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Robert Kurz
Alles im Griff auf dem sinkenden Schiff
Überakkumulation, Verschuldungskrise und "Politik"
Schon seit Mitte der 70er Jahre mehren sich die Anzeichen für eine schwere
Reproduktionskrise des warenproduzierenden Weltsystems. Sinkende oder stagnierende
Wachstumsraten, eine vom Konjunkturzyklus weitgehend entkoppelte "strukturelle"
Sockel-Massenarbeitslosigkeit in den entwickelten OECD-Ländern ebenso wie
an der Peripherie des Weltmarkts, zunehmender Protektionismus und aufflackernde
Momente eines "Handelskriegs" zwischen den USA, Japan und Europa, nicht zuletzt
die schwelende "Schuldenkrise" der Dritten Welt markieren eine nicht abzuleugnende
krisenhafte Phänomenologie, die zudem überlagert wird von der gefährlich
anwachsenden Krise des Öko-Systems im planetarischen Maßstab: vom
"Ozonloch" in der Erdatmosphäre bis zur Zerstörung der Regenwälder
Afrikas und Amazoniens, von der Ausbreitung der Wüstengebiete bis zur Vergiftung
der Nahrungsketten, von der Vernichtung ökologischer Binnensysteme wie
Nordsee, Alpen und Mittelmeer bis zur irreversiblen Verseuchung des Bodens und
des Trinkwassers usw.
Gleichzeitig ist aber auch der angebliche "Realsozialismus" als Ex- und Scheinalternative
dieses destruktiv gewordenen Systems der Warenproduktion, in Wirklichkeit jedoch
Fleisch von demselben Fleisch, in eine, zumindest aktuell, womöglich noch schärfere
Krise eingetreten. Stagnation und kulturelle Sklerose, ein immer stärkeres
Zurückfallen in der Produktivität gegenüber dem Westen, nationale Unruhen
und Separatismus sind ebensolche Kennzeichen dieser Krise wie eine rapide Umweltzerstörung,
vielleicht das einzige Gebiet, auf dem der "westliche Standard" nicht nur erreicht,
sondern sogar übertroffen wurde.
Aber "irgendwie" scheint es in beiden maroden Systemen doch immer weiterzugehen;
der Mensch gewöhnt sich eben an alles, anscheinend sogar an seinen eigenen
Untergang. Nachdem eine Zeitlang wohlfeile und moralisierende Apokalypsen in
Mode waren, geht es den diversen Krisenpropheten heute ungefähr so wie
jenem lügnerischen Schafhirten, der viele Male falschen Wolf-Alarm ausgelöst
hatte und dem keiner mehr glauben wollte, als der Wolf wirklich kam. Speziell
in der Linken ist seit langem nichts so verpönt und out wie auch nur der
leiseste Anklang an jedwede "Zusammenbruchstheorie", was immer auch im einzelnen
darunter verstanden wird. Der Kapitalismus erscheint als flexibler und widerstandsfähiger
denn je; so sprach Anatoli Dobrynin, Leiter der internationalen Abteilung des
ZK der KPdSU, unter dem Zeichen anpassungsstrategischer "Perestrojka" geradezu
ehrfürchtig von "... neuen Erscheinungen in der Entwicklung des Kapitalismus,
der viel grössere Beständigkeit zeigt, als ursprünglich angenommen
wurde"(1). Die Akkumulation des Kapitals scheint
sich in der Tat zu verewigen durch alle Krisenphänomene hindurch. An die
"relative" Massenarbeitslosigkeit hat man sich gewöhnt; die in absoluter
Verelendung und De-Industrialisierung versinkende Dritte Welt zahlt noch immer
weiter; der historisch beispiellose Crash der Aktienmärkte vom Oktober
1987 scheint spur- und folgenlos weggesteckt worden zu sein und selbst Tschernobyl
ist schon wieder vergessen und versunken wie ein böser Fiebertraum. Der
"Realsozialismus", ohnehin von Geburt an ein armer verwachsener Krüppel zwischen
"Plan" und "Markt" auf dem Boden warenfetischistischer Reproduktion, schickt
sich an, endgültig "vernünftig" zu werden und der betriebswirtschaftlich orientierte
Management-Reformer "Gorbi", der Medien wie sämtlicher "Demokratisierungs"-Idioten
liebstes Kind, wird es schon richten. So lautet denn offenbar die allgemeine
Devise: "Alles im Griff auf dem sinkenden Schiff". Die kurzlebigen Bewusstseinsmoden
des Zeitgeistes lassen die zeitweilig gepflegte Untergangsstimmung längst
schon wieder als langweilig erscheinen, eben weil das Schiff bis jetzt nicht
abgesoffen ist. Zwar nennen sich gelegentlich Rock- und Pop-Gruppen noch immer
"Einstürzende Neubauten" oder "Erste Allgemeine Verunsicherung", aber das Krisenbewusstsein
wurde ebenso wie die Gesellschaftskritik zum Faschingsschlager verniedlicht.
Quer durch alle politisch-ideologischen Lager wird dem weltweiten kapitalistischen
Management eine weitreichende Krisenbewältigungs-Kompetenz zugetraut.
Aber die Verhältnisse, sie sind nicht so. Die "fundamentals" haben sich
nicht um ein Jota gebessert, sondern im Gegenteil weiter negativ zugespitzt.
Der ebenso krude wie begriffslose Biertisch-Empirismus, wie er inzwischen allenthalben
den allzu leichten "Glauben" an katastrophische Einbrüche der weltweiten kapitalistischen
Reproduktion glücklich verfliegen liess, wird sich in seiner unglaublichen,
von keiner Logik getrübten Kurzsichtigkeit noch gewaltig blamieren. Dieser
Empirismus ist freilich das angestammte Element des bürgerlich-positivistischen
"Tatsachen"-Denkens, das mit einem ungeheuer verkürzten Zeithorizont in den
Tag hineinlebt wie ein Kind. Weil die Form der eigenen Vergesellschaftung weder
begriffen noch gar unter praktischer Kontrolle ist, wird ihre Dynamik erlebt
wie ein äusserer Naturprozess, auf den sich die Subjekte zwischen Furcht
und Hoffnung beziehen wie auf die Wirkungen einer unbekannten Macht. Verspottete
die bürgerliche "Wirtschafts"-Journaille noch wenige Monate vor dem "schwarzen
Montag" vom Oktober 1987 alle "düstere(n) Voraussagen über den alsbaldigen
Untergang des Welthandels, des Bankensystems, der Börse und überhaupt
der ganzen Wirtschaftsordnung", zu denen man sich selbstverständlich "nicht
gesellen" wolle(2), so hiess es dann ein knappes
halbes Jahr später mitten im Katzenjammer: "Perdu ist der Glaube an die
Machbarkeit"(3), während inzwischen schon
wieder "patriotischer Optimismus"(4) angesagt
und nach Einschätzung des Ifo-Instituts die "Skepsis als Folge des Börsenkrachs
völlig verflogen" ist(5). Wenn sich die
bürgerlichen Konjunktur-Auguren selber in aller positivistischen Unschuld eine
"kurze Lebensdauer von Prognosen"(6) bescheinigen,
dann darf als einigermassen zutreffend angenommen werden, wie Wolfram Engels,
der Herausgeber der "Wirtschaftswoche", in einem Anfall von Ehrlichkeit die
Realität bürgerlicher "Wirtschaftspolitik" beschreibt: "Der Kanzler erscheint
wie ein Tolstoischer Feldherr, der aufgrund falscher Informationen falsche Entscheidungen
fällt, die aber, weil sie zum falschen Zeitpunkt die Truppe erreichen,
sich segensreich auswirken. Vielleicht war es auch so (!). Wenn die Entscheidung
sich aber nachträglich als richtig erwiesen hat, dann sollte man sie wenigstens
als das Ergebnis weiser Voraussicht (!) verkaufen"(7).
Dieser gespenstische Humor wirft freilich ein etwas eigenartiges Licht auf die
vermeintliche Krisenbewältigungs-Kompetenz "des Kapitals" bzw. seiner Galionsfiguren
und Charaktermasken. In Wirklichkeit hat das kapitalistische Krisenmanagement,
will man dem "Beobachter aus unterrichteten Kreisen" Glauben schenken, offenbar
überhaupt nichts "im Griff"; die fundamentalen Widersprüche der weltumspannenden
Warenproduktion setzen sich nach wie vor und mehr denn je "hinter dem Rücken"
der warenförmig konstituierten Subjekte durch, im Westen genauso wie im Osten.
Der gefährlich und zerstörerisch gewordene Fetischismus der Warenform ist
es ja, der beide "Systeme" zu einem Ganzen zusammenschliesst. Beide Gesellschaftsformationen
basieren in ihrer Formbestimmung auf abstrakter Arbeit, "Wert", Ware und Geld,
und darin liegt auch der gemeinsame Grund ihrer Krise, auch wenn diese sich
dem jeweils spezifischen blinden Mechanismus der Warenform entsprechend unterschiedlich
und historisch modifiziert äussert.
Selbst wenn die Krise sich gegenwärtig der Oberfläche nach im Osten dramatischer
darstellt, so geht ihre innere Dynamik doch vom Westen aus und muss auch primär
anhand dessen Widerspruchspotentials begriffen werden. Die tiefe Akkumulations-
und Weltmarktkrise wurde dabei durch die bisherigen "aufschiebenden Massnahmen"
etwa der G 7 oder der nationalen Weltmarkt-Politiken nicht nur nicht entschärft,
sondern vielmehr in ihrer Potenz zu geradezu schwindelerregender Höhe aufgetürmt.
Die wirkliche Krisen-Kulmination steht erst noch bevor, und es fragt sich, ob
die Möglichkeiten des "Aufschiebens" nicht bereits rettungslos ausgereizt sind.
Um die tatsächliche Situation in ihrer ganzen Tragweite zu begreifen, muss
allerdings die Logik des Verhältnisses von Wesen und Oberflächenerscheinung
in der jüngsten Entwicklungsstufe des Kapitalverhältnisses nachgezeichnet
werden.
Die Krise der Kapitalakkumulation
Nachdem die beiden Weltkriege im wesentlichen die vor- und frühkapitalistischen
Restsektoren der globalen Reproduktion (das Kolonialsystem ebenso wie Formen
traditioneller Subsistenzwirtschaft, Familienverbände, ständisch gefärbte
und unflexible Klassenstrukturen usw.) als Hemmnisse einer weiteren Kapitalakkumulation
und Totalisierung des Weltmarkts beiseitegefegt hatten, stieg die "fordistische"
Nachkriegs-Akkumulation mit der Massenproduktion von Automobilen als "Schlüsselindustrie"
sowie Haushalts- und Unterhaltungselektronik etc. zu historisch beispiellosen
Wachstumsraten auf: zwischen 1951 und 1965 betrug das Wachstum in der BRD im
Durchschnitt knapp 7%, mit sich abflachenden Spitzen von 11,8% (1955), 8,8%
(1960) und 6,6% (1964). Die Basis für diese alle früheren Epochen übertreffende
Akkumulation, die nach der langen, in den Zweiten Weltkrieg mündenden Depression
und Stagnation der 30er Jahre wie ein "Wunder" erscheinen musste, bildeten aber
nicht allein die Ausdehnung des Weltmarkts und die Öffnung der Grenzen unter
dem Diktat der Vormacht USA, ebensowenig die Reifung neuer Produkte und Technologien
zur Massenproduktion bzw. zum Massenbedürfnis schlechthin, sondern vielmehr
in erster Linie (jedenfalls aus streng akkumulationstheoretischer Sicht) die
damit verbundene Fähigkeit des Kapitals, auf neuer Stufenleiter riesige Massen
lebendiger Arbeitskraft in den Zentren der wertproduktiven Industrie einzusaugen.
