Massstab als forcierte Kapitalvernichtung (bei den "Verlierern") und als Steigen der Massenarbeitslosigkeit, "Krise des Sozialstaats" usw. anzeigt. Denn es darf nie vergessen werden: die Akkumulation des Gesamtkapitals ist letztlich nichts anderes als die Expansion der abstrakten Vernutzung lebendiger Arbeitskraft, insofern der "Wert" nichts anderes ist als die "Darstellung" vergangener lebendiger menschlicher Arbeit in abstrakter, "geronnener" Form am Produkt. Der forcierte Rationalisierungs- und Verwissenschaftlichungsprozess kann also die Tendenz der Überakkumulation und damit das Krisenpotential nur verschärfen und hat dies auch bereits getan. Die "Freisetzung" der lebendigen Arbeit, d.h. die Verwandlung der "Vollbeschäftigung" in Massenarbeitslosigkeit, den damit verbundenen Druck auf die Löhne und Arbeitsbedingungen eingeschlossen, kann nicht per se zu einer Expansionsfähigkeit des Gesamtkapitals zurückführen, weil die Eigendynamik des wissenschaftlich-technischen Rationalisierungsprozesses irreversibel ist: ein einmal erreichtes Niveau der Technik, der Organisation von Arbeitsprozessen usw. ist für das Kapital nicht mehr hintergehbar. Indem sich so durch den forcierten Verwissenschaftlichungs- und Rationalisierungsprozess der Konkurrenzdruck noch weiter verschärft, steigert sich auch der Druck der BETRIEBSWIRTSCHAFTLICHEN LOGIK bis zum Wahnwitz und bis zur Unerträglichkeit, oft verborgen hinter ausgeklügelten "Motivierungs"-Strategien des Managements. Gleichzeitig mit diesem Druck wächst notwendig die betriebswirtschaftlich motivierte und erzwungene Bedenken- und Rücksichtslosigkeit gegenüber den Folgen der Produktion für die natürlichen Lebensgrundlagen. Trotz erkannter und vielbeschworener Gefahren laufen alle staatlichen und sonstigen Gegenmassnahmen hilflos dem brutalen ökonomischen Erfolgsdruck hinterher. Die schon im fordistischen Nachkriegsboom eingeleitete und aufgebaute Destruktionspotenz gegen die natürliche Umwelt wird immer stärker entfesselt, selbst noch unausgereifte und in ihren Folgen unzureichend erforschte Technologien werden fast schon selbstmörderisch durchgepeitscht.
Es fragt sich nun, wie es um die Chancen einer neuen historischen Expansionsfähigkeit des Kapitals in einem womöglich "nachfordistischen" und "Nachkrisen"-Kapitalismus steht. Der seit Jahren gepredigte offizielle Optimismus sämtlicher Galionsfiguren, Gesundbeter und karrieristischer "Hoffnungsträger" des Kapitalverhältnisses klammert sich, in seiner Begriffslosigkeit zwischen Furcht und Hoffnung schwankend, einerseits an die Macht des Faktischen der im Massenbewusstsein tief verankerten wert- und geldkonstituierten Verkehrsformen, während er andererseits gleichzeitig in jeder vermeintlichen Milderung oder Abschwächung der Krisen-Phänomenologie schon das Licht im Tunnel erblicken möchte. Dass etwa nach dem Oktober-Crash der Aktienmärkte 1987 bisher eine grosse Depression ausgeblieben ist, wird zum Anlass für vorschnelle Prognosen kapitalistischen Glücks in einer neuen Akkumulations-Ära genommen: "Pendulum swings to optimism - it has become fashinable to suggest that the world may be entering a new era of growth", wie die "International Herald Tribune" titelt(8). Eine "new era of growth" aber könnte sich nur aus neuen historischen Kapazitäten zur Vernutzung lebendiger Arbeitskraft im grossen Massstab ableiten. Mit anderen Worten: der Prozess der Verwissenschaftlichung der Produktion müsste die Logik der Rationalisierungs-Einbahnstrasse und damit der sukzessiven Eliminierung und technologischen Substituierung lebendiger Arbeitskraft überwinden. Worin liegen die "Bedingungen der Möglichkeit" eines solchen Auswegs und wie hat der Kapitalismus bisher seine Akkumulationskrisen überwunden?
Der Widerspruch des Kapitalverhältnisses an ihm selbst drückt sich im Verhältnis von Profitrate und Profitmasse (Mehrwertmasse) aus; dieser Widerspruch muss in seinem Rückbezug auf die Produktivkraftentwicklung betrachtet werden. Der von der Konkurrenzvermittlung erzwungene technische Fortschritt führt in Gestalt vielfältiger Formen der "Rationalisierung" dazu, dass für das gesellschaftliche Kapital unabhängig vom Bewusstsein seiner Agenten die Erweiterung der Mehrarbeitszeit und damit des Mehrwerts PRO ARBEITER erkauft werden muss durch eine Verminderung der Mehrwert- und damit Profitmasse PRO EINGESETZTES GELDKAPITAL, weil und sofern gleichzeitig die Masse der von diesem Geldkapital anwendbaren Arbeitskraft durch denselben Prozess vermindert wird. Dies ist der "säkulare" Gesamt- oder Fundamentalwiderspruch der Kapitalakkumulation als klassischer Zweck- Mittel-Konflikt, der sich gleichzeitig in jedem Binnen-Zyklus der Akkumulation mehr oder weniger stark fühlbar macht. Eine "relative" Lösung des Widerspruchs kann nur durch eine steigende Profitmasse gesetzt werden, d.h. durch eine "beschleunigte Akkumulation" des Gesamt-Kapitals. Solange das Kapital in ein von der stofflichen Produktivkraft irgendwann bereitgestelltes Kleid sozusagen "hineinwachsen" kann, wie im Fall der fordistischen Nachkriegs-Industrien, ist dies kein Problem. In der Phase der Überakkumulation aber platzt dieses Kleid aus den Nähten und die Kompensation kann nicht mehr stattfinden; weil das Gesamtkapital nicht mehr beschleunigt akkumulieren kann, setzt sich die Verminderung der Profitmasse pro eingesetztes Geldkapital krisenhaft durch und kann sich bis zum Eskalationsprozess fortentwickeln. Solange in dieser Phase die Produktivkraftentwicklung nur als weitere Rationalisierung und also Substituierung lebendiger Arbeitskraft auftritt, öffnet sich kein Ausweg. Dies ändert sich erst, wenn der technisch-wissenschaftliche Fortschritt in einer neuen und anderen Gestalt aufzutreten beginnt, nämlich nicht mehr als Rationalisierung, sondern als KREIERUNG NEUER KAPITALISTISCHER PRODUKTIONSZWEIGE, sei es als Kapitalisierung und damit Industrialisierung bislang nichtkapitalistisch betriebener (handwerklicher oder bäuerlicher) Produktion, sei es als Entstehung völlig neuer Produktionszweige und Massenbedürfnisse aus der Industrie selbst. Das beste Beispiel sind eben die Schlüssel- und Wachstumsindustrien des Fordismus, also Automobilbau und Haushalts- bzw. Unterhaltungselektronik.
Natürlich können der Zeitraum, in dem dieser Kompensationsmechanismus neuer Industrien als Wachstumsträger NÖTIG wird für die weitere Kapitalakkumulation, und der Zeitraum, in dem sie TATSÄCHLICH ins Leben treten bzw. vor allem reif werden für die Massenproduktion, mehr oder weniger weit auseinanderfallen. Gerade in solchen "historischen Lücken" aber sind die grossen Überakkumulationskrisen angesiedelt, die "Gründerzeit"-Krise am Ende des 19. Jahrhunderts ebenso wie die Weltwirtschaftskrise von 1929 - 33. Da aber der Kapitalismus schliesslich durch weitere Produktivkraftentwicklung in jener zweiten Gestalt jedesmal wieder aus der Krise herausgekommen und in eine neue Epoche der Akkumulation eingemündet ist, scheint sich der bisherigen historischen Empirie zufolge das Kapital nach gewissen Friktionen doch immer wieder am eigenen Schopf aus der Akkumulationsmisere ziehen zu können. So war es bisher, so muss es aber nicht für alle Ewigkeit sein. Es gehört zu den Stereotypen auch der gewöhnlichen marxistischen Überakkumulations-Theorie, dass nach einer Überakkumulationskrise stets und selbstverständlich "...erneut auf Basis erhöhter Produktivkraft und erweitertem Markt der Kreislauf beschleunigter Kapitalakkumulation in Gang kommt" (Bischoff 1986, S. 23). Diese Stereotype setzt völlig blind voraus, dass JEDE neue Stufe der Produktivkraftentwicklung bis in alle Ewigkeit jenen Kompensationsmechanismus neuer Industrien und damit verbundener neuer Fähigkeit des Kapitals zur massenhaften Absorbtion lebendiger Arbeitskraft auf neuer Stufenleiter bringen muss. Wenn Marx in diesem Zusammenhang aber im 3. Band des "Kapital" von einem "GESETZ" spricht, so handelt es sich hier nur um ein Gesetz FÜR die Kapitalakkumulation, nicht um ein Gesetz schlechthin oder quasi ein Naturgesetz, auch nicht um ein Gesetz der Produktivkraftentwicklung an ihr selber. Vielmehr ist in diese Logik durchaus das Erreichen einer Entwicklungsstufe eingeschlossen, in der dieses "Gesetz" der Kapitalakkumulation in einen ABSOLUTEN Widerspruch gerät zur Produktivkraftentwicklung, der immanente Widerspruch des Kapitals also ausweglos wird. Dies auch nur als Möglichkeit auszuschliessen, heisst sich logisch selber auf den Standpunkt der Kapitalakkumulation und deren "Gesetze" zu stellen, also eine absolute innere Schranke des Kapitals an ihm selber apriorisch zu leugnen und damit seiner faktischen Verewigung jedenfalls auf dem geduldigen Papier der Theorie Tür und Tor zu öffnen. Aber auch von den realen empirischen "Fakten" her kann von der Vergangenheit nicht blind auf die Zukunft geschlossen werden. Der "technische Fortschritt" ist keine bloss abstrakte Grösse innerhalb des rein kategorialen Zusammenhangs der Wertformen, sondern hat einen diese Formen sprengenden HISTORISCHEN INHALT, der in die kritische Analyse einbezogen werden muss.
