Robert Kurz Subjektlose Herrschaft 1. Eine der beliebtesten, mit der Gedankenlosigkeit des Selbstverständlichen dahingeplapperte Vokabel linker Gesellschaftskritik ist der Begriff der »Herrschaft«. Die »Herrschenden« wurden und werden in zahllosen Traktaten und Flugblättern als diffuse Generalbösewichter bemüht, um die Leiden kapitalistischer Vergesellschaftung zu erklären. Dieses Raster wird retrospektiv der gesamten Geschichte übergeworfen. In der spezifisch marxistischen Diktion erweitert sich der Begriff der Herrschaft zu dein der »herrschenden Klasse«. Damit erhält das Verständnis von Herrschaft eine »ökonomische Basis«. Die herrschende Klasse ist die Verzehrerin des Mehrprodukts, das sie sich mit List und Tücke und natürlich mit Gewalt »aneignet«. Es fällt ins Auge, daß die meisten Theorien der Herrschaft, die marxistischen eingeschlossen, das Problem utilitaristisch verkürzen. Wenn Aneignung »fremder Arbeit«, wenn gesellschaftliche Repression, wenn offene Gewalt, dann zu irgendjemandes Nutz und Frommen. »Cui bono«, darauf reduziert sich die Fragestellung. Eine solche Betrachtungsweise wird der Wirklichkeit nicht gerecht. Schon der Pyramidenbau der alten Ägypter, der das Mehrprodukt dieser Gesellschaft zu einem nicht unerheblichen Teil verschlang, läßt sich nicht einmal gewaltsam auf einen (gar ökonomischen) Nutzen-Gesichtspunkt einer Klasse oder Kaste zurückführen. Auch das wechselseitige Abschlachten diverser »Herrschender« aus Gründen der »Ehre« fällt offenkundig aus jedem bloßen Nützlichkeitskalkül heraus. Die Reduktion der menschlichen Geschichte auf einen endlosen Kampf um »Interessen« und »Vorteile«, ausgetragen von Subjekten eines dürren Nutzen-Egoismus(1), muß einfach zu viele reale Erscheinungen wegkürzen oder völlig verzerren, als daß sie einen entscheidenden Erklärungswert beanspruchen könnte. Die Vorstellung, daß alles, was im subjektiven Nützlichkeitskalkül nicht aufgeht, bloße Einkleidung der »Interessen« in religiöse und ideologische Formen, Institutionen oder Traditionen sei, wird dann lächerlich, wenn der reale Aufwand für diese angebliche Verkleidung den substantiellen Kern des vermeintlichen Eigennutzens bei weitem übersteigt. Oft müßte sogar eher umgekehrt festgestellt werden, daß Gesichtspunkte des Eigennutzens, soweit sie erkennbar sind, eine bloße Einkleidung oder eine bloße Äußerlichkeit von »etwas anderem« darstellen, das sich in den gesellschaftlichen Institutionen und Traditionen manifestiert. Nun könnte man sagen, daß hier einfach ein typischer Anachronismus des bürgerlichen Denkens vorliegt. Eine kapitalistische, d. h. moderne gesellschaftliche Konstitution und Denkweise wird den prämodernen Epochen untergeschoben, deren reale Verhältnisse damit nicht zu erfassen sind. Das hieße, daß die Reduktion von Herrschaft auf Eigennutzen und Interessenkampf dann wenigstens für die bürgerliche Moderne selber gültig wäre, auf deren Boden diese Denkweise ja auch entstanden ist. Es läßt sich in der Tat nicht leugnen, daß das Erscheinungsbild der modernen Gesellschaften, bis in die Psyche der »geldverdienenden« Menschen hinein, im abstrakten Eigennutzen aufzugehen scheint. Gerade der abstrakte, allen sinnlichen Bedürfnissen jenseitige Charakter dieses »Nutzens« ist es aber gleichzeitig, der diese Oberfläche wieder dementiert. Wird der moderne Eigennutzen auf die sinnliche Bedürfnisebene zurückübersetzt, dann erhält er etwas Gespenstisches, schlechthin Irrationales. Paradoxerweise scheint der Eigennutzen, wie er in der totalisierten Geldform gesetzt ist, etwas den Individuen und ihrer »Eigenheit« gegenüber vollkommen Verselbständigtes zu sein. Dieser fremde Charakter des vermeintlich unmittelbar egoistischen Interesses blieb in der historischen Aufstiegsphase des Kapitals noch verdeckt, als der konstituierte moderne Eigennutzen sich noch nicht völlig vom sinnlichen Inhalt des Reichtums geschieden hatte. Es mochte dann so erscheinen, als sei der Eigennutzen wirklich bloß die Form eines Kampfes um das (»knappe«) stoffliche Mehrprodukt, und als sei dies eine aller bisherigen Geschichte gemeinsame Grundlage, die nur in der kapitalistischen Moderne aufs Äußerste vereinfacht und daher endlich als solche entdeckt worden sei. Diese gemeinmarxistische Auffassung, die noch diejenige des »Kommunistischen Manifests« ist, blamiert sich freilich an der Wirklichkeit des reifgewordenen Kapitalismus. Heute hat sich der konstituierte Eigennutzen in der Geldform endgültig von jedem sinnlichen Bedürfnisinhalt emanzipiert. Das stoffliche Mehrprodukt kann nicht mehr als Aneignungs-Gegenstand für irgendjemandes Nutz und Frommen definiert werden, es hat sich als monströser Selbstzweck offen sichtbar verselbständigt. Die Kapitalisierung der Welt und die wuchernden abstrakten Vernutzungs-Projekte bekommen eine verzweifelte Ähnlichkeit mit dem Pyramidenbau an der Schwelle der Zivilisation, wenn auch in ganz anderen gesellschaftlichen Beziehungsformen (Ware und Geld). Menschen, die nicht mehr nach Bedürfnisbefriedigung, sondern nur noch nach »Arbeitsplätzen« schreien, muß eine Art von Unzurechnungsfähigkeit bescheinigt werden, die ihren sogenannten Eigennutzen als bloßen Vollzug eines säkularisierten religiösen Prinzips denunziert. Das gilt genauso für diejenigen, die dieses verselbständigte Prinzip als Eigentümer, Manager, Politiker usw. am Laufen zu halten genötigt sind. Auch ihr Nutzen ist bloß ein sekundärer, der mit immer mehr eigenem Schaden erkauft wird. Es kann also geschlußfolgert werden, daß die Moderne doch etwas Gemeinsames mit allen vorherigen Gesellschaftsformationen besitzt. Nur ist dies nicht der abstrakte Eigennutzen, der sich im Kapitalismus endlich als solcher enthüllt hätte. Gerade umgekehrt ist dieses Gemeinsame vielmehr das, was in keinem ökonomischen oder politischen Interessenkalkül aufgeht, und was in der Moderne paradoxerweise als Eigennutzen erscheint, in Wirklichkeit aber dennoch nichts Eigenes der Individuen ist, sondern etwas ihnen Aufgeherrschtes. Auch den Herrschenden wird etwas aufgeherrscht, sie herrschen nie wirklich für das eigene Bedürfnis oder Behagen, sondern für etwas schlechthin Jenseitiges. Sie schädigen dabei immer auch sich selbst und vollziehen etwas ihnen selber Entfremdetes und scheinbar Äußerliches. Ihre vermeintliche Aneignung des Reichtums schlägt um in Selbstverstümmelung. Die utilitaristische Reduktion findet modifiziert auch bei den nichtmarxistischen bzw. nicht-liberalen modernen Theorien der Herrschaft statt. Der abstrakte ökonomische Nutzen wird hier bloß durch einen nicht weniger abstrakten Nutzen der »puren Macht« ersetzt. Unterstellt der gemeine Marxismus eine ontologische Basis des »ökonomischen Interesses«, so unterstellen andere bürgerliche Herrschaftstheorien entweder die biologische, genetisch verankerte Basis eines »Machttriebs« (bzw. Aggressionstriebs) oder zumindest anthropologische, unhistorische Konstanten. Arnold Gehlen etwa sieht die Notwendigkeit von Herrschaft in der Existenz gesellschaftlicher Institutionen überhaupt, die an die Stelle des Instinkts getreten seien, um das Verhalten zu leiten. Eine Auffassung, die verdünnt wiedererscheint in jenen Stammtischweisheiten, daß »der Mensch« an sich ein hemmungslos gewordenes Tier sei, das institutionell gezähmt werden müsse durch den autoritären Staat. Stets erscheint die Macht oder Herrschaft als bestenfalls domestikabel zum Recht, das dann ebenfalls als ontologische Grundbefindlichkeit zu definieren wäre. Eklektisch verdoppeln sich alle derartigen Herleitungen von Herrschaft in den dualistischen Formeln von Geld und Macht als »Medien« jeder denkbaren Gesellschaftlichkeit. Die Domestikation durch das Recht kann dann je nach Temperament und historischer Situation als schändliche Denaturierung verstanden werden, die das wahre Menschenbild des Kampfes ums Dasein (survival of the fittest) verdunkle, oder umgekehrt als Fortschritt zum wahren Menschenbild einer geläuterten Herrschaft. Die Herrschaft selber bleibt ewiges Prinzip, ihre reformistische »Ausdifferenzierung« bis zur Klammheimlichkeit die einzig mögliche Form der Emanzipation, und übrigens Habermas deren Prophet. Womit bewiesen wäre, daß alle bisherige Geschichte im Grunde die Geschichte von Sozialdemokratien gewesen sein muß. Der Marxismus hat die »reaktionären« Herrschaftstheorien immer nur aus einer anderen Perspektive der Herrschaft bekämpft, aus der Perspektive ihrer ökonomischen Determination nämlich, während der Gedanke einer Aufhebung der »Herrschaft des Menschen über den Menschen« im Status eines aller Theorie und Praxis jenseitigen abstrakten und schwächlichen Versprechens für eine unbestimmte Zukunft blieb. Wenn Herrschaft aber ein ontologisches Prinzip ist, sei es aus ökonomischen oder aus biologischen bzw. anthropologischen Gründen, dann bliebe nur noch die Frage, wer denn herrscht oder herrschen soll, und in welcher Weise die Herrschaft sich vollzieht. »Machttrieb« bzw. Lust und Nutzen der puren Macht oder ökonomisches Nutzenkalkül als Erklärungsmuster kommen immer zu demselben Ergebnis: das empirische Dasein der Herrschaft, im Unterschied zu ihrer ontologischen Bestimmung, ist ein Produkt des subjektiven Willens. Das Herrschaftssubjekt herrscht, weil es herrschen will, weil es »etwas davon hat«. Diese Zurücknahme der empirischen Herrschaft ins bloß Subjektive ist fatalerweise gerade bei den Herrschaftskritikern am ausgeprägtesten. Während die biologischen bzw. anthropologischen Herrschaftstheorien normalerweise geneigt sind, die bestehende Ordnung zu affirmieren oder höchstens eine noch autoritärere zu fordern, prangern die Marxisten (die den bestehenden Herrschaftstypus durch einen »klassenmäßig« anderen ersetzen wollen) und die Anarchisten (die für eine sofortige und ersatzlose Abschaffung von Herrschaft überhaupt sind) die empirisch Herrschenden vorzugsweise als subjektive Schweine an. Dies mag gelegentlich durch entgegengesetzte theoretische Aussagen hilflos dementiert werden, wenn die strukturelle Objektivität von Herrschaft jenseits der vorgefundenen Subjekte schemenhaft ins Blickfeld rückt. Aber das Stutzen ist niemals nachhaltig. Die zaghaften Ansätze einer theoretischen Durchdringung der systematischen Subjektlosigkeit von Herrschaft werden nicht durchgehalten. Je mehr sich das Denken den Verhältnissen im einzelnen, der Praxis oder der Agitation für gesellschaftliche Ziele zuwendet, desto subjektivistischer wird es wieder, desto gröber schlägt der vulgäre Reduktionismus auf ein bloßes Interessenkalkül durch. Die Herrschenden sind »ungerecht«, heimsen alle Vorteile für sich ein, beuten aus, führen ein »Willkür«-Regiment, leben herrlich und in Freuden auf Kosten der Mehrheit, könnten auch anders und wissen immer genau, was sie tun. Die plumpe Reduktion von Herrschaft auf ein Nutzenkalkül erfordert also eine ebenso plumpe Reduktion des Vollzugs der Herrschaft auf ein selbstherrliches Willenssubjekt. Diese Reduktion läßt sich in der linken und marxistischen Literatur fast beliebig nachweisen. Ein subjektiver Herrschaftsbegriff wird axiomatisch vorausgesetzt, und vor diesem Hintergrund finden dann die detailreichen Analysen statt. Die »Asymmetrie von Kapital und Arbeit im Produktionsprozeß« wird voraussetzungslos beschworen, um dann platt subjektivistisch festzustellen, »daß die Einzelunternehmer oder Managements, indem sie allein über die Produktionsmittel verfügen, auch die alleinige Macht (!) haben, diese und die darin arbeitsorganisatorisch integrierten Arbeiter gegebenen Verwendungszwecken zuzuweisen und über die dabei entstehenden Produkte ebenfalls nach eigenen (!) Verwertungskalkülen zu verfügen«(2). Die »Verwertung« ist hier ganz in das subjektive, partikulare Eigennutzen-Kalkül von Herrschaftsträgern zurückgenommen, eine Auffassung, wie sie den traditionellen Arbeiterbewegungs-Marxismus und die Neue Linke gleichermaßen kennzeichnet, trotz aller (heute unwichtig gewordenen) Gegensätze. Noch konsequenter drückt die »Marxistische Gruppe« (MG) dieselbe Verkürzung in einem Schwanengesang anläßlich ihrer Selbstauflösung aus. An den Herrschenden moniert sie deren unverschämte Haltung, »daß jeder Arbeiter, der sein Geld verdient (!), ihnen für die Bereitstellung eines Arbeitsplatzes zu danken hat. Die umgekehrt ebenso darauf bestehen, daß sie Entlassungen nicht verhindern können, weil die Sachzwänge des Marktes, über die sie selber gebieten (!), es ihnen verwehren würden«(3) Diese Aussage kann kaum mißverstanden werden, wenn die »Marxistische Gruppe« ihre Agitationsbemühungen an den »Opfern des Kapitals« als Aufforderung definiert, sich »nicht mehr für die Sachzwänge benützen zu lassen, die andere stiften« (a.a.O., S. 5, Hervorheb. R.K.) und den praktischen Umgang mit dem Sachzwang der gesellschaftlichen Warenform derart verkürzt, daß sie darin nur wieder die Frechheit sieht, die »unangenehmen Wirkungen als Probleme an deren Urheber (!) zurückzudelegieren« (ebda). Der agitatorische Druck läßt offenbar alle rudimentären, unklaren Einsichten in die Natur des Wertverhältnisses vergessen, zerquetscht jede diesbezügliche Reflexion, und zwingt zu einer Interpretation, in der plötzlich die »Kapitalisten«, Politiker und Manager selbstherrlich »über« die Gesetze des warenproduzierenden Systems »gebieten«. Arbeitslosigkeit, so suggeriert die agitatorisch verplattete Aussage der »Marxistischen Gruppe« systematisch, ist kein Strukturgesetz des warenproduzierenden Systems, sondern ein negativer Willensakt der »Herrschenden«. Das ist der bürgerliche, aufklärerische Herrschaftsbegriff von 1789, der trotz tausendfach eingebleuter Kategorien des »Kapital« nie bei der Marxschen Ökonomiekritik angekommen ist. Die Verwertung des Werts, die gesellschaftliche Maschine eines subjektlosen Selbstzwecks, ist bei Esser, einem der in den 70er Jahren hervorgetretenen linken Gewerkschaftssoziologen, ebenso wie bei der Agitationssekte »Marxistische Gruppe« also subjektivistisch auf das »Eigene« eines puren Willensträgers zurückgefahren, der durch seinen angeblichen »Willen zur Ausbeutung« die ganze Veranstaltung namens Kapitalismus erst schafft. Es gehört daher auch zum argumentativen und agitatorischen Standard-Repertoire der Linken, bis hin übrigens zu den staatsfrommen und marktwirtschafts-gläubigen grünen Realos, die Sachzwänge warenförmiger Vergesellschaftung schlichtweg abzustreiten und als reines Betrugs- oder Ablenkungsmanöver jener Herrschenden zu denunzieren, die das Sachzwang-Argument bloß für den eigenen Vorteil (aus »Profitgier« womöglich) erfunden hätten. Es mag der »Marxistischen Gruppe« selbst noch im politischen Nirwana, in das sie nunmehr friedlich eingegangen ist, als eine Art Gemeinheit erscheinen, mit einem reformistischen Publizisten oder gar mit den Realos gleichgesetzt zu werden (man könnte natürlich auch und erst recht die Autonomen hinzunehmen). Aber gerade in der heute entscheidenden Frage jeder Gesellschaftskritik war sie wirklich um keinen Deut besser. Das Problem des subjektlosen Selbstzwecks blieb ihr ebenso verborgen oder wurde jedenfalls nicht theoretisch mobilisiert.
2. Die Zurücknahme des Kapitals und seiner Übel in subjektive Veranstalter, in Willens- und Interessensubjekte, ist aber nicht nur ein schwerer theoretischer Fehler, sondern hat auch fatale praktische Konsequenzen. Mit den altehrwürdigen Agitationsphrasen vom bösen Willen und subjektiven Nutzenkalkül der Herrschenden ist nämlich weder die fortgeschrittene Wirklichkeit mehr zu erfassen, noch sind die von dieser Realität konstituierten Subjekte damit zu erreichen. Zu offensichtlich hat der Selbstzweck- und Selbstzerstörungs-Charakter der kapitalistischen Maschine jeden Eigennutzen irgendwelcher Veranstalter und Eigentümer überstiegen. Und zu auf- und abgeklärt sind andererseits die »Opfer und Bediensteten von Kapital und Staat« hinsichtlich des objektiven Realitätsgehalts jener Sachzwänge, die von den Marxisten so hartnäckig in die subjektive Interessenagitation der Herrschenden verbannt werden. Das subjektivistische Argument taugte für die historische Aufstiegsphase des Kapitals, als die Arbeiter sich noch in dieser gesellschaftlichen Hülle zu warenförmigen Subjekten entpuppen mußten. Solange verschiedene Warensubjekte sich herausbilden und auf dem Boden der Warenform den Kampf um ihre Geldinteressen ausfechten, solange sie die dafür notwendigen Institutionen und Verkehrsformen schaffen und mobilisieren, solange kann die Gesellschaftskritik auch subjektivistisch verkürzt bleiben. Zwar ging dieses Argument theoretisch von Anfang an nicht auf, aber dies blieb verborgen, weil die ganze praktische Kritikbewegung noch kapitalimmanent sein konnte. Von dieser Immanenz werden scheinradikale Positionen des gemeinen Marxismus, wie sie z. B. von der erwähnten »Marxistischen Gruppe« in abstrakter Reinform vorgeführt werden, heute aber deswegen eingeholt und blamiert, weil das Kapital als Weltverhältnis sein (krisenhaftes) Reifestadium erreicht und damit eine in der Hauptsache immanente Kritik unmöglich gemacht hat. Der Sachzwang der Warenform ist objektiv, aber nicht im anthropologischen, sondern bloß im historischen Sinne. Er ist aufhebbar, aber eben nur zusammen mit der Warenform selber. Die Crux der subjektivistischen Agitation und ihre Immanenz besteht nun darin, daß sie an dieses Aufhebungsproblem gar nicht herankommt. Weil die »unangenehmen Wirkungen« bloß aus dem Willen und Nutzenkalkül der Herrschenden kommen sollen, die ungeachtet der subjektlosen gesellschaftlichen Form vermeintlich auch anders könnten, deswegen sind sie auch in dieser Form schon zu beseitigen und die »Opfer und Bediensteten« könnten sich der »Wirkungen« entledigen, ohne ihre eigene Form als Warensubjekte antasten zu müssen. Der Vorteil dieser verkürzten Konklusion für den Agitator ist aber nur ein scheinbarer. jedenfalls dann, wenn er »nicht reformistisch« sein möchte. Denn das Axiom seiner Agitation ist per se schon reformistisch, indem er das sinnliche Bedürfnis nicht kritisch in seiner gesellschaftlichen Form bestimmt. Darüber bleibt er zwar kompatibel mit dem warenförmig konstituierten Bewußtsein seiner »geldverdienenden« Adressaten, aber er begibt sich damit selber in die Fänge des Sachzwangs, ob er will oder nicht. Er verstrickt sich in den unlösbaren Widerspruch, daß er einerseits verlangt, die Subjekte sollten ihre sinnlichen Bedürfnisse ohne Rücksicht auf die zwanghaften Strukturgesetze der Warenform geltend machen, andererseits aber diese Forderung selber in der Warenform erhebt oder zumindest dazu stillschweigt, daß sie nur so verstanden werden kann. Die »Marxistische Gruppe« etwa mochte zwar in ihren Traktaten gelegentlich etwas darüber murmeln, daß »richtige Planwirtschaft« mit »Geld« ja wohl nicht so ganz gehen könne aber dies mußte als aufgesetzt und unverständlich erscheinen, wenn sie sich vorher schon gemein gemacht hatte mit dem Geldverstand des kapitalistischen Alltags, an den sie jederzeit appellierte im Namen des »Eigennutzens« der Damen und Herren von der Arbeiterklasse. Aus diesem Dilemma heraus ist es auch zu erklären, daß die eng an die Agitation gebundene Theorie zu einer systematischen Ausarbeitung der in den Marxschen Schriften angelegten radikalen Kritik der Ware-Geld-Beziehung gar nicht gelangen konnte. Weder eine theoretische Aufarbeitung des historischen Arbeiterbewegungs-Marxismus und seines Sozialismusbegriffs war so möglich noch eine gesellschaftliche Vermittlung der grundsätzlichen Ökonomiekritik. Mit radikaler Kritik des Geldes kann man unvermittelt keine Briefkastenagitation machen, gilt aber auch umgekehrt: wer unvermittelt Massen- und Briefkastenagitation macht, der kann keine radikale Geldkritik entfalten. Das vermeintliche »Gelackmeiertwerden« der »Opfer und Bediensteten« muß immer schon selber in jener subjektlosen Form attackiert werden, die der wirkliche gesellschaftliche »Urheber« ist. Die Agitation scheiterte so an sich selbst, und nicht an der Dummheit der Massen oder an den Pressionen des Verfassungsschutzes. Der agitatorische Leerlauf ging an den gesellschaftskritischen Aktivisten und Bewegungen vorbei, denen bloß »fehlerhaftes Denken« und »Inkonsequenz« etc. vorgeworfen wurde, obwohl das Wichtigste noch gar nicht gesagt und herausgearbeitet war, ja sogar die eigene Inkonsequenz der Marxisten es war, die den unüberbrückbaren Abgrund zwischen geldförmig konstituiertem Interessenkalkül und Kritik des Kapitals unangetastet ließ. Die per se immer schon kapitalimmanente Mobilisierung der »Asymmetrie zwischen Kapital und Arbeit«, die nur einen Gegensatz innerhalb des Kapitals selber bewegen konnte, ist historisch zum Stillstand gekommen. Die darin aufgehenden Momente der Marxschen Theorie sterben ab, werden geschichtliche Dokumente, und damit stirbt der Marxismus in allen seinen Varianten. Aber die Marxsche Theorie enthält mit dem Konzept der Fetischismus-Kritik auch einen völlig anderen Zugang zur Wirklichkeit, der bisher im Dunkeln geblieben war. Der Marxismus konnte damit nichts anfangen, vor allem nichts Praktisches. Für die »Marxistische Gruppe« etwa (um den Nachruf im Vorbeigehen noch ein wenig fortzusetzen) wird das Fetischismusproblem in den »Kapital«-Analysen ihres ursprünglichen Gründungsdokuments nicht systematisch aufgenommen. Sie fühlte sich aber damals schon bemüßigt, ein »Verdinglichungs- und Entfremdungsgeschwafel« zu denunzieren (4) und eine fetischistische Durchdringung des bürgerlichen Lebens in »abgeleiteten Sphären« (Denkformen, Sexualität, Kunst usw.) ausdrücklich zu leugnen. Statt das Problem aus dem Status des »Geschwafels« zu befreien und es theoretisch aufzunehmen, wurde es in seiner Tragweite völlig verkannt, um dafür quasi-positivistisch auf die ökonomischen Kategorien loszugehen. Die gleichzeitige ziemlich vage Kritik von Auffassungen des Kapitals als eines »persönlichen Abhängigkeitsverhältnisses« und von »vulgären Agententheorien« (Resultate.... a.a.O.) mußte so unwirksam bleiben. Die »Marxistische Gruppe« hat sich selber nicht daran gehalten, indem sie in ihrer agitatorisch verkürzten Theoriebildung (oder theoretisierenden Agitation) immer wieder und sogar zunehmend auf einen subjektivistischen Herrschaftsbegriff zurückfallen mußte. Tatsächlich hat jede auf ein ökonomisches oder politisches Nutzenkalkül zurückgeführte Herrschaftstheorie Schwierigkeiten, sich von einem Begriff »persönlicher Abhängigkeit« anders als bloß äußerlich zu lösen. Das Problem der Versachlichung gesellschaftlicher Beziehungen und Herrschaftsverhältnisse wird zu kurz gefaßt, wenn man es darauf reduziert, daß in der Form der Ware »sich Menschen wechselseitig als Mittel für ihre individuellen Zwecke benutzen« (Resultate..., a.a.O.) Das Stehenbleiben bei der konstituierten, vorgefundenen Subjektivität, die in ihrer subjektlosen Konstituiertheit nicht begriffen wird, ist so nicht zu überwinden. Diese verkürzte Auffassung legt es nahe, rasch und unvermittelt von der warenförmigen Konstitution der Subjekte zur »kapitalistischen Ausbeutung« zu springen. Die Versachlichung und das »wechselseitige Benutzen« reduzieren sich dann sehr schnell darauf, daß es sich bei der Abhängigkeit des Arbeiters nur insofern um keine »persönliche« handelt, als er nicht vom Kapitalisten Franz Meier lebenslang abhängig bleibt, sondern von »der Kapitalistenklasse« überhaupt samt »ihren« Institutionen. Der subjektivistische Herrschaftsbegriff ist hier als »persönlicher« nur im krudesten Sinne kritisiert, aber nicht aufgelöst, sondern bloß auf ein kollektives Herrschaftssubjekt übertragen. In der Tat relativiert die »Marxistische Gruppe« ihre eigene Kritik der »vulgären« und moralisierenden persönlichen Herrschaftstheorien sofort wieder, indem sie den Marxschen Hinweis auf die (fetischistische) Versachlichung darauf zurückbiegt, daß »andererseits« in »derselben Aussage durchaus der Hinweis darauf (steckt), daß sich die warenproduzierenden Individuen mit der Abstraktion, die den gesellschaftlichen Inhalt ihrer Tätigkeit ausmacht, anderen Individuen unterwerfen« (Resultate.... a.a.O., Hervorheb. R.K.). Die Argumentation drückt sich so um das Fetischproblem herum und kommt immer wieder darauf zurück, das versachlichte Verhältnis in eine subjektive Veranstaltung aufzulösen. Der Begriff des »automatischen Subjekts« (Marx), die eigentlich subjektlose Ebene des fetischistischen Verhältnisses, wird so grundsätzlich verfehlt. Daß die warenproduzierenden Individuen sich durch die Abstraktion der Warenform »anderen Individuen unterwerfen«, ist als für sich stehende Aussage schlichtweg falsch. Eine solche Auffassung mochte im Gegenteil höchstens gelten, solange die Warenförmigkeit der Subjekte noch nicht vollständig herausgearbeitet war, solange also die Reste anderer, vormoderner Traditionen noch wirksam blieben. Solange es noch eine Frage war, wer wen mit »Herr« anredet, machte eben die Abstraktion der Ware für die Individuen auch noch nicht im vollen Sinne »den gesellschaftlichen Inhalt ihrer Tätigkeit aus«. Heute sagt der Werkmeister mit der größten Höflichkeit zum Hilfsarbeiter: »Herr X, würden Sie mir bitte mit dem Steinbock 20 Paletten mit Prospekten aus dem Lager holen«. Eine Anrede mit »Du« andererseits meint keine Herabsetzung, sondern im Gegenteil egalitäre Vertraulichkeit (man denke auch an die nachgerade absurde Hierarchie des Händeschüttelns in vielen Betrieben). Jüngere Management-Konzepte operieren ganz bewußt mit solchen egalitären Umgangsformen. Das ist keineswegs bloß eine formale Äußerlichkeit, hinter der sich die alte wilhelminische »Unterwerfung unter andere Individuen« verbergen würde. Kein zu Ende modernisiertes Warensubjekt hat mehr das Gefühl, sich einem anderen Individuum als solchem zu »unterwerfen«. Und diese spontane Einschätzung trügt nicht. Was die Individuen heute als ihre Heteronomie wahrnehmen, ist immer schon ein abstrakter Funktionalismus des Systems, der in keiner Subjektivität mehr aufgeht. Sämtliche Funktionäre der Funktionshierarchien werden wahrgenommen als das, was sie sind: als selber subalterne Exekutoren von subjektlosen Prozessen, denen man sich nicht nur nicht »unterwirft«, sondern die sogar nach ihrer »Funktionstüchtigkeit« beurteilt werden. Ein verhaßter Vorgesetzter wird in seinen Irrationalismen weniger nach Maßstäben befriedigender menschlicher Beziehungen gemessen, als vielmehr danach, inwieweit sein Verhalten dysfunktional für das (z.B. betriebswirtschaftliche) Funktionieren ist, er also »seinen Job« schlecht ausführt. Ein »harter Hund« dagegen mit korrekten oder egalitären Umgangsformen, der am »Erfolg« orientiert ist, kann akzeptiert werden, eben weil er »seinen Job tut« (»ich würde es genauso machen«). Von »Unterwerfung« unter ein anderes Individuum kann dabei deswegen nicht die Rede sein, weil erstens der Exekutor in seiner Funktion weder ein individuelles Gegenüber ist noch als solches wahrgenommen wird, und weil zweitens die eigene individuelle Identität als monadisiertes Warensubjekt davon nicht berührt wird. Zu einer anderen Zeit und in einer anderen Situation könnte man selber jederzeit ganz geschäftsmäßig eine exekutierende Funktion an anderen Individuen ausführen, und hinterher womöglich noch ein Bier mit ihnen trinken gehen. Die Rede von der »Unterwerfung unter andere Individuen«, die von den warenproduzierenden Menschen ausgerechnet »mit der Abstraktion, die den gesellschaftlichen Inhalt ihrer Tätigkeit ausmacht«, vollzogen werden soll, geht also völlig am Problem vorbei. Es ist eine Redeweise in Kategorien eines flachen, subjektiven Herrschaftsbegriffs, der eklektisch mit dem unaufgearbeiteten Problem der fetischistischen Subjektlosigkeit kurzgeschlossen wird. Weder die wirkliche Heteronomie der warenproduzierenden Individuen noch ihr Bewußtsein davon kann mit dieser Agitation mehr erreicht werden. Damit aber ist auch schon die Basis des Systems falsch gefaßt. Daß die Warensubjekte »sich wechselseitig für ihre individuellen Zwecke benutzen«, ist nicht das Wesen der Sache und deshalb auch keine Erklärung. Es ist vielmehr die bloße Erscheinungsform von »etwas anderem«, des subjektlosen Fetischs nämlich, an den handelnden Subjekten. Ihre »individuellen Zwecke« sind nicht das, was sie zu sein scheinen; es sind ihrer Form nach keine individuellen, selbstgesetzten Zwecke, und deswegen wird auch der Inhalt pervertiert und mündet in Selbstzerstörung. Das Wesen ist nicht, daß die Individuen sich wechselseitig für ihre individuellen Zwecke benutzen, sondern daß sie, indem sie dies zu tun scheinen, einen ganz anderen, überindividuellen, subjektlosen Zweck an sich selbst exekutieren: die Selbstbewegung (Verwertung) des Geldes.