Dieses "Wunder" des vollentfalteten fordistischen Hochkapitalismus konnte freilich
nur eine kurze historische Sekunde lang glänzen; die weitere Abflachung der
Wachstumsraten setzte sich kontinuierlich fort: im Jahrzehnt zwischen 1965 und
1975 sank das Wachstum in der BRD auf einen Durchschnitt von knapp 3,2% mit
der ersten Nachkriegsrezession im Jahr 1967 (minus 0,1%) und dem schweren Einbruch
von 1974/75 (Nullwachstum 74, minus 1,4% 75); von 1975 bis 1987 sackte die durchschnittliche
Wachstumsrate dann weiter ab auf knapp 2,3% mit der erneuten Rezession von 1981/82
(Nullwachstum 81, minus 1,0% 82). Dieser Prozess war im grossen und ganzen ein
weltweiter, wenn auch innerhalb einer gewissen Schwankungsbreite; so lag das
Wachstum vor allem in Japan und später in den südostasiatischen "Schwellenländern"
immer und teilweise erheblich über dem Durchschnitt. Insgesamt aber hatte die
von den Weltkriegen vorbereitete Totalisierung des Weltmarkts und damit der
"abstrakten Arbeit", d.h. die Einbannung der gesamten Reproduktion der Menschheit
in die Warenform, die relative Selbständigkeit der einzelnen Volkswirtschaften
weiter ausgehöhlt, die weltweite Interdependenz ungeheuer gesteigert und so
den Konjunkturverlauf immer mehr zu einem unmittelbaren Welt-Zyklus gemacht,
während gleichzeitig die darin eingeschlossene Entfesselung der "betriebswirtschaftlichen"
abstrakten Vernutzungslogik die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen
einleitete. Sowenig daher den rohen subsistenzwirtschaftlichen Reproduktionsformen,
blutsverwandtschaftlichen Verbänden usw. auch nur eine Träne nachzuweinen
ist (nicht nur die Autonomen flennen in diesem Zusammenhang gleich literweise
und beweisen sich so als pseudo-radikaler Bestandteil der reaktionären Produktivkraftkritik),
so muss doch begriffen werden, dass mit der fordistischen Entfesselung der Produktivkräfte
ein gewaltiges Destruktionspotential aufgebaut wurde, das seinen Kern im Widerspruch
der Warenform selber hat.
Worauf aber ist nun die zunehmende Akkumulationsschwäche des Welt-Kapitals
zurückzuführen, die parallel zur "ökologischen" auch die "ökonomische" Krise
zurückbrachte? Mit der Herstellung des totalen, vollentfalteten Weltmarkts
musste die extensive Expansion des Kapitals an absolute Grenzen stossen, während
sich gleichzeitig die intensive Expansion der fordistischen Massenproduktionen
zu erschöpfen begann. Die relativ arbeitsintensiven fordistischen Schlüsselindustrien
konnten sich nicht weiter ausdehnen, weil sie an die Grenzen des ausschöpfbaren
Arbeitskräftepotentials stiessen: in diese Zeit fielen die "Vollbeschäftigung",
der Zustrom von "Gastarbeitern" und die Verallgemeinerung der "Frauenerwerbstätigkeit".
Mit dem Erreichen dieser Grenzen schrumpfte aber notwendig auch der Spielraum
für profitable ERWEITERUNGSINVESTITIONEN zusammen. Mit anderen Worten: ein
immer geringerer Teil des in einem Reproduktionszyklus realisierten gesellschaftlichen
Mehrwerts konnte von den Kapitalien für eine weitere Expansion "sinnvoll" im
Sinne zu erwartender Profite re-investiert werden. Die Investitionsquote begann
zu sinken; die Nachkriegs-Akkumulation des Kapitals begann auf neuer Stufenleiter
in eine Phase einzutreten, die in der Marxschen Krisentheorie als ÜBERAKKUMULATION
bezeichnet wird. Vom Standpunkt der Expansionsfähigkeit des Kapitals ist "zu
viel" Kapital akkumuliert worden, die Grenzen der abstrakten "Ausbeutungsfähigkeit"
an der gegebenen lebendigen Arbeitskraft und AUF DEM GEGEBENEN NIVEAU DER PRODUKTIVKRÄFTE
sind erreicht.
Wenn sich aber die Expansion der Aussaugung "abstrakter Arbeit" im Produktionsprozess
erschöpft hat, tritt dies an der Oberfläche des Marktes bald als "Sättigungstendenz"
und damit als tendenzielle oder manifeste Absatzkrise in Erscheinung: indem
ein geringerer Teil des realisierten Mehrwerts profitabel re-investiert werden
kann, werden auch weniger Investitionsgüter (Maschinen, Gebäude usw.) gekauft,
weniger Arbeitskräfte neu eingestellt, wodurch auch weniger neue Konsumenten
auf dem Markt erscheinen usw. Da sich aber ein Teil der Industrie in der gewöhnlichen
kurzsichtigen Extrapolation des Konjunkturzyklus, als er noch in seiner expansiven
Phase war, sozusagen "übernommen" und, wie sich jetzt herausstellt, unprofitabel
investiert hat, muss dieses Kapital nun in der manifest werdenden Überakkumulation
schrumpfen, also ganz oder teilweise vernichtet werden, was wiederum Entlassungen
zur Folge hat. Irgendwo muss die Überakkumulation ja massiv in Erscheinung
treten. Es wird dann also nicht bloss die weitere Expansion verlangsamt, sondern
ein totaler Schrumpfungsprozess tritt im Konjunktur-"Abschwung" ein ("Rezession"),
der sich sogar in einer Kettenreaktion zu einem langandauernden Schrumpfungs-
und Kapitalvernichtungsprozess steigern kann ("Depression"). Noch ist es zur
schweren Depression und damit zu einer neuen Weltwirtschaftskrise nicht gekommen,
aber die Tendenz der Überakkumulation ist unübersehbar und hat sich seit Mitte
der 70er Jahre zunehmend verschärft.
Um zu begreifen, wie die Überakkumulation des Kapitals zu einem negativen "selbsttragenden"
Prozess wird und ihre krisenhafte Eigendynamik entfaltet, muss die von diesem
Prozess selbst induzierte Umstrukturierung der Investitionen betrachtet werden.
Dass der jeweils realisierte Mehrwert eines Produktionszyklus nicht mehr im
grossen Umfang profitabel für Erweiterungsinvestitionen in "fungierendes" Kapital
zurückverwandelt werden kann, heisst ja keineswegs, dass nun überhaupt nicht
mehr investiert würde. Neben dem Anteil der blossen Ersatz-Investitionen für
abgeschriebene Maschinen etc. beginnt vielmehr der Anteil von RATIONALISIERUNGS-UND
WISSENSCHAFTS-INVESTITIONEN zu steigen. Da das Kapital insgesamt nicht mehr
oder zunehmend geringer expandiert, in der Phase der "Vollbeschäftigung" sich
überdies der Konkurrenz-Spielraum der Lohnarbeiter als eine Vorstufe der Überakkumulation
verstärkt und die Löhne rasch steigen (nicht als Ursache, aber als verstärkender
Impuls der Überakkumulation), kann die Profitabilität der Produktion auch
zunehmend nur noch AUF KOSTEN ANDERER KAPITALE gehalten werden: "Die Konkurrenz
verschärft sich". Die Jagd nach dem "Extramehrwert" steigert sich zur Existenzfrage,
weil auf dem Markt ein rigider Verdrängungswettbewerb einsetzt, und zwar der
historisch erreichten globalen Vergesellschaftung entsprechend in vielen Branchen
direkt oder indirekt auf der Ebene des Weltmarkts. Für den regional bzw. national
bornierten Blick kann dieser Zusammenhang zu einer Wahrnehmungsverzerrung führen
und die Überakkumulation vorübergehend aus dem Blickfeld verschwinden, weil
Kapitalvernichtung und Arbeitslosigkeit "erfolgreich" exportiert werden. Aus
dieser Verzerrung heraus mag dann die Konjunktur bzw. Expansionsfähigkeit des
Kapitals in einzelnen Ländern "gespalten" erscheinen: während im Montan-Sektor
und im Schiffbau der Schrumpfungsprozess etwa in der BRD manifest ist, expandieren
Teile der Automobil- und Elektrobranche noch munter weiter. Die scheinbare Gegenläufigkeit
dieser Entwicklung hebt sich jedoch bei Betrachtung des Weltmarkts auf; es handelt
sich nur um die Erscheinungsform, wie sich "Gewinner" und "Verlierer" im Gesamtprozess
der krisenhaften Überakkumulation national unterschiedlich darstellen. Das
"Gesamtkapital" ist selber kein nationales, "volkswirtschaftliches" mehr im
alten Sinne, sondern unmittelbar WELTKAPITAL geworden.
Das Kapital wird also von den "Zwangsgesetzen der Konkurrenz" in eine Forcierung
der Rationalisierung und Verwissenschaftlichung der Produktion getrieben: seit
Jahren steigen die "FuE"-Investitionen, d.h. die Kosten für Forschung und Entwicklung,
zumindest in den Schlüsselindustrien und Weltmarkt-Konzernen rapide an. Diese
Rationalisierungs- und Wissenschafts-Investitionen sind selber UNPRODUKTIV,
d.h. es wird dadurch unmittelbar kein "Wert" und damit natürlich auch kein
Mehrwert "geschaffen", aber über die weltweite Konkurrenzvermittlung können
sie dem jeweiligen Kapital einen grösseren oder zumindest gleichbleibenden
Anteil am Welt-Mehrwert sichern. Sogar schrumpfende Anteile müssen zumindest
in Schlüsselbranchen bereits mit hohen Wissenschafts-Investitionen belastet
werden. In diesem Prozess wird der innere Selbst-Widerspruch des Kapitalverhältnisses,
wie er sich "hinter dem Rücken" der Subjekte durchsetzt, besonders deutlich:
indem das einzelne Kapital rationalisiert, Arbeitskräfte entlässt, mehr Produkte
mit weniger lebendiger Arbeit herstellt und also seine "Kosten" pro Produkt
und insgesamt senkt, um sich seine Profitabilität zu erhalten, trägt es damit
ungewollt und unwissentlich, jedoch unvermeidlich zur weiteren forcierten Erosion
der Welt-Mehrwertproduktion bei, was sich an der gesellschaftlichen Oberfläche
im globalen Massstab als forcierte Kapitalvernichtung (bei den "Verlierern")
und als Steigen der Massenarbeitslosigkeit, "Krise des Sozialstaats" usw. anzeigt.