Ähnlich blind, wenn auch auf andere Weise, verhält sich zu diesem Zusammenhang die "Theorie der langen Wellen", wie sie sowohl im bürgerlichen wie im marxistischen Kontext verschiedentlich bemüht wird (vgl. u.a. Kondratieff 1972/1924, Schumpeter 1961/1939, Mandel 1983). Diese Theorie lässt sich zwar im Unterschied zu den bloss wert-immanenten Überakkumulations-Theorien eher auf den INHALT der Produktivkraftentwicklung ein, vernachlässigt dafür aber umgekehrt die Vermittlung zur Produktion von "Wert", damit aber auch zum historischen Kompensationsmechanismus im Verhältnis von steigender Profitmasse und fallender Profitrate; sie argumentiert also rein empiristisch. Die historischen Expansionsepochen des Kapitals, die jeweils mit mehr oder weniger scharfen Krisen-Einschnitten enden, werden dann nach den jeweiligen stofflich-technologischen Träger- und Schlüssel-Industrien benannt und empirisch untersucht ("Kohle-Stahl-Zyklus", "Chemie-Elektro-Zyklus", "Automobil-Zyklus" etc.), wobei Zahl und Unterteilung der "langen Wellen" und ihrer Träger-Technologien je nach empirischer Gewichtung differieren. Da aber die Beziehung zum Verwertungsprozess, d.h. zur abstrakten Vernutzungsmasse lebendiger Arbeit, weitgehend eine theoretische "black box" bleibt, kommt als allgemeiner Befund heraus: "Wenn" neue Technologien neue Produktionszweige kreieren und diese einen gewissen Reifegrad erreicht haben, "dann" kann eine neue "lange Welle" einsetzen, die Krisenperiode einer "alten" und gesättigten Technologie überwunden werden und das Kapital erneut munter akkumulieren.
Die gewöhnliche marxistische Überakkumulationstheorie und die Theorie der langen Wellen verhalten sich also in ihrer Blindheit komplementär: lässt die Überakkumulationstheorie den "technischen Fortschritt" nur inhaltslos als abstrakte Grösse vorkommen und bewegt sich in ihrer Argumentation daher völlig immanent auf dem Boden der fetischistischen "Wert"-Logik, so nimmt die "Lange Wellen"-Theorie umgekehrt ihren tatsächlichen Bezug auf den realen historischen Inhalt des jeweiligen "technischen Fortschritts" zum Anlass, ihrerseits die abstrakte Verwertungslogik lebendiger Arbeitsmassen ebenso abstrakt und äusserlich zu lassen. In beiden Fällen kann dann blauäugig darauf gesetzt werden, dass für immer und ewig nach mehr oder weniger tiefgreifenden Krisen-Einschnitten stets wieder ein neuer historischer Akkumulationszyklus des Kapitals einsetzen kann, sei es weil dies ein "Gesetz" eben sein soll, sei es weil ein neues Spektrum von bestimmten Träger-Technologien heraufdämmert.
Gerade die Untersuchung der heutigen neuen Technologien, allen voran der Mikroelektronik, Computerisierung und "Künstlichen Intelligenz" (KI) in ihrer konkreten Beziehung auf die Zukunft des kapitalistischen Verwertungsprozesses lässt jedoch alle diese nebelhaften Hoffnungen wie Seifenblasen zerplatzen. Denn im Unterschied zu allen früheren technologischen Innovationsschüben dieses Ausmasses handelt es sich bei diesen neuen Träger-Technologien erstmals um reine Automatisierungs-Potentiale, die weit davon entfernt sind, etwa in derselben Weise wie die fordistische Automobilindustrie eine weitere Perspektive für die erneute Fähigkeit des Kapitals zur Absorbtion lebendiger Arbeitskraft im grossen Massstab zu liefern. Dies unterscheidet die neuen Technologien grundsätzlich von allen früheren Industrialisierungs-Epochen der kapitalistischen Geschichte. Weder in ihrer eigenen Produktion noch in ihren Folgen für die "alten" Industrien oder (kaum noch vorhandene) nichtindustrielle Produktionen werden diese Technologien jemals wieder grosse Mengen von Lohnarbeit einsaugen können, sondern umgekehrt menschliche Produktionsarbeit quer durch alle Sektoren der gesellschaftlichen Reproduktion in geometrischer Progression substituieren und eliminieren.
Wer blind auf einen neuen Aufschwung der industriellen Akkumulation durch "neue Technologien" setzt, sollte sich heute von der Informatik eines besseren belehren lassen: "Grosse, teure Maschinen wird man nur noch mit einer bestimmten eingebauten Intelligenz kaufen. Fehler werden durch aktive, intelligente Einheiten selber diagnostiziert .. Bei uns sind in der Verwaltung und Produktion der Güter, die wir täglich benötigen, im Augenblick 50 bis 60 Prozent der Bevölkerung tätig. Diese Zahl wird unter dem Einfluss der Informatik und KI-Technik, die eine bisher nicht vorstellbare Automatisierung erlauben, auf fünf bis sechs Prozent (!) sinken ... Für die meisten Wissenschaftler auf diesem Gebiet ist diese heraufziehende technische Revolution so deutlich, dass ich nicht verstehen kann, warum man nicht wenigstens einmal eine soziologische Studie in Auftrag gibt, die diese potentiellen Umschichtungen untersucht. Will man erst warten, bis die Arbeitslosenzahl auf sechs Millionen angestiegen ist? ..."(9). So etwa der Informatik-Professor Jörg Siekmann (Kaiserslautern), Sprecher des Fachausschusses Künstliche Intelligenz in der Gesellschaft für Informatik.
Diese aktuelle Prognose, die sich mit ähnlichen von kompetenter Seite aus den vergangenen Jahren deckt (vgl. etwa Coy 1985) und nur inzwischen eine höhere Konkretionsstufe erreicht hat, desavouiert die Stereotype der abstrakten Überakkumulations-Theoretiker von der angeblich bevorstehenden "Erneuerung beschleunigter Kapitalakkumulation" als "ewiges Gesetz" ebenso wie die falsche, empiristische Kausal-Logik der "Lange Wellen"-Theorie vom angeblich zwangsläufigen Zusammenhang neuer Technologien und neuer langfristiger Akkumulationszyklen, ganz zu schweigen von den notorischen "Aufschwung"-Prognosen der platten bürgerlichen Konjunktur-Auguren. Die wirkliche "Gesetzmässigkeit" besteht heute gerade darin, dass die säkulare Logik des kapitalistischen Entwicklungsprozesses mit der darin eingeschlossenen absoluten inneren Schranke der Kapitalakkumulation einerseits und die akute historische Überakkumulation andererseits direkt zusammenzufallen beginnen, d.h. dass die "Gesetze" der Produktivkraftentwicklung unwiderruflich und unversöhnlich mit den "Gesetzen" der Kapitalverwertung zusammenknallen müssen. Mit der Entwicklung der "Künstlichen Intelligenz" ist dieser historische Umschlagspunkt von der abstrakten Möglichkeit zur konkreten, manifesten Wirklichkeit geworden. Die wissenschaftlich-technischen Potenzen der GEBRAUCHSWERT-PRODUKTION beginnen die Logik der Wert- oder Warenform überhaupt und damit jede Möglichkeit eines weiteren historischen Verwertungsprozesses zu überholen und aus den Angeln zu heben.
Jede andere Auffassung der Sachlage verfällt dem FETISCHISMUS, der Gebrauchsgüter nur in der Form des "Werts" als einer scheinbaren "Produkt-Eigenschaft" sehen und akzeptieren kann. Der gesellschaftlich reale Schein dieser "Wert"-Eigenschaft wird aber nur dadurch erzeugt, dass an diesen Produkten im fetischistisch konstituierten Bewusstsein der Warenproduzenten vergangene menschlich-gesellschaftliche Arbeit in abstrakter und inhaltsleerer Form "dargestellt" wird als Daseinsweise einer warenproduzierenden Gesellschaft, in der die Produktion der Gebrauchswerte noch im grossen Massstab auf der Verausgabung lebendiger menschlicher Arbeitskraft beruht. Mit der "Künstlichen Intelligenz" aber verschwindet die lebendige Arbeit sukzessive und unwiderruflich in ebenso grossem Massstab aus der industriellen Güter-Herstellung. Damit aber muss auch der fetischistische Schein des "Werts" obsolet werden und die Warenproduktion als solche von ihrem Inhalt her zusammenbrechen, auch wenn die Menschen sich an den warenförmigen bürgerlichen Gesellschaftsbeziehungen verzweifelt festklammern. Die Gebrauchsgüter, gerade weil sie in nie dagewesener Quantität mit geringstem menschlichen Arbeitsaufwand produziert werden, können sich nicht mehr als "Wert" darstellen und daher auch nicht mehr Träger von "Mehrwert" sein.