3. Die Differenz könnte nicht schärfer sein: für den gemeinen Marxismus ist die Selbstbewegung des Geldes, die Verwertung des Werts, gerade jener Schein, der auf die Zwecke, den Willen, das subjektive Handeln der Menschen zurückzuführen und also in (»falsche«, herrschaftliche) Subjektivität aufzulösen ist. Eine radikale, konsequente Fetischismuskritik müßte dagegen genau umgekehrt die empirische Subjektivität selber als den Schein denunzieren, d.h. die Zwecke, den Willen und das subjektive Handeln der warenproduzierenden Menschen in ihre wahre Subjektlosigkeit als bloße Exekution einer allen Subjekten vorausgesetzten Fetischform auflösen. Nicht etwa, um sich dem »automatischen Subjekt« zu unterwerfen, sondern im Gegenteil, um es als solches an greifen und überwinden zu können. Erst diese Umkehrung nämlich ermöglicht es, den Skandal der völligen Bewußtlosigkeit auf der Ebene gesellschaftlicher Formbestimmung überhaupt zu erkennen, was die Voraussetzung dafür ist, sie zu überwinden. Indem der gemeine Marxismus und die herkömmlichen Herrschaftstheorien anders vorgehen, die Subjektlosigkeit als Erscheinung oder bloßen Schein ins (bürgerliche, warenförmige) Subjekt auflösen, machen sie sich schon zum Komplizen des Fetischs und werden unfähig, ihn in seiner Objektivität zu kritisieren. Der Widerspruch scheinradikaler Agitation sitzt also tief im Subjektbegriff. Die unvermittelte Beschwörung des vorausgesetzten, apriorischen Subjekts ist so ironischerweise nichts als die theoretische Form der Unterwerfung unter die fetischistische Subjektlosigkeit. Die ewige Beschimpfung der Herrschenden und die ewige Unterstellung, daß in denselben modernen Ware-Geld-Formen eine ganz andere und menschenfreundlichere Veranstaltung möglich sein könnte, wenn nur ein anderer und besserer Wille sie leiten würde, ist freilich mit der Zeit zur Beschäftigungstherapie für die Dümmeren unter den Gesellschaftskritikern geworden. Dieser erlauchte Kreis umfaßt heute sowohl die übriggebliebenen orthodoxen und scheinradikalen Marxisten als auch die Realos. Unabhängig von solchen unverbesserlichen Nichtdenkern aber ist längst Bewegung in den Herrschaftsbegriff gekommen. Schon seit der Jahrhundertwende, spätestens seit den 20er Jahren schlagen sich die Klügeren unter den westlichen Zeitdiagnostikern und Gesellschaftskritikern zunehmend mit den Erscheinungen der Subjektlosigkeit herum. Ein Produkt dieser Bemühungen war die Bürokratisierungsthese. In den bürgerlichen Zeitanalysen, die nicht so fixiert waren auf eine bösewichtige Personengruppe namens »Bourgeoisie« wie die marxistische Gebetsmühlenliteratur, spukte schon früh das Stichwort von der »verwalteten Welt«. In Robert Michels' berühmter Soziologie des Parteienwesens(5) und besonders in der Theorie von Max Weber begann sich ein struktureller Begriff der eigentlichen Subjektlosigkeit moderner Herrschaft zu entfalten. Weber setzt den allgemeinen Begriff der Bürokratie den »Interessen« sozialer Mächte zwar noch äußerlich, indem er sie ein »Präzisionsinstrument« nennt, »welches sehr verschiedenen, sowohl rein politischen wie rein ökonomischen, wie irgendwelchen anderen Herrschaftsinteressen sich zur Verfügung stellen kann«(6). Gleichzeitig aber verweist er auch auf die »sachliche«, subjektlose Eigendynamik des modernen Bürokratisierungsprozesses, der sich den herkömmlichen Herrschaftstheorien entzieht: »Der Berufsbeamte ist nur ein einzelnes, mit spezialisierten Aufgaben betrautes, Glied in einem rastlos weiterlaufenden Mechanismus, der ihm eine im wesentlichen gebundene Marschroute vorschreibt (..) Die Beherrschten ihrerseits ferner können einen einmal bestehenden bürokratischen Herrschaftsapparat weder entbehren noch ersetzen Die Gebundenheit des materiellen Schicksals der Masse an das stetige korrekte Funktionieren der zunehmend bürokratisch geordneten privatkapitalistischen Organisationen nimmt stetig zu, und der Gedanke an die Möglichkeit ihrer Ausschaltung wird dadurch immer utopischer Die Bürokratie ist rationalen Charakters: Regel, Zweck, Mittel, sachliche Unpersönlichkeit beherrschen ihr Gebaren« (Weber, a.a.O., S. 570 ff.). In die Klassenkampfrhetorik der Linken drang die Bürokratisierungsthese zunächst vor allem über die Trotzkisten ein, die sich als Gralshüter der einschlägigen Warnungen Lenins verstanden und das theoretische Problem hatten, eine vermeintlich nicht-kapitalistische Herrschaft über die »Arbeiterklasse« in einem Staat mit auch von ihnen verteidigten »sozialistischen Wirtschaftsgrundlagen« erklären zu müssen. Da kam die Formel von der bürokratischen Herrschaft gerade recht. Freilich sollte damit nicht etwa ein Begriff der Subjektlosigkeit von Herrschaft gewonnen werden. Vielmehr ging es einzig und allein darum, speziell für die Sowjetunion das alte Ausbeuter- und Herrschaftssubjekt der »Kapitalistenklasse« kurzerhand durch das angeblich transitorische Herrschaftssubjekt »Bürokratenkaste« zu ersetzen. Der subjektive Herrschaftsbegriff wurde dadurch nicht theoretisch in Frage gestellt, wenn auch ungewollt aufgeweicht. Der Begriff der Bürokratie war eher ein theoretischer Notnagel, er wurde fast entschuldigend gebraucht und eifersüchtig vom Begriff der »herrschenden Klasse« im »eigentlichen« Sinne getrennt. Trotzki selbst preßte diesen halbherzigen Bürokratiebegriff fast gewaltsam in das alte Schema, das bei Weber nur noch leise anklingt: »In der bürgerlichen Gesellschaft vertritt die Bürokratie die Interessen der besitzenden und gebildeten Klasse, die über unzählige Mittel verfügt, ihre Verwaltung zu kontrollieren. Die Sowjetbürokratie jedoch schwang sich über eine Klasse auf, die eben erst aus Elend und Dunkelheit befreit und keine Traditionen im Herrschen und Kommandieren besitzt (!). Während die Faschisten, nachdem sie die Futterkrippe erreichten, mit der Großbourgeoisie gemeinsame Interessen-, Freundschafts-, Ehebande usw. knüpften, macht sich die Bürokratie der U.S.S.R. die bürgerlichen Sitten zu eigen, ohne eine nationale Bourgeoisie neben sich zu haben« (7) Augenscheinlich verläßt Trotzki nicht einmal andeutungsweise den subjektiven, kollektiv-persönlichen Herrschaftsbegriff des gemeinen Marxismus. Die Bürokratie wird als eine Art sozialökonomischer Hilfssheriff eingeführt, der zufällig seinen Chef verloren hat und nun auf eigene Rechnung regiert, ohne es zur »Eigentlichkeit« von (klassenmäßiger) Herrschaft zu bringen. Dieses Denken in bloßen Sozialkategorien (Arbeiterklasse, Großbourgeoisie, Bürokratie), deren Konstitution durch die subjektlose gesellschaftliche Form gar nicht ins Blickfeld gerät, sondern die nur unkritisch als solche in ihrem gegenseitigen subjektiven Handlungsbezug wahrgenommen werden, konnte auch der Bürokratisierungsthese theoretisch nichts Neues abgewinnen. Der trotzkistische Bürokratiebegriff blieb empiristisch verkürzt und wurde bloß instrumentalisiert, um die unbegriffene Entwicklung der Sowjetunion mit einem Anschein gemeinmarxistischer Plausibilität darstellen zu können(8). Einen Schritt weiter ging die Kritische Theorie, deren Vertreter die sich anbahnenden Veränderungen viel klarer sahen als die vulgären Parteimarxisten. Die Theoretiker der Frankfurter Schule wandten sich von der bloßen Klassenkampfrhetorik ab, deren Verblassen sie als erste ahnten (ohne sie allerdings theoretisch überwinden zu können), griffen die Bürokratisierungsthese der westlichen Soziologie auf und versuchten, sie in ein (zunehmend pessimistisches) gesellschaftskritisches Gesamtkonzept einzuarbeiten. Max Horkheimer entwarf dabei ein eigenartiges Bild der Herrschaft, in dem die Begriffe des gemeinen Marxismus und der soziologischen Bürokratisierungstheorien eklektisch verschmolzen: »Die Bourgeoisie ist dezimiert, die Mehrzahl der Bürger hat ihre Selbständigkeit verloren; soweit sie nicht ins Proletariat oder vielmehr in die Masse der Arbeitslosen hinabgestoßen sind, gerieten sie in Abhängigkeit von den großen Konzernen oder vom Staat Als caput mortuum des Verwandlungsprozesses der Bourgeoisie ist die oberste industrielle und staatliche Bürokratie übrig geblieben«(9). Während Weber das Problem noch mehrdeutig formuliert, während für Trotzki und seine westlichen Schüler der subjektive Klassenbegriff von Herrschaft gegenüber dem Bürokratiebegriff noch eindeutig dominiert, thematisiert Horkheimer (der Weber natürlich näher steht als Trotzki) schon die Auflösung des Begriffs der Klassenherrschaft durch die reale Entwicklung gerade der westlichen Gesellschaften selbst. Aber die Formel vom »caput mortuum« zeigt, daß er damit noch lange nicht über die offenbar hartnäckige subjektiv-soziologistische Vorstellung von Herrschaft hinauskommt. Diese ist tief im westlichen Aufklärungsdenken überhaupt verankert, das »Subjektivität« prinzipiell als abstrakte und apriorische setzt. Alle gesellschaftlichen Verhältnisse -sollen und müssen in irgendeiner Weise aus diesem nachgerade chimärischen Subjekt abgeleitet werden, das Ausgangs- und Endpunkt aller Analysen bleibt. Die Bürokratisierungsthese in allen ihren Varianten scheint sich einem subjektlosen Begriff von Herrschaft anzunähern. Aber sie zeigt gleichzeitig das Widerstreben des aufklärerischen Subjektdenkens, das schnell zum Schmollen neigt, wenn es nicht mehr weiter weiß. Daß sowohl Weber als auch Horkheimer und Adorno, ebenso wie übrigens Freud, in einen anthropologischen Pessimismus hinüberglitten, rückt sie ungewollt in die Nähe jener reaktionären Kulturpessimisten, die sie andererseits immer wieder kritisiert haben. Diese unkoschere Verwandtschaft ist keineswegs allein den katastrophischen Erfahrungen der Weltkriegsepoche geschuldet, sondern auch den inneren Widersprüchen der aufklärerischen Subjektideologie und des Marxismus als deren Wurmfortsatz. Der Bürokratiebegriff reflektiert bloß negativ die Blamage sowohl der bürgerlichen als auch der marxistischen Herrschaftstheorien. Hinsichtlich der zum Vorschein kommenden Subjektlosigkeit von Herrschaft bleibt er jedoch begriffslos und deskriptiv. Die Befangenheit in bürgerlicher Subjektideologie überhaupt und damit in einem subjektiven Begriff von Herrschaft läßt kaum mehr zu als das Konstatieren eines soziologischen Phänomens, das nicht anders als »technisch« und »organisatorisch« hergeleitet werden kann. Der inzwischen geläufige Begriff der Technokratie ist der Nachhall dieser bis heute nicht überwundenen Hilflosigkeit. Die Herrschaft der Bürokratie wird noch in subjekttheoretischen terms diskutiert, obwohl ihre eigentliche Unselbständigkeit (im Gegensatz zu anscheinend leicht dingfest zu machenden herrschaftlichen Menschengruppen wie Adel oder Bourgeoisie) auf jenes dunkle »Andere« verweist, das vom aufklärerischen Geist nicht mehr erfaßt werden kann. So darf es kaum verwundern, daß auch die Kritische Theorie nicht dazu gelangte, die Marxsche Fetischismuskritik systematisch aufzunehmen. Dieses Unvermögen entstammt nicht analytischer Schwäche, sondern verweist auf eine grundsätzliche Schranke okzidentaler Rationalität, die auch in den kritischen Varianten ihres eigenen Fetischcharakters nicht gewahr werden kann.