Denn es darf nie vergessen werden: die Akkumulation des Gesamtkapitals ist letztlich
nichts anderes als die Expansion der abstrakten Vernutzung lebendiger Arbeitskraft,
insofern der "Wert" nichts anderes ist als die "Darstellung" vergangener lebendiger
menschlicher Arbeit in abstrakter, "geronnener" Form am Produkt. Der forcierte
Rationalisierungs- und Verwissenschaftlichungsprozess kann also die Tendenz
der Überakkumulation und damit das Krisenpotential nur verschärfen und hat
dies auch bereits getan. Die "Freisetzung" der lebendigen Arbeit, d.h. die Verwandlung
der "Vollbeschäftigung" in Massenarbeitslosigkeit, den damit verbundenen Druck
auf die Löhne und Arbeitsbedingungen eingeschlossen, kann nicht per se zu einer
Expansionsfähigkeit des Gesamtkapitals zurückführen, weil die Eigendynamik
des wissenschaftlich-technischen Rationalisierungsprozesses irreversibel ist:
ein einmal erreichtes Niveau der Technik, der Organisation von Arbeitsprozessen
usw. ist für das Kapital nicht mehr hintergehbar. Indem sich so durch den forcierten
Verwissenschaftlichungs- und Rationalisierungsprozess der Konkurrenzdruck noch
weiter verschärft, steigert sich auch der Druck der BETRIEBSWIRTSCHAFTLICHEN
LOGIK bis zum Wahnwitz und bis zur Unerträglichkeit, oft verborgen hinter ausgeklügelten
"Motivierungs"-Strategien des Managements. Gleichzeitig mit diesem Druck wächst
notwendig die betriebswirtschaftlich motivierte und erzwungene Bedenken- und
Rücksichtslosigkeit gegenüber den Folgen der Produktion für die natürlichen
Lebensgrundlagen. Trotz erkannter und vielbeschworener Gefahren laufen alle
staatlichen und sonstigen Gegenmassnahmen hilflos dem brutalen ökonomischen
Erfolgsdruck hinterher. Die schon im fordistischen Nachkriegsboom eingeleitete
und aufgebaute Destruktionspotenz gegen die natürliche Umwelt wird immer stärker
entfesselt, selbst noch unausgereifte und in ihren Folgen unzureichend erforschte
Technologien werden fast schon selbstmörderisch durchgepeitscht.
Es fragt sich nun, wie es um die Chancen einer neuen historischen Expansionsfähigkeit
des Kapitals in einem womöglich "nachfordistischen" und "Nachkrisen"-Kapitalismus
steht. Der seit Jahren gepredigte offizielle Optimismus sämtlicher Galionsfiguren,
Gesundbeter und karrieristischer "Hoffnungsträger" des Kapitalverhältnisses
klammert sich, in seiner Begriffslosigkeit zwischen Furcht und Hoffnung schwankend,
einerseits an die Macht des Faktischen der im Massenbewusstsein tief verankerten
wert- und geldkonstituierten Verkehrsformen, während er andererseits gleichzeitig
in jeder vermeintlichen Milderung oder Abschwächung der Krisen-Phänomenologie
schon das Licht im Tunnel erblicken möchte. Dass etwa nach dem Oktober-Crash
der Aktienmärkte 1987 bisher eine grosse Depression ausgeblieben ist, wird
zum Anlass für vorschnelle Prognosen kapitalistischen Glücks in einer neuen
Akkumulations-Ära genommen: "Pendulum swings to optimism - it has become
fashinable to suggest that the world may be entering a new era of growth", wie
die "International Herald Tribune" titelt(8).
Eine "new era of growth" aber könnte sich nur aus neuen historischen Kapazitäten
zur Vernutzung lebendiger Arbeitskraft im grossen Massstab ableiten. Mit anderen
Worten: der Prozess der Verwissenschaftlichung der Produktion müsste die Logik
der Rationalisierungs-Einbahnstrasse und damit der sukzessiven Eliminierung
und technologischen Substituierung lebendiger Arbeitskraft überwinden. Worin
liegen die "Bedingungen der Möglichkeit" eines solchen Auswegs und wie
hat der Kapitalismus bisher seine Akkumulationskrisen überwunden?
Der Widerspruch des Kapitalverhältnisses an ihm selbst drückt sich im Verhältnis
von Profitrate und Profitmasse (Mehrwertmasse) aus; dieser Widerspruch muss
in seinem Rückbezug auf die Produktivkraftentwicklung betrachtet werden. Der
von der Konkurrenzvermittlung erzwungene technische Fortschritt führt in Gestalt
vielfältiger Formen der "Rationalisierung" dazu, dass für das gesellschaftliche
Kapital unabhängig vom Bewusstsein seiner Agenten die Erweiterung der Mehrarbeitszeit
und damit des Mehrwerts PRO ARBEITER erkauft werden muss durch eine Verminderung
der Mehrwert- und damit Profitmasse PRO EINGESETZTES GELDKAPITAL, weil und sofern
gleichzeitig die Masse der von diesem Geldkapital anwendbaren Arbeitskraft durch
denselben Prozess vermindert wird. Dies ist der "säkulare" Gesamt- oder Fundamentalwiderspruch
der Kapitalakkumulation als klassischer Zweck- Mittel-Konflikt, der sich gleichzeitig
in jedem Binnen-Zyklus der Akkumulation mehr oder weniger stark fühlbar macht.
Eine "relative" Lösung des Widerspruchs kann nur durch eine steigende Profitmasse
gesetzt werden, d.h. durch eine "beschleunigte Akkumulation" des Gesamt-Kapitals.
Solange das Kapital in ein von der stofflichen Produktivkraft irgendwann bereitgestelltes
Kleid sozusagen "hineinwachsen" kann, wie im Fall der fordistischen Nachkriegs-Industrien,
ist dies kein Problem. In der Phase der Überakkumulation aber platzt dieses
Kleid aus den Nähten und die Kompensation kann nicht mehr stattfinden; weil
das Gesamtkapital nicht mehr beschleunigt akkumulieren kann, setzt sich die
Verminderung der Profitmasse pro eingesetztes Geldkapital krisenhaft durch und
kann sich bis zum Eskalationsprozess fortentwickeln. Solange in dieser Phase
die Produktivkraftentwicklung nur als weitere Rationalisierung und also Substituierung
lebendiger Arbeitskraft auftritt, öffnet sich kein Ausweg. Dies ändert sich
erst, wenn der technisch-wissenschaftliche Fortschritt in einer neuen und anderen
Gestalt aufzutreten beginnt, nämlich nicht mehr als Rationalisierung, sondern
als KREIERUNG NEUER KAPITALISTISCHER PRODUKTIONSZWEIGE, sei es als Kapitalisierung
und damit Industrialisierung bislang nichtkapitalistisch betriebener (handwerklicher
oder bäuerlicher) Produktion, sei es als Entstehung völlig neuer Produktionszweige
und Massenbedürfnisse aus der Industrie selbst. Das beste Beispiel sind eben
die Schlüssel- und Wachstumsindustrien des Fordismus, also Automobilbau und
Haushalts- bzw. Unterhaltungselektronik.
Natürlich können der Zeitraum, in dem dieser Kompensationsmechanismus neuer
Industrien als Wachstumsträger NÖTIG wird für die weitere Kapitalakkumulation,
und der Zeitraum, in dem sie TATSÄCHLICH ins Leben treten bzw. vor allem reif
werden für die Massenproduktion, mehr oder weniger weit auseinanderfallen.
Gerade in solchen "historischen Lücken" aber sind die grossen Überakkumulationskrisen
angesiedelt, die "Gründerzeit"-Krise am Ende des 19. Jahrhunderts ebenso wie
die Weltwirtschaftskrise von 1929 - 33. Da aber der Kapitalismus schliesslich
durch weitere Produktivkraftentwicklung in jener zweiten Gestalt jedesmal wieder
aus der Krise herausgekommen und in eine neue Epoche der Akkumulation eingemündet
ist, scheint sich der bisherigen historischen Empirie zufolge das Kapital nach
gewissen Friktionen doch immer wieder am eigenen Schopf aus der Akkumulationsmisere
ziehen zu können. So war es bisher, so muss es aber nicht für alle Ewigkeit
sein. Es gehört zu den Stereotypen auch der gewöhnlichen marxistischen Überakkumulations-Theorie,
dass nach einer Überakkumulationskrise stets und selbstverständlich "...erneut
auf Basis erhöhter Produktivkraft und erweitertem Markt der Kreislauf beschleunigter
Kapitalakkumulation in Gang kommt" (Bischoff 1986, S. 23). Diese Stereotype
setzt völlig blind voraus, dass JEDE neue Stufe der Produktivkraftentwicklung
bis in alle Ewigkeit jenen Kompensationsmechanismus neuer Industrien und damit
verbundener neuer Fähigkeit des Kapitals zur massenhaften Absorbtion lebendiger
Arbeitskraft auf neuer Stufenleiter bringen muss. Wenn Marx in diesem Zusammenhang
aber im 3. Band des "Kapital" von einem "GESETZ" spricht, so handelt es sich
hier nur um ein Gesetz FÜR die Kapitalakkumulation, nicht um ein Gesetz schlechthin
oder quasi ein Naturgesetz, auch nicht um ein Gesetz der Produktivkraftentwicklung
an ihr selber. Vielmehr ist in diese Logik durchaus das Erreichen einer Entwicklungsstufe
eingeschlossen, in der dieses "Gesetz" der Kapitalakkumulation in einen ABSOLUTEN
Widerspruch gerät zur Produktivkraftentwicklung, der immanente Widerspruch
des Kapitals also ausweglos wird. Dies auch nur als Möglichkeit auszuschliessen,
heisst sich logisch selber auf den Standpunkt der Kapitalakkumulation und deren
"Gesetze" zu stellen, also eine absolute innere Schranke des Kapitals an ihm
selber apriorisch zu leugnen und damit seiner faktischen Verewigung jedenfalls
auf dem geduldigen Papier der Theorie Tür und Tor zu öffnen. Aber auch von
den realen empirischen "Fakten" her kann von der Vergangenheit nicht blind auf
die Zukunft geschlossen werden. Der "technische Fortschritt" ist keine bloss
abstrakte Grösse innerhalb des rein kategorialen Zusammenhangs der Wertformen,
sondern hat einen diese Formen sprengenden HISTORISCHEN INHALT, der in die kritische
Analyse einbezogen werden muss.
Ähnlich blind, wenn auch auf andere Weise, verhält sich zu diesem Zusammenhang
die "Theorie der langen Wellen", wie sie sowohl im bürgerlichen wie im marxistischen
Kontext verschiedentlich bemüht wird (vgl. u.a. Kondratieff 1972/1924, Schumpeter
1961/1939, Mandel 1983). Diese Theorie lässt sich zwar im Unterschied zu den
bloss wert-immanenten Überakkumulations-Theorien eher auf den INHALT der Produktivkraftentwicklung
ein, vernachlässigt dafür aber umgekehrt die Vermittlung zur Produktion von
"Wert", damit aber auch zum historischen Kompensationsmechanismus im Verhältnis
von steigender Profitmasse und fallender Profitrate; sie argumentiert also rein
empiristisch. Die historischen Expansionsepochen des Kapitals, die jeweils mit
mehr oder weniger scharfen Krisen-Einschnitten enden, werden dann nach den jeweiligen
stofflich-technologischen Träger- und Schlüssel-Industrien benannt und empirisch
untersucht ("Kohle-Stahl-Zyklus", "Chemie-Elektro-Zyklus", "Automobil-Zyklus"
etc.), wobei Zahl und Unterteilung der "langen Wellen" und ihrer Träger-Technologien
je nach empirischer Gewichtung differieren. Da aber die Beziehung zum Verwertungsprozess,
d.h. zur abstrakten Vernutzungsmasse lebendiger Arbeit, weitgehend eine theoretische
"black box" bleibt, kommt als allgemeiner Befund heraus: "Wenn" neue Technologien
neue Produktionszweige kreieren und diese einen gewissen Reifegrad erreicht
haben, "dann" kann eine neue "lange Welle" einsetzen, die Krisenperiode einer
"alten" und gesättigten Technologie überwunden werden und das Kapital erneut
munter akkumulieren.
