| Marxistische Kritik Nr. 2, Januar
1987
[Vorbemerkung: Die Seitentrennung bezieht sich auf die Original-Ausgabe]
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Robert Kurz
[S. 7-68]
DIE HERRSCHAFT DER TOTEN DINGE
KRITISCHE ANMERKUNGEN ZUR NEUEREN PRODUKTIVKRAFT-KRITIK UND
ENTGESELLSCHAFTUNGS-IDEOLOGIE
1. Naturbeherrschung und Wertabstraktion: Vom "Fortschrittsglauben"
zum Kulturpessimismus
Einer überaus modischen Wortschöpfung zufolge hat seit dem
Ende der 70-er Jahre innerhalb der Linken ein "Paradigmen-Wechsel" stattgefunden.
Spätestens mit dem parlamentarischen Aufstieg der GRÜNEN wurden
alle Versuche für beendet erklärt, noch einmal eine revolutionäre
Arbeiterbewegung mittels papierener Massenagitation historisch wachzuküssen;
stattdessen trat das Modell einer ökologischen Gesellschafts-Interpretation
in den Vordergrund der oppositionellen Begriffs- und Willensbildung.
Bekanntlich hatte dieser "Paradigmen-Wechsel" sowohl theoretisch als
auch politisch-ideologisch weitreichende Folgen: Die "Krise des Marxismus"
und der "Abschied vom Proletariat" waren verbunden mit einer POLITISCHEN
"Wende" nach rechts, nicht nur im gesamtgesellschaftlichen Maßstab
als Regierungswechsel innerhalb des bürgerlichen Lagers, sondern auch
auf dem Boden der linken Opposition selbst als Rückkehr zum parlamentarischen
Reformismus, als "Abschied von der Revolution". IDEOLOGISCH drückte
sich dieser Wechsel zumindest teilweise aus als "Abschied von der Wissenschaft"
und in einer "Rückkehr des Imaginären", als Hinwendung zum Irrationalismus
und zu biologistisch-"lebensphilosophischer" Weltanschauung, als Neubelebung
der Religion und der Mystik, in der Forderung nach "neuen Mythen" usw.
Mit der Wendung nach "innen" einher ging ein Schrumpfungsprozeß des
gesellschaftlichen Bezugsrahmens, eine Verkleinerung des Maßstabs
der Ideologiebildung: Hatten sich noch APO und Studentenbewegung, wenn
auch abstrakt, als Moment einer revolutionären Welt-Bewegung verstanden
und direkt auf den Rahmen kapitalistischer Welt-Vergesellschaftung bezogen,
so traten nun "Nation" und "Region" zunehmend als identitätsstiftender
gesellschaftlicher Raum an die Stelle des verblichenen "proletarischen
Internationalismus".
Am einschneidendsten erschien die "Wende"der Linken aber im Zentrum
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der Gesellschaftstheorie selbst; der mehr oder weniger weitgehende
"Abschied von Marx" vollzog sich als Übergang von einer Kritik ökonomischer
Ausbeutung und des "Profitprinzips" zu einer KRITIK DER TECHNISCHEN PRODUKTIONSMITTEL
UND DER NATURWISSENSCHAFT ("Produktivkraftkritik", Kritik des "Industriesystems").
Es wäre freilich einfach, von einem Standpunkt vermeintlich festgehaltener
revolutionärer Theorie aus diese Entwicklung als blanke Regression
zu denunzieren. Um eine solche Regression handelt es sich zwar in vieler
Hinsicht durchaus; aber gleichzeitig stellt sich gerade für kritische
Theoriebildung unausweichlich die Frage nach dem "Warum", wenn nicht die
ebenso platte wie altehrwürdige metaphorische Figur des "Verrats"
das Problem eher vernebeln und auf eine subjektiv-moralische Ebene herunterbringen
oder die ebenso altbekannte soziologistische Verkürzung eines leeren,
unhistorischen Begriffs von "Kleinbürgerlichkeit" als Erklärung
herhalten soll.