4. Die Auflösung der alten subjektiven Herrschaftstheorien setzte sich über die Bürokratisierungsthese hinaus in den modernsten Versuchen des Strukturalismus, des Strukturfunktionalismus und der Systemtheorie fort. Die systematische Subjektlosigkeit wird hier endlich offen thematisiert, nicht bloß als (beklagenswertes) geschichtliches Resultat der Moderne, sondern erstmals als eigentliches Prinzip menschlicher Vergesellschaftung schlechthin. Ausgehend von strukturalen Sprachanalysen der Linguistik setzte sich der Gedanke durch: nicht das Subjekt und nicht die Praxis von Subjekten sind konstitutiv, sondern subjektlose »Strukturen«, in denen und anhand derer sich das jeweilige Handeln konstituiert. Nicht der Mensch (das menschliche Subjekt) spricht, sondern »die Sprache spricht«. Oder, sarkastisch ausgedrückt: der Mensch »wird gesprochen«. Dieser theoretische Ansatz, angebahnt von Ferdinand de Saussure (»strukturale Linguistik«), dehnte sich rasch auf die Ethnologie (Claude Levi-Strauss) und auf die Psychoanalyse (Jacques Lacan) aus, um von dort auf die Geschichte, Soziologie und Philosophie überzuspringen. Überall sind danach in letzter Instanz nicht menschliche Individuen und Subjekte, sondern subjektlose Strukturen als (nicht bewußte, handelnde, sondern »determinierende«) Quasi-Subjekte am Werk. Wenn der Mensch nicht spricht, sondern »gesprochen wird«, dann denkt er auch nicht, sondern »wird gedacht«; dann handelt er nicht sozial, politisch oder ökonomisch, sondern »wird gehandelt« usw. Es wurde also nichts geringeres als der Tod des Subjekts verkündet(10). Keiner hat diese Konsequenz philosophisch konsequenter ausgesprochen als Michel Foucault, der seinem äußerst widersprüchlichen Werk entsprechend wahlweise als Strukturalist, Poststrukturalist oder Postmoderner gehandelt wird: »In dem Augenblick, in dem man sich darüber klar geworden ist, daß alle menschliche Erkenntnis, alle menschliche Existenz, alles menschliche Leben und vielleicht das ganze biologische Erbe des Menschen, in Strukturen eingebettet ist, d.h. in eine formale Gesamtheit von Elementen, die beschreibbaren Relationen unterworfen sind, hört der Mensch sozusagen auf, das Subjekt seiner selbst zu sein, zugleich Subjekt und Objekt zu sein. Man entdeckt, daß das, was den Menschen möglich macht, ein Ensemble von Strukturen ist, die er zwar denken und beschreiben kann, deren Subjekt, deren souveränes Bewußtsein er jedoch nicht ist. Diese Reduktion des Menschen auf die ihn umgebenden Strukturen scheint mir charakteristisch für das gegenwärtige Denken und somit ist die Zweideutigkeit des Menschen als Subjekt und Objekt jetzt keine fruchtbare Hypothese, kein fruchtbares Forschungsthema mehr«(11). Da aber Foucaults eigentliches Thema gleichzeitig nietzscheanisch die »Macht« ist (und er das Paradox fertigbringt, ein strukturalistischer Nietzscheaner oder ein nietzscheanischer Strukturalist zu sein), erscheint somit auch der Begriff subjektloser Herrschaft über die ältere Bürokratisierungsthese hinaus zu Ende geführt. Wo alles »Macht«, aber nirgends mehr »Subjekt« ist, haben auch die alten subjektiven Herrschaftstheorien endgültig ausgedient, für die »Macht« undenkbar ist ohne ein Macht-Subjekt, in dessen Willen die »Macht« aufgelöst werden kann. Damit ist auch Foucault natürlich nicht glücklich, zumal er eben Nietzsche bewundert und der »Wille« für ihn immer bedeutsam bleibt. Aber der Wille ist gleichsam ein verlorener Geselle, der, indem er sich äußert, doch immer nur »Funktionen« der »Struktur« vollziehen kann, ob er es »will« oder nicht. Wie der Wille überall ist, der sich im »Begehren« äußert, so ist erst recht die »Macht« überall als subjektlose Struktur, in deren Formen sich der Wille nur ausdrücken kann. Bis in die feinsten Poren der Psyche hinein versucht Foucault diese ausweglose Konstellation zu verfolgen: die »Mikrophysik der Macht« (deutsch 1976), so heißt denn auch eine seiner Textsammlungen. Damit ist freilich emanzipatorische Praxis ebenfalls endgültig desperat geworden. Genauer gesagt: die Verbindung von Praxis und theoretischer Begründung ist anscheinend für immer zerrissen. Handeln trotz Theorie, so lautet dann explizit oder implizit die Devise. Auch Foucault hat sich leidenschaftlich in der Gruppe »Gefängnis-Information« (G.I.P) und für Gefangenen-Revolten engagiert. Er führte geradezu ein Doppelleben als »Professor für Geschichte der Ideensysteme« am Collège de France in Paris und als »Kämpfer gegen die Normalität« (auch vermittelt durch seine eigene Situation als Homosexueller). Das Dilemma Foucaults ist aber weder allein sein persönliches noch allein dasjenige des Strukturalismus, sondern ironischerweise ja erst recht auch das der »humanistischen« und existentialistischen Gegenspieler, die so heftig kritisiert werden. Auch die Kritische Theorie ist hier mit eingeschlossen. Foucault hat sich zuletzt sogar ausdrücklich positiv auf Adorno bezogen. Desperate, unvermittelte, nicht mehr begründbare Praxis ist eine gemeinsame Konsequenz dieser Ideensysteme trotz aller sonstigen Gegensätze. Die Strukturalisten waren zuvor allesamt durch die Schule der westlichen Subjekttheorien gegangen (Marxismus, Existentialismus, Phänomenologie, Kritische Theorie). Ihre Attacken gegen den ideologischen Humanismus waren immer auch eine Selbst-Auseinandersetzung. Insofern ist der Strukturalismus selber eine Verfallsform des Aufklärungsdenkens, das sich bis zur letzten Konsequenz der völligen Entsubjektivierung eigenhändig destruiert. Ist dieser Prozeß der Entsubjektivierung für die Kritische Theorie noch ein historischer, das Erlöschen eines Versprechens oder der Untergang einer Realität, die märchenhaft »einmal war« (wenn auch nur für wenige Bildungsbürger), so erkennen die Strukturalisten, daß es noch nie ein Subjekt im Sinne der Aufklärung gegeben hat. Wenn schon die sogenannten Naturvölker in subjektlosen Strukturen agieren, wie die Ethnologie von Claude Levi-Strauss zu zeigen versucht, dann ist die »Struktur« lückenlos und ontologisch, dann mag es zwar »diachronische Prozesse« geben, aber eigentlich keine Geschichte. Der endlich erreichte Begriff subjektloser Herrschaft, da identisch mit dem »Tod des Subjekts« überhaupt, destruiert auch den denkbaren Gegenspieler der Herrschaft, das emanzipatorische Gegen-Subjekt. Das Denken subjektloser Herrschaft ist daher zwangsläufig identisch mit der endgültigen Trennung von Theorie und Praxis. Der Strukturalismus hat so die Denkwege der Aufklärung nur zu Ende geführt. Deswegen waren auch die wütenden Aufschreie von Sartre und von orthodoxen Marxisten in Frankreich ebenso unglaubwürdig wie diejenigen von Nachlaßverwaltern der Kritischen Theorie in Deutschland. Und deswegen gelingt es den bienenfleißigen akademischen Sekundärliteraten, Paarhufern und Wiederkäuern mittlerweile auch, sämtliche westlichen Herrschafts- und Subjekttheorien seit der Jahrhundertwende als einen einzigen großen Denkfladen wieder auszuscheiden und auf dem geduldigen Papier abzulegen. Dem Begriff der »Struktur« entspricht der des »Systems«, entweder als Synonym oder als Oberbegriff für die »Gesamtheit von Beziehungen ( ... ), die sich unabhängig von den Inhalten, die sie verbinden, erhalten und verändern«(12) . Hier berührt sich der Strukturalismus mit der Systemtheorie, die sich aus der angelsächsischen positivistischen Soziologie, vor allem von Talcott Parsons, entwickelt hat(13). Dem angelsächsischen Umweg entsprechend, macht sich die Systemtheorie viel weniger Gedanken und schon gar keine subjekttheoretischen Skrupel, daß sie das Herrschaftssubjekt und damit das Subjekt überhaupt in die kybernetischen Bewegungsgesetze von »Systemen« auflöst. Der zum Großtheoretiker aufgestiegene deutsche Verwaltungsbeamte Niklas Luhmann, Parsons-Schüler und einer der herausragendsten zeitgenössischen Systemtheoretiker, scheint sogar so etwas wie ein heimlich kicherndes Vergnügen dabei zu empfinden, wenn er in staubtrockener (aber nicht unironischer) Kanzleisprache die soziale Welt als subjektlose Beziehungsmaschine beschreibt und den Ausgangspunkt der Aufklärung nur noch als altertümliche und vorwissenschaftliche Ideologie verstehen kann: »Die Systemtheorie bricht mit dem Ausgangspunkt und hat daher keine Verwendung für den Subjektbegriff. Sie ersetzt ihn durch den Begriff des selbstreferentiellen Systems. Sie kann dann formulieren, daß jede Einheit, die in diesem System verwendet wird, durch dieses System selbst konstituiert sein muß und nicht aus dessen Umwelt bezogen werden kann«(14) Die Brisanz dieser Aussage wird erst deutlich, wenn man begreift, daß unter »Umwelt« eines Systems nichts anderes als die bisherigen »Subjekte«, d.h. die wirklichen Menschen mit ihrem wirklichen Bewußtsein, ihren Bedürfnissen, Wünschen, Ideen usw. verstanden werden: »Natürlich behaupten wir nicht, daß es ohne vorliegendes Bewußtsein soziale Systeme geben könnte. Aber die Subjektivität, das Vorliegen des Bewußtseins, das Zugrundeliegen des Bewußtseins wird als Umwelt sozialer Systeme und nicht als deren Selbstreferenz aufgefaßt«(15). Es entbehrt nicht eines (unfreiwilligen) schwarzen Humors, wenn die menschlichen Subjekte zur bloßen »Umwelt« ihres eigenen gesellschaftlichen »Systems« degradiert werden. Das System ist nichts anderes als das System der Beziehungen zwischen den Menschen, das sich diesen gegenüber strukturell verselbständigt hat. Geschichte kann dann allenfalls noch als die immer weiter fortschreitende »Ausdifferenzierung« von Subsystemen des ontologischen »Systems« Gesellschaft verstanden werden. Die Gesellschaft wird zunehmend zum »System von Systemen«, womit sich allerdings die Verselbständigung der systemischen »Selbstreferenzen« gegenüber dem subjektiven menschlichen Bewußtsein umso unausweichlicher verfestigt. Da die Subjekte immer nur in bezug auf dieses »System von Systemen« und innerhalb seiner jeweiligen Subsysteme denken und handeln können, bleiben sie per se immer schon funktionell reduziert, unterhalb der überhaupt nur als subjektlos zu denkenden Ebene der Beziehungen »als solcher«. Die »Selbstreferenz« des Systems ist also der subjektlose Bewegungs-, Ausdifferenzierungs- und Entwicklungsprozeß auf der Ebene der sozialen Beziehungen, die strukturell unabhängig von den ihnen bloß als »Umwelt« zugrundeliegenden wirklichen Menschen betrachtet werden müssen. Dieser dürre Funktionalismus erschrickt nicht mehr vor dem Medusenhaupt der Subjektlosigkeit, er ist selber ein solches.(16) Das »System« ist dabei immer schon präexistent, nicht bloß auf der Makro-, sondern auch auf der Mikro-Ebene der menschlichen Beziehung überhaupt: »Jeder soziale Kontakt wird als System begriffen bis hin zur Gesellschaft als Gesamtheit der Berücksichtigung aller möglichen Kontakte. Die allgemeine Theorie sozialer Systeme erhebt, mit anderen Worten, den Anspruch, den gesamten Gegenstandsbereich der Soziologie zu erfassen und in diesem Sinne universelle soziologische Theorie zu sein«(17) Auch ein Liebespaar ist so gesehen schon ein »System«, ja sogar ein Single (als System für sich selbst in der Robinsonade seines sozialen Selbstbezugs). Weil die ganze Quälerei der Subjektschmerzen durch theoretische Totalamputation jenes schönen, aber verdorrten Gliedes entfällt, kann in aller Unschuld aus der banalen Deskription vorgefundener »systemischer« Beziehungen von der Mikro- bis zur Makro-Ebene der Gesellschaft ein induktives System von Abstraktionen gewonnen werden, eine Art I Ging der begriffslos gewordenen Soziologie, in dem alle denkbaren Beziehungsfälle idealtypisch vorkommen und ausdifferenziert bzw. fast schon »durchgerechnet« werden können. Zusammen mit dem Subjekt ist jeder Begriff des Ganzen der Gesellschaft erloschen. »Herrschaft« ist aus dieser Sicht entweder ganz verschwunden oder erhält einen völlig neuen Bedeutungsgehalt. Ist sie für Foucault noch so etwas wie ein Gegner, freilich ein subjektloser, ungreifbarer und unbesiegbarer, so fragt Luhmann nicht einmal mehr »Na und?«. Für die Systemtheorie ist jede Herrschaftskritik so sinnlos wie eine Kritik des Blutkreislaufs oder der Evolution. Da jede Art von Beziehung immer mit logischer Notwendigkeit ein den sich Beziehenden jenseitiges und in seiner Eigengesetzlichkeit unzugängliches Beziehungssystem hervorbringt, kann auch das, was bisher als »Herrschaft« erschien, nur eine unerläßliche Funktion von Systemen sein. Und da die Subjekte stets bloße »Umwelt« von Systemen sind, jedes System aber Teil eines anderen Systems ist, bzw. mit anderen Systemen in Beziehungen steht, kann Herrschaft nichts anderes sein als eine Art Kraftfeld von Systemen, vergleichbar vielleicht den Gravitationsverhältnissen in einem Sonnensystem.
5. Der Marxismus konnte von den Entwicklungen des Strukturalismus und der Systemtheorie nicht nur nicht unbeeinflußt bleiben, außer für die bewegungspraktischen Ignoranten natürlich, sondern er brachte fast gleichzeitig auch auf seinem eigenen Boden eine quasi-strukturalistische theoretische Variante hervor, die ihrerseits auf die nichtmarxistischen Ansätze (so z.B. auf Foucault) zurückwirkte. Bekanntlich waren es die Arbeiten von Louis Althusser, die diese Leistung erbrachten. Althusser war und blieb in vieler Hinsicht ein traditioneller Marxist (und übrigens auch ein, wenn auch unbequemer und oft oppositioneller, Parteimarxist in der KPF). Aber er versuchte, mit Hilfe »strukturalistischer« Gedanken eine neue Marx-Lektüre zu begründen. Dies war keineswegs bloß ein Flirt mit der strukturalistischen Terminologie, wie Althusser später abzuschwächen suchte(18), sondern durchaus genuiner Bestandteil des strukturalistischen und systemtheoretischen »Prozesses gegen das Subjekt«. Althusser selbst bezeichnet es schon in dem 1965 geschriebenen Text »Für Marx« als sein Ziel, »eine Demarkationslinie zu ziehen zwischen der marxistischen Theorie und den Formen des philosophischen (und politischen) Subjektivismus, in die sie sich eingelassen hat oder die sie bedrohen«(19) Das wirkliche Ziel ist hier noch verschleiert durch den im marxistischen Durchschnittsvokabular oft instrumentalisierten Begriff des »Subjektivismus«, der an sich noch keine systematische Reflexion auf den Subjektbegriff überhaupt impliziert. Aber Althusser ist schon bald viel deutlicher geworden, wie fast beliebige Beispiele aus seinem OEuvre zeigen können: »Der subjektlose Entfremdungsprozeß (oder die Dialektik) ist das einzige Subjekt, das Hegel kennt. Im Prozeß selbst gibt es kein Subjekt: Der Prozeß selbst aber ist Subjekt, gerade insofern er kein Subjekt hat ( ... ) Man beseitigt, wenn möglich, die Teleologie, und es bleibt die von Marx übernommene philosophische Kategorie eines Prozesses ohne Subjekt. Das ist das wichtigste positive Erbe, das Marx und Hegel übernahmen: der Begriff eines subjektlosen Prozesses. Dieser Begriff trägt >Das Kapital< (..) Von einem Prozeß ohne Subjekt sprechen impliziert aber, daß der Ausdruck >Subjekt< ein ideologischer Ausdruck ist«(20). Die Konsequenzen, die Althusser daraus für die »neue Marx-Lektüre« seines Hauptwerkes (Lire le capital, 1965, zusammen mit J. Ranciere, E. Balibar u.a.) zieht, enthalten alle wesentlichen Momente des Strukturalismus und eigentlich sogar der Systemtheorie, wie die keineswegs inadäquate Zusammenfassung von Günther Schiwy erhellt. Danach sei es eine wesentliche Erkenntnis, die in den Marxismus aufgenommen werden müsse, »daß der Mensch nicht im Zentrum der Welt, nicht einmal im Zentrum seiner selbst steht, weil es ein solches Zentrum gar nicht gibt. Das aber bestätigt das Marxsche Mißtrauen gegenüber jeder humanistischen Konzeption des Menschen, auch gegenüber jener vom homo oeconomicus, als sei der Mensch Subjekt und Ziel der Wirtschaft, oder jener vom homo historicus: der Mensch als Subjekt und Objekt der Weltgeschichte. In Wirklichkeit sind die wahren Subjekte der wirtschaftlichen Aktivität nicht die Menschen, die Arbeitsplätze innehaben, und auch nicht die Funktionäre, die sie ihnen zuweisen, nicht einmal die Verbraucher, die konsumieren, sondern die Bedingungen der Konsumation, Distribution und Produktion. Diese Bedingungen bilden ein komplexes System, dessen Strukturen dem Menschen äußerlich sind, aber ihn doch bis ins Innerste hinein bestimmen. Nur das ideologische und humanistische Mißverständnis macht aus dieser wissenschaftlichen Erkenntnis immer wieder die Illusion von der alles entscheidenden Innerlichkeit des Menschen, die den Lauf der Dinge bestimme«(21). Es fragt sich natürlich, wie Althusser eine solche Interpretation in Übereinstimmung mit »revolutionären« Positionen bringen will. Tatsächlich hat er ja mit der Herausnahme des Subjekts den Marxismus auch um die alte Herrschaftskritik erleichtert. Was will er dann überhaupt noch? Allerdings schließt ja auch der Strukturalismus »diachronische Prozesse« keineswegs aus, und die Systemtheorie läßt durchaus auch Systemwandlungen, Systemkrisen und vielleicht sogar Systemtransformationen zu. Nur sind diese dann ihrem Wesen nach ebenso subjektlos wie das »Funktionieren« und die Bewegung des Systems selbst. Genau in diesem Sinne versteht Althusser seine Reinterpretation des Marxismus. Er überwindet den Marxismus nicht nach vorn, d.h. durch eine systematische Aufnahme der Fetischismuskritik, und er läuft auch nicht zum vermeintlichen Gegner über, sondern er übernimmt den ganzen alten Arbeiterbewegungsmarxismus im Kern völlig unverändert, jedoch in die neue Form einer strukturalistischen, subjektlosen »Bewegungsgesetzlichkeit« gegossen(22). Alles ist da wie gehabt: die Bourgeoisie, das Proletariat, der Klassenkampf, die schwankenden Intellektuellen usw. Nur handelt es sich jetzt nicht mehr um autonome Subjekte, die da im historischen Clinch liegen, sondern eben um »Funktionen« eines subjektlosen Widerspruchsprozesses. Jeder handelt so, wie er seiner »Systemfunktion« gemäß handeln muß. Althusser entblödet sich nicht einmal, den berüchtigten »Klasseninstinkt« des Proletariats ganz unschuldig wieder zu bemühen. Die Bourgeoisie vollzieht die subjektlosen Funktionen der Systemerhaltung, das Proletariat vollzieht (da es sich um einen Widerspruchsprozeß des Systems handelt) seine antipodische subjektlose Funktion der Systemkritik, und so entwickelt sich der gleichfalls subjektlose Klassenkampf als systemische Resultante. Das letzte Ergebnis dieses »Prozesses ohne Subjekt« kann nur die erst recht subjektlose Systemtransformation in den Sozialismus sein, der dann seinerseits wieder, wen wunderts, ein subjektloses System (nur eben ein anderes) sein wird. Im Nachhinein mutet die Konstruktion Althussers äußerst dürftig an. Daß es keine Erneuerung des Marxismus war, sondern seine theoretische Beerdigung, wurde denn auch ziemlich rasch erkannt. In Wahrheit hat der Marxismus immer von der aufklärerischen Ideologie des autonomen, apriorischen Subjekts gelebt. Dieses zu amputieren und trotzdem das alte Garn einfach weiterzuspinnen, das war ein zum Scheitern verurteiltes Unternehmen. Das zahnlose Wrack, das dann noch übrigblieb, konnte nicht die strahlende Braut der Menschheitserneuerung sein. Aber nicht nur die revolutionäre Emphase des Marxismus mußte mit der strukturalistischen Interpretation entweichen wie die Luft aus einem angestochenen Ballon, sondern auch jede praktische Rechtfertigung wurde ihm damit gegen Althussers eigene Intention entzogen. Denn wenn sowohl der Klassenkampf als auch gar der anzustrebende Sozialismus selber bloß »Prozesse ohne Subjekt« sind, wer kann dann noch einen menschenfreundlichen Inhalt und an menschlichen Bedürfnissen orientierte Resultate garantieren? Die Nachrichten von der Front des praktischen »sozialistischen Aufbaus« im Osten und von der Praxis der südlichen »Befreiungsbewegungen« wurden ja auch immer schlechter und befremdlicher. Althusser war nur einer der vielen Totengräber des Marxismus, die gerade in Frankreich bald viel offener und weniger verkniffen ans Werk gehen sollten. Wie schon gegen die Strukturalisten überhaupt, so bäumte sich die alte Subjektideologie in allen verbliebenen Varianten auch gegen ihre Destruktion in der Marx-Interpretation Althussers auf. Aber weder Maßregelungen durch die Partei, die eine »Untergrabung des revolutionären Engagements« fürchtete, noch die Polemiken von Sartre oder Alfred Schmidt konnten den einmal ins Rollen gekommenen theoretischen Destruktionsprozeß des aufklärerischen Subjekts mehr stoppen. Diese Versuche wirkten ähnlich kraftlos wie die analoge Auseinandersetzung z.B. von Jürgen Habermas mit Niklas Luhmann(23). Hatten doch die westlichen Subjekttheorien sich wie gesagt schon längst selbst destruiert und als »Dialektik der Aufklärung« die Aporien des Subjektbegriffs schon selber offengelegt. Strukturalismus und Systemtheorie zogen nur die längst überfälligen Konsequenzen. Damit war die lange Theoriegeschichte des abendländischen Subjekts an ihr definitives Ende gekommen. Tatsächlich läßt sich der tiefe Wahrheitsgehalt der Begriffe von »Systemen«, »Strukturen« und »Prozessen« ohne Subjekt angesichts der beobachtbaren Empirie spätmoderner oder »postmoderner« bürgerlicher Verhältnisse kaum noch bestreiten. Strukturalismus und Systemtheorie sagen nur, was wirklich der Fall ist, d.h. was real erscheint. Die humanistischen und aufklärerischen Subjektideologen, den Marxismus eingeschlossen, bestreiten den »Fall« zwar oberflächlich nicht, wollen ihn aber kritisieren. Ihr Standpunkt dabei ist jedoch ein prekärer. Denn sie müssen ein apriorisches Subjekt annehmen, das »vergessen« hat, daß es ein solches ist und was es getan hat. Die Leier dieses Subjektbegriffs spielt ewig dasselbe Lied: es müsse ein verloren gegangenes Bewußtsein von der subjektiven Gemachtheit der Gesellschaftsprozesse wiederhergestellt werden. Das ist eigentlich plattester Rousseauismus, pures 18. Jahrhundert, und mit den Ergebnissen moderner Einzelwissenschaften und den terms der Marxschen Ökonomiekritik nur äußerlich und notdürftig angereichert. Das Aufklärungsdenken kann sich die »Gemachtheit« von »Etwas« grundsätzlich nicht ohne ein präexistentes Subjekt dieses Machens vorstellen; ein subjektloses Machen ist ihm nicht nur Greuel, sondern auch logische Unmöglichkeit. Daß hier in der bestehenden Gesellschaft etwas nicht stimmt, ist ihm (zumal in seiner marxistischen Variante) zwar irgendwie bewußt; aber es muß sich dann eben um einen »Fehler« handeln, der seinerseits wieder subjektiv verursacht worden ist, nämlich durch den »Willen zur Ausbeutung« oder den »Willen zur Macht« der Herrschenden. Die starken Argumente von Strukturalismus und Systemtheorie laufen demgegenüber darauf hinaus, daß die Annahme dieses vergeßlichen apriorischen Subjekts haltlose »Metaphysik« ist, daß dieses Subjekt nie existiert hat und logisch gar nicht existieren kann. Diese Position ist stark, aber auch hoffnungslos affirmativ. Jeglicher Gesellschaftskritik ist damit zunächst der Wind aus den Segeln genommen. Daran konnten weder Foucaults desperate »Praxis trotz Theorie« noch Althussers windiges »sekundäres« Klassenkampf-Konstrukt etwas ändern; und es war dies ja auch schon längst die heimliche Grundposition der Kritischen Theorie. Andererseits ist die gesellschaftliche Praxis des modernen »Systems«, das zu einem unmittelbaren Weltsystem geworden ist, kritikwürdiger denn je, eigentlich unerträglich. Mit Händen ist zu greifen, daß dieses »Gesamtsystem« ironischerweise zusammen mit der kritischen Subjektideologie an sein zunehmend katastrophisches geschichtliches Ende gekommen ist. Kritische, revolutionäre Praxis muß aber begründbar sein und also neu begründet werden. Die praktischen Bewegungen, Parteien und marxistischen Restsekten (wie z.B. die oben erwähnte »Marxistische Gruppe«) hatten jahrelang nur theoretisch ignorant »weitergemacht«. Sie hatten die theoretische Entwicklung und ihre Resultate nicht durchdrungen und überwunden, sondern entweder gar nicht erst zur Kenntnis genommen oder wegwerfend einfach als »falsch« oder »blödsinnig« bezeichnet. Schien doch alles so »einfach«; mußten die Menschen doch »nur« ihren »Interessen« folgen oder dazu gebracht werden; schien die »Praxis« doch primär aus sich selbst begründbar. Die Strafe für diese bodenlose Ignoranz ist gerade das praktische Scheitern, und zwar das endgültige. Daß sämtliche alten Marxismen und ihre Organisationen, Zeitschriften usw. jetzt, angestoßen durch den Zusammenbruch des Ostblocks, sterben wie die Fliegen im Herbst, hat auch etwas Befreiendes an sich. Die von Althusser schon Mitte der 60er Jahre eingeläutete neueste »Krise des Marxismus« war wirklich seine letzte. Wenn jetzt noch gesellschaftskritisches Denken und transzendierende Praxis möglich sein sollen (nicht aus ideologischen Trotzreaktionen heraus, sondern weil die Praxis danach schreit), und wenn dies immer noch im Rückgriff auf die unhintergehbare Marxsche Theorie bewerkstelligt werden muß, dann allein auf dem Weg durch jenen »dunklen Kontinent« der Fetischismuskritik, die vom aufklärerischen, subjektideologischen Marxismus zugedeckt worden ist. Nicht zufällig hat Althusser ausdrücklich den Fetischismusbegriff selber der zu verwerfenden »Ideologie« zugerechnet(24). Es ist zu prüfen, inwieweit die systematische Wiederaufnahme der Fetischismuskritik über den Marxismus hinaus eine Metakritik der bürgerlichen Moderne ermöglicht, d.h. einen grundsätzlich anderen Begriff von gesellschaftlicher Bewußtheit hervorbringen kann, der die eiserne theoretische Klammer von Strukturalismus und Systemtheorie wirklich zu sprengen in der Lage ist, und nicht bloß einen letzten, bis zur Geschmacklosigkeit verdünnten Neuaufguß der rousseauistischen, aufklärerischen Metaphysik apriorischer Subjektivität liefert. Erst dann würde Herrschaftskritik wieder begründbar, erst dann eine Re-Historisierung der scheinbar geschichtslos gewordenen subjektlosen Strukturbewegung möglich.