Die gewöhnliche marxistische Überakkumulationstheorie und die Theorie der
langen Wellen verhalten sich also in ihrer Blindheit komplementär: lässt die
Überakkumulationstheorie den "technischen Fortschritt" nur inhaltslos als abstrakte
Grösse vorkommen und bewegt sich in ihrer Argumentation daher völlig immanent
auf dem Boden der fetischistischen "Wert"-Logik, so nimmt die "Lange Wellen"-Theorie
umgekehrt ihren tatsächlichen Bezug auf den realen historischen Inhalt des
jeweiligen "technischen Fortschritts" zum Anlass, ihrerseits die abstrakte Verwertungslogik
lebendiger Arbeitsmassen ebenso abstrakt und äusserlich zu lassen. In beiden
Fällen kann dann blauäugig darauf gesetzt werden, dass für immer und ewig
nach mehr oder weniger tiefgreifenden Krisen-Einschnitten stets wieder ein neuer
historischer Akkumulationszyklus des Kapitals einsetzen kann, sei es weil dies
ein "Gesetz" eben sein soll, sei es weil ein neues Spektrum von bestimmten Träger-Technologien
heraufdämmert.
Gerade die Untersuchung der heutigen neuen Technologien, allen voran der Mikroelektronik,
Computerisierung und "Künstlichen Intelligenz" (KI) in ihrer konkreten Beziehung
auf die Zukunft des kapitalistischen Verwertungsprozesses lässt jedoch alle
diese nebelhaften Hoffnungen wie Seifenblasen zerplatzen. Denn im Unterschied
zu allen früheren technologischen Innovationsschüben dieses Ausmasses handelt
es sich bei diesen neuen Träger-Technologien erstmals um reine Automatisierungs-Potentiale,
die weit davon entfernt sind, etwa in derselben Weise wie die fordistische Automobilindustrie
eine weitere Perspektive für die erneute Fähigkeit des Kapitals zur Absorbtion
lebendiger Arbeitskraft im grossen Massstab zu liefern. Dies unterscheidet die
neuen Technologien grundsätzlich von allen früheren Industrialisierungs-Epochen
der kapitalistischen Geschichte. Weder in ihrer eigenen Produktion noch in ihren
Folgen für die "alten" Industrien oder (kaum noch vorhandene) nichtindustrielle
Produktionen werden diese Technologien jemals wieder grosse Mengen von Lohnarbeit
einsaugen können, sondern umgekehrt menschliche Produktionsarbeit quer durch
alle Sektoren der gesellschaftlichen Reproduktion in geometrischer Progression
substituieren und eliminieren.
Wer blind auf einen neuen Aufschwung der industriellen Akkumulation durch "neue
Technologien" setzt, sollte sich heute von der Informatik eines besseren belehren
lassen: "Grosse, teure Maschinen wird man nur noch mit einer bestimmten eingebauten
Intelligenz kaufen. Fehler werden durch aktive, intelligente Einheiten selber
diagnostiziert .. Bei uns sind in der Verwaltung und Produktion der Güter,
die wir täglich benötigen, im Augenblick 50 bis 60 Prozent der Bevölkerung
tätig. Diese Zahl wird unter dem Einfluss der Informatik und KI-Technik,
die eine bisher nicht vorstellbare Automatisierung erlauben, auf fünf bis sechs
Prozent (!) sinken ... Für die meisten Wissenschaftler auf diesem Gebiet ist
diese heraufziehende technische Revolution so deutlich, dass ich nicht verstehen
kann, warum man nicht wenigstens einmal eine soziologische Studie in Auftrag
gibt, die diese potentiellen Umschichtungen untersucht. Will man erst warten,
bis die Arbeitslosenzahl auf sechs Millionen angestiegen ist? ..."(9).
So etwa der Informatik-Professor Jörg Siekmann (Kaiserslautern), Sprecher
des Fachausschusses Künstliche Intelligenz in der Gesellschaft für Informatik.
Diese aktuelle Prognose, die sich mit ähnlichen von kompetenter Seite aus den
vergangenen Jahren deckt (vgl. etwa Coy 1985) und nur inzwischen eine höhere
Konkretionsstufe erreicht hat, desavouiert die Stereotype der abstrakten Überakkumulations-Theoretiker
von der angeblich bevorstehenden "Erneuerung beschleunigter Kapitalakkumulation"
als "ewiges Gesetz" ebenso wie die falsche, empiristische Kausal-Logik der "Lange
Wellen"-Theorie vom angeblich zwangsläufigen Zusammenhang neuer Technologien
und neuer langfristiger Akkumulationszyklen, ganz zu schweigen von den notorischen
"Aufschwung"-Prognosen der platten bürgerlichen Konjunktur-Auguren. Die wirkliche
"Gesetzmässigkeit" besteht heute gerade darin, dass die säkulare Logik des
kapitalistischen Entwicklungsprozesses mit der darin eingeschlossenen absoluten
inneren Schranke der Kapitalakkumulation einerseits und die akute historische
Überakkumulation andererseits direkt zusammenzufallen beginnen, d.h. dass die
"Gesetze" der Produktivkraftentwicklung unwiderruflich und unversöhnlich mit
den "Gesetzen" der Kapitalverwertung zusammenknallen müssen. Mit der Entwicklung
der "Künstlichen Intelligenz" ist dieser historische Umschlagspunkt von der
abstrakten Möglichkeit zur konkreten, manifesten Wirklichkeit geworden. Die
wissenschaftlich-technischen Potenzen der GEBRAUCHSWERT-PRODUKTION beginnen
die Logik der Wert- oder Warenform überhaupt und damit jede Möglichkeit eines
weiteren historischen Verwertungsprozesses zu überholen und aus den Angeln
zu heben.
Jede andere Auffassung der Sachlage verfällt dem FETISCHISMUS, der Gebrauchsgüter
nur in der Form des "Werts" als einer scheinbaren "Produkt-Eigenschaft" sehen
und akzeptieren kann. Der gesellschaftlich reale Schein dieser "Wert"-Eigenschaft
wird aber nur dadurch erzeugt, dass an diesen Produkten im fetischistisch konstituierten
Bewusstsein der Warenproduzenten vergangene menschlich-gesellschaftliche Arbeit
in abstrakter und inhaltsleerer Form "dargestellt" wird als Daseinsweise einer
warenproduzierenden Gesellschaft, in der die Produktion der Gebrauchswerte noch
im grossen Massstab auf der Verausgabung lebendiger menschlicher Arbeitskraft
beruht. Mit der "Künstlichen Intelligenz" aber verschwindet die lebendige Arbeit
sukzessive und unwiderruflich in ebenso grossem Massstab aus der industriellen
Güter-Herstellung. Damit aber muss auch der fetischistische Schein des "Werts"
obsolet werden und die Warenproduktion als solche von ihrem Inhalt her zusammenbrechen,
auch wenn die Menschen sich an den warenförmigen bürgerlichen Gesellschaftsbeziehungen
verzweifelt festklammern. Die Gebrauchsgüter, gerade weil sie in nie dagewesener
Quantität mit geringstem menschlichen Arbeitsaufwand produziert werden, können
sich nicht mehr als "Wert" darstellen und daher auch nicht mehr Träger von
"Mehrwert" sein.
Die neuen Ärzte am Krankenbett des Kapitalismus
Wenn die linke ebenso wie die bürgerliche Krisentheorie den Zusammenhang von
Produktivkraftentwicklung und Kapitalverwertung letztlich unbestimmt lässt
und als "black box" behandelt, so nicht allein deswegen, weil diese Linke sich
empiristisch bis heute blenden lässt von der relativ kurzzeitigen historischen
Erfahrung des beispiellosen fordistischen Nachkriegsbooms und weil sie es versäumt
hat, die Unzulänglichkeit der früheren "Zusammenbruchs"-Theorien (R. Luxemburg,
H. Grossmann) kritisch aufzuarbeiten. Diese kapitulantenhafte, empiristisch
vermittelte Ehrfurcht vor der vermeintlich unbegrenzten Reproduktionsfähigkeit
und Elastizität des Kapitals setzt nicht erst auf der abgeleiteten Ebene der
Krisentheorie ein, sondern beginnt bereits mit einem Befangenbleiben im unkritischen,
fetischistischen Verständnis auf der elementarsten Ebene der Warenform überhaupt.
Angelehnt an die noch völlig kapitalimmanenten Interessenkämpfe der alten
Arbeiterbewegung bzw. an die nachholende Herausbildung einer bürgerlichen,
warenförmigen Gesellschaft in der Sowjetunion, blieb der marxistische Begriff
des "Werts" beschränkt auf den Verständnishorizont der klassischen bürgerlichen
"politischen Ökonomie", statt deren KRITIK durch Marx konsequent aufzunehmen
und weiterzuführen. Dass der "Wert" letztlich "irgendwie" auf "Arbeit" zurückzuführen
sei, ist eine Erkenntnis nicht von Marx, sondern bereits von Smith und vor allem
Ricardo. Über diese vage ricardianische Bestimmmung, die eine VEREWIGUNG dieses
Gesellschaftsverhältnisses durchaus einschliesst, ist die bisherige Linke im
wesentlichen nicht hinausgekommen. Der Marxsche theoretische Ansatz einer ABSOLUTEN
inneren Schranke des Kapitals steht aber in engster Beziehung gerade zu einer
KRITISCHEN Beleuchtung des qualitativen Inhalts der ricardianischen Wertbestimmung,
d.h. in der Kritik des Fetischismus, der dieser Bestimmung anhaftet. Da die
Linke selber vor einer Kritik des wesentlichen Fetisch-Charakters von "Wert"
haltmacht, vor dieser letzten radikalen Konsequenz vielmehr immer zurückgeschreckt
ist, muss ihr auch das Obsoletwerden des Werts und damit der Warenform als solcher
im erreichten Stand der Verwissenschaftlichung gesellschaftlicher Reproduktion
völlig entgehen.
Gerade in der heutigen neuen Qualität der Überakkumulationskrise muss sich
diese schwanzwedelnde Immanenz viel deutlicher und peinlicher als in der Vergangenheit
zeigen. Während die Autonomen meistens über geifernden Moralismus und Aktionismus
nicht hinauskommen, hat sich um den greisenhaften "linken" Sozialdemokratismus,
den "realpolitischen" Flügel der Grünen, Teile der Gewerkschaften und die
gespenstische Sekte der DKP ein Block akademischer, neo-reformistischer Theoriebildung
gruppiert (SOST, Prokla, Argument, IMSF etc.), der nicht nur trotz früherer
Kontroversen immer enger zusammenrückt, sondern auch gemeinsam die Hosen der
marxistischen Theorie herunterlässt. Ein Beispiel mag für die ganze Richtung
stehen: "Eine Lösung des drückenden Problems der chronischen Überakkumulation
kann nur im Rahmen eines politischen Konzepts erfolgen, das die im Verhältnis
zu den profitablen Anlagemöglichkeiten des Privatkapitals überschüssigen
Kapitalmassen abschöpft und sie umlenkt in Richtung auf gesellschaftliche Bedarfsbereiche,
d.h. im Rahmen eines Konzepts der Erweiterung des öffentlichen, demokratisch
kontrollierbaren Sektors der gesellschaftlichen Produktion und Konsumtion" (Goldberg
1986, S. 18).