Die neuen Ärzte am Krankenbett des Kapitalismus

Wenn die linke ebenso wie die bürgerliche Krisentheorie den Zusammenhang von Produktivkraftentwicklung und Kapitalverwertung letztlich unbestimmt lässt und als "black box" behandelt, so nicht allein deswegen, weil diese Linke sich empiristisch bis heute blenden lässt von der relativ kurzzeitigen historischen Erfahrung des beispiellosen fordistischen Nachkriegsbooms und weil sie es versäumt hat, die Unzulänglichkeit der früheren "Zusammenbruchs"-Theorien (R. Luxemburg, H. Grossmann) kritisch aufzuarbeiten. Diese kapitulantenhafte, empiristisch vermittelte Ehrfurcht vor der vermeintlich unbegrenzten Reproduktionsfähigkeit und Elastizität des Kapitals setzt nicht erst auf der abgeleiteten Ebene der Krisentheorie ein, sondern beginnt bereits mit einem Befangenbleiben im unkritischen, fetischistischen Verständnis auf der elementarsten Ebene der Warenform überhaupt. Angelehnt an die noch völlig kapitalimmanenten Interessenkämpfe der alten Arbeiterbewegung bzw. an die nachholende Herausbildung einer bürgerlichen, warenförmigen Gesellschaft in der Sowjetunion, blieb der marxistische Begriff des "Werts" beschränkt auf den Verständnishorizont der klassischen bürgerlichen "politischen Ökonomie", statt deren KRITIK durch Marx konsequent aufzunehmen und weiterzuführen. Dass der "Wert" letztlich "irgendwie" auf "Arbeit" zurückzuführen sei, ist eine Erkenntnis nicht von Marx, sondern bereits von Smith und vor allem Ricardo. Über diese vage ricardianische Bestimmmung, die eine VEREWIGUNG dieses Gesellschaftsverhältnisses durchaus einschliesst, ist die bisherige Linke im wesentlichen nicht hinausgekommen. Der Marxsche theoretische Ansatz einer ABSOLUTEN inneren Schranke des Kapitals steht aber in engster Beziehung gerade zu einer KRITISCHEN Beleuchtung des qualitativen Inhalts der ricardianischen Wertbestimmung, d.h. in der Kritik des Fetischismus, der dieser Bestimmung anhaftet. Da die Linke selber vor einer Kritik des wesentlichen Fetisch-Charakters von "Wert" haltmacht, vor dieser letzten radikalen Konsequenz vielmehr immer zurückgeschreckt ist, muss ihr auch das Obsoletwerden des Werts und damit der Warenform als solcher im erreichten Stand der Verwissenschaftlichung gesellschaftlicher Reproduktion völlig entgehen.
Gerade in der heutigen neuen Qualität der Überakkumulationskrise muss sich diese schwanzwedelnde Immanenz viel deutlicher und peinlicher als in der Vergangenheit zeigen. Während die Autonomen meistens über geifernden Moralismus und Aktionismus nicht hinauskommen, hat sich um den greisenhaften "linken" Sozialdemokratismus, den "realpolitischen" Flügel der Grünen, Teile der Gewerkschaften und die gespenstische Sekte der DKP ein Block akademischer, neo-reformistischer Theoriebildung gruppiert (SOST, Prokla, Argument, IMSF etc.), der nicht nur trotz früherer Kontroversen immer enger zusammenrückt, sondern auch gemeinsam die Hosen der marxistischen Theorie herunterlässt. Ein Beispiel mag für die ganze Richtung stehen: "Eine Lösung des drückenden Problems der chronischen Überakkumulation kann nur im Rahmen eines politischen Konzepts erfolgen, das die im Verhältnis zu den profitablen Anlagemöglichkeiten des Privatkapitals überschüssigen Kapitalmassen abschöpft und sie umlenkt in Richtung auf gesellschaftliche Bedarfsbereiche, d.h. im Rahmen eines Konzepts der Erweiterung des öffentlichen, demokratisch kontrollierbaren Sektors der gesellschaftlichen Produktion und Konsumtion" (Goldberg 1986, S. 18).
Nicht mehr bloss klammheimlich stellen sich solche Aussagen auf den Standpunkt der Kapitalakkumulation als der einzig denkbaren Reproduktionsform, eine Offenheit, die mit der "betriebswirtschaftlichen" Reform der Sowjetunion zum ganz gewöhnlichen Kapitalismus noch zunehmen wird. Der Aberwitz, dass die im Terminus der "Bedarfsbereiche" anklingende Gebrauchswert-Orientierung ausgerechnet auf dem Boden und vermittels der sie gerade verunmöglichenden Wert-Logik, gegen die "Gesetze" der Kapitalverwertung, und doch auf dem Boden dieser "Gesetze" und ohne sie in ihrem Kern anzutasten, "im Rahmen eines politischen Konzepts" durchgesetzt werden soll, verweist schon auf den theoretischen Taschenspielertrick, der den demokratisch salbadernden Neo-Reformismus verbindet und insgesamt auszeichnet: weil eine stringente akkumulationstheoretische Argumentation nicht mehr möglich ist, erfolgt der unwissenschaftliche, dezisionistische Sprung in die "Politik", die als deus ex machina für die Krise der Kapitalakkumulation herhalten soll. Ähnlich Hickel: "Mitbestimmung und Demokratisierung bilden dabei zugleich Instrumente und Ziele einer qualitativen Arbeitspolitik, die auf eine umfassende Politisierung (!) aller grundlegenden ökonomischen und politischen Entscheidungen abzielt. Diese Arbeitspolitik muss die Reorganisation betrieblicher, unternehmerischer (!) und überbetrieblicher Entscheidungsprozesse so betreiben, dass die Arbeitslosigkeit abgebaut und der gesamte ökonomische Entwicklungsprozess wieder mehr (!) an den Kriterien der in den Präferenzen der Menschen (!) fundierten Vorstellungen über Wirtschaftswachstums-, Arbeitsplatz- und Arbeitszeitbedingungen, Einkommensverteilung sowie Umwelt ausgerichtet wird" (Hickel 1987, S. 191).
Auch hier das Sammelsurium unglaublich abgedroschener, überlebter Phrasen eines windelweichen Reformismus, der das Blaue vom Himmel herunterbeschwört, ohne sich um die unausweichliche Logik der Verwertung von "Wert" theoretisch weiter zu bekümmern, aber völlig bewusstlos in diesen Formen selber denkend, deren fetischistische Präformierung des Bewusstseins und der "Präferenzen der Menschen" als Alibi dafür herhalten soll, dass auch der Theoretiker dem Fetisch des "Werts" huldigt. Dieses bis zur Sinnlosigkeit getriebene tautologische Gefasel, das sich zu einer "Politisierung aller politischen Entscheidungen" hinaufstammelt, signalisiert nur den Bankrott aller "Politisierungs"-Strategien der neuen Linken, die sämtlich dem Begriff der bürgerlichen, fetischistisch konstituierten Subjektivität verhaftet bleiben, wie er trotz aller zeitweiligen Revolutionsbeschwörungen mit dem plattesten Reformismus immer schon theoretisch kompatibel war. Die theoretisch haltlose Flucht in die "Politik" ist der gemeinsame Nenner, auf den sich die abgetakelten akademischen Marxisten der neuen Linken offenbar geeinigt haben. Statt zu begreifen, dass zusammen mit dem Fetisch des "Werts" auch die davon konstituierte Sphäre der "Politik" vollkommen obsolet wird, ein heute mit Händen zu greifender und als "Staatsverdrossenheit" bereits landläufig gewordener Prozess, klammert sich diese Linke ausgerechnet an den Strohhalm der "politischen" Subjektivität, als könne diese immanent die absoluten Schranken der Kapitalakkumulation überwinden.
Der Schlüsselbegriff dieses absurden, der Logik wie den Tatsachen hohnsprechenden Eiertanzes, ein veritabler Topos linkssozialistischer und neo-reformistischer Theoriebildung der letzten Jahre, ist der des "AKKUMULATIONSMODELLS", das durch sämtliche einschlägigen Publikationen geistert (vgl. z.B. Altvater 1985a/1985b, Hirsch/Roth 1986, Hickel 1987 u.a.). Dieses Theorem schliesst die beiden Grundannahmen des Neo-Reformismus in sich zusammen. Zum einen nämlich wird der Begriff der Kapitalakkumulation erweitert zu einer Abfolge von "Transformationen", d.h. von "Strukturbrüchen" innerhalb des kapitalistischen Entwicklungsprozesses. Dagegen wäre an sich nichts einzuwenden, wenn etwa solche "Transformationen" aus der Geschichte des Kapitalverhältnisses empirisch benannt werden: "Das System der gesellschaftlichen Arbeitsteilung hat eine tiefgreifende Veränderung beim Übergang vom manufakteriellen Prinzip zur >grossen Industrie< erlebt, ebenso wie zu Beginn dieses Jahrhunderts durch die Einführung der >wissenschaftlichen< Arbeitsorganisation (Taylorismus), des Fliessbandprinzips (Fordismus), sowie des staatlichen Nachfragemanagements (Keynesianismus) in den 30er Jahren..." (Altvater 1985 b, S. 23). Es ist in der Tat theoretisch sinnvoll, die unzureichende Beschränkung etwa der "Lange Wellen"-Theorie auf bestimmte Träger-Technologien zu erweitern und zu ergänzen zu einer umfassenderen Struktur- und Transformations-Periodisierung der kapitalistischen Binnengeschichte. Aber weil die Beziehung zum Wert-Fetisch und zum Verwertungsprozess als solchem nicht systematisch herausgearbeitet wird, erweist sich die scheinbare Historisierung in der Begriffsbildung des "Akkumulationsmodells" in Wirklichkeit als ABSTRAKT-UNHISTORISCHE Konstruktion. Die verschiedenen historischen "Akkumulationsmodelle" stehen zusammenhanglos nebeneinander; es könnte so schon hunderte solcher "Modelle" gegeben haben und noch tausend weitere geben. Mit anderen Worten: das Kapitalverhältnis als GESAMTPROZESS ist in dieser Diktion schlicht aus dem Blickfeld genommen; als "historisch" erscheinen so nur die einzelnen jeweiligen Struktur-Modelle, nicht aber der Kapitalismus als GANZES. Gerade in der Beziehung auf seine "Transformationen" wird das Kapital auf diese Weise theoretisch verewigt: "An diesen Beispielen aus der Geschichte des Kapitalismus zeigt sich die dieser Produktionsweise immanente Möglichkeit zu Transformationen, d.h. zum Formwandel" (Altvater 1985 b, S. 23). In einer Theoriebildung jedoch, die den Kapitalismus auch als Ganzes historisch begreift und seine absolute Schranke nicht bloss in den blanken Willen des Subjekts verlegt, müssen die verschiedenen Akkumulations-Strukturen und ihre Transformationsgeschichte statt in der strukturalistischen Verkürzung bürgerlich-positivistischer "Modell"-Theorien vielmehr als ENTWICKLUNGSSTUFEN EINES EINHEITLICHEN GESAMTPROZESSES entziffert werden. Gerade in diesem Bezug kann dann erst das Verhältnis von Produktivkraftentwicklung und Kapitalakkumulation als ein ENDLICHES erkannt werden, in dem der Fordismus nicht ein "Modell" in einer unendlichen Abfolge von "Modellen" ist, sondern eine nicht mehr transformierbare Endstufe.