6. Streng genommen, d.h. von den Verkürzungen des aufklärerisch-subjektideologischen Marxismus befreit, enthält der Marxsche Fetischismusbegriff eine mindestens ebenso starke Kritik der humanistischen, apriorischen Subjekt-Metaphysik wie die strukturalistische und systemtheoretische Initiative. Freilich eine völlig andere Kritik, die nichts weniger als affirmativ, sondern vielmehr sprengend ist. Indem Althusser dies völlig verkennt und ausgerechnet den Fetischismusbegriff der humanistischen und subjekt-apriorischen Marxinterpretation zurechnet, ihn also verwirft, verbaut er sich selbst jeden Ansatz zur kritischen Auflösung und landet zwangsläufig in der strukturalistischen Sackgasse. Der Begriff des Warenfetischs ist keineswegs zufällig aus der Analogie zu prämodernen Verhältnissen gewonnen, und es handelt sich auch gar nicht um eine bloße Analogie. Es ist damit jene Identität der bisherigen menschlichen Geschichte benannt, die Prämoderne und bürgerliche Moderne zu einem einzigen Kontinuum der »Vorgeschichte« (Marx) zusammenschließt, und erst jenseits davon beginnt die »eigentliche« Geschichte des Menschen. Diese ebenso dunkle wie überraschende und kühne Aussage von Marx kann erst klar werden vor dem Hintergrund einer Fetischismuskritik, die unvereinbar ist mit der aufklärerischen Subjekt-Metaphysik. Wenn die Moderne selber zur »Vorgeschichte« zu rechnen ist, dann gehört sie samt ihren Subjektformen einem Prozeß an, der auf der Ebene der gesellschaftlichen Formbestimmung in der Tat bewußtlos bleibt. Aber nicht als logische Unmöglichkeit von Bewußtheit überhaupt auf dieser Ebene, sondern als ein Prozeß des Werdens, in dem sich die gesellschaftliche Selbst-Bewußtheit erst nach einer langen und schmerzhaften Entwicklungsgeschichte konstituieren kann. Diese Konstitution liegt noch vor uns, und sie wird an der gesellschaftlichen Oberfläche in Erscheinung treten als Revolution gegen die Warenform, d.h. gegen die letzte und höchste Fetisch-Konstitution der menschlichen Vorgeschichte, deren praktisches Versagen den Horizont des Fetischismus überhaupt aufsprengt. Von diesem Grundgedanken aus wäre eine neue theoretische Doppelstrategie sowohl gegen Strukturalismus bzw. Systemtheorie als auch gegen das humanistische, subjektapriorische Aufklärungsdenken zu entfalten; dabei könnte auch die innere Identität dieser beiden Kontrahenten als Aufstiegs- und Verfallsformen des theoretischen Denkens in der bürgerlichen Moderne herausgearbeitet werden. Beide sind gleichermaßen unfähig zu einer Kritik der fetischistischen Warenform als solcher, d.h. bis zu ihrer Erscheinung im Geld. Der aufklärerische Subjekthumanismus bleibt blind gegen die real subjektlose Fetischkonstitution seines metaphysischen und angeblich »vergeßlichen« Subjekts, das ewig vergeblich »wiederhergestellt« werden soll. Strukturalismus und Systemtheorie geben diesen Versuch auf, ohne aber seine Prämissen zu begreifen, geschweige denn anzutasten. Sie nehmen die subjektlose Konstitution der bisherigen »Vorgeschichte« wahr, aber als geschichtslose Logik von Gesellschaftlichkeit schlechthin, ja sogar als Identität menschlicher und nichtmenschlicher Grundgesetze von lebenden (subjektlosen) Systemen. So etwa in der Feststellung, »daß komplexe Prozesse durch Zufall, Nichtlinearität und Widersprüchlichkeit gekennzeichnet sind; und daß der Zusammenhang von Mutation und Evolution, von Abweichung und Innovation Grundlage des Lebens (und das heißt auch: der Entwicklung) vom Einzeller bis zur Gesellschaft (!) ist ... «(25). Die Reduktion von Geschichte auf blinde Naturgeschichte, auf eine identische mutative Subjektlosigkeit »vom Einzeller bis zur Gesellschaft« führt in gewisser Weise wieder zurück zu den Anfängen der modernen Soziologie bei Comte und Spencer, nämlich zu einer quasibiologischen Betrachtung, in der natürliche und gesellschaftliche Verhältnisse »des Lebens« als grundlegend strukturidentische behandelt werden, so daß jede grundsätzliche Unterscheidung von Gesellschaft (Mensch) und Natur als »humanistische Engführung« (Luhmann) denunziert werden kann. Nur daß Strukturalismus und Systemtheorie den seitherigen Entwicklungsprozeß moderner Gesellschaften und ihrer Wissenssysteme mit einbeziehen und daher viel elaborierter daherkommen(26). Nun spricht allerdings auch Marx von der »Naturgeschichte« der bisherigen historischen Gesellschaftsformationen unter Einschluß der Moderne, aber eben nicht in einem affirmativen, sondern in einem revolutionär-kritischen Sinne: nämlich als von einem aufhebbaren und praktisch aufzuhebenden Zustand, mit dessen Aufhebung jenes »Ende der Vorgeschichte« erreicht sei. Diese Perspektive ist nur möglich, weil Marx trotz der feststellbaren Subjektlosigkeit auf der Ebene der gesellschaftlichen Formbestimmung nicht in die platte Gleichsetzung abstrakter Systemgesetze »vom Einzeller bis zur Gesellschaft« verfällt, sondern eine Differenzierung aufmacht von »erster Natur« und »zweiter Natur«. Diese Differenzierung ist entscheidend für die kritische Historisierung scheinbar geschichtsloser »gesellschaftlicher Naturgesetze« auf einer Meta-Ebene. Der Fetischismusbegriff ist der Schlüssel für das Begreifen dieses Zusammenhangs. »Zweite Natur« meint, daß sich die Gesellschaftlichkeit der Mensehen, die ihr Wesen ausmacht, analog zur ersten Natur als ein ihnen selber äußerliches, fremdes, nicht subjektiv integriertes (und der immanenten Reflexion nicht zugängliches) Wesen konstituiert und darstellt. Es handelt sich in der Tat um eine subjektlose Konstitution, zwar durch das Handeln und Machen der Menschen hindurch, das aber dabei lediglich als Funktion eines subjektlosen Prozesses wirkt - ganz wie es die Diktion der Systemtheorie verlangt. Der Vergleich mit anderen lebenden Systemen liegt nahe, da sich ja wirklich alle möglichen biologischen Populationen »systemisch« verhalten, ausdifferenzieren und entwickeln (z.B. Tier- und Pflanzengesellschaften, Zellsysteme etc.), ohne daß ein Subjekt im Sinne der Aufklärung zu unterstellen wäre. Aber hier liegt schon eine grundsätzliche Ignoranz der Systemtheorie vor. Denn die Analogie ist keine Identität, d.h. erste und zweite Natur können keinesfalls gleichgesetzt werden. Die Tatsache subjektloser Konstitution, subjektloser Prozesse und Systembildungen auf der Ebene der zweiten Natur ist nicht einfach wieder Naturgeschichte, sondern eine Geschichte zweiter Ordnung, eine Geschichte in höherer Potenz. Ihre Voraussetzung ist, daß der Mensch aus der bloßen biologischen Naturgeschichte erster Ordnung heraustritt. Gleichzeitig ist die subjektlose Konstitution zweiter Ordnung zunächst die Bedingung der Möglichkeit dafür, daß dieses Heraustreten möglich wird. Der Mensch tritt aus der ersten Natur heraus (und damit ihr gegenüber, obwohl er Teil von ihr bleibt), indem er vom Instinkt der Tiere entkoppelt wird. Er ist das instinktlose Tier (hier liegt jedenfalls das Wahrheitsmoment der Theorie von Arnold Gehlen). Damit aber ist die Notwendigkeit von Bewußtheit gesetzt, als Subjektivität gegenüber der ersten Natur. Was den schlechtesten Baumeister von der besten Biene unterscheidet, sagt bekanntlich Marx, ist die Tatsache, daß seine Konstruktion vorher durch seinen Kopf hindurchgehen muß. Der Mensch tritt so der ersten Natur als Subjekt gegenüber, aber er kann dies nur als Mensch, d.h. als gesellschaftliches Wesen. Als dieses gesellschaftliche Wesen jedoch wird er seinerseits subjektlos konstituiert, eben als subjektlose Konstitution zweiter Ordnung. Damit ist nichts weiter gesagt, als daß der Mensch sich weder unmittelbar als gesellschaftliches Subjekt selbst geschaffen hat noch von einem Gott-Subjekt geschaffen wurde, sondern als entkoppeltes Tier nur subjektlos entstehen konnte. Er entsteht als Subjekt gegenüber der ersten Natur, weiß aber notwendigerweise selber nicht, wer er ist, weiß und hat sich nicht bewußt als das, was er geworden ist, nämlich gesellschaftliches Wesen oder Naturwesen zweiter Ordnung. Die Abdifferenzierung von der ersten Natur, die Herausbildung des Menschen als Subjekt dieser gegenüber, ist also notwendig selber wieder subjektlos. Das gesellschaftliche Wesen, da »entstanden« und nicht geschaffen, kann nur als subjektloses System zweiter Ordnung auftreten. Diese Subjektlosigkeit zweiter Ordnung ist der unvermeidliche Preis für das Subjektwerden gegenüber der unmittelbar natürlichen, biologischen Subjektlosigkeit erster Ordnung. Es »entstehen« also subjektlos Systeme zweiter Ordnung, symbolische Systeme (Codes) des entstehenden und entstandenen Menschenwesens. Genau dies ist im Kern die Fetisch-Konstitution. Schon auf den frühesten Entwicklungsstufen haben diese nichts mehr mit den Systemen der ersten Natur zu tun. Bei oberflächlicher Betrachtung mögen zwar z.B. die totemistischen Systeme durch das Kriterium der »Blutsverwandtschaft« sich scheinbar noch eng an die erste Natur anlehnen. Aber Tiere kommen grundsätzlich nicht über (höchstens) Paarbildungen und instinktgesteuerte (nicht symbolisch codierte) Rudel hinaus; schon das geschlechtsreife (oder flügge usw.) Junge tritt in keine besondere Beziehung mehr mit seinen Erzeugern. Das System der Blutsverwandtschaft ist bereits ein symbolisches System zweiter Ordnung und nicht mehr biologisch begründbar. Es ist die vermutlich älteste Fetisch-Konstitution des Menschen. Es wäre eine eigene Aufgabe, die historische Abfolge und Ausdifferenzierung von Fetisch-Systemen zu untersuchen. Die Geschichte wird unter diesem Gesichtspunkt nicht mehr übergreifend als »Geschichte von Klassenkämpfen« bestimmt (wie es noch dem Erkenntnisstand des »Kommunistischen Manifests« entspricht), sondern als »Geschichte von Fetischverhältnissen«. Die Klassenkämpfe (und andere Formen sozialer Auseinandersetzung) verschwinden dadurch natürlich nicht, aber sie werden herabgesetzt zu einer Binnenkategorie von etwas Übergeordnetem, nämlich der subjektlosen Fetisch-Konstitution und ihren jeweiligen Codierungen bzw. Funktionsgesetzen. Die in der Gestalt des Kapitals zur gesellschaftlichen Reproduktionsform gewordene Warenform ist dann die letzte und höchste, den Raum der Subjektivität gegenüber der ersten Natur am weitesten hinausschiebende Fetischform. Erst auf dem Boden dieser säkularisierten, von aller Religiosität gereinigten Fetisch-Konstitution(27), die einen umfassenden systemischen Charakter annimmt und sich zum realen »Weltsystem« (Immanuel Wallerstein) entwickelt, konnten überhaupt die Begriffe von »Struktur« und »System« entstehen. Wie nach Marx die Anatomie des Affen aus der des Menschen erklärt werden muß und nicht umgekehrt, so kann die Natur der Fetisch-Konstitution überhaupt nur aus ihrer höchsten Entwicklungsstufe, dem Warenfetisch als Kapitalfetisch, hergeleitet werden; denn erst auf dieser Stufe wird sie überhaupt erkennbar und gleichzeitig obsolet. Aus Konstitution und Krise des säkularisierten Fetischs der Moderne kann rekonstruiert werden, wie sich aus den unbeabsichtigten Nebenwirkungen einzelner zielgerichteter Handlungen hinter dem Rücken der handelnden Subjekte ein Zusammenhang herausbildet, der sich »systemisch« verdichtet und Codierungen sowie Gesetzmäßigkeiten hervorbringt, die sich niemand »ausgedacht« hat, und die also keinerlei bewußter Übereinkunft entspringen. Damit ist auch endgültig das Rousseausche Konstrukt des »Gesellschaftsvertrags« destruiert, das in den heutigen Debatten zur warenförmigen Krisenbewältigung ein gespenstisches Nachleben führt und bei den immanenten und illusionären Konzeptheckereien (nicht zuletzt der abgetakelten Linken) inflationär weiterverwurstet wird.
7. Auf den ersten Blick könnte es so erscheinen, als würde mit dem Begriff der Fetisch-Konstitution nicht nur der alte subjektiv-aufklärerische Herrschaftsbegriff, sondern der Herrschaftsbegriff überhaupt obsolet. Die Destruktion des Subjekts müßte dann im Begriff der bloßen Marionette gefaßt werden. Eine solche unvermittelte Preisgabe des Herrschaftsbegriffs wäre sozusagen schon taktisch inakzeptabel. Sie würde erstens den Menschen die real erfahrenen (und als durchaus leidvoll erlebten) Zwänge auszureden scheinen, die den Alltag auch der säkularisierten Fetischgesellschaft von totalem Markt und demokratischem Rechtsstaat bis in die Poren bestimmt. Daß diese Repression nicht mehr auf ein bestimmtes Subjekt zurückgeführt werden kann, daß sie »strukturell« ist, ändert nichts an ihrem Charakter und nichts daran, daß sie hassenswert ist. Zweitens würde dieser Marionetten-Begriff die »Herrschaft des Menschen über den Menschen« gewissermaßen exculpieren. Seitdem es gewisse Einsichten in den subjektlosen Charakter gesellschaftlicher Realbestimmungen gibt, seit die Begriffe von »Rolle« und »Struktur« aus dem Wissenschaftsolymp bis in das Alltagsbewußtsein hinabgesunken sind, werden sie auch mehr oder weniger naiv für die Rechtfertigung, Selbstrechtfertigung und Selbstberuhigung von Trägern bestimmter Herrschaftsfunktionen instrumentalisiert. Daß jemand »nur« seinen Job tut, seine »Pflicht« erfüllt, seiner »Rolle« gemäß handelt und im übrigen leider selber den »Strukturen« ausgeliefert ist, solche Aussagen gehören längst zum Standard-Repertoire falscher und schiefer Legitimation von Herrschaftsausübung. So wird kritische Erkenntnis in plumpe Affirmation verwandelt. Das ist besonders dort ärgerlich, wo die Herrschaftsfunktionen nicht starr formalisiert sind wie in ökonomischen und bürokratischen Beziehungen, sondern wo sie eher informell exekutiert werden und in strukturellen Rollenzuschreibungen erscheinen wie im Geschlechterverhältnis oder im Erziehungsverhältnis (und auch in rassistischen Vorurteilen und Diskriminierungen). Die Selbstbeschwichtigung des zwangsheterosexuellen und trotz höflicher Verbeugungen vor dem Feminismus an Selbstaufhebung nicht wirklich interessierten Mannes, daß ja im Grunde genommen nicht er selbst als Person es sei, der bestimmte herrschaftliche Erscheinungen in der Geschlechtsbeziehung trage, sondern daß er ja »nur« eine subjektlose und übermächtige gesellschaftlich-historische Struktur geradezu widerwillig und seinerseits gezwungen exekutiere, spukt in verschiedenen Graden und impliziten (»stummen«) wie expliziten Ausdrucksformen einer scheinreflektierten männlichen Verdrängungsleistung. Wie das warenproduzierende System scheinbar alle Formen der Kritik selber in Waren verwandeln und dadurch »strukturell« unschädlich machen kann, so scheint das zwangsheterosexuelle männliche Herrschaftsbewußtsein mit seinen obsoleten Autonomie- und Souveränitätsansprüchen alle Erkenntnisinhalte der Kritik an der geschlechtlichen Struktur in eine jeweils höhere und elaboriertere Form der Selbst-Affirmation umzubiegen. Gerade um seinen zunehmend uneingestandenen »drübersteherischen« Herrschaftsstandpunkt nicht real aufgeben und die Kritik nicht bis an die eigene Zwangs-»Identität« und gar bis an den eigenen Körper heranlassen zu müssen, läßt das Mann-Wesen sich sozusagen erleichtert in die Subjektlosigkeit und deren Begriff zurückfallen. Nicht ich bin es, die Struktur ist es. Das ist fast schon die Bewußtseinsverfassung des geisteskranken Triebtäters, der sich selber Schuldlosigkeit einredet, weil er ja »nichts dafür« kann, obwohl er ein Wissen über sich und seine Taten hat.. Um bleiben zu können, was er ist, und um Herrschaft weiterhin ausüben zu können, ist der zwangsheterosexuelle, zwangssouveräne und zwangsidentitäre Mann bereit, sich selbst für unzurechnungsfähig zu erklären und den Subjektanspruch an die »Struktur« bzw. an das »System« abzugeben: an die ungeheure Macht der Subjektlosigkeit, die ihm nicht konkret weh tut (das ist vielleicht überhaupt der geheime psychologische Sinn der Theorie von Niklas Luhmann und ihres beträchtlichen Erfolgs). Aber natürlich dürfen die Preisgabe des Herrschaftsbegriffs und die Marionetten-Metapher nicht bloß aus quasi-taktischen Gründen abgewehrt werden, um eine negatorische Position gegenüber hassenswerten und als unerträglich empfundenen Verhältnissen behaupten zu können. Das Problem muß auch theoretisch geknackt werden. Und die fast schon wieder »weibliche« Schläue z.B. der »strukturalistisch« pseudoreflektierten männlichen Selbst-Affirmation verweist in ihrer Paradoxie in der Tat auf ein theoretisches Problem, nämlich auf die Frage nach dem Verhältnis von Fetisch-Konstitution und Subjektivität. Die Erkenntnis, daß Struktur und System nichts ontologisches und nichts bis in die organische Natur hinabreichendes sind, sondern daß sie auf der Ebene der zweiten Natur in ihrer Andersartigkeit »entstanden« sind, der Entwicklungshöhe des warenproduzierenden Systems sowohl erkennbar als auch obsolet werden, löst noch nicht das Problem des Binnenverhältnisses von Subjektlosigkeit und Subjekt. Wenn der Fetisch-Begriff zunächst eher spontan zur Reproduktion der strukturalistisch-systemtheoretischen Sichtweise (und in die Nähe von deren affirmativem Gehalt) mit lediglich veränderter Begrifflichkeit und historisierender Erweiterung führt, wenn sich spontan die Marionetten-Metapher und die Negation des Herrschaftsbegriffs überhaupt aufdrängen, dann wird dadurch nur deutlich, daß es noch ein »missing link« in der theoretischen Reflexion gibt. Das Subjekt verschwindet nicht einfach als bloßer Irrtum, sondern es existiert ja weiter, wenn auch jetzt erkennbar als bloßes Binnensubjekt der selber subjektlosen Fetisch-Konstitution. Das Problem ist aber, daß der Fetisch kein selbständiges, äußerliches und mit eigenem Bewußtsein ausgestattetes »Wesen« ist, das sozusagen mit Adresse und Hausnummer dingfest zu machen wäre. Die Subjektlosigkeit ist eben ihrerseits kein Subjekt, das »herrschen« könnte, sondern sie konstituiert Herrschaft und ist paradox bestimmt als gleichzeitig Eigenes und Fremdes, Innerliches und Äußerliches. Marx hat das Problem eher metaphorisch gefaßt im Begriff des »automatischen Subjekts«, als welches der unsichtbare, allgegenwärtige und objektivierte »Wert« die kapitalistische Fetisch-Reproduktion blind steuert. Im Kontext der Kritik der politischen Ökonomie und der ökonomischen Formbestimmung des Kapitals im allgemeinen mag diese metaphorische Bestimmung hinreichend sein; für eine Durchdringung der Fetisch-Konstitution und des Subjektproblems als solchem ist sie aber unzureichend. Marx drückt damit nur die Paradoxie und Widersinnigkeit des Verhältnisses aus, denn »Automatismus« und Subjektivität schließen sich ja gegenseitig aus. Offenbar ist es schwierig, die Meta-Reflexion des Verhältnisses in den Denkformen dieses Verhältnisses zu denken, die aber zunächst vorausgesetzt sind. Das fetisch-konstituierte Bewußtsein kommt spontan zu dem Schluß, das codierende und gesetzstiftende »Wesen« zu veräußerlichen, um dann beim Subjekt als der Marionette zu landen. Aber da »draußen« ist »nichts« (»Nichts«). Das Subjekt ist, eine Marionette, die selber die Fäden zieht. Das aber ist unmöglich, bzw. es ist die Metapher für etwas in den vorausgesetzten Denkformen undenkbares. Für das Subjekt gibt es als Bezugsgrößen entweder bewußtlose Objekte (Natur) oder andere Subjekte. Dann kann der Fetisch nur noch entweder Objekt, Natur und somit unausweichlich(28) oder eben ein anderes und äußeres Subjekt sein(29). Die Begriffe von Fetisch und zweiter Natur verweisen aber darauf (und das ist eben der Unterschied zur Systemtheorie, die keinen Unterschied von erster und zweiter Natur kennt), daß es ein »etwas« gibt, das im Subjekt-Objekt-Dualismus nicht aufgeht, das selber weder Subjekt noch Objekt ist, sondern dieses Verhältnis erst konstitutiert. Im Grunde genommen haben Strukturalismus bzw. Systemtheorie und ähnliche Theoriekonzepte einen theoretisch transitorischen Charakter, wie das warenproduzierende System des Kapitals als Gesellschaftsformation transitorischen Charakter hat(30). Die einseitige Destruktion des Subjekts kann nicht bei sich stehenbleiben, das Subjekt kann nicht als bloßer Irrtum und als Marionette belassen werden, weil in der vorausgesetzten Denkform die Frage nach dem »Subjekt des Subjekts« nicht abgewiesen werden kann. Eine Rückkehr zum religiösen Bewußtsein ist ebensowenig möglich wie eine bloße Operationalisierung des herabgestuften Subjekts in den Binnenstrukturen der hingenommenen bzw. hinzunehmenden Subjektlosigkeit, wie es die platt pragmatistische Seite der Systemtheorie nahezulegen scheint. Schon das Hilfskonstrukt Rousseaus vom »vergessenen« Gesellschaftsvertrag, das die Problematik noch nach der anderen Seite hin aufzulösen sucht, war arg wackelig und unglaubwürdig. Weder die Auflösung der zweiten Natur ins Subjekt, die am Anfang der noch stolzen und aufbruchsfreudigen Moderne stand, noch ihre Auflösung ins Objekt, die am Ende der kleinlaut und selbstzweifelnd gewordenen Moderne zu finden ist, kann die Fetisch-Konstitution und damit das Herrschaftsproblem befriedigend erklären.