Nicht mehr bloss klammheimlich stellen sich solche Aussagen auf den Standpunkt
der Kapitalakkumulation als der einzig denkbaren Reproduktionsform, eine Offenheit,
die mit der "betriebswirtschaftlichen" Reform der Sowjetunion zum ganz gewöhnlichen
Kapitalismus noch zunehmen wird. Der Aberwitz, dass die im Terminus der "Bedarfsbereiche"
anklingende Gebrauchswert-Orientierung ausgerechnet auf dem Boden und vermittels
der sie gerade verunmöglichenden Wert-Logik, gegen die "Gesetze" der Kapitalverwertung,
und doch auf dem Boden dieser "Gesetze" und ohne sie in ihrem Kern anzutasten,
"im Rahmen eines politischen Konzepts" durchgesetzt werden soll, verweist schon
auf den theoretischen Taschenspielertrick, der den demokratisch salbadernden
Neo-Reformismus verbindet und insgesamt auszeichnet: weil eine stringente akkumulationstheoretische
Argumentation nicht mehr möglich ist, erfolgt der unwissenschaftliche, dezisionistische
Sprung in die "Politik", die als deus ex machina für die Krise der Kapitalakkumulation
herhalten soll. Ähnlich Hickel: "Mitbestimmung und Demokratisierung bilden
dabei zugleich Instrumente und Ziele einer qualitativen Arbeitspolitik, die
auf eine umfassende Politisierung (!) aller grundlegenden ökonomischen und
politischen Entscheidungen abzielt. Diese Arbeitspolitik muss die Reorganisation
betrieblicher, unternehmerischer (!) und überbetrieblicher Entscheidungsprozesse
so betreiben, dass die Arbeitslosigkeit abgebaut und der gesamte ökonomische
Entwicklungsprozess wieder mehr (!) an den Kriterien der in den Präferenzen
der Menschen (!) fundierten Vorstellungen über Wirtschaftswachstums-, Arbeitsplatz-
und Arbeitszeitbedingungen, Einkommensverteilung sowie Umwelt ausgerichtet wird"
(Hickel 1987, S. 191).
Auch hier das Sammelsurium unglaublich abgedroschener, überlebter Phrasen eines
windelweichen Reformismus, der das Blaue vom Himmel herunterbeschwört, ohne
sich um die unausweichliche Logik der Verwertung von "Wert" theoretisch weiter
zu bekümmern, aber völlig bewusstlos in diesen Formen selber denkend, deren
fetischistische Präformierung des Bewusstseins und der "Präferenzen der Menschen"
als Alibi dafür herhalten soll, dass auch der Theoretiker dem Fetisch des "Werts"
huldigt. Dieses bis zur Sinnlosigkeit getriebene tautologische Gefasel, das
sich zu einer "Politisierung aller politischen Entscheidungen" hinaufstammelt,
signalisiert nur den Bankrott aller "Politisierungs"-Strategien der neuen Linken,
die sämtlich dem Begriff der bürgerlichen, fetischistisch konstituierten Subjektivität
verhaftet bleiben, wie er trotz aller zeitweiligen Revolutionsbeschwörungen
mit dem plattesten Reformismus immer schon theoretisch kompatibel war. Die theoretisch
haltlose Flucht in die "Politik" ist der gemeinsame Nenner, auf den sich die
abgetakelten akademischen Marxisten der neuen Linken offenbar geeinigt haben.
Statt zu begreifen, dass zusammen mit dem Fetisch des "Werts" auch die davon
konstituierte Sphäre der "Politik" vollkommen obsolet wird, ein heute mit Händen
zu greifender und als "Staatsverdrossenheit" bereits landläufig gewordener
Prozess, klammert sich diese Linke ausgerechnet an den Strohhalm der "politischen"
Subjektivität, als könne diese immanent die absoluten Schranken der Kapitalakkumulation
überwinden.
Der Schlüsselbegriff dieses absurden, der Logik wie den Tatsachen hohnsprechenden
Eiertanzes, ein veritabler Topos linkssozialistischer und neo-reformistischer
Theoriebildung der letzten Jahre, ist der des "AKKUMULATIONSMODELLS", das durch
sämtliche einschlägigen Publikationen geistert (vgl. z.B. Altvater 1985a/1985b,
Hirsch/Roth 1986, Hickel 1987 u.a.). Dieses Theorem schliesst die beiden Grundannahmen
des Neo-Reformismus in sich zusammen. Zum einen nämlich wird der Begriff der
Kapitalakkumulation erweitert zu einer Abfolge von "Transformationen", d.h.
von "Strukturbrüchen" innerhalb des kapitalistischen Entwicklungsprozesses.
Dagegen wäre an sich nichts einzuwenden, wenn etwa solche "Transformationen"
aus der Geschichte des Kapitalverhältnisses empirisch benannt werden: "Das
System der gesellschaftlichen Arbeitsteilung hat eine tiefgreifende Veränderung
beim Übergang vom manufakteriellen Prinzip zur >grossen Industrie< erlebt,
ebenso wie zu Beginn dieses Jahrhunderts durch die Einführung der >wissenschaftlichen<
Arbeitsorganisation (Taylorismus), des Fliessbandprinzips (Fordismus), sowie
des staatlichen Nachfragemanagements (Keynesianismus) in den 30er Jahren..."
(Altvater 1985 b, S. 23). Es ist in der Tat theoretisch sinnvoll, die unzureichende
Beschränkung etwa der "Lange Wellen"-Theorie auf bestimmte Träger-Technologien
zu erweitern und zu ergänzen zu einer umfassenderen Struktur- und Transformations-Periodisierung
der kapitalistischen Binnengeschichte. Aber weil die Beziehung zum Wert-Fetisch
und zum Verwertungsprozess als solchem nicht systematisch herausgearbeitet wird,
erweist sich die scheinbare Historisierung in der Begriffsbildung des "Akkumulationsmodells"
in Wirklichkeit als ABSTRAKT-UNHISTORISCHE Konstruktion. Die verschiedenen historischen
"Akkumulationsmodelle" stehen zusammenhanglos nebeneinander; es könnte so schon
hunderte solcher "Modelle" gegeben haben und noch tausend weitere geben. Mit
anderen Worten: das Kapitalverhältnis als GESAMTPROZESS ist in dieser Diktion
schlicht aus dem Blickfeld genommen; als "historisch" erscheinen so nur die
einzelnen jeweiligen Struktur-Modelle, nicht aber der Kapitalismus als GANZES.
Gerade in der Beziehung auf seine "Transformationen" wird das Kapital auf diese
Weise theoretisch verewigt: "An diesen Beispielen aus der Geschichte des Kapitalismus
zeigt sich die dieser Produktionsweise immanente Möglichkeit zu Transformationen,
d.h. zum Formwandel" (Altvater 1985 b, S. 23). In einer Theoriebildung jedoch,
die den Kapitalismus auch als Ganzes historisch begreift und seine absolute
Schranke nicht bloss in den blanken Willen des Subjekts verlegt, müssen die
verschiedenen Akkumulations-Strukturen und ihre Transformationsgeschichte statt
in der strukturalistischen Verkürzung bürgerlich-positivistischer "Modell"-Theorien
vielmehr als ENTWICKLUNGSSTUFEN EINES EINHEITLICHEN GESAMTPROZESSES entziffert
werden. Gerade in diesem Bezug kann dann erst das Verhältnis von Produktivkraftentwicklung
und Kapitalakkumulation als ein ENDLICHES erkannt werden, in dem der Fordismus
nicht ein "Modell" in einer unendlichen Abfolge von "Modellen" ist, sondern
eine nicht mehr transformierbare Endstufe.
Neben die Verewigung des Kapitals tritt im Theorem des "Akkumulationsmodells"
die Verkehrung des grundsätzlichen Verhältnisses von "Ökonomie" und "Politik"
als theoretischer "Zaubertrick", um die reformistische Flucht in den "politischen
Faktor" zu rechtfertigen. In Anlehnung an französische Theoretiker (vgl. Aglietta
1979) wird das "Akkumulationsmodell" gleichzeitig als (POLITISCHES) "REGULIERUNGSMODELL"
gedeutet, vor allem der Fordismus als Paradefall (vgl. Altvater 1985 a, S. 82/S.
111 u.a.). Daran ist nur soviel richtig, dass der Kapitalismus als Gesamtprozess
und damit auch in seinen historischen Binnenstrukturen natürlich bestimmte
jeweilige Politik-Formen bzw. Verhältnisstrukturen von Politik und Ökonomie
immer einschliesst. Diese unbezweifelbare Tatsache wird von der linksreformistischen
Theorie jedoch dazu benutzt, das fundamentale Verhältnis von "hinter dem Rücken"
der Subjekte sich vollziehenden ökonomischen Basisprozessen der Warenproduktion
einerseits und "politischer" (bürgerlicher) Subjektivität andererseits klammheimlich
auf den Kopf zu stellen, hierin übrigens dem historischen Reformismus (z.B.
Hilferding) und dem scheinradikalen Operaismus der 70er Jahre nicht unähnlich.
Es erscheint dann so, als könne ein "neues Akkumulationsmodell" statt aus der
immanenten Entwicklung der kapitalistischen Produktion selbst aus einem (anzustrebenden)
"neuen Typ der Regulierung" heraus kreiert und getragen werden. Schon für den
Fordismus ist diese Annahme unhaltbar und kontrafaktisch. Die Weltwirtschaftskrise
hat den Keynesianismus hervorgebracht, aber nicht das politische "Regulierungsmodell"
des Keynesianismus als solches hat die Krise überwunden und den Nachkriegsboom
etwa herbei-"politisiert", sondern das im Warenproduktionsprozess selbst wurzelnde
Wachstum stellte sich wieder und auf höherer Stufenleiter ein auf der Basis
der Verallgemeinerung der fordistischen arbeitsintensiven Massenproduktionen
neuen Typs. Auch ein "postfordistisches" Modell der Akkumulation müsste aus
solchen immanenten Potenzen der Warenproduktion selber abgeleitet werden, nicht
aber aus vagen Bestimmungen einer blossen "Regulierungs"-Erneuerung, die für
sich genommen ein Fisch ohne Wasser wäre. Die Linkssozialisten können neue
immanente Wachstumspotenzen der kapitalistischen Produktion nicht nur nicht
angeben, sie ignorieren sogar systematisch den realen Inhalt der neuen "postfordistischen"
Produktivkraftentwicklung, der ihre Konzeptionen als vollkommen illusionär
entlarvt.
Soweit die Überakkumulations-Theorie in das reformistische "Akkumulationsmodell"-Theorem
eingearbeitet ist in ihrer verkürzten, im Warenfetisch befangenen Form, hat
sie keinerlei besondere theoretische oder praktische Bedeutung mehr, weil sie
auch nur auf das hinausläuft, was immer schon feststeht: die weitere Lebensfähigkeit
des Kapitalismus nämlich. Der relative Gegensatz zur vulgärmarxistischen Unterkonsumtions-Theorie,
die in der BRD vor allem von der Memorandum-Gruppe vertreten wird und die ganz
ähnlich wie die bürgerliche Volkswirtschaftslehre die Krisenpotenzen von vornherein
in "externen" und von "politischen Kräfteverhältnissen" bestimmten Faktoren
angelegt sieht, verschwimmt und löst sich auf in die gemeinsamen guten Ratschläge,
die der weiteren Kapitalakkumulation wieder "politisch" auf die Sprünge helfen
sollen, möglichst "sozialverträglich" selbstverständlich. Es geht also weder
darum, auch nur die theoretische Möglichkeit einer absoluten Schranke der Akkumulation
in Erwägung zu ziehen, noch gar aus dem Wirklichwerden dieser Möglichkeit
unter unseren Augen irgendwelche Konsequenzen zu ziehen: "Es geht vielmehr darum,
auf die Restrukturierungstendenzen im Transformationsprozess Einfluss auszuüben"
(Altvater 1985 b, S. 23). Die Krise in allen ihren Erscheinungsformen wird so
nicht etwa zum Anlass für eine grundsätzliche Kritik der destruktiven, abstrakten
Wert-Ökonomie, sondern für eine paradoxe Reflexion, die ein "neues Funktionieren"
der kapitalistischen Produktionsweise ausgerechnet zur VORAUSSETZUNG macht für
angeblich "grundlegende Veränderungen": der klassische Part des "Arztes am
Krankenbett des Kapitalismus"!