Neben die Verewigung des Kapitals tritt im Theorem des "Akkumulationsmodells" die Verkehrung des grundsätzlichen Verhältnisses von "Ökonomie" und "Politik" als theoretischer "Zaubertrick", um die reformistische Flucht in den "politischen Faktor" zu rechtfertigen. In Anlehnung an französische Theoretiker (vgl. Aglietta 1979) wird das "Akkumulationsmodell" gleichzeitig als (POLITISCHES) "REGULIERUNGSMODELL" gedeutet, vor allem der Fordismus als Paradefall (vgl. Altvater 1985 a, S. 82/S. 111 u.a.). Daran ist nur soviel richtig, dass der Kapitalismus als Gesamtprozess und damit auch in seinen historischen Binnenstrukturen natürlich bestimmte jeweilige Politik-Formen bzw. Verhältnisstrukturen von Politik und Ökonomie immer einschliesst. Diese unbezweifelbare Tatsache wird von der linksreformistischen Theorie jedoch dazu benutzt, das fundamentale Verhältnis von "hinter dem Rücken" der Subjekte sich vollziehenden ökonomischen Basisprozessen der Warenproduktion einerseits und "politischer" (bürgerlicher) Subjektivität andererseits klammheimlich auf den Kopf zu stellen, hierin übrigens dem historischen Reformismus (z.B. Hilferding) und dem scheinradikalen Operaismus der 70er Jahre nicht unähnlich. Es erscheint dann so, als könne ein "neues Akkumulationsmodell" statt aus der immanenten Entwicklung der kapitalistischen Produktion selbst aus einem (anzustrebenden) "neuen Typ der Regulierung" heraus kreiert und getragen werden. Schon für den Fordismus ist diese Annahme unhaltbar und kontrafaktisch. Die Weltwirtschaftskrise hat den Keynesianismus hervorgebracht, aber nicht das politische "Regulierungsmodell" des Keynesianismus als solches hat die Krise überwunden und den Nachkriegsboom etwa herbei-"politisiert", sondern das im Warenproduktionsprozess selbst wurzelnde Wachstum stellte sich wieder und auf höherer Stufenleiter ein auf der Basis der Verallgemeinerung der fordistischen arbeitsintensiven Massenproduktionen neuen Typs. Auch ein "postfordistisches" Modell der Akkumulation müsste aus solchen immanenten Potenzen der Warenproduktion selber abgeleitet werden, nicht aber aus vagen Bestimmungen einer blossen "Regulierungs"-Erneuerung, die für sich genommen ein Fisch ohne Wasser wäre. Die Linkssozialisten können neue immanente Wachstumspotenzen der kapitalistischen Produktion nicht nur nicht angeben, sie ignorieren sogar systematisch den realen Inhalt der neuen "postfordistischen" Produktivkraftentwicklung, der ihre Konzeptionen als vollkommen illusionär entlarvt.
Soweit die Überakkumulations-Theorie in das reformistische "Akkumulationsmodell"-Theorem eingearbeitet ist in ihrer verkürzten, im Warenfetisch befangenen Form, hat sie keinerlei besondere theoretische oder praktische Bedeutung mehr, weil sie auch nur auf das hinausläuft, was immer schon feststeht: die weitere Lebensfähigkeit des Kapitalismus nämlich. Der relative Gegensatz zur vulgärmarxistischen Unterkonsumtions-Theorie, die in der BRD vor allem von der Memorandum-Gruppe vertreten wird und die ganz ähnlich wie die bürgerliche Volkswirtschaftslehre die Krisenpotenzen von vornherein in "externen" und von "politischen Kräfteverhältnissen" bestimmten Faktoren angelegt sieht, verschwimmt und löst sich auf in die gemeinsamen guten Ratschläge, die der weiteren Kapitalakkumulation wieder "politisch" auf die Sprünge helfen sollen, möglichst "sozialverträglich" selbstverständlich. Es geht also weder darum, auch nur die theoretische Möglichkeit einer absoluten Schranke der Akkumulation in Erwägung zu ziehen, noch gar aus dem Wirklichwerden dieser Möglichkeit unter unseren Augen irgendwelche Konsequenzen zu ziehen: "Es geht vielmehr darum, auf die Restrukturierungstendenzen im Transformationsprozess Einfluss auszuüben" (Altvater 1985 b, S. 23). Die Krise in allen ihren Erscheinungsformen wird so nicht etwa zum Anlass für eine grundsätzliche Kritik der destruktiven, abstrakten Wert-Ökonomie, sondern für eine paradoxe Reflexion, die ein "neues Funktionieren" der kapitalistischen Produktionsweise ausgerechnet zur VORAUSSETZUNG macht für angeblich "grundlegende Veränderungen": der klassische Part des "Arztes am Krankenbett des Kapitalismus"!
Obwohl der wirkliche Krisen-Einbruch erst noch bevorsteht, sind so die Hoffnungen und Perspektiven der Neo-Reformisten bereits illusionär auf einen zusammenphantasierten "Nachkrisen-Kapitalismus" gerichtet, auch wenn gelegentlich noch ein wenig Fracksausen anklingt: "Vor den >goldenen< 90er Jahren sind erst noch die leidigen Prüfungen der 80er Jahre durchzustehen. Das technisch, politisch, ökonomisch Mögliche, dessen Visionen uns heute faszinieren, muss erst noch realisiert werden" (Altvater 1985 a, S. 79). Dies hindert die Linksreformisten freilich nicht, sich bereits im vermeintlichen "Postfordismus" häuslich einzurichten. So kann es auch kaum verwundern, dass etwa Hirsch/Roth die reale Krisenpotenz und deren mögliche oder wahrscheinliche Dynamik systematisch verdrängen, um sich stattdessen weitschweifig Gedanken zu machen über die lichte Zukunft NACH der Krise, wie schon der Titel ihres vieldiskutierten Buches ("Das neue Gesicht des Kapitalismus") andeutet. So geht es ihnen um die "Wiedergewinnung" kapitalistischer Prosperität, und schon "zeichnen sich die Dimensionen eines neuen >postfordistischen< Kapitalismus ab - mit freilich noch sehr ungewissen Perspektiven" (Hirsch/Roth 1986, S. 11). Die "neuen sozialen Bewegungen" werden hoffnungsvoll auf "das >Jenseits (!!) der Krise<, dessen Vorboten (!) sie sein können" (a.a.O., S. 12 f.) bezogen, womit sich also die Krise fast schon in Wohlgefallen aufgelöst hätte, bevor sie noch ihr Erinnyen-Gesicht so richtig gezeigt hat, in das ein onkelhaft-reformerisches Wohlwollen professoraler Provenienz natürlich nicht so gern blickt. Dass es sich hier keineswegs um eine polemische Überinterpretation handelt, wird auch daran sichtbar, dass Hirsch/Roth im gleichen Atemzug von "eher >nachkapitalistische(n)< Experimenten" (a.a.O., S. 14) und vom "Kontext eines nachkapitalistischen Projekts" (ebda) faseln, wobei offen bleibt, ob die Apostrophierung des Adjektivs "nachkapitalistisch" etwa eine Selbstironisierung darstellen soll. Anything goes: warum soll dann nicht die "Wiedergewinnung KAPITALISTISCHER Prosperität" ausgerechnet die "NACHKAPITALISTISCHEN Projekte" grünen lassen, diese womöglich sogar alimentieren? Vielleicht glauben Hirsch/Roth allerdings auch an den Weihnachtsmann. Felsenfest muss dieser Glaube bei einem einschlägigen grün-alternativen Hans Dampf in allen Gassen sein, der, gestützt auf die "black box" der "Lange Wellen"-Theorie, schon 1985 die hoffnungsvolle Frage "Vor uns die goldenen neunziger Jahre?" gestellt und fröhlich prognostiziert hatte: "Ob früher oder später, das Modell der langen Wellen eröffnet eine sinnvolle Perspektive für die weitere Entwicklung der Industriegesellschaft ... eine neue Perspektive für eine langfristig solide Wirtschaftsentwicklung ..." (Huber 1985, S. 74 f.).
Die diversen linkssozialistischen und neo-reformistischen Strömungen werden so nicht nur untereinander kompatibel, sondern es entwickelt sich auch eine Konvergenz zu den Träumen der bürgerlichen Volkswirtschaftler von einer "new era of growth". Eine solche aber wird es nicht geben: "DER KAPITALISMUS VERLIERT SEIN GESICHT". In diese reale Perspektive, wie sie nur von einer kritischen Analyse der Basisprozesse weltweiter Warenproduktion her gesehen werden kann, ist keinerlei "Automatismus" eines Übergangs zu sozialistischen, d.h.nicht mehr warenproduzierenden Reproduktionsformen eingeschlossen, sondern mindestens ebensosehr der Übergang zu Barbarei, Militärdiktatur und sozialen wie ökologischen Katastrophen. Diesen wird die Menschheit aber nicht dadurch entgehen, dass sie angesichts der Destruktionspotenzen der sterbenden Wertform in haltlosem Illusionismus den Kopf in den Sand steckt. Die linkssozialistischen Prediger eines absurden "radikalen Reformismus", die sich mit dem Fetischismus der warenproduzierenden Gesellschaft um jeden Preis kompatibel halten wollen, sollten sich warm anziehen.