8. Der entscheidende Punkt ist, daß es eine Ebene innerhalb der menschlich-gesellschaftlichen Konstitution und somit auch innerhalb jedes einzelnen Menschen geben muß, die jenseits des Subjekt-Objekt Dualismus liegt(31). Für das Aufklärungsbewußtsein gibt es entweder Subjekt (Bewußtsein) oder Objekt, jedoch kein Drittes. Der Schlüsselbegriff für das Verständnis des »Dritten« und eigentlich Konstitutiven kann nur der Begriff des Unbewußten sein. Zweifellos ist es das theoretische Verdienst von Freud, diesen Begriff systematisch eingeführt zu haben. Dennoch soll hier nicht (oder jedenfalls nicht allein und nicht hauptsächlich) vom Unbewußten in der spezifisch Freudschen Fassung die Rede sein. Es ist ja kein Zufall, daß der Rückgriff auf Freud zu den konstitutiven Momenten des Strukturalismus selber gehörte. Für das aufklärerische Subjektdenken war die Freudsche Theorie von Anfang an ein Ärgernis gewesen, weil der Begriff des Unbewußten keineswegs zu Unrecht als Frontalangriff auf die eigenen Grundlagen empfunden wurde; die Destruktion des strahlenden und zur Mündigkeit gelangten Subjekts der Moderne als eines von unbewußten (noch dazu sexuellen) Trieben gesteuerten, selbst-unbewußten Wesens mußte als unerträglich erscheinen. Allerdings wurden dabei jene affirmativen Momente der Freudschen Theorie übersehen, die erst im historischen Abstieg der aufklärerischen Subjekttheorie aufgegriffen werden konnten und daher den Strukturalisten wie gerufen kamen. So stellt das Freudsche Unbewußte noch keine kritische Aufhebung des Aufklärungssubjekts dar, sondern markiert eine theoretische Wasserscheide, die sowohl in Richtung kruder Subjektlosigkeitsansätze (Strukturalismus) als auch in Richtung einer Metakritik der Fetisch-Konstitution entwickelt werden kann. Denn erstens hat Freud den Begriff des Unbewußten vor allem und einseitig nach der individualpsychologischen Seite hin ausgearbeitet, wenn auch die gesellschaftlichen Bezüge unübersehbar sind und auch in seinen kulturtheoretischen Schriften angesprochen werden. Das eigentliche Problem der gesellschaftlichen Konstitution des Unbewußten wird aber von Freud noch nicht systematisch aufgenommen. Das ist unter seinen theoretischen Prämissen auch gar nicht möglich; denn zweitens hat Freud, und hierin bleibt auch er noch Aufklärungsdenker, seine Erkenntnis sofort ontologisiert. Er entwickelt die Kategorien des Unbewußten also letztlich unhistorisch als Struktur eines Unbewußten schlechthin, weshalb er das Problem auch kulturtheoretisch ontologisieren und als das Verhältnis eines Unbewußten (und seiner Struktur) schlechthin zur Kultur schlechthin bestimmen muß(32). Daraus erklärt sich dann auch seine zutiefst kulturpessimistische Schlußfolgerung, denn die ontologisierten Gegensätze von unbewußten Triebansprüchen und Kulturleistung scheinen unaufhebbar und womöglich desaströs (»Das Unbehagen in der Kultur«). Drittens hat Freud, und hierin gehört sein Denken noch dem biologischen Positivismus des 19. Jahrhunderts an, wesentliche Elemente des Unbewußten direkt auf die erste Natur rückgekoppelt, vor allem auf einen unhistorisch gefaßten sexuellen Impuls. Die Marxsche Bestimmung eines Verhältnisses von (biologischer) erster Natur und (fetischkonstituierter, symbolisch codierter) zweiter Natur fehlt bei Freud völlig, was natürlich auch die Ontologisierung erleichtert. In Gestalt der psychischen Grundinstanz des »Es« und der sogenannten Triebe reicht die erste Natur direkt und unvermittelt bis in die Gesellschaft und ihre Kulturleistungen hinein: »Die älteste (der) psychischen Provinzen oder Instanzen nennen wir das Es; sein Inhalt ist alles' was ererbt, bei Geburt mitgebracht, konstitutionell festgelegt ist, vor allem also die aus der Körperorganisation stammenden Triebe... Die Kräfte, die wir hinter den Bedürfnisspannungen des Es annehmen, beißen wir Triebe. Sie repräsentieren die körperlichen Anforderungen an das Seelenleben ... «(33). An dieser Unvermitteltheit ändert weder die Ausdifferenzierung der »Triebstruktur« noch die Analyse der »Sublimationsleistungen« in der Kultur etwas, da die historisch-gesellschaftliche Vermittlung dessen, was als bloßer (natürlicher, biologischer) »Trieb« erscheint, schlicht nicht vorkommt. Das heißt natürlich keineswegs, daß es das Substrat der ersten Natur im Menschen gar nicht gäbe, und daß es keinerlei Beziehung zum Bewußtsein oder keinerlei Einfluß auf das Seelenleben des Menschen hätte. Aber wenn zwischen dieses Substrat (das außer der biologischen Natur im physiologischen Sinne auch verkümmerte Reste des tierischen Instinkts enthalten muß) und das Oberflächenbewußtsein des historisch gewordenen Menschen eben die davon verschiedene zweite Natur der Fetisch-Konstitution mit ihrer inzwischen ungeheuer langen Geschichte tritt, dann reicht die biologisch determinierte (und determinierende) Naturbasis weit weniger weit in die Konstitution des Menschen hinein, als Freud dies annimmt(34). Viertens schließlich bezieht Freud den Begriff des Unbewußten in erster Linie auf die Ebenen »unterhalb« des erscheinenden Ich-Bewußtseins, wobei eine weitere Differenzierung in bloß »Unterbewußtes« einerseits und in den seelischen Eisberg des tiefen und strukturell Unbewußten (Es) andererseits vorgenommen wird. Außerdem nimmt er in Gestalt des Über-Ich eine weitere, von äußeren Einflüssen bedingte Instanz sozusagen »oberhalb« des bewußten Ich an, deren Bestimmung jedoch ebenfalls nicht an das Problem der gesellschaftlichen Fetisch-Konstitution heranreicht, sondern als bloße »Einwirkung« (vor allem während der Kindheit) auf den individuellen psychischen Apparat phänomenologisch und sozusagen technisch beschränkt bleibt: »Als Niederschlag der langen Kindheitsperiode, während der der werdende Mensch in Abhängigkeit von seinen Eltern lebt, bildet sich in seinem Ich eine besondere Instanz heraus, in der sich dieser elterliche Einfluß fortsetzt. Sie hat den Namen des Über-Ichs erhalten. Insoweit dieses Über-Ich sich vom Ich sondert und sich ihm entgegenstellt, ist es eine dritte Macht, der das Ich Rechnung tragen muß.. Im Elterneinfluß wirkt natürlich nicht nur das persönliche Wesen der Eltern, sondern auch der durch sie fortgepflanzte Einfluß von Familien-, Rassen- und Volkstradition sowie die von ihnen vertretenen Anforderungen des jeweiligen sozialen Milieus. Ebenso nimmt das Über-Ich im Laufe der individuellen Entwicklung Beiträge von seiten späterer Fortsetzer und Ersatzpersonen der Eltern auf, wie Erzieher, öffentlicher Vorbilder, in der Gesellschaft verehrter Ideale«(35). Die Hereinnahme der gesellschaftlich-historischen Instanzen ist hier offensichtlich ungenügend. Das Unbewußte erscheint nur in Gestalt derjenigen Instanzen bzw. »Provinzen« des psychischen Apparats, auf die das Ich keinen bewußten Zugriff hat. Aber unbewußt ist keineswegs allein das seelische Reich unterhalb bzw. oberhalb des Ich-Bewußtseins. Wenn wir den Begriff des Unbewußten ganz einfach und allgemein fassen, unabhängig von der spezifisch Freudschen Untersuchungsrichtung, dann tritt noch ein ganz anderer Tatbestand hervor. Unbewußt ist nämlich nicht nur der seelische Inhalt jenseits des erscheinenden Ich-Bewußtseins, unbewußt ist auch die Form des Bewußtseins selber. Denn die Form des Bewußtseins ist keinesfalls gleichzusetzen mit dem Bewußtsein selber bzw. seinen Inhalten oder »Provinzen«. Und in der dem Bewußtsein unbewußten Form seiner selbst ist auch das Geheimnis des »Dritten« zu suchen, das weder Subjekt noch Objekt ist, sondern als blinde Form-Konstitution des Bewußtseins Subjektivität, Objektivität und Herrschaft konstituiert. Die gesellschaftlich-historische Form des Bewußtseins ist das zutiefst Eigene, das zutiefst fremd und unbekannt ist, und das deswegen, sobald es thematisiert wird, als fremde und äußerliche »Macht« verstanden und erlebt werden muß. Die Frage nach der (allgemeinen) Form des Bewußtseins und der menschlich-gesellschaftlichen Handlungen ist bereits vor Freud und unabhängig von seinem Begriff des Unbewußten durch Kant und eben durch Marx aufgeworfen worden. Es käme nun darauf an, diese immer noch scheinbar weit auseinanderliegenden Theoriekonzepte zusammenzubringen und historisch-kritisch zu vereinheitlichen. Kant war der erste, der die (dem Bewußtsein selber unbewußte) allgemeine Form des Bewußtseins systematisch und »kritisch« untersucht hat, kritisch allerdings nur im Sinne eines dann wieder affirmativen Bewußtmachens dieser Form(36). Der affirmative Charakter seiner Untersuchung kommt dadurch zustande, daß er die gefundenen Begriffe der allgemeinen Bewußtseinsformen gut aufklärerisch sofort ontologisiert und zu den menschlichen Bewußtseinsformen schlechthin erklärt (insofern ähnlich wie später Freud seine Erkenntnisse ontologisiert hat). Kant findet so die allgemeinen Formen der Sinnlichkeit (abstrakter Raum und abstrakte Zeit) und die allgemeinen Formen des Verstandes als die berühmten »Formen a priori« des Erkenntnisvermögens unabhängig von seinen Gegenständen, und den »kategorischen Imperativ« als die »bloße Form eines allgemeinen Gesetzes«, d.h. als ethisches Prinzip für alle menschlichen Handlungen. Diese apriorischen Bewußtseinsformen erscheinen jedoch als unhistorisch und »dem Menschen« eingebrannt; den Ort dieses Eingebranntseins und das Verhältnis zur physiologischen Natur erörtert Kant nicht. Marx nun, der sich kaum mit Kant und dessen Formproblem des Bewußtseins beschäftigt zu haben scheint, kommt über Hegel zu einer Historisierung der Formgeschichte, die er zunächst als Geschichte der (politisch-ökonomischen) Gesellschaftsformationen aufrollt; und darüber stößt er selbständig auf das Problem der allgemeinen Bewußtseinsform, das er als Fetisch-Konstitution von vornherein historisch angeht und im Einleitungsteil des »Kapital« allerdings nur kurz in seinen Grundelementen darstellt, um es dann hauptsächlich anhand seiner objektivierten gesellschaftlichen Bestimmungen in Gestalt der ökonomischen Kategorien des Kapitalverhältnisses zu entfalten. Er läßt aber keinen Zweifel daran, daß wir es hier gleichzeitig mit »verkehrten« allgemeinen Bewußtseinsformen zu tun haben. Wenn Marx die allgemeine Bewußtseinsform des fetisch-konstituierten warenproduzierenden Systems und ihre Strukturen nicht weiter behandelt, so deswegen, weil hier sein Denken eine Schranke enthält: der Bezug auf Arbeit (Arbeitsontologie), Arbeiter- und Klassenstandpunkt verlangt ein dualistisch-antagonistisches Herangehen und drängt die Bewußtseinsfrage auf das jeweilige »Klassenbewußtsein« zurück, so daß die Frage nach der allgemeinen Bewußtseinsform noch »vor« dem Klassen-Antagonismus nicht klar gestellt werden kann(37). Heute, unter den Bedingungen der Krisenreife des warenproduzierenden Systems, kann die Fetisch-Kritik von Marx erst adäquat als Kritik der allgemeinen Bewußtseinsform, die alle Klassen- und Interessenkategorien einschließt (und weit über bloß sozial-ökonomische Bestimmungen im engeren Sinne hinausgeht), reformuliert und weiterentwickelt werden. Erst jetzt können daher auch die Theorie-Konzeptionen von Kant, Marx und Freud systematisch vereinheitlicht werden(38), erst jetzt ist die Neuformulierung der »Geschichte von Klassenkämpfen« als »Geschichte von Fetischverhältnissen« (auch hinter die »Klassenkämpfe« zurückreichend bis an den Ursprung der Menschwerdung) zu wagen.
9. Die allgemeine Bewußtseinsform und ihre Kategorien sind nicht ontologisch, sondern historisch-genetisch zu fassen. Für jede Formationsstufe gilt eine eigene bewußtlose Bewußtseinsform mit eigenen Codierungen und »Gesetzmäßigkeiten«. Diese (jeweilige) Form des Bewußtseins konstituiert ein allgemeines Raster der Wahrnehmung ebenso wie der sozialen und geschlechtlichen Beziehung; Weltwahrnehmung bzw. Naturwahrnehmung und mitmenschlich-gesellschaftliche Beziehungswahrnehmung sind also in die Matrix ein und derselben unbewußten Form gefaßt, die immer gleichzeitig allgemeine Subjektform und allgemeine Reproduktionsform des menschlichen Lebens ist. Diese Form entsteht bewußtlos im historischen Prozeß aus der Akkumulation von unbeabsichtigten Nebenwirkungen und deren Verdichtung, und zwar vom Übergang der Menschwerdung aus dem Tierreich an. Dieses Konzept kann nach »oben« ebenso wie nach »unten« erweitert werden. Denn erstens sind auf diese Weise allgemeine Bestimmungen der »Fetisch-Konstitution überhaupt« für die gesamte bisherige Menschheitsgeschichte zu gewinnen, wie sie soeben angedeutet wurden; eine Zäsur wäre dabei möglicherweise im Übergang zur sogenannten Hochkultur anzusetzen, die in etwa der marxistischen Trennung von Urgesellschaft bzw. »Urkommunismus« und Beginn der Klassengesellschaft entsprechen würde. Das primäre Problem wäre dann aber nicht mehr die soziologistische und utilitaristische Frage nach der »ungleichen Nutzenverteilung«, sondern vielmehr die Frage, wie sich die gesellschaftliche Fetisch-Konstitution unter den Bedingungen eines gesellschaftlichen Mehrprodukts verändert (neue Fetisch-Zielsetzungen wie z.B. Pyramidenbau, d.h. blind gesteuerte »Entwicklungsschübe« etc.). Zweitens aber sind dann die jeweiligen historischen Fetisch-Konstitutionen auch binnengeschichtlich darzustellen, d.h. in ihrer Herausbildungs- und Aufstiegsgeschichte einerseits und in ihrer Niedergangs- und Zersetzungsgeschichte andererseits. Auf allen Ebenen wären also die fetisch-konstituierten Bestimmungen von »wahr« und »falsch«, »sittlich« und »unsittlich«, »gerecht« und »ungerecht« usw. in ihrer Jeweiligen Bedingtheit zu entschlüsseln (und damit natürlich auch zu relativieren). Dies betrifft auch das Freudsche Unbewußte, d.h. jene psychischen »Provinzen«, die jenseits des erscheinenden Ichbewußtseins liegen. Das von Freud nicht thematisierte gesellschaftlich-historische Formproblem des Bewußtseins wird sich auch auf diese entlegenen »Provinzen« erstrecken, d.h. die Matrix der jeweiligen allgemeinen Reproduktions- und Bewußtseinsform schließt auch das Es und das Über-Ich ein. Die Bewußtseinsform der jeweiligen Fetisch-Konstitution umfaßt alle menschlichen Lebensaspekte. Wir haben es also mit einer Strukturierung bzw. Kanalisierung sowohl von gesellschaftlicher (sozial-ökonomischer) Reproduktion als auch von sozialen und sexuellen Beziehungen, von Ich-Bewußtsein und von Außenwahrnehmung ebenso wie von psychischen Tiefenschichten (Es) und Über-Ich zu tun. Und da dieser Prozeß schon mindestens einige hunderttausend Jahre andauert, haben sich auch die verschiedenen historischen Formationen gewissermaßen »geologisch« abgelagert in verschiedenen Graden der Verwitterung und Überformung. »Über« dem ursprünglichen biologisch-tierischen Substrat liegen zahlreiche Schichten vergangener Fetisch-Konstitutionen auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Lebens(39) die jedoch von der jeweils jüngsten und »gültigen« Fetisch-Konstitution dominiert und determiniert werden. Die Entschlüsselung der Fetisch-Konstitution überhaupt kann gemäß des erwähnten Marxschen Diktums von der Rekonstruktion der Anatomie des Affen aus derjenigen des Menschen nur von ihrer letzten und höchsten Form aus vorgenommen werden, und das ist wie gesagt unsere eigene, d.h. diejenige des warenproduzierenden Systems der Moderne. Was Marx noch in soziologistischer Zurückbiegung seines eigenen Erkenntnis-Ansatzes von den »Klassenverhältnissen« gesagt hat, kann jetzt auf die Fetisch-Verhältnisse bezogen werden: erst die Moderne hat diese Verhältnisse soweit säkularisiert und vereinfacht, daß sie durchsichtig werden und das zugrunde liegende Prinzip erkennbar wird. Auf allen Ebenen von Gesellschaftstheorie, Erkenntnistheorie, Bewußtseinstheorie, Sexual- und Psychotheorie kann jetzt die Reise rückwärts durch die menschliche Formationsgeschichte angetreten werden, und eine neue Stufe der Historisierung erscheint als möglich; die Voraussetzung dafür ist freilich die Erkenntnis und Kritik unserer eigenen Formation, deren Krise den letzten Anstoß gibt. Erst auf dieser Meta-Ebene kann die Wiedervereinigung von Praxis und Geschichte sich vollziehen. Die Konsequenzen für die Begriffe von Subjektivität und Herrschaft liegen auf der Hand. Subjekt wird der Mensch im Prozeß seiner Herausbildung gegenüber der ersten Natur; die Subjektform ist jedoch zunächst nur schwach und embryonal, bis nach einer langen und widersprüchlichen Entwicklungsgeschichte durch viele Formationen hindurch sich im warenproduzierenden System der Moderne das Subjekt gegen über der ersten Natur in reiner Form zeigt und den Anspruch der Aufklärung erhebt. Aber Aufklärung, Naturwissenschaft und Industrialisierung sind nur Momente der allgemeinen Warenform und ihrer Fetisch-Konstitution, die in sich die bisherige Menschheitsgeschichte und das Problem der Fetisch-Konstitution überhaupt einschließt und erstmals global verallgemeinert. Das Subjekt der Moderne, das alle bisherigen Subjektformen in sich aufgehoben hat, ist sich ebensowenig wie alle früheren Gestalten des Subjekts seiner eigenen Form bewußt; es repräsentiert sozusagen die höchste Form der Form-Bewußtlosigkeit. Damit läßt sich die allgemeine Bestimmung angeben: Ein Subjekt ist ein bewußter Aktor, der sich seiner eigenen Form nicht bewußt ist. Genau diese Form-Bewußtlosigkeit aber ist es, die den bewußten Handlungen gegenüber der ersten Natur und gegenüber den anderen Subjekten einen unsichtbaren objektiven Zwangscharakter auferlegt; die durch vergangene Handlungsketten hindurchgegangene Objektivierung ist dem Subjekt bereits blind vorausgesetzt. Die Bewußtheit beschränkt sich also auf die einzelne Handlung, die im Unterschied zum Tier nicht blind gesteuert ist, sondern »durch den Kopf hindurch muß«. Vom Bewußtsein nicht erfaßt wird dagegen der allgemeine gesellschaftliche Handlungsrahmen, der historisch »entstanden« ist und blind vorausgesetzt wird. Die Bewußtheit ist also eine bloße Binnenbewußtheit innerhalb einer Fetisch-Konstitution, die aber, und das markiert den entscheidenden Unterschied zu Strukturalismus/Systemtheorie bzw. zu verkürzten Auffassungen des Fetisch-Problems, nichts Äußerliches, sondern die Form des eigenen Bewußtseins selber ist. Dies hat zur Konsequenz, daß sich in die bewußten Handlungen ständig ein unbekannter Faktor einmengt, der in der Bewußtheit nicht aufgeht. Die so konstituierte Fremdheit des Eigenen erscheint wieder als Fremdheit des Bezugs zur ersten Natur und zu den anderen Subjekten. Diese Fremdheit wiederum, die durch die Bewußtlosigkeit der Form bedingt ist, spaltet das Wahrnehmungs- und Handlungs-Ensemble notwendig dichotomisch auf. Das Subjekt, weil es sich seiner Form und damit seiner selbst nicht bewußt ist, muß die Natur und die anderen Subjekte als bloße Außenwelt erleben.(40) Die Begrenztheit des Wahrnehmungs- und Handlungsbewußtseins erlaubt es nämlich nicht, eine Meta-Ebene zu erklimmen und sich selbst (das Subjekt) in seinem Bezug zur Außenwelt wahrzunehmen und also den Gesamtkomplex zu begreifen, in den das Subjekt und seine Wahrnehmungs- bzw. Handlungsgegenstände eingeschlossen sind. Die Form-Unbewußtheit des Subjekts, die eine bloße Dichotomie von Subjekt und Außenwelt konstituiert, setzt damit die Gegenstände von Wahrnehmung und Handlung (Natur und andere Subjekte) zu Objekten herab. Der Subjekt-Objekt-Dualismus ist Folge der Tatsache, daß die Meta-Ebene, von der aus der Aktor und seine Gegenstände als ein gemeinsames Ganzes erscheinen, sozusagen »nicht besetzt« ist; diese Meta-Ebene nimmt eben die subjektlose Form des Subjekts ein(41), wodurch sich der scheinbar unausweichliche und unüberbrückbare Dualismus herstellt. Es wäre also von daher eine zweite, ergänzende Bestimmung des Subjekts möglich: Ein Subjekt ist ein Aktor, der seine Gegenstände zu äußeren Objekten herabsetzen muß. Auch diese Bestimmung ist natürlich historisch zu sehen, d.h. auch die Subjekt-Objekt-Dichotomie mußte sich aus embryonalen Ansätzen erst durch die lange Geschichte der Formationen hindurch ausentwickeln, bis sie im warenproduzierenden System der Moderne ihren höchsten und reinsten Ausdruck fand(42). Übrigens blitzt dieses Problem der Subjekt-Objekt-Dichotomie bei Niklas Luhmann durchaus in gewisser Weise auf, allerdings eben ausweglos affirmativ zurückgebogen. Im Interview mit einer italienischen Zeitschrift äußerte er sich sogar explizit kritisch zur Veräußerlichung des Subjekts gegenüber seinen Gegenständen: »Ich denke, daß diese Figur der Selbstreferenz, das heißt der Einschluß des Beobachters und der Beobachtungsinstrumente in die Beobachtungsgegenstände selbst, eine spezifische Eigenschaft universeller Theorien ist, die man in der alteuropäischen Tradition nicht gesehen hat. In letzterer handelt es sich immer um eine Beschreibung von außen, ab extra, zum Beispiel durch die Vermittlung eines Subjekts. Ich will sagen: die klassische Logik oder die klassische Ontologie haben immer einen externen Beobachter unterstellt, der in der Lage war, falsch oder richtig, das heißt zweiwertig, zu beobachten; aber sie haben nicht bedacht, daß dieser Beobachter, um die Wirklichkeit beobachten zu können, auch sich selbst beobachten muß«(43). Luhmann ist hier dem Problem sehr nahe, aber er erkennt es nicht. Denn auf der Meta-Ebene der Selbstreferenz des Beobachters bleibt er eben selbst wieder ontologisch, d.h. aufklärerisch. Die Selbstbeobachtung des Beobachters kann bei Luhmann nichts anderes beobachten als die eigene Immanenz. Widersprüchlichkeit existiert nicht real, sondern höchstens als Fehler im Kopf des Beobachters, d.h. sie wäre nur darauf zurückzuführen, daß der Beobachter eben nicht sich selbst mitbeobachtet, sondern auf äußerliche Gegenstände beschränkt bleibt, die er »bewertet«, ohne seiner eigenen Mitbeteiligung gewahr zu werden. Damit entfällt auch jeder Widerspruch gegen die Verhältnisse, der für Luhmann immer nur aus der »Position ab extra« kommen kann. Luhmann reproduziert also die aufklärerische Auffassung von Gesellschaftskritik, und eben deshalb erscheint ihm das Erklimmen der Meta-Ebene von Selbstreferenz als identisch mit der Elimination grundsätzlicher Gesellschaftskritik(44). Die Luhmannsche Selbstbeobachtung des Beobachters bleibt aber unvollständig, insofern er die objektivierte Systemimmanenz der Subjekt-Objekt-Dichotomie nicht erkennen kann. Auf der Meta-Ebene der vermeintlichen Selbstreferenz wird er auch insofern wieder aufklärerisch (und das ist die andere Seite der Ontologisierung), als er hier seinerseits in das Schema von »falsch und richtig« verfällt und den »Standpunkt ab extra« zum bloß theorieimmanenten oder ideologischen »Fehler« erklären muß. Gegenüber Luhmann müßte also sozusagen eine Meta-Meta-Ebene besetzt (oder die Meta-Ebene der Selbstreferenz konsequenter eingehalten) werden, um dann die Subjekt-Objekt-Dichotomie bzw. den »Standpunkt ab extra« selber als genuinen Bestandteil der Systemstruktur und Systemfunktionalität moderner (westlicher) Gesellschaften (statt als bloßen Fehler des Beobachters) begreifen zu können. Erst dann gibt es keine einfache Zweiwertigkeit von »falsch« und »richtig« mehr, sondern das vermeintlich »Falsche« wird selber noch in seiner systemischen Bedingtheit erkannt. Das gilt dann freilich nicht nur für die aufklärerische Subjektideologie, sondern auch für ihren Kritiker Luhmann selbst, dessen Theorie ihrerseits als systemproduziert und systemfunktional (und insofern nicht einfach »falsch«) dechiffriert werden kann. Dieser mangelnde Zugriff der Luhmannschen »Selbstreflexivität« (als Selbstreferenz) auf das Selbst in der Selbstbeobachtung des Beobachters rührt aus der Beschränktheit dieser Beobachtung, die sich mit der banalen Feststellung begnügt, daß auch der Beobachter bzw. das beobachtende System (z.B. in Gestalt der Soziologie) sich als System bzw. als Subsystem innerhalb eines Systems oder andererseits als Umwelt eines Systems betrachten und reflektieren muß. Die Selbstreflexion kommt so immer nur auf die Bezogenheit auf ein jeweiliges System oder ein »System überhaupt«, nicht aber auf die bestimmte historische Form des Systems, in der überhaupt ein Systembegriff gewonnen werden kann, und somit auch nicht auf die »Form überhaupt« (die etwas anderes ist als das »System überhaupt«). Gerade die eigene Bewußtseinsform gehört nicht zu den selbstreferentiellen Gegenständen des Luhmannschen Beobachters, der vielmehr von einem »Bewußtsein überhaupt« ausgehen muß. Die Enthistorisierung und Ontologisierung steckt in dieser systematischen Formblindheit, wie Luhmann sie in exemplarischer Weise vorführt (und damit die Formblindheit des Aufklärungsdenkens fortführt und gewissermaßen vollendet). Allerdings verweist die Theorieentwicklung (Luhmann selbst eingeschlossen) und theoretische Destruktion des Aufklärungsdenkens auf eine fortschreitende Selbstwidersprüchlichkeit des Systems, die zur Erscheinung und damit nicht nur zur theoretischen Reflexion, sondern auch zur praktischen Aufhebung drängt. Luhmann glaubt zusammen mit dem »Standpunkt ab extra« auch die aufhebende praktische Systemkritik erledigt. Aber gerade bei einer erweiterten Selbstreferenz des Beobachters, die auch die eigene Bewußtseinsform und damit den objektivierten Systemcharakter der Subjekt-Objekt-Dichotomie bzw. die objektive Selbstwidersprüchlichkeit des (warenproduzierenden) Systems mit einschließt, wird auch von der selbstreferentiellen Meta-Ebene aus nicht nur Geschichte, sondern auch radikale Praxis reformulierbar. Die praktische Aufhebung ist dann zwar keine Aufhebung vom »Standpunkt ab extra« mehr, von der das »bewertende Subjekt« nicht miterfaßt wird, wie es die aufklärerische Vernunft- und Subjektideologie und ihr marxistischer Wurmfortsatz mit seinem arbeitsontologischen »Klassenstandpunkt« unterstellen. Aber wenn die Selbsterkenntnis des Beobachters, der sich selbst in die Beobachtung einbezieht, auch die Beobachtung der Selbstwidersprüchlichkeit des Systems und damit die Selbstwidersprüchlichkeit des Beobachters selbst (seiner eigenen Form) einschließt, wird auch ein anderer Begriff von praktischer Aufhebung gewonnen: nämlich die Identität der praktischen Systemaufhebung mit der praktischen Selbstaufhebung des Beobachters, der eben dadurch erst aufhört, bloßer Beobachter zu sein, und dadurch auch erst den »Standpunkt ab extra« wirklich aufgibt. Solange er bloßer Beobachter bleibt, bleibt auch die Beschreibung letztlich eine solche »von außen«. Das bei Luhmann ebenso wie bei Hegel feststellbare kontemplative Moment zeigt in Wirklichkeit nicht ein »Zuviel«, sondern eher einen Mangel an (kritisch-aufhebender) Immanenz, d.h. es ist ein Rest oder eine Schwundstufe des »Standpunktes ab extra«, worin die praktische Selbstwidersprüchlichkeit von System und Beobachter nicht mitreflektiert wird(45). Gerade die konsequent durchgehaltene Selbstreflexivität führt so im Gegensatz zu Luhmann zur radikalen Systemkritik, allerdings unter Selbsteinschluß des Beobachters/Kritikers, der von keinem ontologischen »Standpunkt ab extra« mehr ausgeht, weder von einer Ontologie der »Arbeit« noch von einer Ontologie des »Subjekts«, allerdings erst recht nicht von einer Ontologie »subjektloser Systeme«. Vielmehr wird die Subjekt-Objekt-Dichotomie dann selber systemisch historisiert statt bloß verworfen.