Obwohl der wirkliche Krisen-Einbruch erst noch bevorsteht, sind so die Hoffnungen
und Perspektiven der Neo-Reformisten bereits illusionär auf einen zusammenphantasierten
"Nachkrisen-Kapitalismus" gerichtet, auch wenn gelegentlich noch ein wenig Fracksausen
anklingt: "Vor den >goldenen< 90er Jahren sind erst noch die leidigen Prüfungen
der 80er Jahre durchzustehen. Das technisch, politisch, ökonomisch Mögliche,
dessen Visionen uns heute faszinieren, muss erst noch realisiert werden" (Altvater
1985 a, S. 79). Dies hindert die Linksreformisten freilich nicht, sich bereits
im vermeintlichen "Postfordismus" häuslich einzurichten. So kann es auch kaum
verwundern, dass etwa Hirsch/Roth die reale Krisenpotenz und deren mögliche
oder wahrscheinliche Dynamik systematisch verdrängen, um sich stattdessen weitschweifig
Gedanken zu machen über die lichte Zukunft NACH der Krise, wie schon der Titel
ihres vieldiskutierten Buches ("Das neue Gesicht des Kapitalismus") andeutet.
So geht es ihnen um die "Wiedergewinnung" kapitalistischer Prosperität, und
schon "zeichnen sich die Dimensionen eines neuen >postfordistischen< Kapitalismus
ab - mit freilich noch sehr ungewissen Perspektiven" (Hirsch/Roth 1986, S. 11).
Die "neuen sozialen Bewegungen" werden hoffnungsvoll auf "das >Jenseits (!!)
der Krise<, dessen Vorboten (!) sie sein können" (a.a.O., S. 12 f.) bezogen,
womit sich also die Krise fast schon in Wohlgefallen aufgelöst hätte, bevor
sie noch ihr Erinnyen-Gesicht so richtig gezeigt hat, in das ein onkelhaft-reformerisches
Wohlwollen professoraler Provenienz natürlich nicht so gern blickt. Dass es
sich hier keineswegs um eine polemische Überinterpretation handelt, wird auch
daran sichtbar, dass Hirsch/Roth im gleichen Atemzug von "eher >nachkapitalistische(n)<
Experimenten" (a.a.O., S. 14) und vom "Kontext eines nachkapitalistischen Projekts"
(ebda) faseln, wobei offen bleibt, ob die Apostrophierung des Adjektivs "nachkapitalistisch"
etwa eine Selbstironisierung darstellen soll. Anything goes: warum soll dann
nicht die "Wiedergewinnung KAPITALISTISCHER Prosperität" ausgerechnet die "NACHKAPITALISTISCHEN
Projekte" grünen lassen, diese womöglich sogar alimentieren? Vielleicht glauben
Hirsch/Roth allerdings auch an den Weihnachtsmann. Felsenfest muss dieser Glaube
bei einem einschlägigen grün-alternativen Hans Dampf in allen Gassen sein,
der, gestützt auf die "black box" der "Lange Wellen"-Theorie, schon 1985 die
hoffnungsvolle Frage "Vor uns die goldenen neunziger Jahre?" gestellt und fröhlich
prognostiziert hatte: "Ob früher oder später, das Modell der langen Wellen
eröffnet eine sinnvolle Perspektive für die weitere Entwicklung der Industriegesellschaft
... eine neue Perspektive für eine langfristig solide Wirtschaftsentwicklung
..." (Huber 1985, S. 74 f.).
Die diversen linkssozialistischen und neo-reformistischen Strömungen werden
so nicht nur untereinander kompatibel, sondern es entwickelt sich auch eine
Konvergenz zu den Träumen der bürgerlichen Volkswirtschaftler von einer "new
era of growth". Eine solche aber wird es nicht geben: "DER KAPITALISMUS VERLIERT
SEIN GESICHT". In diese reale Perspektive, wie sie nur von einer kritischen
Analyse der Basisprozesse weltweiter Warenproduktion her gesehen werden kann,
ist keinerlei "Automatismus" eines Übergangs zu sozialistischen, d.h.nicht
mehr warenproduzierenden Reproduktionsformen eingeschlossen, sondern mindestens
ebensosehr der Übergang zu Barbarei, Militärdiktatur und sozialen wie ökologischen
Katastrophen. Diesen wird die Menschheit aber nicht dadurch entgehen, dass sie
angesichts der Destruktionspotenzen der sterbenden Wertform in haltlosem Illusionismus
den Kopf in den Sand steckt. Die linkssozialistischen Prediger eines absurden
"radikalen Reformismus", die sich mit dem Fetischismus der warenproduzierenden
Gesellschaft um jeden Preis kompatibel halten wollen, sollten sich warm anziehen.
Die Verselbständigung des Geldkapitals
Die Krise der Kapitalakkumulation ist nur die Basis eines umfassenden Krisenprozesses,
der auf alle gesellschaftlichen Sektoren übergreifen muss. Neben der ökologischen
und der Sozialstaats-Krise ist es insbesondere das Medium der warenförmigen
Reproduktion und zugleich ihr Selbstzweck, das GELD selber nämlich, das in
die Krise gerät. Dabei handelt es sich gleichzeitig um eine der Formen, in
denen die Überakkumulation zuerst an der Oberfläche der Gesellschaft in Erscheinung
tritt. In diesem Zusammenhang ist zum Problem des realisierten Mehrwerts und
dessen Re-Investition zurückzukehren.
Unter dem Druck der Überakkumulation des gesellschaftlichen Kapitals kann der
nicht mehr in Erweiterungs-Investitionen verwandelbare Teil des realisierten
Mehrwerts keineswegs völlig von Rationalisierungs- und Wissenschafts-Investitionen
absorbiert werden, auch wenn diese rapide ansteigen. Ein bestimmter und von
Produktionszyklus zu Produktionszyklus wachsender Teil droht völlig brachzuliegen.
Die Tatsache, dass zwar ständig weiter Mehrwert erzeugt und realisiert (wenn
auch auf ABNEHMENDER Stufenleiter), davon aber jedesmal weniger profitabel re-investiert
werden kann, muss sich ein Ventil suchen. Das Geld "muss arbeiten", d.h. sich
vermehren, wie es der abstrakte betriebswirtschaftliche Vernutzungs-Imperativ
erzwingt. Ein wachsender Teil des realisierten Mehrwerts verschwindet daher
aus der Sphäre der (industriellen) REALAKKUMULATION und wird "angelegt" in
der Sphäre des ZINSTRAGENDEN KAPITALS, d.h. als reines Geldkapital, das über
das nationale und internationale Banken- und Kreditsystem in Form eines ganzen
Spektrums von Schuldverschreibungen (private und staatliche Anleihen usw., nicht
umsonst hat gerade das Kreditgeschäft in den letzten Jahren eine ganze Reihe
von ausgeklügelten "Innovationen" erlebt) zinstragend "verliehen" wird. Denn
für das einzelne Geldkapital ist es völlig gleichgültig, ob es sich direkt
durch industrielle Nutzung oder durch blosse Verzinsung "verwertet".
Es wird hier die mystifizierte Form des Geldes als Kapital besonders deutlich,
das scheinbar aus sich heraus "mehr Geld" heckt. In der gesamtgesellschaftlichen
und weltweiten Reproduktion des Kapitals aber ist es natürlich nur die wert-
und damit mehrwertproduktive industrielle Vernutzung lebendiger Arbeitskraft
in realen Arbeitsprozessen, die den Mehrwert und damit den Profit gewährleistet.
In Wirklichkeit "arbeitet" selbstverständlich nicht das Geld, sondern der menschliche
Lohnarbeiter, der den Mehrwert als "Darstellung" seiner vergangenen abstrakten
Arbeit an realen Produkten erzeugt. Real kann das Geld nur Kapital sein, weil
und sofern es als "fungierendes" Kapital lebendige Arbeitskraft ankauft und
vernutzt. Aber im zinstragenden Geldkapital des Banken- und Kreditsystems erscheint
diese reale Grundlage nicht; hier besitzt das Geld scheinbar selber unmittelbar
die Eigenschaft, mehr Geld zu "hecken". Indem das zinstragende Kapital "eine
ganz äusserliche, von der wirklichen Bewegung ... getrennte Gestalt" (Kapital
Bd. 3, S. 360) erhält, wird auch eine ebenso äusserliche Verselbständigung
des "Kreditüberbaus" möglich. Hier zeigt sich erneut der fundamentale Selbstwiderspruch
des Kapitalverhältnisses in anderer Form: Realakkumulation und Akkumulation
des zinstragenden Geldkapitals beginnen sich in der Überakkumulation des Kapitals
voneinander zu entkoppeln, es findet eine SCHEINBARE Verselbständigung des
Geldkapitals statt.
Die berüchtigte "Schuldenkrise" der Dritten Welt hat hier ihren Ursprung. Um
den wachsenden Ansturm anlagesuchenden Geldkapitals in die zinstragende Sphäre
zu bewältigen, wurde das internationale Kreditsystem ungeheuer ausgeweitet:
"Die Erhöhung der Liquidität des internationalen Kreditsystems ist ... die
Kehrseite der stockenden realen Akkumulation von Kapital" (Altvater 1987, S.
19). Eine beträchtliche Masse dieses Geldkapitals wurde in die Länder der
Dritten Welt verliehen, die dankbar zugriffen, zunächst auch noch zu sehr niedrigen
Zinssätzen. Auch dort wurde dieses Geldkapital jedoch nur zu einem sehr geringen
Teil industriell, d.h. real wertproduktiv vernutzt. Denn zum einen konnten sich
auch diese Länder dem weltweiten Druck auf die Wachstumsraten natürlich nicht
entziehen; die Basis des Welt-Zyklus befindet sich in den entwickelten kapitalistischen
Ländern selbst und nicht an der Peripherie. Zum andern versickerte ein beträchtlicher
Teil dieser Gelder in unproduktiven Prestige- und Militärprojekten (so vor
allem in Brasilien) oder im Korruptions-Sumpf, von wo sie prompt und abermals
verzinst in das internationale Bankensystem zurücktransferiert wurden.