Die Verselbständigung des Geldkapitals

Die Krise der Kapitalakkumulation ist nur die Basis eines umfassenden Krisenprozesses, der auf alle gesellschaftlichen Sektoren übergreifen muss. Neben der ökologischen und der Sozialstaats-Krise ist es insbesondere das Medium der warenförmigen Reproduktion und zugleich ihr Selbstzweck, das GELD selber nämlich, das in die Krise gerät. Dabei handelt es sich gleichzeitig um eine der Formen, in denen die Überakkumulation zuerst an der Oberfläche der Gesellschaft in Erscheinung tritt. In diesem Zusammenhang ist zum Problem des realisierten Mehrwerts und dessen Re-Investition zurückzukehren.
Unter dem Druck der Überakkumulation des gesellschaftlichen Kapitals kann der nicht mehr in Erweiterungs-Investitionen verwandelbare Teil des realisierten Mehrwerts keineswegs völlig von Rationalisierungs- und Wissenschafts-Investitionen absorbiert werden, auch wenn diese rapide ansteigen. Ein bestimmter und von Produktionszyklus zu Produktionszyklus wachsender Teil droht völlig brachzuliegen. Die Tatsache, dass zwar ständig weiter Mehrwert erzeugt und realisiert (wenn auch auf ABNEHMENDER Stufenleiter), davon aber jedesmal weniger profitabel re-investiert werden kann, muss sich ein Ventil suchen. Das Geld "muss arbeiten", d.h. sich vermehren, wie es der abstrakte betriebswirtschaftliche Vernutzungs-Imperativ erzwingt. Ein wachsender Teil des realisierten Mehrwerts verschwindet daher aus der Sphäre der (industriellen) REALAKKUMULATION und wird "angelegt" in der Sphäre des ZINSTRAGENDEN KAPITALS, d.h. als reines Geldkapital, das über das nationale und internationale Banken- und Kreditsystem in Form eines ganzen Spektrums von Schuldverschreibungen (private und staatliche Anleihen usw., nicht umsonst hat gerade das Kreditgeschäft in den letzten Jahren eine ganze Reihe von ausgeklügelten "Innovationen" erlebt) zinstragend "verliehen" wird. Denn für das einzelne Geldkapital ist es völlig gleichgültig, ob es sich direkt durch industrielle Nutzung oder durch blosse Verzinsung "verwertet".
Es wird hier die mystifizierte Form des Geldes als Kapital besonders deutlich, das scheinbar aus sich heraus "mehr Geld" heckt. In der gesamtgesellschaftlichen und weltweiten Reproduktion des Kapitals aber ist es natürlich nur die wert- und damit mehrwertproduktive industrielle Vernutzung lebendiger Arbeitskraft in realen Arbeitsprozessen, die den Mehrwert und damit den Profit gewährleistet. In Wirklichkeit "arbeitet" selbstverständlich nicht das Geld, sondern der menschliche Lohnarbeiter, der den Mehrwert als "Darstellung" seiner vergangenen abstrakten Arbeit an realen Produkten erzeugt. Real kann das Geld nur Kapital sein, weil und sofern es als "fungierendes" Kapital lebendige Arbeitskraft ankauft und vernutzt. Aber im zinstragenden Geldkapital des Banken- und Kreditsystems erscheint diese reale Grundlage nicht; hier besitzt das Geld scheinbar selber unmittelbar die Eigenschaft, mehr Geld zu "hecken". Indem das zinstragende Kapital "eine ganz äusserliche, von der wirklichen Bewegung ... getrennte Gestalt" (Kapital Bd. 3, S. 360) erhält, wird auch eine ebenso äusserliche Verselbständigung des "Kreditüberbaus" möglich. Hier zeigt sich erneut der fundamentale Selbstwiderspruch des Kapitalverhältnisses in anderer Form: Realakkumulation und Akkumulation des zinstragenden Geldkapitals beginnen sich in der Überakkumulation des Kapitals voneinander zu entkoppeln, es findet eine SCHEINBARE Verselbständigung des Geldkapitals statt.
Die berüchtigte "Schuldenkrise" der Dritten Welt hat hier ihren Ursprung. Um den wachsenden Ansturm anlagesuchenden Geldkapitals in die zinstragende Sphäre zu bewältigen, wurde das internationale Kreditsystem ungeheuer ausgeweitet: "Die Erhöhung der Liquidität des internationalen Kreditsystems ist ... die Kehrseite der stockenden realen Akkumulation von Kapital" (Altvater 1987, S. 19). Eine beträchtliche Masse dieses Geldkapitals wurde in die Länder der Dritten Welt verliehen, die dankbar zugriffen, zunächst auch noch zu sehr niedrigen Zinssätzen. Auch dort wurde dieses Geldkapital jedoch nur zu einem sehr geringen Teil industriell, d.h. real wertproduktiv vernutzt. Denn zum einen konnten sich auch diese Länder dem weltweiten Druck auf die Wachstumsraten natürlich nicht entziehen; die Basis des Welt-Zyklus befindet sich in den entwickelten kapitalistischen Ländern selbst und nicht an der Peripherie. Zum andern versickerte ein beträchtlicher Teil dieser Gelder in unproduktiven Prestige- und Militärprojekten (so vor allem in Brasilien) oder im Korruptions-Sumpf, von wo sie prompt und abermals verzinst in das internationale Bankensystem zurücktransferiert wurden.
Zwar hätten die nationalen Notenbanken versuchen können, regulierend auf diese künstliche Aufblähung des Kreditsystems einzuwirken (ohne dass sie damit allerdings das zugrundeliegende Problem der Überakkumulation hätten aus der Welt schaffen können); ein Grossteil dieses Prozesses vollzog sich jedoch ausserhalb des nationalen monetären Regulations-Zugriffs im Rahmen einer Erscheinung, die meistens mit dem Terminus "Eurodollarmarkt" oder "Euro-Bankensystem" umschrieben wird. Ihren Ursprung hatte diese Erscheinung der "Eurodollars" schon in den fünfziger Jahren, als die USA durch Industrieinvestitionen, Truppenstationierung und Touristik eine wachsende Menge Dollars in Europa ausgaben. Nicht alle diese Dollars wurden von den Notenbanken aufgekauft; es entwickelte sich ein (zunächst unbedeutender) Markt "vagabundierender" Dollars ausserhalb des Regulationsbereichs der US-Notenbank (Fed). Im Bankensystem institutionalisiert wurde dieser "freie" Dollarmarkt erstmals Ende der fünfziger Jahre in London, als die englischen Banken Dollarguthaben für eigene Kreditgewährung verwendeten, statt sie in die USA zurückzutransferieren. Sie umgingen damit Kreditbeschränkungen der englischen Notenbank, die sich nicht veranlasst sah, ihre Regulationsmechanismen auf Dollarkredite auszudehnen, die zwar von englischen Banken abgewickelt wurden, aber den Umlauf des nationalen Geldes (Pfund Sterling) nicht berührten. Dieses quasi "exterritoriale" Kreditgeschäft mit "Eurodollars" ausserhalb des Eingriffsbereichs der nationalen Notenbanken begann nun rasch zu expandieren, besonders seitdem die Notenbanken nach der Aufhebung des fixen Dollarkurses nicht mehr gezwungen waren, die im Ausland von den Amerikanern ausgegebenen Dollars in heimischer Währung aufzukaufen. Über Auslandsfilialen waren es bald auch die amerikanischen Banken selbst, die das "Eurodollar"-Geschäft direkt oder indirekt an sich zogen. Inzwischen war der Name "Eurodollarmarkt" bzw. "Eurobankensystem" längst irreführend geworden, weil sich diese quasi "exterritorialen" Kreditgeschäfte der Banken, zunehmend auch der japanischen und anderer, und zunehmend auch in den anderen harten Währungen wie D-Mark und Yen, über die ganze Welt verbreitet hatten. Das Bankensystem, besonders das der USA, hatte sich dadurch praktisch aufgespalten in einen "regulären" Bereich und in einen "irregulären" oder "exterritorialen" Euro-Bereich (vgl. dazu ausführlich Schubert 1985). Diese Entwicklung ist nur eine der monetären Seiten der Totalisierung des Weltmarkts und der Herstellung des Welt-Kapitals als allgemeines Verhältnis, hinter dem die "nationalen" staatlichen Institutionen weit zurückbleiben und hinterherhinken. Und über diesen neuen Bereich des internationalen Kreditsystems floss auch ein beträchtlicher Teil der von der internationalen Überakkumulation des Kapitals freigesetzten liquiden Mittel unkontrolliert in die Dritte Welt.