Zweifellos kann man den "Paradigmen-Wechsel" der Linken, der sich übrigens
keineswegs einheitlich, sondern in vielfachen Brüchen und Widersprüchen
vollzogen hat, an ihrer Fixierung auf die gesellschaftliche Oberflächen-Bewegung
und an der daraus folgenden Kurzschlüssigkeit ihrer Theorie- und Ideologiebildung
aufhängen. Die zunehmende Reduktion kritischer Theoriebildung auf
die legitimatorischen Bedürfnisse der jeweiligen spontanen Oppositions-Bewegungen
könnte erklären, warum die notorische Erfolglosigkeit der "Arbeiteragitation"
die zunehmenden Umwelt-Katastrophen bzw. die bedrohlichen Technologie-Projekte
des Kapitals (AKW) und die Schwemme der darauf bezogenen "Bürgerinitiativen"
die Linke zu ihren diversen "Abschieden" bewogen haben.
Freilich wäre dann gerade der heute beiseite gelegte oder jedenfalls
in vieler Hinsicht zurückgenommene Marxismus der Linken selbst ebenfalls
auf eine solche Kurzschlüssigkeit und bloß legitimatorische
"Bewegungs" Rückkoppelunghin zu untersuchen; es wäre dann nicht
mehr möglich, einen scheinbar gesicherten und von der Linken "unverständlicherweise"
aufgegebenen Standpunkt des vermeintlichen "orthodoxen" Marxismus und der
traditionellen Arbeiterbewegung (einschließlich ihres revolutionären
Flügels) einzunehmen. So gesehen könnte, gerade durch ihre schärfste
Kritik hindurch, die skizzierte Regression der Linken gleichzeitig als
NOTWENDIGES Stadium begriffen werden, d.h. als (allerdings bewußtlos
gezogener) Schlußstrich unter eine untergegangene und noch immer
qualvoll untergehende Gestalt der gesellschaftlichen Emanzipation, in deren
Haut man noch einmal kurzfristig geschlüpft war, die aber in
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der Tat der heutigen kapitalistischen Vergesellschaftungs-Stufe nicht
mehr angemessen ist. Es wäre dann nur ein "Abschied von Marx", um
auf einem neuen Weg zu ihm zurückzukehren; zu einem Marx freilich,
wie ihn die alte Arbeiterbewegung und ihre Theoretiker gar nicht wahrgenommen
haben.
Im Zentrum dieser Überlegungen muß offenbar das Verhältnis
von Ausbeutungs- bzw. Profit-Kritik einerseits und Technik- bzw. "Industrialismus"-Kritik
andererseits stehen. Wenn die ökologische Linke heute eine Kritik
des "Profitsystems" durch eine Kritik des "Industrie-Systems" entweder
ERSETZEN oder ERGÄNZEN möchte, so stellt sie diese beiden Momente
ganz offensichtlich in ein bloß äußerliches Verhältnis
zueinander. Dies verweist auf einen Mangel des traditionellen Marxismus,
gleichzeitig wird damit ein Übergang zu steinalten Problemstellungen
der BÜRGERLICHEN Philosophie und Ideologie vollzogen.
Schon seit der ROMANTIK hat sich die einzig innerhalb ihres Bewußtseins-Horizonts
"zulässige" und mögliche Selbstkritik des Bürgertums immer
und in zunehmendem Maße auf die TECHNOLOGISCH-NATURWISSENSCHAFTLICHE
Seite des kapitalistischen Vergesellschaftungsprozesses bezogen. Nicht
das GESELLSCHAFTLICHE Verhältnis des Kapitals, sondern seine technologische
Form wurde für die Übel der kapitalistischen Produktionsweise
verantwortlich gemacht: eine tatsächlich ausweglose, im allseitigen
KULTURPESSIMISMUS mündende Anschauung, die stets bemüht ist,
die "erste Natur" (Triebe, Gefühle, Blutsverwandtschaft, persönliche
Abhängigkeit, naturhaftes Zusammenglucken usw.) gegen die "kalte"
VERSACHLICHUNG des "modernen Lebens" zu mobilisieren. Naturwissenschaft
als Sündenfall der Menschheit, Technik als Fluch, die Großstadt
als "Asphaltwüste" und der "Untergang des Abendlands", sind schon
an der Schwelle des 20. Jahrhunderts die Stichworte einer vielgestaltigen
bürgerlichen "Lebensphilosophie", von deren Ideologemen sich alsbald
der Faschismusein gewaltiges Stück abschneiden sollte.