Zwar hätten die nationalen Notenbanken versuchen können, regulierend auf diese
künstliche Aufblähung des Kreditsystems einzuwirken (ohne dass sie damit allerdings
das zugrundeliegende Problem der Überakkumulation hätten aus der Welt schaffen
können); ein Grossteil dieses Prozesses vollzog sich jedoch ausserhalb des
nationalen monetären Regulations-Zugriffs im Rahmen einer Erscheinung, die
meistens mit dem Terminus "Eurodollarmarkt" oder "Euro-Bankensystem" umschrieben
wird. Ihren Ursprung hatte diese Erscheinung der "Eurodollars" schon in den
fünfziger Jahren, als die USA durch Industrieinvestitionen, Truppenstationierung
und Touristik eine wachsende Menge Dollars in Europa ausgaben. Nicht alle diese
Dollars wurden von den Notenbanken aufgekauft; es entwickelte sich ein (zunächst
unbedeutender) Markt "vagabundierender" Dollars ausserhalb des Regulationsbereichs
der US-Notenbank (Fed). Im Bankensystem institutionalisiert wurde dieser "freie"
Dollarmarkt erstmals Ende der fünfziger Jahre in London, als die englischen
Banken Dollarguthaben für eigene Kreditgewährung verwendeten, statt sie in
die USA zurückzutransferieren. Sie umgingen damit Kreditbeschränkungen der
englischen Notenbank, die sich nicht veranlasst sah, ihre Regulationsmechanismen
auf Dollarkredite auszudehnen, die zwar von englischen Banken abgewickelt wurden,
aber den Umlauf des nationalen Geldes (Pfund Sterling) nicht berührten. Dieses
quasi "exterritoriale" Kreditgeschäft mit "Eurodollars" ausserhalb des Eingriffsbereichs
der nationalen Notenbanken begann nun rasch zu expandieren, besonders seitdem
die Notenbanken nach der Aufhebung des fixen Dollarkurses nicht mehr gezwungen
waren, die im Ausland von den Amerikanern ausgegebenen Dollars in heimischer
Währung aufzukaufen. Über Auslandsfilialen waren es bald auch die amerikanischen
Banken selbst, die das "Eurodollar"-Geschäft direkt oder indirekt an sich zogen.
Inzwischen war der Name "Eurodollarmarkt" bzw. "Eurobankensystem" längst irreführend
geworden, weil sich diese quasi "exterritorialen" Kreditgeschäfte der Banken,
zunehmend auch der japanischen und anderer, und zunehmend auch in den anderen
harten Währungen wie D-Mark und Yen, über die ganze Welt verbreitet hatten.
Das Bankensystem, besonders das der USA, hatte sich dadurch praktisch aufgespalten
in einen "regulären" Bereich und in einen "irregulären" oder "exterritorialen"
Euro-Bereich (vgl. dazu ausführlich Schubert 1985). Diese Entwicklung ist nur
eine der monetären Seiten der Totalisierung des Weltmarkts und der Herstellung
des Welt-Kapitals als allgemeines Verhältnis, hinter dem die "nationalen" staatlichen
Institutionen weit zurückbleiben und hinterherhinken. Und über diesen neuen
Bereich des internationalen Kreditsystems floss auch ein beträchtlicher Teil
der von der internationalen Überakkumulation des Kapitals freigesetzten liquiden
Mittel unkontrolliert in die Dritte Welt.
Dieser unproduktive Abkoppelungsprozess des Geldkapitals von der industriellen
Realakkumulation ist also keineswegs bloss auf den Transfer der "Petrodollars",
d.h. der Erlöse des OPEC-Kartells aus dem Ölgeschäft in den siebziger Jahren
zurückzuführen, wie dies oft fälschlich angenommen wurde (vgl. etwa H. Schmidt
1985), sondern eben auf die nach "Anlage" drängende Anhäufung nicht mehr re-investierten
realisierten Mehrwerts in den kapitalistischen Kernländern selbst. Damit aber
wurde ein Teufelskreis in Gang gesetzt, der innerhalb weniger Jahre drastisch
eskalierte. Da die Verselbständigung des zinstragenden Kapitals von der Realakkumulation
auf die Dauer nicht durchgehalten werden kann, musste dieser Prozess als "Schuldenkrise"
in Erscheinung treten. Wie stets in historischen Kredit-Explosionen verwandelte
sich, nachdem die Kredit-Substanz verpulvert war, die eskalierende Zins-Belastung
rasch in ein drückendes und unerträglich werdendes Problem. 1982 wurde Mexiko
zum ersten Mal zahlungsunfähig; seither schwelt und flackert die Kreditkrise
weiter (unter Einschluss einiger "realsozialistischer" Staaten wie Polen und
Rumänien, ganz zu schweigen von Jugoslawien, das seit Jahren vor sich hinbankrottiert).
Der "selbsttragende" Prozess der internationalen Überakkumulationskrise konnte
so in ein neues Stadium treten, das der Zins-Explosion, die der unproduktiven
Kredit-Expansion logischerweise auf dem Fusse folgen musste. Denn unter dem
Einfluss der wuchernden Kredit-Nachfrage, die immer mehr bloss noch dazu diente,
die nicht mehr zu bewältigenden Zinsen und Zinseszinsen zu bedienen, konnte
natürlich das frühere niedrige Zins-Niveau nicht gehalten werden: "Die Zinsen
bilden sich in der Bewegung von Angebot und Nachfrage auf den >telematisch<
gesteuerten internationalen Kredit- und Anleihemärkten. Noch niemals zuvor
in der Geschichte des modernen kapitalistischen Weltsystems blieben die realen
Zinsen über eine so lange Periode auf extrem hohem Niveau und oberhalb oder
hart an der Marke der Rentabilität des Realkapitals. Selbst die nominalen Zinssenkungen
der jüngsten Zeit haben wegen der fast auf Null reduzierten Inflation die Realzinsen
nicht bedeutsam verringert" (Altvater 1987, S. 19 f.).
Damit aber wird es noch "unrentabler", Geldkapital wieder in die industrielle
Realakkumulation zurückzuführen, und der Prozess der Überakkumulation verstärkt
sich so aus sich heraus: "Angesichts der rückläufigen Rentabilität in Sachanlagen
verändert sich das Investitions- und Anlageverhalten der Kapitale (ebenso wie
die Portfoliostruktur) zugunsten zinstragender Anlagen ... Gemessen in nominellen
Grössen überstiegen bspw. in den USA in den Jahren 1981 und 1982 die Zinserträge
die Erträge aus Sachanlagen. Am eklatantesten fällt dieser Vergleich für
Grossbritannien aus, wo der Nominalzinssatz um mehr als zehn Prozentpunkte über
der Rentabilität liegt ..." (Hübner 1983, S. 12). Selbst wenn sich seither
das Verhältnis für die Sachanlageninvestitionen nominell wieder etwas verbessert
hat, so wird deren irreversibles Risiko in einer Zeit verschärfter Konkurrenz
und in vielen Branchen akut oder tendenziell schrumpfender Märkte gegenüber
der "Flüssigkeit" des (vor allem kurzfristig angelegten) zinstragenden Geldkapitals
nicht aus der Welt geschafft. Die liquiden Mittel aus nicht mehr re-investiertem
Mehrwert fliessen weiterhin in das internationale Kreditsystem und erzeugen
einen "Anlage"-Druck, während die Dritte Welt unter der Zinslast zusammenbricht
und sich zu Tode exportiert, gleichzeitig aber die selber unter dem Druck der
Überakkumulation stehenden entwickelten OECD-Länder wiederum gegen diesen
Export-Druck (dessen Erlöse sie doch nur in ihrer Eigenschaft als Gläubiger
mit Zinszahlungen bedienen sollen!) durch protektionistische Schranken mobil
machen und das Zinsniveau insgesamt hoch bleibt.
In diesem Teufelskreis von stockender Realakkumulation und zinstreibender Verschuldungs-Eskalation
hat sich die Welt-Warenökonomie rettungslos verfangen. Die Verschuldung der
Dritten Welt ist dabei nur die Spitze des Eisbergs, die akut sichtbar geworden
ist. Der Gesamt-Verschuldungsprozess im Weltmassstab reicht viel tiefer und
weiter; er umfasst auch die ständig steigende Staatsschuld in allen Ländern
sowie die Verschuldung der Privaten und der Unternehmen in den entwickelten
Ländern selbst, die noch nicht in ihr akutes Krisenstadium getreten ist. Vor
allem aber werden sämtliche globalen Verschuldungsprozesse inzwischen seit
Mitte der achtziger Jahre überwölbt von der gewaltigen Staatsschuld der USA
selber (hochgetrieben hauptsächlich durch die Reagansche Aufrüstungspolitik
in einem historisch beispiellosen Ausmass), deren Brisanz in erster Linie darin
besteht, dass sie im Unterschied zu den anderen Industrieländern wegen der
extrem niedrigen US-Sparquote immer weniger aus heimischen Spargeldern finanziert
werden kann, sondern auf den permanenten und wachsenden Zufluss ausländischen
Geldkapitals angewiesen ist. Die USA sind so zum "Staubsauger" geworden, der
in einem eskalierenden Prozess das liquide Geldkapital aus der ganzen Welt ansaugt,
dabei in Konkurrenz zur Dritten Welt tritt und auf diese Weise die Gesamtsituation
weiter verschärft. Das gigantische Handelsbilanzdefizit der USA stellt nur
die güterwirtschaftliche Kehrseite des Verschuldungsprozesses in ausländischem
Geldkapital dar. Es wurde auf diese Seite ein euphemistisch "Ungleichgewicht"
genannter Zustand des Weltmarkts geschaffen (de facto bezahlen die Überschussländer
mit ihren Krediten an die USA ihre eigenen Ausfuhrrekorde), der nur in einem
nicht mehr allzu fernen völligen Desaster enden kann.
Das Kreditsystem, an sich ein mächtiger Hebel zur Entfesselung der Kapitalakkumulation,
schlägt so in eine ebenso mächtige Krisenpotenz um; denn die Verschuldung
kann national wie international ruhig expandieren, solange auch die Realakkumulation
expandiert; ihre Schranke wird jedoch erreicht mit der Schranke des Verwertungsprozesses
selbst (vgl. dazu grundsätzlich Kapital Bd. 3), die sich nach einer heute fast
ausgereizten Inkubationszeit als Zusammenbruch des Geld- und Kreditsystems gewaltsam
äussern muss. Die scheinbare Verselbständigung des zinstragenden Kapitals,
d.h. die Entkoppelung des Kreditsystems von der Realakkumulation, ist in allen
grossen historischen Krisen des Kapitals eine Begleiterscheinung der Überakkumulation
gewesen und hat schliesslich immer notwendig zum monetären "Krach" geführt.
Dies galt für die "Gründerzeit"-Krise am Ende des 19. Jahrhunderts ebenso
wie für die Weltwirtschaftskrise 1929 - 33. Die heutige Krise wird in dieser
Hinsicht keine Ausnahme machen, im Gegenteil. Der Unterschied zu den früheren
Krisenprozessen ist nur der, dass sich der unproduktiv angewachsene und verselbständigte
Kredit-Überbau heute in wesentlich gigantischeren Dimensionen bewegt als damals
und dass kein neuer historischer Schub der Realakkumulation mehr zu erwarten
ist.
Umso lächerlicher muss die Annahme erscheinen, das internationale Kapital bzw.
seine diversen Repräsentanten hätten die Lage gegenwärtig durch "Krisenmanagement"
wirklich im Griff. Dieses "Management" etwa von G 7, Gläubigerbanken, IWF und
Weltbank hat bis jetzt auf geradezu stupide Weise lediglich durch immer neues
"Aufschieben", durch "Umschuldungen", Neuverschuldung, Zuschiessen von "Liquidität"
durch die Notenbanken usw. nur zu einer weiteren Eskalation der Entkoppelung
des monetären Überbaus beigetragen, die sich von Monat zu Monat verschärft
und offenbar bereits in die "heisse Phase" gigantischer Schwindelmanöver auf
allen Ebenen einzutreten beginnt. Etwas anderes ist auch gar nicht möglich,
denn der Schlüssel für das Problem liegt weder in der subjektiven "Profitgier"
des Bankenkapitals noch in sonstigen geheimnisvollen bewussten Machenschaften
irgendwelcher Bösewichter, wie es vor allem der ebenso wütende wie alberne
Moralismus der Autonomen gewöhnlich unterstellt, sondern in den objektiven
Gesetzen des kapitalistischen Verwertungsprozesses "hinter dem Rücken" der
Subjekte selber, Gesetzen also, die sich jedem bewussten Zugriff innerhalb des
Bezugssystems der Warenproduktion völlig entziehen. Ob die Akteure des teilweise
schon zur Schmierenkomödie heruntergewirtschafteten Weltmarkt-Dramas gerade
noch über die Runden kommen, als Gewinner gefeiert oder in U-Haft eingeliefert
werden, Selbstmord verüben oder sich mit einigen Milliönchen nach Südafrika
absetzen, ist jenseits aller moralischen Beurteilung für den katastrophischen
Gang der Systemlogik herzlich gleichgültig. Auch der geplanten Errichtung eines
Lehrstuhls für "Wirtschaftsethik" an der Universität Eichstätt dürften keine
besonders erheblichen Systemrettungskompetenzen zuzuschreiben sein.