Dieser unproduktive Abkoppelungsprozess des Geldkapitals von der industriellen Realakkumulation ist also keineswegs bloss auf den Transfer der "Petrodollars", d.h. der Erlöse des OPEC-Kartells aus dem Ölgeschäft in den siebziger Jahren zurückzuführen, wie dies oft fälschlich angenommen wurde (vgl. etwa H. Schmidt 1985), sondern eben auf die nach "Anlage" drängende Anhäufung nicht mehr re-investierten realisierten Mehrwerts in den kapitalistischen Kernländern selbst. Damit aber wurde ein Teufelskreis in Gang gesetzt, der innerhalb weniger Jahre drastisch eskalierte. Da die Verselbständigung des zinstragenden Kapitals von der Realakkumulation auf die Dauer nicht durchgehalten werden kann, musste dieser Prozess als "Schuldenkrise" in Erscheinung treten. Wie stets in historischen Kredit-Explosionen verwandelte sich, nachdem die Kredit-Substanz verpulvert war, die eskalierende Zins-Belastung rasch in ein drückendes und unerträglich werdendes Problem. 1982 wurde Mexiko zum ersten Mal zahlungsunfähig; seither schwelt und flackert die Kreditkrise weiter (unter Einschluss einiger "realsozialistischer" Staaten wie Polen und Rumänien, ganz zu schweigen von Jugoslawien, das seit Jahren vor sich hinbankrottiert).
Der "selbsttragende" Prozess der internationalen Überakkumulationskrise konnte so in ein neues Stadium treten, das der Zins-Explosion, die der unproduktiven Kredit-Expansion logischerweise auf dem Fusse folgen musste. Denn unter dem Einfluss der wuchernden Kredit-Nachfrage, die immer mehr bloss noch dazu diente, die nicht mehr zu bewältigenden Zinsen und Zinseszinsen zu bedienen, konnte natürlich das frühere niedrige Zins-Niveau nicht gehalten werden: "Die Zinsen bilden sich in der Bewegung von Angebot und Nachfrage auf den >telematisch< gesteuerten internationalen Kredit- und Anleihemärkten. Noch niemals zuvor in der Geschichte des modernen kapitalistischen Weltsystems blieben die realen Zinsen über eine so lange Periode auf extrem hohem Niveau und oberhalb oder hart an der Marke der Rentabilität des Realkapitals. Selbst die nominalen Zinssenkungen der jüngsten Zeit haben wegen der fast auf Null reduzierten Inflation die Realzinsen nicht bedeutsam verringert" (Altvater 1987, S. 19 f.).
Damit aber wird es noch "unrentabler", Geldkapital wieder in die industrielle Realakkumulation zurückzuführen, und der Prozess der Überakkumulation verstärkt sich so aus sich heraus: "Angesichts der rückläufigen Rentabilität in Sachanlagen verändert sich das Investitions- und Anlageverhalten der Kapitale (ebenso wie die Portfoliostruktur) zugunsten zinstragender Anlagen ... Gemessen in nominellen Grössen überstiegen bspw. in den USA in den Jahren 1981 und 1982 die Zinserträge die Erträge aus Sachanlagen. Am eklatantesten fällt dieser Vergleich für Grossbritannien aus, wo der Nominalzinssatz um mehr als zehn Prozentpunkte über der Rentabilität liegt ..." (Hübner 1983, S. 12). Selbst wenn sich seither das Verhältnis für die Sachanlageninvestitionen nominell wieder etwas verbessert hat, so wird deren irreversibles Risiko in einer Zeit verschärfter Konkurrenz und in vielen Branchen akut oder tendenziell schrumpfender Märkte gegenüber der "Flüssigkeit" des (vor allem kurzfristig angelegten) zinstragenden Geldkapitals nicht aus der Welt geschafft. Die liquiden Mittel aus nicht mehr re-investiertem Mehrwert fliessen weiterhin in das internationale Kreditsystem und erzeugen einen "Anlage"-Druck, während die Dritte Welt unter der Zinslast zusammenbricht und sich zu Tode exportiert, gleichzeitig aber die selber unter dem Druck der Überakkumulation stehenden entwickelten OECD-Länder wiederum gegen diesen Export-Druck (dessen Erlöse sie doch nur in ihrer Eigenschaft als Gläubiger mit Zinszahlungen bedienen sollen!) durch protektionistische Schranken mobil machen und das Zinsniveau insgesamt hoch bleibt.
In diesem Teufelskreis von stockender Realakkumulation und zinstreibender Verschuldungs-Eskalation hat sich die Welt-Warenökonomie rettungslos verfangen. Die Verschuldung der Dritten Welt ist dabei nur die Spitze des Eisbergs, die akut sichtbar geworden ist. Der Gesamt-Verschuldungsprozess im Weltmassstab reicht viel tiefer und weiter; er umfasst auch die ständig steigende Staatsschuld in allen Ländern sowie die Verschuldung der Privaten und der Unternehmen in den entwickelten Ländern selbst, die noch nicht in ihr akutes Krisenstadium getreten ist. Vor allem aber werden sämtliche globalen Verschuldungsprozesse inzwischen seit Mitte der achtziger Jahre überwölbt von der gewaltigen Staatsschuld der USA selber (hochgetrieben hauptsächlich durch die Reagansche Aufrüstungspolitik in einem historisch beispiellosen Ausmass), deren Brisanz in erster Linie darin besteht, dass sie im Unterschied zu den anderen Industrieländern wegen der extrem niedrigen US-Sparquote immer weniger aus heimischen Spargeldern finanziert werden kann, sondern auf den permanenten und wachsenden Zufluss ausländischen Geldkapitals angewiesen ist. Die USA sind so zum "Staubsauger" geworden, der in einem eskalierenden Prozess das liquide Geldkapital aus der ganzen Welt ansaugt, dabei in Konkurrenz zur Dritten Welt tritt und auf diese Weise die Gesamtsituation weiter verschärft. Das gigantische Handelsbilanzdefizit der USA stellt nur die güterwirtschaftliche Kehrseite des Verschuldungsprozesses in ausländischem Geldkapital dar. Es wurde auf diese Seite ein euphemistisch "Ungleichgewicht" genannter Zustand des Weltmarkts geschaffen (de facto bezahlen die Überschussländer mit ihren Krediten an die USA ihre eigenen Ausfuhrrekorde), der nur in einem nicht mehr allzu fernen völligen Desaster enden kann.
Das Kreditsystem, an sich ein mächtiger Hebel zur Entfesselung der Kapitalakkumulation, schlägt so in eine ebenso mächtige Krisenpotenz um; denn die Verschuldung kann national wie international ruhig expandieren, solange auch die Realakkumulation expandiert; ihre Schranke wird jedoch erreicht mit der Schranke des Verwertungsprozesses selbst (vgl. dazu grundsätzlich Kapital Bd. 3), die sich nach einer heute fast ausgereizten Inkubationszeit als Zusammenbruch des Geld- und Kreditsystems gewaltsam äussern muss. Die scheinbare Verselbständigung des zinstragenden Kapitals, d.h. die Entkoppelung des Kreditsystems von der Realakkumulation, ist in allen grossen historischen Krisen des Kapitals eine Begleiterscheinung der Überakkumulation gewesen und hat schliesslich immer notwendig zum monetären "Krach" geführt. Dies galt für die "Gründerzeit"-Krise am Ende des 19. Jahrhunderts ebenso wie für die Weltwirtschaftskrise 1929 - 33. Die heutige Krise wird in dieser Hinsicht keine Ausnahme machen, im Gegenteil. Der Unterschied zu den früheren Krisenprozessen ist nur der, dass sich der unproduktiv angewachsene und verselbständigte Kredit-Überbau heute in wesentlich gigantischeren Dimensionen bewegt als damals und dass kein neuer historischer Schub der Realakkumulation mehr zu erwarten ist.
Umso lächerlicher muss die Annahme erscheinen, das internationale Kapital bzw. seine diversen Repräsentanten hätten die Lage gegenwärtig durch "Krisenmanagement" wirklich im Griff. Dieses "Management" etwa von G 7, Gläubigerbanken, IWF und Weltbank hat bis jetzt auf geradezu stupide Weise lediglich durch immer neues "Aufschieben", durch "Umschuldungen", Neuverschuldung, Zuschiessen von "Liquidität" durch die Notenbanken usw. nur zu einer weiteren Eskalation der Entkoppelung des monetären Überbaus beigetragen, die sich von Monat zu Monat verschärft und offenbar bereits in die "heisse Phase" gigantischer Schwindelmanöver auf allen Ebenen einzutreten beginnt. Etwas anderes ist auch gar nicht möglich, denn der Schlüssel für das Problem liegt weder in der subjektiven "Profitgier" des Bankenkapitals noch in sonstigen geheimnisvollen bewussten Machenschaften irgendwelcher Bösewichter, wie es vor allem der ebenso wütende wie alberne Moralismus der Autonomen gewöhnlich unterstellt, sondern in den objektiven Gesetzen des kapitalistischen Verwertungsprozesses "hinter dem Rücken" der Subjekte selber, Gesetzen also, die sich jedem bewussten Zugriff innerhalb des Bezugssystems der Warenproduktion völlig entziehen. Ob die Akteure des teilweise schon zur Schmierenkomödie heruntergewirtschafteten Weltmarkt-Dramas gerade noch über die Runden kommen, als Gewinner gefeiert oder in U-Haft eingeliefert werden, Selbstmord verüben oder sich mit einigen Milliönchen nach Südafrika absetzen, ist jenseits aller moralischen Beurteilung für den katastrophischen Gang der Systemlogik herzlich gleichgültig. Auch der geplanten Errichtung eines Lehrstuhls für "Wirtschaftsethik" an der Universität Eichstätt dürften keine besonders erheblichen Systemrettungskompetenzen zuzuschreiben sein.