10. Es kann bei einer solchen »selbstbezüglichen« Historisierung auch nicht mehr verborgen bleiben, daß die fetisch-konstituierte Subjekt-Objekt-Dichotomie von einer bestimmten Entwicklungsstufe an eine geschlechtliche Besetzung aufweist. Während in den außereuropäischen Gesellschaften (und auch in der alten europäischen Agrargesellschaft selbst) die geschlechtliche Struktur des Subjekt-Objekt-Verhältnisses noch diffus ist, wird sie in den ungleichmäßigen Entwicklungsschüben der okzidentalen Warengesellschaft seit der griechischen Antike mit wachsender Deutlichkeit herausgearbeitet, um im warenproduzierenden System der Moderne (Kapitalverhältnis) am schärfsten hervorzutreten. Man könnte die Faustregel aufstellen: je unentwickelter die Subjekt-Objekt-Dichotomie ist, desto weniger eindeutig ist ihre geschlechtliche Besetzung, und je schärfer diese Dichotomie heraustritt, desto eindeutiger ist sie auch »männlich« bestimmt. In der okzidentalen Fetisch-Konstitution der Warenform hat historisch der Mann die Subjektrolle übernommen, während die nicht in der Warenform aufgehenden Momente des Sinnlichen (Kindererziehung, emotionale Zuwendung, häusliche Tätigkeit etc.) zunehmend an die Frau als »domestiziertes Naturwesen« delegiert wurden(46). Die Frau an sich wird also für den Mann an sich in spezifischer Weise strukturell zum Objekt degradiert. Diese Objekt-Setzung ist zu unterscheiden von der Art und Weise, wie für das männliche Subjekt die erste Natur und andere männliche Subjekte als Objektbezug erscheinen. Die dritte Bestimmung des Subjekts, die erst in der okzidentalen Warengesellschaft voll hervortritt, müßte von daher lauten: Ein Subjekt ist ein Aktor, der strukturell männlich bestimmt ist(47). Von den bisher gewonnenen Bestimmungen aus ist dann auch der Begriff der Herrschaft reformulierbar. Die Subjektlosigkeit der Herrschaft ist die Subjektlosigkeit der Form des Subjekts, die einen objektivierten, zwanghaften Wahrnehmungs- und Handlungsbezug konstituiert. In diesem Bezug werden Natur und andere Subjekte (in spezifischer Weise die Frau als Quasi-Natur) zu Objekten herabgesetzt, aber eben nicht aus der Willens-Subjektivität des erscheinenden Ich-Bewußtseins heraus, sondern aus der Bewußtlosigkeit seiner eigenen Form. Dieser Zwangscharakter, der sich in Herrschaft niederschlägt, d.h. in Repressionshandlungen, erfaßt aber nicht nur den Außenbezug des Subjekts, sondern notwendig auch seinen Selbstbezug. Denn da die Fremdheit des Wahrnehmungs- und Handlungsbezugs die Fremdheit des Eigenen ist, d.h. die Fremdheit (Bewußtlosigkeit) der eigenen Form, kann das Subjekt sich auch selber nicht in seiner Ganzheit wahrnehmen, sondern bleibt auf das fetisch-konstituierte erscheinende Ich-Bewußtsein beschränkt. Ein erheblicher Teil seiner selbst muß ihm also ebenfalls zur »Außenwelt« werden; der Selbstbezug wird zu einer Erscheinungsform des Außenbezugs. Genauer gesagt: das von der bewußtlos konstituierten Bewußtseinsform ausgehende Wahrnehmungsdiktat erfaßt auch das »Selbst« des Subjekts insoweit, als es sich zu sich selbst als Möglichkeit der Formreproduktion (als warenförmiger Gegenstand) verhalten muß und die eigenen Befindlichkeiten und Fähigkeiten etc. unter diesem Aspekt objektiviert. Das Subjekt muß sich also auch selber objektivieren und »selbst beherrschen« im Namen seiner bewußtlosen eigenen Form, bis hin zur Zurichtung des eigenen Körpers, der der reinsten und entwickeltsten Fetisch-Form des warenproduzierenden Systems buchstäblich zur äußerlichen Körper-Maschine herabgesetzt wird, Wir können also eine vierte Bestimmung des Subjekts geben: Ein Subjekt ist ein Aktor, der sich selbst zur Außenwelt wird und sich damit selbst objektiviert. Der Herrschaftsbegriff gewinnt auf diese Weise seine kritische Dimension zurück. Phänomenologisch haben die subjektiven Herrschaftstheorien in ihren elaborierteren Gestalten, darunter auch Marxismus und Feminismus, die verschiedenen Ebenen und Erscheinungsformen der subjektlosen Herrschaft längst beschrieben und in ihren Kontext aufzunehmen versucht, ohne allerdings einen Begriff dieser Erscheinungen gewinnen zu können. Während die älteren subjektiven Herrschaftstheorien noch auf einer schroffen dichotomischen Trennung von »Herrschenden« und »Beherrschten« beharren, und die »Herrschaft« vom Standpunkt der »Beherrschten« (Volk, Arbeiterklasse, unterdrückte Nationen, Frauen etc.) aus als etwas Äußerliches und Gegenüberstehendes erscheint, versuchen die jüngeren und elaborierteren Ansätze der Tatsache Rechnung zu tragen, daß die »Beherrschten« auch selber zur Herrschaft beitragen, sogar sich selber gegenüber Herrschaftsfunktionen ausüben. Der primitivste Erklärungsversuch besteht in den diversen Varianten der »Manipulationstheorie«, der zufolge die »Herrschenden« mittels äußerer Bewußtseinskontrolle durch Religion (vgl. dazu die alt-aufklärerische Vorstellung vom »Priesterbetrug«) und heute durch Medien, Werbung, »Lügenpropaganda« usw. die »Beherrschten« in ihrem Bewußtsein manipulieren und sie dazu bringen würden, gegen ihre »eigentlichen« Interessen zu handeln. Reflektiertere Ansätze sind inzwischen dazu übergegangen, unter Zuhilfenahme u.a. auch der Psychoanalyse von einer psychischen Internalisierung der Herrschaft bei den Beherrschten selbst zu sprechen. Da hier nicht mehr die Rede von einem manipulierenden Über-Subjekt die Rede ist, das angeblich die letztendliche Kontrolle ausübt, kommen solche Ansätze dem Problem der subjektlosen Herrschaft schon näher, insofern das Unbewußte überhaupt in den Kontext der Herrschaftstheorie hereingenommen wird. Diese Reflexion beschränkt sich jedoch noch weitgehend auf psychische Mechanismen der Selbstunterwerfung, ohne daß der subjektive und soziologistische Herrschaftsbegriff grundsätzlich überwunden und aufgehoben wäre. Es besteht also die Gefahr des Abgleitens in die strukturalistische bzw. systemtheoretische Affirmation. Erst wenn der Begriff des Unbewußten auf die Reflexionsstufe der allen Gesellschaftsmitgliedern gemeinsamen Form des Bewußtseins und damit der Fetisch-Konstitution gehoben wird, kann der Begriff subjektloser Herrschaft gewonnen werden, ohne in neue Erklärungsdefizite zu verfallen. Das Unbewußte als allgemeine Bewußtseinsform, allgemeine Subjektform (mit dem beschriebenen geschlechtlichen Vorbehalt) und allgemeine Reproduktionsform der Gesellschaft objektiviert sich in Gestalt gesellschaftlicher Kategorien (Ware, Geld) ausnahmslos allen Gesellschaftsmitgliedern gegenüber, ist aber gleichzeitig gerade deswegen die bewußtlose Eigenheit der Subjekte selbst. Innerhalb dieser bewußtlosen gesellschaftlichen Konstitution ergeben sich aus diesen Kategorien »Funktionen«, Codierungen, Verhaltensweisen usw., durch die hindurch sowohl »Fremdbeherrschung« als auch »Selbstbeherrschung« in verschiedenen Graden und auf verschiedenen Ebenen entstehen. Die »Herrschaft des Menschen über den Menschen« ist also nicht im kruden subjektiv-äußerlichen Sinne zu verstehen, sondern als umfassende Konstitution einer zwanghaften Form des menschlichen Bewußtseins selbst. Innere und äußere Repression liegen auf derselben Ebene von bewußtloser Codierung. Die Herrschaft von Traditionen, Militär- und Polizeigewalt, bürokratische Repression, »stummer Zwang der Verhältnisse«, Verdinglichung und Selbstverdinglichung, Selbstvergewaltigung und Selbstdisziplinierung, geschlechtliche und rassistische Unterdrückung und Selbstunterdrückung usw. sind nur Erscheinungsformen ein- und derselben fetischistischen Bewußtseins-Konstitution, die ein Netz von »Macht« und damit von Herrschaft über die Gesellschaft legt. Die »Macht« ist nichts anderes als das allgemeine, alles durchdringende Fluidum der Fetisch-Konstitution, die innerlich wie äußerlich immer schon vorgefundene Erscheinungsform der eigenen Form-Unbewußtheit. Der Herrschaftsbegriff ist insofern nicht einfach zu verwerfen, um an seine Stelle den Begriff der Fetisch-Konstitution zu setzen, die das Subjekt und seine Äußerungen zur bloßen Marionette herabsetzen würde. Vielmehr müssen der Begriff der Herrschaft und der Begriff ihres Mediums »Macht« als die Begriffe der allgemeinen Erscheinungsform von Fetisch-Konstitutionen abgeleitet werden, die ihrerseits wieder in verschiedenen Formen und auf verschiedenen Ebenen praktisch und sinnlich als Spektrum der Repression bzw. Selbstrepression erscheint. Die dem Bewußtsein unbewußte Form seiner selbst erscheint als Herrschaft auf allen Ebenen. In Gestalt der Herrschaft geht das Subjekt als fetischkonstituiertes Wesen real mit sich selbst und mit anderen um. Die objektivierten Kategorien der Konstitution bilden dabei das (jeweilige) Muster oder die Matrix der Herrschaft. Wenn das warenproduzierende System heute in seine absolute Krisenreife eintritt, spitzt sich der Selbstwiderspruch der Fetisch-Konstitution notwendig bis zur Unerträglichkeit zu. Nicht die wohlgefällige Auflösung in Meta-Erkenntnis ist die Folge, sondern das Zurückschrecken vor dieser Meta-Erkenntnis, die Furcht vor der Subjektauflösung und das bis zum brüllenden Wahnsinn gehende Sichfestkrallen an den Codierungen der bewußtlosen Bewußtseinsform. Unter diesen Bedingungen verdichtet sich die »Macht« noch einmal extrem. Die äußere Repression der Staatsgewalt und der bürokratischen menschenverachtenden Krisenverwaltung verdichtet sich ebenso wie die wechselseitige Ausgrenzungskonkurrenz und die offene Gewalt auf den Ebenen der Kriminalität, des politischen bzw. pseudopolitischen und rassistischen oder ethnizistischen Hasses und der Geschlechts- und Erziehungsverhältnisse; der »stumme Zwang« der fetischistischen Erfolgskriterien verdichtet sich wie die Selbstrepression der ihm blindlings folgenden Individuen.
11. Was sind nun die allgemeinen Konsequenzen aus dem Begriff subjektloser Herrschaft? Zunächst muß die Tragweite des jetzt zu gewinnenden Emanzipationsbegriffs erfaßt werden. Es geht nicht nur um die Aufhebung des Kapitalverhältnisses als solchem, sondern damit gleichzeitig um die Aufhebung der »Vorgeschichte« überhaupt, d.h. der »Vorgeschichte« in jenem Marxschen Sinne, die alle bisherigen Gesellschaftsformationen und also auch unsere eigene einschließt. Eine Ahnung davon hatte a auch der bisherige Marxismus schon gehabt anhand jenes Marxschen Diktums, allerdings zurückgebogen auf seinen subjektiven und soziologistischen Herrschaftsbegriff, und insofern mußte die Formulierung des Problems unbefriedigend bleiben und aufgesetzt wirken. Die »Arbeiterklasse« sollte nicht nur die Herrschaft der »Bourgeoisie« aufheben, sondern damit zugleich die Herrschaft überhaupt, d.h. die Herrschaft des Menschen über den Menschen als solche. Das Selbstdementi dieses Programms zeigte sich zum einen daran, daß die Aufhebung der Vorgeschichte weiterhin unter dem Diktat der abstrakten »Arbeit« stattfinden sollte, d.h. vom »Standpunkt der Arbeit« und deren Verallgemeinerung aus; ein Programm, das den Horizont des warenproduzierenden Systems noch nicht überschreitet. Zum anderen aber sollte die Aufhebung der Herrschaft (dem weiterhin gültigen Diktat der abstrakten »Arbeit« entsprechend) ausgerechnet durch die »Herrschaft der Arbeiterklasse« exekutiert werden, was unter den Bedingungen nachholender Modernisierung im Osten und Süden zur Diktatur einer Repräsentationsbürokratie über die Arbeiterklasse führen mußte. Weder im Westen noch in den anderen Weltregionen war die Entwicklung reif für die Aufhebung von Fetisch-Konstitution, Warenform, »Macht« und Herrschaft. Dieser Situation entsprach die theoretische Verkürzung des Herrschaftsbegriffs und das Kleben an den aufklärerischen Illusionen. Erst unter den heutigen Bedingungen einer objektiven Krisenreife des zum unmittelbaren Weltsystem gewordenen warenproduzierenden Systems, die den Übergang in die sekundäre Barbarei zur direkten Drohung gemacht hat, kann (und muß bei Strafe des Untergangs) nicht nur der Begriff subjektloser Herrschaft gewonnen, sondern auch deren Aufhebung und damit die Aufhebung der Vorgeschichte erstmals real auf die Tagesordnung gesetzt werden. Ironischerweise bedeutet dies zugleich die Aufhebung des Marxismus, während jetzt erst die vom Marxismus verleugneten (und von Marx selber noch nicht konsequent entwickelten) Momente der Marxschen Theorie praxis- und damit theorierelevant werden können(48). Dies bedeutet aber auch, daß die Aufhebung der Vorgeschichte theoretisch zu konkretisieren ist. In dieser Perspektive können vielleicht einige Schwierigkeiten nicht nur der Geschichtsphilosophie, sondern auch der meisten modernen Theoriekonzepte geknackt werden. Das zentrale Problem dabei ist die Ontologisierung. Das unhistorische Moment in allen gesellschaftswissenschaftlichen Ansätzen, das sich mit großer Hartnäckigkeit stets wiederholen und, wie gezeigt, sowohl bei Rousseau und Kant als auch in der Psychoanalyse und in den jüngsten Konzeptionen von Strukturalismus und Systemtheorie erscheinen mußte (und das auch in der Marxschen Arbeitsontologie noch enthalten ist), erhält durch den ungeheuer weiten historischen Bezugsrahmen der allen bisherigen Gesellschaftsformationen gemeinsamen »Geschichte von Fetischverhältnissen« seine relative Berechtigung. Auf einer hohen theoretischen Abstraktionsebene erscheinen notwendigerweise immer wieder bestimmte Grundprobleme, die sich teils auf die bisherige menschliche Gesamtgeschichte beziehen (also unter Einschluß der schwer rekonstruierbaren prähistorischen Formationen, die keinesfalls mit den in der Moderne noch vorfindbaren »Naturvölkern« gleichgesetzt werden können), und teils auf die Geschichte der (ein Mehrprodukt erzeugenden) Hochkulturen vom alten ägyptischen Reich bzw. verwandten Vorformen bis zum kapitalistischen Weltsystem von heute. Solange der Horizont der Vorgeschichte im Marxschen Sinne nicht überschritten wird, lassen sich in diesen Kontexten bisheriger Menschheitsentwicklung tatsächlich Ontologien oder Quasi-Ontologien formulieren; so das »Subjekt-Objekt-Verhältnis« gegenüber der Natur, auch wenn es in höchst unterschiedlichen Graden und Ausformungen erscheint, für die Menschwerdung insgesamt; so die »Arbeit« wenigstens für die Geschichte der Zivilisationen, die ein Mehrprodukt produzieren(49). Die Ontologie-Fähigkeit von Grundkategorien menschlicher Existenz erlischt jedoch, wenn und soweit der Horizont der Fetisch-Konstitution überschritten wird. Emphatisch gesprochen: es würde sich dabei um ein zweites »Erwachen der Menschheit« handeln, vergleichbar nur der Abdifferenzierung des Menschen von der bloß biologischen (tierischen) Konstitution. Die Aufhebung der zweiten Natur besitzt dieselbe Tragweite wie die Aufhebung der ersten Natur. »Aufhebung« meint dabei selbstverständlich die Bewußtseins- und Handlungsebene, nicht die biologisch-physiologische Eingebundenheit des Menschen in die Natur. Wie nach der Abdifferenzierung vom Tierreich mit einem ungeheuer langen Anlauf die Geschichte der Vorgeschichte begann, so beginnt mit dem Zusammenbruch des warenproduzierenden Systems und der Abdifferenzierung von der Fetisch-Konstitution der lange Anlauf einer »zweiten Geschichte«. Wie das tierische Substrat in der »ersten Geschichte« (d.h. der Geschichte der zweiten Natur) nicht einfach verschwunden ist, und auch nie völlig verschwinden wird, so verschwindet auch das sekundäre Substrat der Fetisch-Konstitution in der »zweiten Geschichte« nicht einfach spurlos, sondern wird als Ablagerungsmoment nachwirken und weiterwirken wie die erste Natur. Aber Aufhebung bedeutet eben auch Beseitigung, Abschaffung, ist ein »Loswerden«; und insofern wird auch die bisherige Ontologie aufgehoben. Dieser Gedanke muß im Vorfeld und am Anfang der Aufhebung sogar im Vordergrund stehen. Vor allem aber: die Abdifferenzierung von der zweiten Natur enthält einen entscheidenden Unterschied zur Abdifferenzierung von der ersten Natur. Denn sie kann nicht mehr hinter dem Rücken der Menschen vor sich gehen als codierende Verdichtung von unbeabsichtigten Nebenwirkungen. Der zweite Mensch kann im Gegensatz zum ersten nicht »entstehen«, sondern er muß sich selbst bewußt schaffen. Er muß Bewußtheit gegenüber seiner eigenen Gesellschaftlichkeit gewinnen, wie er in der ersten Konstitutionsgeschichte zunehmende Bewußtheit gegenüber der ersten Natur gewonnen hatte. Bewußtheit anderer und höherer Ordnung freilich, denn Bewußtheit als Selbst-Bewußtheit ist etwas grundsätzlich anderes als bloße Kontrolle oder »Herrschaft« gegenüber Naturdingen. Da die relative Bewußtheit gegenüber der ersten Natur erkauft war durch die Fetisch-Konstitution der zweiten Natur, wurde deren Bewußtlosigkeit als Rückkoppelung auch in der bewußten Subjektbeziehung gegenüber der Objekt-Natur wirksam. Wenn jetzt auch der gesellschaftliche Selbstbezug »durch den Kopf hindurch muß«, dann kann dies keine mechanische Wiederholung der Subjektwerdung gegenüber der ersten Natur sein. Die gesellschaftliche Selbst-Bewußtheit wird also auch den Naturbezug grundsätzlich verändern, wobei »Kopf« hier nicht als Gegensatz zu »Bauch« bzw. Gefühl zu verstehen wäre, sondern als Bewußtheit, von der die Gefühlsebene eingeschlossen wird. Ist die zweite Konstitution des Menschen überhaupt möglich? In der geschichtsphilosophischen Abstraktion erscheint die Aufgabe ungeheuerlich und fast unlösbar. Aber wie aller Wahrscheinlichkeit nach die Abdifferenzierung von der ersten Natur anhand der ersten einzelnen Schritte in kleiner Münze darstellbar wäre und vielleicht sogar als verblüffend einfach erscheinen würde: z.B. als Symbol- und Abstraktionsträchtigkeit »äffischen« Spiels mit kommunikativen Elementen, wie Lewis Mumford vermutet(50), so muß auch die Abdifferenzierung von der zweiten Natur in bewältigbaren Schritten und Aufgabenstellungen auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Lebens darstellbar sein. Es sind die unter der Hülle der letzten und höchsten Fetisch-Konstitution des warenproduzierenden Systems herangereiften menschlichen, gesellschaftlichen Potenzen selbst (Naturwissen, Gesellschaftswissen, Reflexivität, Vernetzung), die den Schritt über die zweite Natur hinaus möglich machen und sogar nahelegen. Dieser Schritt ist aber keine bloße Wahlmöglichkeit, die auch unterlassen werden könnte. Der unter den Zwängen der zweiten Natur bewußtlos selbstgeschaffene Krisendruck übt vielmehr auch einen zunehmenden Zwang aus, den scheinbar riskanten Sprung zu wagen. Denn das Risiko, unter den Formdiktaten der letzten zweiten Natur weiterzuleben, beginnt bereits unter unseren Augen das Risiko des Sprungs über die zweite Natur hinaus zu übertreffen. Das ist die Ironie der menschlichen Konstitution: das Problem der zweiten Menschwerdung ist notwendigerweise noch verschränkt mit den Zwangsverhältnissen der ersten. Der selbst-unbewußte Mensch nötigt sich durch die Konsequenzen seiner bewußtlos konstituierten Reproduktions- und Bewußtseinsform selbst, die Selbst-Unbewußtheit aufzugeben und aufzuheben. Vielleicht ist diese eigenartige Konstellation am ehesten als die Dechiffrierung dessen zu verstehen, was Hegel noch kryptisch die »List der Vernunft« nannte. Allerdings gibt es natürlich keine Garantie dafür, daß die Aufhebung auch gelingt. Der Sprung kann auch versäumt werden, zu spät kommen, zu kurz ausfallen, danebengehen. Das Menschenwesen kann sich auch selbst zerstören, und das warenproduzierende System oder Kapitalverhältnis stellt in seiner weltumspannenden Destruktionskraft heute alle Mittel dafür bereit und entwickelt alle Tendenzen in diese Richtung. Die sogenannten Konservativen, zu denen auch immer mehr die früheren (der alten, immanenten Konfliktkonstellation verhafteten) Gesellschaftskritiker gehören, sind heute eben konservativ in bezug auf die wahnsinnig und selbstzerstörerisch gewordene totale Warengesellschaft, und deshalb sind sie keine »Bewahrer« mehr, sondern kranke Priester der Vernichtung. Vielleicht ist diese Vernichtung nicht unbedingt eine absolute, physische, wie sie noch in den Atomtod-Apokalypsen beschworen wurde. Auch diese Version ist zwar weiterhin nicht völlig auszuschließen. Aber perverser noch und grauenhafter wäre das Hinübergleiten des warenproduzierenden Systems in die sekundäre Barbarei, wie es heute bereits in vielen Erscheinungen zu beobachten ist. »Barbarei« ist natürlich eine Metapher für ein Geschehen, das noch keinen anderen Begriff hat. Das Wort hat einen eurozentrischen Ursprung, es wurde immer wieder im Kontext europäischer Denunziation von nichteuropäischen und vormodernen Gesellschaften benutzt. Dabei ging es um die Herabsetzung anderer Kulturen. Jetzt aber muß dieser Begriff auf die von Europa ausgehende Formation des warenproduzierenden Systems selbst angewendet werden, und in diesem Kontext kann seine Verwendung gerechtfertigt werden. Trotz ihrer äußeren Überlegenheit hatte die westliche Gesellschaft schon in ihren historischen Durchsetzungsschüben beispiellose Potentiale der Barbarisierung freigesetzt; vom Dreißigjährigen Krieg über die Geschichte des Kolonialismus und der ursprünglichen Akkumulation bis zur Weltkriegsepoche und zu den heutigen sozialen und ökologischen Zerstörungen zieht sich eine Spur der Barbarei durch die Modernisierung, die aber immer wieder durch zivilisatorische Errungenschaften kompensiert oder sogar zeitweilig abgelöst wurde. Diese Doppelgesichtigkeit der westlichen Moderne findet jetzt ihr Ende. Auch die zivilisatorischen Momente selbst verwandeln sich in ihr Gegenteil und werden zu Momenten der sekundären Barbarei. Freiheit und Gleichheit, Demokratie und Menschenrecht beginnen dieselben Züge der Entmenschlichung zu zeigen wie das zugrunde liegende Marktsystem. Der Grund dafür liegt in der von Beginn an lauernden besonderen Qualität der säkularisierten warenförmigen Fetisch-Konstitution. Die Warenform als allgemeine Bewußtseins-, Subjekt- und Reproduktionsform hat zwar einerseits den Raum der Subjektivität weit über alle vormodernen Formen hinausgeschoben, andererseits aber gerade da durch in ihrem ungebrochenen Charakter als bewußtlose Fetischform eine kulturelle Enthemmung mitgetragen, die jetzt mit ihrer gesellschaftlichen und räumlichen (globalen) Totalisierung das in dieser Konstitution immer schon lauernde und in den krisenhaften Durchsetzungsschüben temporär erscheinende monströse Moment endgültig freisetzt. Diese Monstrosität liegt in der inhaltsleeren Abstraktion der warenförmigen Fetisch-Konstitution, die als völlige Gleichgültigkeit der Reproduktion gegen alle sinnlichen Inhalte und als ebensolche Gleichgültigkeit der abstrakt individualisierten Menschen gegeneinander erscheint. Am Ende ihres Entwicklungswegs und ihrer Durchsetzungsgeschichte angelangt, produziert die totale Warenform entmenschte, abstraktifizierte Wesen, die noch hinter das Tier zurückzufallen drohen. Die Entkoppelung von der ersten Natur bleibt bestehen, aber die letzte und höchste Fetisch-Konstitution der allgemeinen Warenform droht in ihrem objektivierten Zusammenbruch eine regel- und steuerlose Menschen- und Weltverachtung hervorzubringen. Die Entkoppelung von der zweiten Natur kann auch negativ geschehen, als blinde und suizidale Enthemmung, die aus der zunehmenden Reproduktionsunfähigkeit des Regelwerks der Warengesellschaft resultiert. Das doppelt enthemmte und von der ersten wie von der zweiten Natur entkoppelte Wesen, das gleichwohl in blinder Selbst-Bewußtlosigkeit verharrt, muß ekelhafte und perverse Züge annehmen, für die kein Vergleich aus dem Tierreich mehr taugt. Die Anfänge dieses kulturellen Zusammenbruchs sind weltweit bereits sichtbar, und nicht zufällig treten sie vor allem als moralische und kulturelle Verwahrlosung einer wachsenden Anzahl von jugendlichen in Erscheinung. Das konservative Fetisch-Bewußtsein unter Einschluß der sogenannten Linken will diese gesellschaftliche Verwüstungspotenz der eigenen Bewußtseins- und Reproduktionsform nicht wahrhaben und scheitert mit seiner schwächlichen und heuchlerischen Ethik-Kampagne, die das konstitutive Zentralmoment des Barbarisierungsprozesses, die gesellschaftliche Warenform selber, unangetastet lassen will. So steht also die Entscheidungsfrage am Ende der Moderne noch unentschieden, aber die Zwänge aus Krise und Zusammenbruch wachsen unaufhaltsam an.