Auf dieser Ebene der bürgerlichen Fetisch-Subjektivität wird freilich auch
wieder die blinde Hilflosigkeit und Immanenz des linkssozialistischen Neo-Reformismus
und seiner akademischen Koryphäen besonders deutlich. So fleissig sie in empirischer
Hinsicht auch sind, so haarsträubend und unlogisch bleibt ihre begriffliche
Durchdringung der ökonomischen Probleme der Wertform-Vergesellschaftung und
deren krisenhafter Entfaltung im Massstab des Weltkapitals, die längst jeder
Kontrollfähigkeit entglitten ist. Auch hinsichtlich der Verselbständigung
des zinstragenden Kapitals und der "Schuldenkrise", der "Handels-Ungleichgewichte"
etc. muss wieder die "Politik" als deus ex machina herhalten, ganz so, als wäre
die teilweise selbst im Ansatz formulierte Herleitung dieser Probleme aus den
Gesetzen der Kapitalakkumulation (d.h. ausserhalb des Zugriffsbereichs politischer
und insofern kapitalimmanenter Regulierung) eigentlich bedeutungslos. In seiner
einschlägigen Monographie betont daher A. Schubert gleich einleitend, "dass
die Krise vor allem im politischen Bereich der internationalen Beziehungen gelöst
werden muss" (Schubert 1985, S. 20). Dabei wird schliesslich auch noch die URSACHE
des monetären Krisenprozesses kontrafaktisch auf die "politische" Ebene transformiert:
"Die Verschuldungskrise drückt das Vorhandensein von tief verankerten internationalen
HERRSCHAFTSSTRUKTUREN sowohl im realen als auch im monetären Segment des Weltmarkts
aus. Diese Herrschaftsstrukturen sind zum Hemmnis der weltweiten produktiven
Akkumulation geworden. Ohne eine POLITISCHE ENTSCHEIDUNG zur Veränderung dieser
Machtstrukturen, also der Hegemonialstellung der USA, können weder die Verschuldungskrise
noch die ausgeprägten Stagnationstendenzen der Weltwirtschaft überwunden werden"
(Schubert, a.a.O., S. 273, Hervorheb. R.K.).
SOLL denn diese "Stagnation" im Rahmen der bestehenden Ordnung überwunden werden?
Weiteres betriebswirtschaftliches Zerstörungs-"Wachstum" also? Ganz davon abgesehen:
Wer wirklich "herrscht" in dieser Welt, aus der die Linksreformisten weder hinausdenken
können noch wollen, ist das GELD in seiner Selbstbewegung als Ausdruck des
"automatischen Subjekts" (Marx) der Wertform als einer sterbenden und in ihrem
Sterben für die menschliche Reproduktion tödlich gewordenen gesellschaftlichen
Fetisch-Abstraktion. Von einem Begreifen dieser entscheidenden Ebene ist (nicht
nur) Schubert weit entfernt. Als selbsternannter "Arzt am Krankenbett des Kapitalismus"
kann und darf er nicht an die wirkliche Herrschaft des Geldes rühren, muss
vielmehr selber blind in dieser Geldform denken, d.h. sich Sorgen um die weitere
Akkumulation des subjektlosen Katastrophen-Monstrums machen. Für die vermeintliche
Ursachenforschung ist daher ein plumper "Ebenensprung" erforderlich. Obwohl
die (ebenso unbezweifelbare wie brüchig gewordene) "politische Herrschaft"
der USA an der Oberfläche der Geschichte nur der Ausdruck und die immanente
Verlaufsform der dahinterstehenden Selbstbewegung der Wertform und damit des
Geldes in der historischen Totalisierung des Weltmarkts ist, also überhaupt
keine wirklich eigenständige Daseinsform von "Herrschaft", muss die Krisenursache
in diesen abgeleiteten und unselbständigen Bereich hinübergelogen werden.
Schubert wirft also hanebüchen die fundamentale Ebene der globalen Kapitalakkumulation
mit der sekundären politischen Oberflächenebene durcheinander. Ein (zu erwartender)
Hegemonialverlust der USA als POLITISCHE VERLAUFSFORM der weltweiten Überakkumulationskrise
kann jedoch in keinster Weise die auf einer ganz anderen Ebene angesiedelten
"Stagnationstendenzen der Weltwirtschaft" überwinden, also auch nicht die wirklichen
Ursachen der "Schuldenkrise" tangieren.
Der schon hinsichtlich der zukünftigen Kapitalakkumulation und ihrer Bedingungen
zu beobachtende "politisierende" Mystizismus der Neo-Reformisten macht sich
an dieser Stelle potenziert auf der Sekundärebene der monetären Krise bemerkbar.
Denn selbst einen neuen historischen Aufschwung der Akkumulation, eine "new
era of growth" vorausgesetzt (wofür es keinerlei Gründe gibt), so müsste
sich doch ZUERST die angesammelte faule Expansion des internationalen Kredit-Systems,
der Spekulation und des globalen Schwindels in einem noch ausstehenden "Entwertungs-Krach"
entladen. Diese Lawine ist trotz des Oktober-Crash von 1987 noch bei weitem
nicht niedergegangen, aber daran führt in letzter Instanz überhaupt kein Weg
vorbei. Es gehört zu einer vulgären Omnipotenz-Mythologie des Kapitals bzw.
seiner nationalen wie internationalen "politischen" Repräsentanten, wenn diesen
die Fähigkeit angedichtet wird, sie könnten den Kelch des monetären Zusammenbruchs
und der darauffolgenden verheerenden Depression durch "richtige" Willensentscheidungen
innerhalb der Logik des Geldes an der kapitalistischen Weltwirtschaft vorübergehen
lassen. Was diese Herrschaften auch immer in der jetzigen Situation noch tun
mögen, es kann nur "falsch" sein.Die milden Vorschläge, die sich Schubert,
Altvater u.Co. aus den fleissigen Fingern saugen, sind von geradezu abenteuerlicher
Naivität: "Die USA, d.h. die US-Regierung, müsste einen breit angelegten internationalen
Verhandlungsprozess initiieren, der die Weltmarktstellung der armen Länder
entscheidend verändert und globale Impulse für die gesellschaftliche Erneuerung
in der Dritten Welt gibt" (Schubert, a.a.O., S. 274 f.). Da wäre es fast besser,
gleich mit Herrn Woytila zusammen eine Gebets-Initiative in Gang zu setzen,
denn solche Konjunktive gehören auf den Wunschzettel eines artigen Kindes,
das ans Christkind schreibt, aber nicht in das Resümee einer theoretischen
Untersuchung über den Zusammenhang von Überakkumulation und monetärer Weltmarkt-Krise.
Während die Autonomen ihre Begriffslosigkeit hinsichtlich der Berliner IWF-Jahrestagung
1988 dadurch ausdrückten, dass sie "Mit Mördern diskutiert man nicht" skandierten
(wäre es denn anders, wenn gute und wohlwollende Menschen als Charaktermasken
der Fetisch-Ökonomie fungierten?), entblödete sich umgekehrt Schubert schon
1984 nicht, "... statt einer Schwächung ... eine durch demokratische Entscheidungen
(!) legitimierte Stärkung des IWF als zentrale Institution des internationalen
Währungs- und Kreditsystems" (Schubert 1984, S. 447) zu fordern sowie eine
"... Wiederbelebung jener Ideen, die 1944 zur Gründung des IWF beitrugen" (ebda).
Dass dies natürlich auch immer schon kapitalistische und imperialistische "Ideen"
waren, spielt schon fast keine Rolle mehr. Das unglaublich hohle und stereotype,
jedem beliebigen Krisen-Sachverhalt gegenüber gebetsmühlenhaft heruntergeleierte
"Demokratisierungs"-Gefasel als "politische" Flucht der Neo-Reformisten nach
rückwärts, zu den abstrakten Idealen der bürgerlichen Emanzipationsbewegungen
von der Aufklärung bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, spiegelt nur ihre hoffnungslose,
fetischistische Befangenheit in den destruktiven Abstraktionen der Warenproduktion.
LITERATUR
1. Aglietta, M. (1979), A Theory of Capitalist Regulation, London
2. Altvater, E. (1985 a), Kredit und Hegemonie, in: Vor uns die goldenen neunziger
Jahre?, München
3. Altvater, E. (1985 b), Das Jahr 2000, der Weltmarkt und Fidel Castro, in:
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4. Altvater, E. (1987), Die Schulden des Südens und die Schuld des Nordens,
in: Gewerkschaftliche Monatshefte 1/87
5. Bischoff,J. (1986), Überakkumulation, Krise und neokonservative Strategie,
in: Kontroversen zur Krisentheorie, Hamburg
6. Coy, W. (1985), Industrieroboter, Berlin
7. Goldberg, J. (1986), Chronische Überakkumulation von Kapital und die Krise
des staatsmonopolistischen Regulierungstyps, in: Kontroversen zur Krisentheorie,
Hamburg
8. Hickel, R. (1987), Ein neuer Typ der Akkumulation?, Hamburg
9. Hirsch J./Roth, R. (1986), Das neue Gesicht des Kapitalismus, Hamburg
10. Huber, J. (1985), Modell und Theorie der langen Wellen, in: Vor uns die
goldenen neunziger Jahre?, München
11. Hübner, K. (1983), Warum dauert die Krise so lange?, in: Überproduktion
- Unterkonsumtion - Depression, Hamburg
12. Kondratieff, N.D. (1972/ zuerst 1924), Die langen Wellen der Konjunktur,
Berlin
13. Mandel, E. (1983), Die langen Wellen im Kapitalismus, Frankfurt/M.
14. Schmidt, H. (1985), Eine Revolution auf Pump?, in: Die Zeit vom 15.2.85
15. Schubert, A. (1984), Internationaler Währungsfonds: Krisenmanager ohne
Legitimation, in: Welt aktuell '85, Reinbek
16. Schubert, A. (1985), Die internationale Verschuldung, Frankfurt/M.
17. Schumpeter, J. (1961, zuerst englisch 1939), Konjunkturzyklen, 2 Bde., Göttingen
(1) zit. nach: Nürnberger Nachrichten vom 14.4.88
(2) Wirtschaftswoche vom 29.5.87
(3) Wirtschaftswoche vom 30.10.87
(4) Wirtschaftswoche vom 5.2.88
(5) Süddeutsche Zeitung vom 22.8.88
(6) Handelsblatt vom 21.12.87
(7) Wirtschaftswoche vom 5.2.88
(8) International Herald Tribune v. 26.9.88
(9) Die Welt v. 7.11.88
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