Auf dieser Ebene der bürgerlichen Fetisch-Subjektivität wird freilich auch wieder die blinde Hilflosigkeit und Immanenz des linkssozialistischen Neo-Reformismus und seiner akademischen Koryphäen besonders deutlich. So fleissig sie in empirischer Hinsicht auch sind, so haarsträubend und unlogisch bleibt ihre begriffliche Durchdringung der ökonomischen Probleme der Wertform-Vergesellschaftung und deren krisenhafter Entfaltung im Massstab des Weltkapitals, die längst jeder Kontrollfähigkeit entglitten ist. Auch hinsichtlich der Verselbständigung des zinstragenden Kapitals und der "Schuldenkrise", der "Handels-Ungleichgewichte" etc. muss wieder die "Politik" als deus ex machina herhalten, ganz so, als wäre die teilweise selbst im Ansatz formulierte Herleitung dieser Probleme aus den Gesetzen der Kapitalakkumulation (d.h. ausserhalb des Zugriffsbereichs politischer und insofern kapitalimmanenter Regulierung) eigentlich bedeutungslos. In seiner einschlägigen Monographie betont daher A. Schubert gleich einleitend, "dass die Krise vor allem im politischen Bereich der internationalen Beziehungen gelöst werden muss" (Schubert 1985, S. 20). Dabei wird schliesslich auch noch die URSACHE des monetären Krisenprozesses kontrafaktisch auf die "politische" Ebene transformiert: "Die Verschuldungskrise drückt das Vorhandensein von tief verankerten internationalen HERRSCHAFTSSTRUKTUREN sowohl im realen als auch im monetären Segment des Weltmarkts aus. Diese Herrschaftsstrukturen sind zum Hemmnis der weltweiten produktiven Akkumulation geworden. Ohne eine POLITISCHE ENTSCHEIDUNG zur Veränderung dieser Machtstrukturen, also der Hegemonialstellung der USA, können weder die Verschuldungskrise noch die ausgeprägten Stagnationstendenzen der Weltwirtschaft überwunden werden" (Schubert, a.a.O., S. 273, Hervorheb. R.K.).
SOLL denn diese "Stagnation" im Rahmen der bestehenden Ordnung überwunden werden? Weiteres betriebswirtschaftliches Zerstörungs-"Wachstum" also? Ganz davon abgesehen: Wer wirklich "herrscht" in dieser Welt, aus der die Linksreformisten weder hinausdenken können noch wollen, ist das GELD in seiner Selbstbewegung als Ausdruck des "automatischen Subjekts" (Marx) der Wertform als einer sterbenden und in ihrem Sterben für die menschliche Reproduktion tödlich gewordenen gesellschaftlichen Fetisch-Abstraktion. Von einem Begreifen dieser entscheidenden Ebene ist (nicht nur) Schubert weit entfernt. Als selbsternannter "Arzt am Krankenbett des Kapitalismus" kann und darf er nicht an die wirkliche Herrschaft des Geldes rühren, muss vielmehr selber blind in dieser Geldform denken, d.h. sich Sorgen um die weitere Akkumulation des subjektlosen Katastrophen-Monstrums machen. Für die vermeintliche Ursachenforschung ist daher ein plumper "Ebenensprung" erforderlich. Obwohl die (ebenso unbezweifelbare wie brüchig gewordene) "politische Herrschaft" der USA an der Oberfläche der Geschichte nur der Ausdruck und die immanente Verlaufsform der dahinterstehenden Selbstbewegung der Wertform und damit des Geldes in der historischen Totalisierung des Weltmarkts ist, also überhaupt keine wirklich eigenständige Daseinsform von "Herrschaft", muss die Krisenursache in diesen abgeleiteten und unselbständigen Bereich hinübergelogen werden. Schubert wirft also hanebüchen die fundamentale Ebene der globalen Kapitalakkumulation mit der sekundären politischen Oberflächenebene durcheinander. Ein (zu erwartender) Hegemonialverlust der USA als POLITISCHE VERLAUFSFORM der weltweiten Überakkumulationskrise kann jedoch in keinster Weise die auf einer ganz anderen Ebene angesiedelten "Stagnationstendenzen der Weltwirtschaft" überwinden, also auch nicht die wirklichen Ursachen der "Schuldenkrise" tangieren.
Der schon hinsichtlich der zukünftigen Kapitalakkumulation und ihrer Bedingungen zu beobachtende "politisierende" Mystizismus der Neo-Reformisten macht sich an dieser Stelle potenziert auf der Sekundärebene der monetären Krise bemerkbar. Denn selbst einen neuen historischen Aufschwung der Akkumulation, eine "new era of growth" vorausgesetzt (wofür es keinerlei Gründe gibt), so müsste sich doch ZUERST die angesammelte faule Expansion des internationalen Kredit-Systems, der Spekulation und des globalen Schwindels in einem noch ausstehenden "Entwertungs-Krach" entladen. Diese Lawine ist trotz des Oktober-Crash von 1987 noch bei weitem nicht niedergegangen, aber daran führt in letzter Instanz überhaupt kein Weg vorbei. Es gehört zu einer vulgären Omnipotenz-Mythologie des Kapitals bzw. seiner nationalen wie internationalen "politischen" Repräsentanten, wenn diesen die Fähigkeit angedichtet wird, sie könnten den Kelch des monetären Zusammenbruchs und der darauffolgenden verheerenden Depression durch "richtige" Willensentscheidungen innerhalb der Logik des Geldes an der kapitalistischen Weltwirtschaft vorübergehen lassen. Was diese Herrschaften auch immer in der jetzigen Situation noch tun mögen, es kann nur "falsch" sein.Die milden Vorschläge, die sich Schubert, Altvater u.Co. aus den fleissigen Fingern saugen, sind von geradezu abenteuerlicher Naivität: "Die USA, d.h. die US-Regierung, müsste einen breit angelegten internationalen Verhandlungsprozess initiieren, der die Weltmarktstellung der armen Länder entscheidend verändert und globale Impulse für die gesellschaftliche Erneuerung in der Dritten Welt gibt" (Schubert, a.a.O., S. 274 f.). Da wäre es fast besser, gleich mit Herrn Woytila zusammen eine Gebets-Initiative in Gang zu setzen, denn solche Konjunktive gehören auf den Wunschzettel eines artigen Kindes, das ans Christkind schreibt, aber nicht in das Resümee einer theoretischen Untersuchung über den Zusammenhang von Überakkumulation und monetärer Weltmarkt-Krise.
Während die Autonomen ihre Begriffslosigkeit hinsichtlich der Berliner IWF-Jahrestagung 1988 dadurch ausdrückten, dass sie "Mit Mördern diskutiert man nicht" skandierten (wäre es denn anders, wenn gute und wohlwollende Menschen als Charaktermasken der Fetisch-Ökonomie fungierten?), entblödete sich umgekehrt Schubert schon 1984 nicht, "... statt einer Schwächung ... eine durch demokratische Entscheidungen (!) legitimierte Stärkung des IWF als zentrale Institution des internationalen Währungs- und Kreditsystems" (Schubert 1984, S. 447) zu fordern sowie eine "... Wiederbelebung jener Ideen, die 1944 zur Gründung des IWF beitrugen" (ebda). Dass dies natürlich auch immer schon kapitalistische und imperialistische "Ideen" waren, spielt schon fast keine Rolle mehr. Das unglaublich hohle und stereotype, jedem beliebigen Krisen-Sachverhalt gegenüber gebetsmühlenhaft heruntergeleierte "Demokratisierungs"-Gefasel als "politische" Flucht der Neo-Reformisten nach rückwärts, zu den abstrakten Idealen der bürgerlichen Emanzipationsbewegungen von der Aufklärung bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, spiegelt nur ihre hoffnungslose, fetischistische Befangenheit in den destruktiven Abstraktionen der Warenproduktion.