12. Die grundsätzliche Kritik von Herrschaft erscheint auch in ihrer neuen, meta-reflektierten Gestalt einer Kritik von subjektloser Herrschaft als »radikal«. Das ist auch zutreffend insofern, als Radikalität bekanntlich ein Vorgehen meint, das »an die Wurzel« faßt. Wird dieses Vorgehen nicht mit einer geifernden (oder existentialistisch-heroischen) Militanzideologie verwechselt, die gerade nicht bis zur »Wurzel« der Verhältnisse gelangt, dann muß radikale Kritik unter den veränderten Prämissen erst recht gefordert werden. Aber diese veränderte Radikalität ist nicht nur von den bisherigen Vorstellungen über eine »radikale« Vorgehensweise kritisch abzugrenzen, die allesamt der immanenten, fetisch-konstituierten Logik von »Arbeiterstandpunkt« und »Klassenkampf« verhaftet sind, sondern ebenso auch von den bisherigen Vorstellungen über die gesellschaftliche Zielsetzung radikaler Kritik. Das transzendente Ziel sowohl der utopischen als auch der marxistischen Konzepte war immer die (vermeintliche) Überwindung des modernen Kapitalverhältnisses durch eine irgendwie andere abstrakt-allgemeine Form gesellschaftlicher Reproduktion. Genauer gesagt war dies ein eher selbstverständliches Axiom von Gesellschaftskritik, eine implizite Annahme, die nicht explizit thematisiert wurde, weil ja das grundsätzliche Formproblem der allgemeinen Fetisch-Konstitution noch gar nicht im Reflexionszusammenhang des kritischen Denkens auftauchte. Über die anzustrebende Form einer solidarischen, »gerechten« usw. Gesellschaft jenseits des Kapitalismus wurden vielerlei Vermutungen angestellt, die aber allesamt in irgendeiner Weise die abstrakte Allgemeinheit der Warenform reproduzierten, sei es als »natural« gedachte »betriebswirtschaftliche« Produktions- und marktähnliche Austauschverhältnisse, sei es explizit als alternative (bzw. alternativ regulierte) Warenproduktion. Das Ziel einer alternativen, vermeintlich aufhebenden abstrakt-allgemeinen Form, die nunmehr im scheinbaren Gegensatz zur Kapitalform für alle Gesellschaftsmitglieder und für alle Momente der gesellschaftlichen Reproduktion verbindlich gemacht werden sollte, implizierte logisch die Drohung der Diktatur, mit welchen Begründungen und Rechtfertigungen auch immer(51). Unter den Prämissen von Fetischkritik und Aufhebung der zweiten Natur muß das Problem ganz anders und für das immanente Denken überraschend formuliert werden. Denn jetzt kann es nicht mehr um die »Installation« einer neuen abstrakt-allgemeinen Form gehen, sondern im Gegenteil um die Aufhebung der abstrakten gesellschaftlichen Form überhaupt. Das bedeutet natürlich nicht, daß es keine gesellschaftlichen Institutionen mehr gibt oder daß die Gesellschaft sich willkürlich im Sinne einer chaotischen Beliebigkeit reproduziert; so stellt sich mit Sicherheit das form-konstituierte moderne Bewußtsein die Aufhebung der »Form überhaupt« spontan vor. Zu bedenken ist aber folgendes. »Form« ist innerhalb der zweiten Natur ja die selbst-unbewußte (jeweilige) allgemeine Bewußtseins- und Reproduktionsform, auf die das erscheinende Ich-Bewußtsein und somit sämtliche gesellschaftlichen Institutionen keinerlei Zugriff haben. Die Form in diesem Sinne codiert alle Handlungen und setzt die blinden »Gesetzmäßigkeiten« der (jeweiligen) zweiten Natur. Die Aufhebung der zweiten Natur ist also notwendig die Aufhebung dieser Form, in der theoretischen Abstraktion formuliert die Aufhebung der (gesellschaftlichen) »Form überhaupt«. Denn wenn Bewußtsein und praktisch-gesellschaftliches Handeln nicht mehr einer dem Bewußtsein unbewußten Form und deren objektivierter Gesetzmäßigkeit unterliegen, kann auch keine neue Formbestimmung auf dieser Ebene mehr nachfolgen(52). Was bisher einem blinden Regelmechanismus folgte, muß in das »bewußte Bewußtsein« der Menschen, in die Selbst-Bewußtheit überführt werden. Am ehesten ist diese Transformation vielleicht vorstellbar im Hinblick auf diejenigen Momente der gesellschaftlichen Reproduktion, die bisher als »Ökonomie« firmierten(53). Die sozialökologische Krise im Negativen und der Vernetzungsgedanke im Positiven legen es nahe, die Eingriffe in Natur und Gesellschaft nicht mehr nach einem für alles und jedes gültigen Prinzip (Geldform, »Rentabilität«) ablaufen zu lassen, sondern sie nach sozialen und ökologischen Gesichtspunkten zu sortieren, je nach dem sinnlichen Inhalt des Eingriffs und seiner Reichweite etc. Eine solche Diversifizierung, die bei Strafe wachsender Katastrophenträchtigkeit unausweichlich geworden ist, kann aber nur dadurch praktisch gemacht werden, daß sich die gesellschaftlichen Entscheidungsprozesse direkt auf den sinnlichen Inhalt der Reproduktion beziehen und nicht mehr von einer bewußtlosen Form codiert und gefiltert werden. Für solche Entscheidungsprozesse bedarf es natürlich durchaus Institutionen (»Räte«, »runde Tische«, oder wie immer sie dann heißen mögen), die sich als Netzwerk organisieren und (zumindest in der Zeit des gesellschaftlichen Transformationsprozesses aus der Warenform heraus) gewisse Entscheidungskriterien festlegen. Erst für die Zukunft könnte so cum grano salis von einer Art »Gesellschaftsvertrag« gesprochen werden, obwohl der Begriff des »Vertrags« selber noch der Rechtsform(54) und damit der Warenwelt angehört. Es müßte einleuchtend sein, daß die globalen Entwicklungsbedingungen am Ende des 20. Jahrhunderts es einfach nicht mehr zulassen, alle Reproduktionszweige und Regionen, alle Beziehungen und Verkehrsverhältnisse ein- und demselben blinden Formprinzip zu unterwerfen. Den Reiseverkehr und die Produktion von Äpfeln, den Städtebau und die Pflege von Kranken, die Abfallbeseitigung und das persönliche Selbstwertgefühl, das Malen von Bildern und das Fußballspielen gleichermaßen dogmatisch nach einem einzigen Formkriterium (wie es die allgemeine Fetisch-Konstitution verlangt) »darzustellen« und nur in dieser Form gesellschaftlich zu machen, wird zur offenkundigen Verrücktheit. An die Stelle der für alles und jedes gültigen allgemeinen Bewußtseins- und Reproduktionsform, von der die Menschen erst gesellschaftlich »gemacht werden«, die jedoch außerhalb ihrer Bewußtheit und damit ihres Zugriffs liegt, muß eine bewußte »Beratung« und organisierte Handlung treten, von der Reiseverkehr, Apfelproduktion, Krankenpflege usw. nach ihren jeweils eigenen stofflich-sinnlichen Notwendigkeiten behandelt werden. Es gibt dann kein allgemeines »Prinzip« mehr (Rentabilität, »Darstellungsfähigkeit« in der Fetischform Geld), das den gesellschaftlichen Ressourcen-Einsatz bewußtseins-unabhängig steuert. Allgemein könnte gesagt werden, daß das, was bisher bewußtlose Form von Gesellschaftlichkeit war, aufgelöst und durch direkte menschliche Kommunikation in vielfältig organisierter und vernetzter Form ersetzt werden muß. An die Stelle der bewußtlos codierenden »Form« tritt »kommunikatives Handeln« (Habermas) der Menschen, die ihre eigene Gesellschaftlichkeit und ihre gesellschaftlichen Handlungsketten bewußt reflektieren und dementsprechend organisieren(55). Wenn wir noch einmal die Analogie von erster Natur und zweiter Natur zu Hilfe nehmen, so wäre diese Transformation identisch mit der Aufhebung des »Instinkts« auf der Ebene der zweiten Natur. In der bis heute andauernden »Vorgeschichte« war die Entkoppelung von der Instinktsteuerung der Tiere erkauft durch die Herausbildung einer sekundären, nicht weniger bewußtlosen Instinktsteuerung über die symbolischen Codes der zweiten Natur. Das gesellschaftliche Handeln ist so primär nicht kommunikativ, sondern folgt den Quasi-Instinkten, wie sie durch die Fetisch-Konstitution erzeugt werden. Aber die Subjektivität gegenüber der ersten Natur hat inzwischen Potenzen erzeugt, die bei einer weiteren Quasi-Instinktsteuerung durch die zweite Natur die Menschheit in das bekannte Schicksal der Lemminge zu treiben drohen. Die »Autopoiesis« des warenproduzierenden Systems ist das Todesprogramm der globalisierten Menschheit. Was als kollektiver Selbstmord erscheint, ist nichts anderes als das blinde Weiterwirken des codierenden Instinkts, der unter veränderten Kontextbedingungen ins Verderben führt. Längst sind die Konzepte, Einsichten, Ideen und Verfahrensweisen vorhanden, vom Verkehrssystem bis zur Müllentsorgung, die in den einzelnen gesellschaftlichen Reproduktionszweigen den stofflich-sinnlichen Erfordernissen auf der heutigen Höhe von Vergesellschaftung und Produktivkraftentwicklung Rechnung tragen. Aber auf scheinbar unbegreifliche Weise können die von nahezu jedermann geteilten Einsichten nicht in die Tat umgesetzt werden, weil die nach wie vor bewußtlose allgemeine Form, indem sie die »Autopoiesis« des Systems setzt, ihr gespenstisch gewordenes Eigenleben weiterführt und die Menschen daran hindert, ihren Einsichten gemäß zu handeln. Die eigene Bewußtseinsform gerät in Widerspruch zu den Inhalten des Bewußtseins. Aber die Geschlossenheit der Fetisch-Konstitution ist keineswegs eine absolute. Zu dicht sind Einsichten und Inhalte auf allen Gebieten des Denkens und Handelns schon an die Grenzen der Form-Unbewußtheit herangerückt, als daß der Widerspruch zwischen Form und Inhalt des Bewußtseins selbst aus dem Bewußtsein ausgeblendet bleiben könnte. Dies zeigt sich nicht nur im sozialökologischen Krisenbewußtsein. Auch hinsichtlich der Freudschen »psychischen Provinzen« hat sich eine Veränderung vollzogen. Die Mechanismen des Unbewußten und Reflexion (etwa die Begriffe der »Verdrängung« und der »Projektion«) sind aus der Wissenschaft in das allgemeine Bewußtsein gedrungen, wenn auch oft in verwässerter und vulgarisierter Gestalt. So unmittelbar und naiv wie noch vor wenigen Generationen können sich die Durchschnittsmenschen heute nicht mehr zu sich selbst verhalten. Damit aber zeichnet sich eine Perspektive ab, in der das »Unbewußte« langsam (wenn auch widersprüchlich und heute noch instrumentalistisch) abgeschmolzen wird und ein Prozeß beginnt, in dem bisher verborgene psychische »Provinzen« des Es ganz alltäglich ins Licht des erscheinenden Bewußtseins geholt werden. Umgekehrt beginnt auch das Über-Ich seine Autonomie einzubüßen. Auch für das Alltagsbewußtsein ist eine blinde Orientierung an vorausgesetzten und von Kindheit an eingetrichterten Mustern immer weniger akzeptabel. Moralische, politische und kulturelle Normen müssen es sich gefallen lassen, auf ihre Tragfähigkeit und Plausibilität hin geprüft und analysiert zu werden. Tendenziell verschwindet das alte automatische Über-Ich(56). Sogar die Sprache ist nicht mehr als codierendes System gegen Reflexivität immun. Die feministische Sprachkritik und bewußte Implementierung neuer Sprachregelungen, von denen die »männliche« Codierung außer Kraft gesetzt wird, ist keineswegs so albern, wie gewisse (männliche) Sprach- und Theoriemonopolisten es gern hingestellt hätten. Vielmehr deutet dieser Vorgang den Beginn eines Prozesses an, in dem nicht mehr »der Mensch gesprochen wird«, sondern die Menschen auch auf ihre Sprachentwicklung bewußten Einfluß nehmen (und nicht nur bestenfalls die bewußtlos vollzogenen Veränderungen im nachhinein feststellen können). Ähnliches gilt für die Kritik anderer (z. B. rassistischer) Sprachregelungen. So dicht aber auch die Reflexivität an die Grenzen der Fetisch-Konstitution herangerückt ist, die notwendige Transformation, von der die zweite Natur überwunden wird, hat noch keinen entscheidenden Ansatz gefunden. Die Frage einer »Aufhebungsbewegung« ist noch nicht entschieden, weil die gesellschaftlichen Kräfte dafür sich noch nicht formiert haben; stattdessen werden die Lösungswege noch immer innerhalb der Warenform (des Markt-Staat-Systems) gesucht, also auf dem Pfad der Lemminge. In der alten Konstellation hätte dieses Problem die Frage nach dem »revolutionären Subjekt« aufgeworfen. Aber so kann die Frage jetzt nicht mehr gestellt werden. Die Kritik des aufklärerischen Subjekt-Apriorismus ist unhintergehbar. Weil es kein apriorisches (soziales) Subjekt der gesellschaftlichen Fetischform gibt und das Wesen der zweiten Natur gerade in ihrer subjektlosen Konstitution besteht, kann auch die Aufhebung dieser Konstitution nicht von einem sozial definierbaren apriorischen Subjekt im Stil des früheren »Arbeiterklassen«-Subjektkonstrukts getragen werden. Alle sozialen Subjekte des warenproduzierenden Systems sind als solche »Charaktermasken« der Fetischform. Eine Aufhebungsbewegung kann sich daher nicht an einem apriorischen und schlecht immanenten, form-konstituierten »Interesse« entzünden, sondern nur anhand einer Kritik der vorausgesetzten blinden Interessenform. Dies gilt für »alle«, also können auch prinzipiell »alle« diese Aufhebungsbewegung konstituieren und tragen. Eine solche Bewegung verläuft nicht entlang immanent präformierter Konfliktlinien, sondern entlang der Bruchstellen des warenproduzierenden Systems und im Widerstand gegen den Barbarisierungsprozeß. Ihre Träger können sich nicht auf einen ontologischen Apriorismus (»Arbeit« z.B.) berufen, sondern nur auf den Vollzug partieller, aber unausweichlicher Einsichten, in denen das Bewußtsein seinen eigenen Formkerker sprengt. Der gesellschaftliche Konflikt verschwindet dadurch keineswegs, aber er wird reformuliert auf einer höheren Ebene. Denn es geht jetzt nicht mehr um einen blind vorkonstruierten Gegensatz, in dem jedes Gesellschaftsmitglied von der Fetisch-Konstitution seinen Part schon zugewiesen bekommen hat, bevor es selber eine Entscheidung treffen kann, sondern um einen Gegensatz, in dem praktische Kritik der Fetischform einerseits und stures Festhalten an ihren absurd werdenden »Gesetzmäßigkeiten« andererseits, also höheres gesellschaftliches Bewußtsein und codiertes Lemmingbewußtsein gegeneinander stehen. Die Versuchung ist groß, die sich selbst bewußt konstituierenden Träger einer zukünftigen Aufhebungsbewegung das »Subjekt« dieser Bewegung zu nennen, auch wenn es kein apriorisches Subjekt mehr sein kann, das »an sich« schon präexistent und hinsichtlich seiner Aufgabe präpotent wäre. Es würde sich dann um ein nicht-apriorisches, selbstkonstitutives Subjekt auf derjenigen Ebene handeln, die bisher von der subjektlosen, unbewußten Form besetzt war. Aber das zu verwerfende apriorische (d.h. unbewußt konstituierte) Subjekt ist das Subjekt überhaupt. Wenn das Subjekt entlarvt ist als ein seiner eigenen Form unbewußter Aktor, der sich die Außenwelt zum Objekt setzen muß, sich dabei selbst objektiviert und strukturell »männlich« und »weiß« bestimmt ist, dann kann die Wahrnehmungs- und Handlungsbewußtheit jenseits der zweiten Natur nicht mehr die Form der Subjektivität im bisherigen Sinne annehmen, die ihre positive und emphatische Konnotation verliert. Das zu gewinnende Meta-Bewußtsein über die zweite Natur hinaus ist keine »Subjektivität« mehr. Für das immanente Bewußtsein paradox und provokativ läßt sich somit die historische Aufgabe auf die Kurzformel bringen: Die Revolution gegen die Fetisch-Konstitution ist identisch mit der Aufhebung des Subjekts.