LITERATUR

1. Aglietta, M. (1979), A Theory of Capitalist Regulation, London
2. Altvater, E. (1985 a), Kredit und Hegemonie, in: Vor uns die goldenen neunziger Jahre?, München
3. Altvater, E. (1985 b), Das Jahr 2000, der Weltmarkt und Fidel Castro, in: Arbeit 2000, Hamburg
4. Altvater, E. (1987), Die Schulden des Südens und die Schuld des Nordens, in: Gewerkschaftliche Monatshefte 1/87
5. Bischoff,J. (1986), Überakkumulation, Krise und neokonservative Strategie, in: Kontroversen zur Krisentheorie, Hamburg
6. Coy, W. (1985), Industrieroboter, Berlin
7. Goldberg, J. (1986), Chronische Überakkumulation von Kapital und die Krise des staatsmonopolistischen Regulierungstyps, in: Kontroversen zur Krisentheorie, Hamburg
8. Hickel, R. (1987), Ein neuer Typ der Akkumulation?, Hamburg
9. Hirsch J./Roth, R. (1986), Das neue Gesicht des Kapitalismus, Hamburg
10. Huber, J. (1985), Modell und Theorie der langen Wellen, in: Vor uns die goldenen neunziger Jahre?, München
11. Hübner, K. (1983), Warum dauert die Krise so lange?, in: Überproduktion - Unterkonsumtion - Depression, Hamburg
12. Kondratieff, N.D. (1972/ zuerst 1924), Die langen Wellen der Konjunktur, Berlin
13. Mandel, E. (1983), Die langen Wellen im Kapitalismus, Frankfurt/M.
14. Schmidt, H. (1985), Eine Revolution auf Pump?, in: Die Zeit vom 15.2.85
15. Schubert, A. (1984), Internationaler Währungsfonds: Krisenmanager ohne Legitimation, in: Welt aktuell '85, Reinbek
16. Schubert, A. (1985), Die internationale Verschuldung, Frankfurt/M.
17. Schumpeter, J. (1961, zuerst englisch 1939), Konjunkturzyklen, 2 Bde., Göttingen




(1) zit. nach: Nürnberger Nachrichten vom 14.4.88

(2) Wirtschaftswoche vom 29.5.87

(3) Wirtschaftswoche vom 30.10.87

(4) Wirtschaftswoche vom 5.2.88

(5) Süddeutsche Zeitung vom 22.8.88

(6) Handelsblatt vom 21.12.87

(7) Wirtschaftswoche vom 5.2.88

(8) International Herald Tribune v. 26.9.88

(9) Die Welt v. 7.11.88



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