Fußnoten (1)Nicht uninteressant ist es, daß der Nutzen-Egoismus mit umgekehrtem Vorzeichen auch von den Gegnern des Marxismus behauptet wird. Insbesondere die liberalen und marktradikal-neoliberalen Ideologien halten es für evident, daß »uns Menschen« ein grundsätzlicher Egoismus »angeboren« sei; und seit Bernard de Mandevilles »Bienenfabel« (1705) und der »invisible hand« in der Theorie von Adam Smith (1776) gilt die gesellschaftliche Summe des privaten Nutzen-Egoismus als öffentliche Wohlfahrt oder »Gemeinwohl«. (2)Josef Esser, Gewerkschaften in der Krise, Frankfurt 1982, S. 226. (3)MSZ 4/91 (letzte Ausgabe), Der Fall MG, S. 8. (4)Der Aufbau des »Kapital« (I), in: Resultate der Arbeitskonferenz Nr. 1, München 1974, S.73. (5)Robert Michels, Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie, 1911. (6)Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1972, S. 571 (erste Auflage 1922). (7)Leo Trotzki, Die verratene Revolution, 1936, S. 242. (8)Dies gilt auch für alle späteren Bemühungen, etwa in den Analysen von Ernest Mandel, der über die theoretischen Beschränkungen seines »Meisters« nie hinausgekommen ist. (9)Max Horkheimer, Autoritärer Staat, geschrieben Frühjahr 1940, Frankfurt 1968, S.35. (10)Eine Übersicht zur theoretischen Genesis und Ausstrahlung bietet: Günther Schiwy, Der französische Strukturalismus, Reinbek 1969. (11)Michel Foucault, Von der Subversion des Wissens, Frankfurt 1987, S. 14 f. (es handelt sich um ein Zitat aus einem mit Paolo Caruso im Jahr 1969 geführten Gespräch). (12)Foucault in einem Interview vom Mai 1966, zit. nach Schiwy, a.a.O., S. 204. (13)Daß Parsons seinerseits ein Schüler Max Webers war und dessen Theorie im positivistischen und pragmatistischen Milieu des angelsächsischen Denkens weiterentwickelte, zeigt die subkutanen Verbindungen und Vermittlungen im immanenten Destruktionsprozeß des westlichen Aufklärungsdenkens, hin zum Begriff der subjektlosen Herrschaft. (14)Niklas Luhmann, Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt 1991(4.Auflage), S. 51. (15)Luhmann, a.a.O., S. 234. (16)»Während die Theorie, was die Begriffsfassungen und die Aussagen inhaltlich angeht, sich wie von selbst geschrieben hat, haben Arrangierprobleme mich viel Zeit und viel Überlegung gekostet«, so Luhmann im Vorwort zu seinem Buch »Soziale Systeme« (a.a.O., S. 14). (17)Luhmann, a.a.O., S. 33 (18)Vgl. dazu Louis Althusser, Elemente der Selbstkritik, Berlin 1975. (19)Louis Althusser, Für Marx, Frankfurt 1974, S. 11. (20)Louis Althusser, Lenin und die Philosophie, Reinbek 1974, S. 65 ff. (Hervorhebungen Althusser). (21)Günther Schiwy, a.a.O., S. 76 f. (22)Es wäre eine Untersuchung wert, inwieweit ein solches letztlich platt »deterministisches« Verständnis des »Kapital« nicht schon (wenn auch nicht methodisch oder metatheoretisch ausformuliert) in der alten Sozialdemokratie vorgelegen hat, Althusser also eigentlich nur das Marxismusverständnis der ganzen alten Arbeiterbewegung auf einen systematischen Begriff bringt. (23)Vgl. dazu Jürgen Habermas/Niklas Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie/ Was leistet die Systemforschung, Frankfurt/Main 1971. (24)Vgl. Althusser, Elemente der Selbstkritik, a.a.O., S. 63. (25)Helmut Willke, Systemtheorie, Stuttgart/New York 1982, S. 10. (26)Allerdings spricht auch Comte, der die Biologie als »Grundwissenschaft« betrachtet, aus der die Gesellschaftswissenschaft zu »erwachsen« habe, durchaus auch schon davon, daß die Aufgabe der Biologie die Untersuchung der Beziehungen des tätigen Organs in einer bestimmten Umgebung sei (vgl. Auguste Comte, Die Soziologie, Die positive Philosophie im Auszug, Leipzig 1933, S. 31). (27)Daß die Säkularisierung des Fetischs nicht unbedingt mit einer »höheren« Bewußtseinsform gleichzusetzen ist, zeigt sich als merkwürdige Ironie. Denn in demselben Maße, wie der vermeintliche »religiöse Aberglaube« der Aufklärung Platz macht, die über sich selbst nicht aufgeklärt ist, schwindet auch das Bewußtsein über die Außenleitung der Menschen. Während das aufgeklärte Subjekt sich einbildet, daß seine Handlungen subjekt- und willenstheoretisch auflösbar seien (und also seine eigene fetischistische Formbestimmtheit nicht einmal indirekt und phantastisch verkleidet mehr wahrnimmt), wußten die vormodernen Menschen wenigstens noch, daß sie auch als Häuptlinge, Fürsten und Gottkönige nicht »selbstbestimmt« handeln, sondern blindes Werkzeug der »himmlischen Mächte« sind. (28)Die gesellschaftlichen Axiome und Codierungen werden dann als Natur bestimmt bzw. erste und zweite Natur werden gleichgesetzt, wie es ja auch als Ontologisierung in der Systemtheorie erscheint. Die Natur aber ist gerade dadurch Objekt, daß sie in ihrer unaufhebbaren subjektlosen »Naturgesetzlichkeit« anerkannt wird. Das zum Objekt Herabgesetzte ist gerade als Nicht-Subjekt auch unergreifbar insofern, als seine »Gesetzmäßigkeiten« als solche nicht instrumentalisierbar sind, sondern jeder Instrumentalisierung vorausgesetzt bleiben. Das instrumentelle Denken setzt also die Nicht-Instrumentalisierbarkeit auf der Ebene des Objekt-Wesens voraus. (29)Das religiöse Bewußtsein der Vormoderne hat damit noch keine Probleme. Das äußere Subjekt als Gott bzw. Götterwelt, als Geisterwelt und Beseelung der Natur ist selbstverständlich. Aber eben deswegen ist auch die Subjektivität des Menschen selbst erst embryonal und es kann noch gar kein Subjektbegriff im eigentlichen Sinne existieren, weil auch die Natur noch nicht Objekt ist, noch nicht berechenbare gesetzmäßige Subjektlosigkeit, sondern selber Subjekt bzw. von Subjekten gesteuert (in modernen Begriffen ausgedrückt, d.h. auf der Stufe, in der es noch so ist, gar nicht formulierbar). Die Subjekt-Objekt-Scheidung hat noch nicht konsequent stattgefunden oder erst in Ansätzen, und die Natur erscheint insofern als ebenso unberechenbar wie die anderen Menschen. (30)Das Kapitalverhältnis ist die erste und einzige dynamische und sich selbst dynamisierende, von innen heraus sich transformierende Produktionsweise, die dadurch von vornherein über sich selbst hinausweist und zur Selbstaufhebung drängt. Insofern schließt sie die gesamte »Vorgeschichte« in sich zusammen und hebt sie gleichzeitig auf. Vormoderne und nichteuropäische Gesellschaften dagegen entwickeln sich zwar, sie entfalten jedoch keine an sich selbstdestruktive Dynamik in diesem Sinne. (31)In dieser Form ist das Problem als dasjenige der Moderne und in den Kategorien der Moderne formuliert. Erst das moderne warenproduzierende System hat den SubjektObjekt-Dualismus in reiner Form herausgearbeitet. In den prämodernen Formationen wäre das Problem wie gesagt so nicht formulierbar. Aber es ist dort ebenfalls »latent« vorhanden, wenn auch eben noch nicht ausdifferenziert. Man könnte vielleicht sagen, daß der Subjekt-Objekt-Dualismus die abstrakt-allgemeine Bestimmung der Funktionsweise von »zweiter Natur« überhaupt darstellt, aber erst in der Geschichte der »zweiten Natur« ausdifferenziert werden mußte, um schließlich in der Moderne bis zur Kenntlichkeit und damit Formulierbarkeit zu gelangen. (32)Das historische Moment erscheint dann nur noch als prähistorisches, d.h. als Herausbildungsgeschichte des Menschen überhaupt und von Kultur überhaupt. Innerhalb des herausgebildeten kulturell überformten Menschenwesens aber muß dann eine ontologische, unhistorische Basisstruktur als Verhältnis von »Triebstruktur und Gesellschaft« (Marcuse) angenommen werden. Dieses Konstrukt ist auch bei den Nachfolgern von Freud nicht überwunden, und letztlich auch in der Kritischen Theorie nicht, da die ontologisierte »Naturbasis« der »Triebstruktur« unangetastet bleibt als vermeintlich unaufhebbarer Ausgangspunkt. (33)Sigmund Freud, Abriß der Psychoanalyse, Frankfurt/Main 1972, S. 9 ff. (34)Die völlige Negation der biologischen Naturbasis ist freilich nur eine theoretische Dummheit. Die ideologische Verlängerung der Reichweite biologisch-genetischer Bestimmungen ins Gesellschaftliche dagegen ist nicht nur dumm, sondern auch mörderisch in ihren Konsequenzen. Schon seit dem 19. Jahrhundert wurde die Ableitung gesellschaftlicher Erscheinungen aus biologischen Bestimmungen für die Legitimation von Ausgrenzungsmassakern, von Nationalismus, Rassismus und Männerherrschaft instrumentalisiert. Diese biologistischen Scheinerklärungen traten mehr oder weniger plump vor allem im Kontext der Durchsetzungskrisen des warenproduzierenden Systems in den Vordergrund. Auch heute ist diese ideologische Konjunktur in der Weltkrise des warenförmigen Fetisch-Systems wieder abzusehen. Das Warensubjekt will seine eigene Formkrise nicht wahrhaben, will nicht an seine »zweite Natur« rühren, und deswegen muß abermals der (inzwischen gentheoretisch und gentechnologisch reflektierte) »naturwissenschaftliche« Rückgriff auf die biologische Naturbasis herhalten. Die gesellschaftskritische, wenn auch soziologistisch verkürzte Reflexion der 70er Jahre soll wieder in die Naturwissenschaft und Sozialtechnologie zurückgenommen werden. Amerikanische Wissenschaftler wollen z.B. herausgefunden haben, daß die Farbigen tatsächlich genetisch für Kriminalität anfälliger seien als Weiße. Ein solches Konstrukt, das noch vor wenigen Jahren kaum mehr als Hohngelächter ausgelöst hätte, wird nun wieder ernsthaft zur Debatte gestellt. Und hatte Freud seinen Begriff des Unbewußten noch relativ unvermittelt an eine biologisch determinierte Triebstruktur angebunden, so wird inzwischen sogar das Unbewußte selbst als strukturiertes Zwischenreich zwischen Naturbasis und Oberflächenbewußtsein negiert. Der Wissenschaftspublizist Dieter E. Zimmer etwa ist in Deutschland einer der Repräsentanten dieser theoretischen Regression, die das Bewußtseinsproblem wieder direkt auf die Naturwissenschaft (Neurologie etc.) und ihre positivistischen Methoden zurückbiegen möchte (vgl. Dieter E. Zimmer, Tiefenschwindel, Die endlose und die beendbare Psychoanalyse, Reinbek 1986). (35)Sigmund Freud, Abriß der Psychoanalyse, Frankfurt/Main 1972, S. 10 (36)Hegel hat später diese Vorgehensweise grundsätzlich reproduziert, sie allerdings entwicklungsgeschichtlich historisiert und dabei den kritischen Ausgangspunkt teilweise wieder verloren; d.h. er stellt in Kritik und Erweiterung von Kant die Geschichte und Phänomenologie des Bewußtseins dar, verliert aber darüber weitgehend dessen Problembewußtsein hinsichtlich der Form. (37)Das Problem besteht wohl darin, daß Marx hier für ihn selber noch nicht erkennbar zwei historisch auseinanderfallende Problemebenen und damit Theorie-Konzeptionen zusammenbackt, nämlich einmal den binnenkapitalistischen Interessenkampf (alias Klassenkampf), der als Motor der warenförmigen Modernisierung begriffen werden kann, und zum andern die Krise und Kritik der Warenform (d.h. der Fetisch-Konstitution) selber, die erst heute als ein »Jenseits des Klassenkampfs« ins Blickfeld rückt. Die Arbeiterbewegungsmarxisten bis hin zu Spätformen wie der erwähnten »Marxistischen Gruppe« konnten sich immer auf den »ersten Marx« beziehen, aber eben deshalb mußte die Problemstellung des »zweiten Marx« ein Buch mit sieben Siegeln bleiben. (38)Was natürlich mit einem Versuch wie dem vorliegenden nicht geleistet, sondern überhaupt erst einmal als Fragestellung formuliert und in einigen Thesen zugespitzt werden kann. (39)So wird, um nur ein Beispiel zu nennen, in der Formation des modernen warenproduzierenden Systems die Reproduktion und das Zusammenleben längst nicht mehr nach den Codierungen der Blutsverwandtschaft geregelt; dennoch ist dieser Code nicht einfach spurlos verschwunden, sondern wirkt in der Kümmerform der modernen Kleinfamilie weiter bis in die Rechtsformen hinein. Auch in anderer Hinsicht lassen sich archaische Ablagerungen in verschiedenen Graden und Deformationen feststellen, was immer wieder Anlaß zu falschen Ontologisierungen oder sogar Naturalisierungen gibt. (40)Für vormoderne Gesellschaften gilt dies nur, soweit eine Subjekt-Objekt-Struktur überhaupt entwickelt ist. (41)Die systemtheoretischen Begriffe der »Autopoiesis« (Selbsterschaffung bzw. Selbstreproduktion) und der »Selbstreferenz« bzw. »Selbstbezüglichkeit« nehmen selber gerade nicht den Standpunkt einer Meta-Kritik ein, denn »autopoietisch« und »selbstbezüglich« ist in dieser Diktion eben nicht das Subjekt, das als bloßer Irrtum verstanden wird, sondern das subjektlose System. Damit reproduziert die Systemtheorie nur die Logik subjektloser Systeme, ohne sie kritisieren zu können. Daß das menschliche Bewußtsein selbst jene Meta-Ebene der »Autopoiesis« und »Selbstreferenz« erklimmen und damit den blinden Systemcharakter aufheben könnte, erscheint den affirmativen Systemtheoretikern als unmöglich bzw. wird gar nicht erst in Betracht gezogen. Verräterisch ist es übrigens, daß der Begriff der »Autopoiesis« durch den Biologen Humberto Maturana auf naturwissenschaftlicher Ebene eingeführt und u.a. von Niklas Luhmann ohne weiteres sozialwissenschaftlich reinterpretiert worden ist. (42)Die »Unreinheit« und Unausgegorenheit des Subjekt-Objekt-Dualismus in der prämodernen Vergangenheit verführt immer wieder dazu, die Schmerzen und die Krise dieses Gespaltenseins nach rückwärts auflösen zu wollen und den prämodernen Gesellschaften (insbesondere den sogenannten Naturvölkern) ein rein sympathetisches Verhältnis zur Natur zu unterstellen und anzudichten. Diese Romantik übersieht, daß die SubjektObjekt-Dichotomie in den früheren Formationen keineswegs völlig gefehlt hat, sondern nur viel weniger ausdifferenziert war. Der frühere Mensch konnte sich also weniger als der moderne Mensch von seiner Umgebung getrennt wahrnehmen, und deshalb konnte er auch seine Gegenstände nicht getrennt von bestimmten Situationen oder Konstellationen wahrnehmen, d.h. sein Abstraktionsvermögen war (und ist heute noch in manchen Weltregionen und bei bestimmten Bevölkerungen) noch wenig entwickelt. Dieses mangelnde Differenzierungsvermögen ist aber so ziemlich das Gegenteil von der Fähigkeit, jene Meta-Ebene erklimmen zu können, von der aus die Subjekt-Objekt-Dichotomie aufgehoben und der Gesamtkomplex bewußt wahrgenommen werden kann. Wir haben es also weniger mit einem zunehmenden Nicht-Mehr zu tun, sondern eher mit einem abnehmenden »Noch-Nicht« (Bloch), bis die Schwelle erreicht wird, die zu überschreiten die Aufhebung der Fetisch-Konstitution überhaupt bedeutet. Der geringere Entwicklungsgrad der Subjekt-Objekt-Dichotomie aber impliziert erst recht und sogar noch mehr Bewußtlosigkeit in der Natur- und Gesellschaftsbeziehung. Was als sympathetisches Verhältnis erscheint, ist in Wirklichkeit nur die geringere Reichweite des fetisch-konstituierten Handlungsbezugs. Damit ist keineswegs ausgeschlossen, daß mit der Entwicklung stärkerer Abstraktionsfähigkeit auch positive Wissensmerkmale und Fertigkeiten verlorengegangen sind. (43)Niklas Luhmann, Archimedes und wir (Sammlung von Interviews), Berlin 1987, S. 164. (44)In gewisser Weise könnte man sogar sagen, daß Luhmann hier wieder hegelianisch wird. Denn für Flegel findet ja die »Aufhebung« im wesentlichen nicht praktisch statt, sondern bloß im Kopf des begreifenden Beobachters. Geschichte als Zusichkommen des Weltgeistes muß also mit dem immanenten Begreifen enden, sodaß Hegel völlig unschuldig das Ganze in der Philosophie mit sich selbst und in der Praxis mit dem preußischen Staat zum Stillstand kommen läßt. Implizit erhebt auch Luhmann diesen Anspruch, wenngleich scheinbar bescheidener nur auf einer bestimmten Erkenntnisebene systemischer Funktionalität. Im Unterschied zu Hegel und ganz in der positivistischen Tradition sind dabei »Sinn« und Geschichte für Luhmann eliminiert (bzw. zu bloßen Gegenständen einer funktionalistischen Meta-Reflexion herabgesetzt). Er wird so praktisch kompatibel mit Fukuyamas »Ende der Geschichte«, gerade weil er in der Theorie nicht emphatisch und »sinngesättigt« auf Demokratie und Marktwirtschaft beharrt, sondern mit der feinen Ironie der akzeptierten funktionalistischen Sinnleere in den westlichen Institutionen. (45)Nicht umsonst versucht Luhmann, den Begriff des systemischen Widerspruchs in der Gesellschaft überhaupt herunterzutransformieren und quasi unschädlich zu machen, indem er etwa auf den Widerspruch zwischen dem logischen und dem herkömmlichen sozialen (bzw. soziologischen) Widerspruchsbegriff verweist und sagt, daß im logischen Sinne weder die Konkurrenz noch der Gegensatz zwischen »Kapital« und »Arbeit« ein Widerspruch sei (vgl. Niklas Luhmann, Soziale Systeme - Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt/Main 1987, S. 488 ff.). Damit destruiert er aber wieder nur die immanente Subjektideologie, ohne darüber hinauszukommen. Denn auf der Meta-Ebene der »systemischen Selbstbezüglichkeit« (im Unterschied zum immanenten, systemfunktionalen Klassenwiderspruch) läßt sich durchaus ein vorn Kapitalverhältnis nicht mehr »auszudifferenzierender« logischer und praktischer Selbstwiderspruch formulieren, nämlich die Selbstdestruktion des »Werts« durch den blinden Systemprozeß von Konkurrenz und Verwissenschaftlichung, der ganz ohne übergreifendes Subjekt bzw. gerade als »automatisches Subjekt« zum historischen Crash und zur Notwendigkeit der praktischen Systemaufhebung führt (phänomenologisch beschränkt reflektiert in der Rede von der »Krise der Arbeitsgesellschaft«). Luhmanns ganze Stärke beruht bloß darauf, daß er den kapitalimmanenten sozialen Widerspruchsbegriff als Watschenmann benutzt und damit den systemischen Widerspruchsbegriff auf der Ebene von Gesellschaftlichkeit überhaupt als lediglich immanente »spezifische Form von Selbstreferenz« in die Systemfunktionalität zurückbiegen möchte. (46)Ich referiere hier kurzgefaßt das »Abspaltungstheorem« von Roswitha Scholz. Vgl. dazu ausführlich Roswitha Scholz, Der Wert ist der Mann. Thesen zu Wertvergesellschaftung und Geschlechterverhältnis. In: Krisis 12, Beiträge zur Kritik der Warengesellschaft, Bad Honnef 1992, S. 19-52. (47)Dies heißt keineswegs, daß nicht auch empirische Frauen in die Subjekt-Position einrücken können; allerdings müssen sie dann strukturell »männliche« Züge annehmen, was wiederum zu Kollisionen mit der zugeschriebenen Weiblichkeitsrolle führt. Dieser Widerspruch spitzt sich zusammen mit dem Subjekt-Objekt-Bezug überhaupt in der Krise des höchstentwickeiten Fetisch-Systems der modernen Warenproduktion heute auf besonders brisante Weise zu. (48)Dies kann durchaus als erneute »Revision« der Marxschen Theorie verstanden werden, freilich als eine Revision, die der zu Beginn des 20. Jahrhunderts genau entgegengesetzt ist. Hatten damals der Bernsteinsche Revisionismus und der gewerkschaftliche Reformismus die kapitalistische Immanenz der Arbeiterbewegung und ihrer Aufgaben innerhalb eines noch weiten Entwicklungsspielraums der Warenproduktion reflektiert, so muß heute die Kritik der unhaltbar gewordenen Warenform nicht nur konkreter als bei Marx formuliert, sondern als Kritik subjektloser Herrschaft auch vorn Paradigma des »Arbeiter«- und »Klassenstandpunkts« entkoppelt werden. Diese beiden »Revisionen« widerspiegeln sowohl unterschiedliche Entwicklungsniveaus des warenproduzierenden Systems als auch den Widerspruch und die Doppelbödigkeit in der Marxschen Theorie, die ihrem historischen Standort entsprechend noch beide Momente in sich enthält: einerseits die immanente Modernisierungs-Aufgabe und andererseits die Krise und Kritik am Ende des Modernisierungsprozesses. (49)Im Unterschied zu einem wie immer embryonalen Subjekt-Objekt-Bezug auf die Naturgegenstände ist »Arbeit« wohl nicht als ontologischer Begriff für den gesamten bisherigen Menschwerdungsprozeß zu halten. Erst in den Hochkulturen wurde »Arbeit« als besonderer Bereich ausdifferenziert (in Gestalt einer »Realabstraktion«, die an den Sklaven vorgenommen wurde), und erst im warenproduzierenden System der Moderne gewinnt diese Realabstraktion objektive Verallgemeinerungsfähigkeit und wird zum zentralen Moment der Fetisch-Konstitution. (50)Die Verdichtung des Spiels zum Ritual könnte dabei in den Konstitutionen der zweiten Natur eine entscheidende Rolle gespielt haben. Vgl. dazu Lewis Mumford, Mythos der Maschine, Frankfurt/Main 1977. Obwohl Mumfords Ansatz in vieler Hinsicht kritikabel ist, trägt dieser Gedanke gerade unter dem (von Mumford selber nicht thematisierten) Gesichtspunkt von Fetisch-Konstitution und zweiter Natur weiter als der »materialistische«, arbeits-ontologische und hand- bzw. werkzeugfixierte Ansatz des Marxismus, dem (z.B. bei Friedrich Engels) dabei das Fetisch- und Formproblem des Bewußtseins wieder völlig abhanden kommt. (51)Das utopische Denken blieb so immer kompatibel mit der Durchsetzungsgeschichte der totalen Warenform und mit deren diktatorischen Formen, auch wenn es nicht darin aufging. Erst recht wurde der Marxismus zur Legitimationsideologie von Formen einer nachholenden Modernisierung innerhalb des Horizonts warenförmiger Vergesellschaftung. Wie das Problem der abstrakt-allgemeinen Form nur immer neue Verkleidungen des warenproduzierenden Systems generierte, so das Problem von deren verbindlicher Implementierung nur immer neue Andeutungen der Diktatur, die auf den Zwangscharakter der unreflektierten Fetisch-Konstitution verweisen. Der Liberalismus und seine Herrschaftskritik deuten demgegenüber auf nichts anderes hin als auf ein vollständiges Verinnerlichen der warenförmigen Zumutungen, d.h. auf die (vorweggenommene und heute realisierte) subjektlose Herrschaft der totalen Warenform, die als »Spielregelsystem« blind vorausgesetzt wird und (idealtypisch) keine äußere Zwangsgewalt mehr benötigt. Insofern repräsentiert der Liberalismus nur die sozusagen niederträchtigste Legitimation der »Diktatur über die Bedürfnisse«, die immer schon das Moment subjektloser Herrschaft implizit enthält und historisch demselben Kontinuum angehört wie Utopismus und Marxismus. (52)Es war Rosa Luxemburg, die diesen Gedanken für die Kritik der politischen Ökonomie zum erstenmal nach Marx wieder formulierte und postulierte, daß eine nachkapitalistische Gesellschaft »keine politische Ökonomie mehr« haben könne. Sie wurde dafür von den offiziellen Marxisten natürlich sofort gerüffelt. Denn der Marxismus dachte immer »in« den Kategorien der politischen Ökonomie des modernen Kapitalismus und nie »gegen« sie. (53)Die Aufhebung der Warenform ist eben kein bloßer Vorgang innerhalb der »Ökonomie«, sondern die Aufhebung der allgemeinen Bewußtseins- und Reproduktionsform. Die Konkretisierung des Gedankens von Rosa Luxemburg hieße dann auch, daß zusammen mit der »politischen Ökonomie« überhaupt die gesellschaftliche Sphärentrennung aufgehoben wird. Denn erst das warenproduzierende System hat die Gesellschaft überhaupt in getrennte und gegeneinander verselbständigte Sphären oder (systemtheoretisch gesprochen) in »Subsysteme« ausdifferenziert (Politik und Ökonomie, Arbeit und Freizeit, Wissenschaft und Kunst etc.), die durch die Totalität der Fetischform in Gestalt des warenförmigen Bewußtseins zusammengehalten werden. (54)Die Rechtsform ist ein abgeleitetes Moment der Warenform und gehört dem allgemeinen Funktionszusammenhang der Fetisch-Konstitution an. In der Form des Rechts (bzw. seinen Vor- und Embryonalformen in praemodernen Gesellschaften) treten die Menschen erst sekundär miteinander in direkte Beziehungen, d.h. in Binnenbeziehungen innerhalb des bereits fetisch-konstituierten Zusammenhangs, die dann bloße Aushandlungs- und Konfliktbeziehungen blind vorgefertigter »Charaktermasken« (Marx) sind und durch die Rechtsform codiert werden. Die einzelnen Gesetze, Verordnungen usw. werden dabei zwar von menschlichen Subjekten (Institutionen) »gemacht«, nicht aber die Rechtsförmigkeit als solche, die sich als Moment der Warenform unausweichlich aufdrängt und »jenseits« des warenförmig konstituierten »freien Willens« angesiedelt ist, wie zuerst Kant gewußt hat. Schon allein daraus erhellt, daß die Parole des »Menschenrechts« heute nichts Befreiendes mehr an sich hat, weil sie nur noch zur Vernebelung des eigentlichen Problems (der Fetisch-Konstitution selber) taugt. (55)In gewisser Weise wird der Ansatz von Jürgen Habermas hier in sein Recht gesetzt. Die Crux bei Habermas selber besteht indes darin, daß er selber kein Problembewußtsein hinsichtlich der Fetischform besitzt und demzufolge kommunikative Problemlösungen ausgerechnet im abstrakten Universalismus des warenproduzierenden Systems, d.h. in der modernen okzidentalen Fetischform angelegt sieht bzw. die allgemeine Warenform für eine unaufhebbare Voraussetzung von Gesellschaftlichkeit hält. Sein eigener Ansatz »kommunikativen Handelns« bricht sich an dieser Barriere der nicht thematisierten Fetisch-Konstitution. (56)Freilich ist diese Entwicklung gerade in der Krise der unaufgehobenen Warengesellschaft auch brandgefährlich und droht zum Moment der Barbarisierung zu werden. Denn solange die allmähliche Auflösung des bisherigen Über-Ich nicht vom simultanen Aufbau einer kommunikativen, nicht-warenförmigen Handlungs- und Reproduktionsstruktur begleitet wird, trägt sie nur zur Enthemmung des Warensubjekts und zur Freisetzung von Destruktionspotentialen bei. Diese beobachtbare Tendenz hat bereits eine rückwärtsgewandte Zeitkritik hervorgerufen, die noch einmal (und wohl zum letzten Mal) die konservativen »Werte« des alten Bürgertums (von der »Vaterlandsliebe« und dem »Gehorsam gegen Eltern und Lehrer« bis zur Arbeitsethik) und damit die alte Über-Ich-Struktur wiederbeleben möchte; eine ebenso vergebliche wie sinnlose und reaktionäre Bemühung. |