Auf der anderen Seite schien die Arbeiterbewegung der lachende Erbe
des bürgerlichen Fortschrittsglaubens zu sein. Ihre Kritik kapitalistischer
Ausbeutung bezog sich immer ausschließlich positiv auf die entfesselten
Gewalten von Naturwissenschaft und Technik, die es bloß von der Verfügungsgewalt
des Kapitals zu "befreien" gelte, damit sie zum Wohle der Menschen ausschlügen
statt sie zu knechten. "Planwirtschaft" war und ist das zentrale Stichwort
dieser historisch wirksam werdenden Position. Indem der "Arbeiterstaat"
die Produktionsmittel in seine Verfügungsgewalt nimmt, so wie sie
der Kapitalismus hinterlassen hat, soll
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die "Anarchie des Marktes" ersetzt werden durch eine "planmäßige"
gesellschaftliche Reproduktion "nicht für den Profit, sondern für
den Bedarf".
Diese alte programmatische Figur ist durch und durch obsolet geworden.
Selbst in den hochentwickelten Industriegesellschaften des "Realsozialismus"
geht es jenen Massen, auf die sich der Marxismus immer berufen hat, nicht
etwa besser, sondern weitaus schlechter als im Westen; sie werden nicht
nur weiter ausgebeutet, sondern in einem unerhörten Maße polizeistaatlich
geknutet. Gleichzeitig steht der "planwirtschaftliche" Realsozialismus
den westlichen Industriegesellschaften in nichts nach, was die Zerstörung
und Verwüstung der natürlichen Ressourcen angeht. TSCHERNOBYL
muß als das Fanal einer Vernichtungs-Logik begriffen werden, der
sich der traditionelle Marxismus weder theoretisch noch praktisch zu entziehen
vermochte. Die Evidenz dieser Tatsachen ist so durchschlagend, daß
nur hoffnungslose Narren sich weiterhin hartnäckig auf ein derart
desavouiertes Programm gesellschaftlicher Emanzipation beziehen können.
Insofern muß der "Paradigmen-Wechsel" der Linken durchaus ernst genommen
werden und enthält ein Moment von Berechtigung. Andererseits ist die
Regression auf eindeutig historisch identifizierbare Positionen bürgerlicher
Ideologie schon deswegen nicht kritiklos hinzunehmen, weil diese bereits
ihre Ausweglosigkeit bewiesen haben.
Um dieses Dilemma aufzulösen, muß die theoretische Kritik
allerdings den Mut aufbringen, eine heute völlig verdrängte und
verschüttete Dimension der Marx'schen Theorie neu zu erschließen
und weiterzuentwickeln. Das begriffliche Auseinanderfallen der Profit-
bzw. Ausbeutungs-Kritik und der Kritik an technologischer Lebenszerstörung
verweist auf eine ungeheure Verkürzung in der geläufigen marxistischen
Auseinandersetzung mit der kapitalistischen Produktionsweise.
Der wirkliche Ausgangspunkt der Kritik, die Marx am Kapitalismus geübt
hat, ist keineswegs der "Markt" (dem der "Plan" gegenübergestellt
werden könnte), sondern bekanntlich die WARE. Zwar konstituiert sich
der Markt eben als Austauschprozeß der Waren, aber er ist nicht der
letzte Grund, sondern die notwendige Konsequenz des Warencharakters der
Produktion. Alle Voraussetzungen und Folgen der "Marktwirtschaft", die
auf Warenproduktion beruht, finden sich schon an ihrer "Zellform" (Marx),
der einzelnen Ware. Der natur- und menschenzerstörende Widerspruch
zwischen Gebrauchs- und Tauschwert ist bereits an der Warenform als solcher
festzumachen, nicht erst am Markt-Mechanismus. Als Gebrauchswert ist die
Ware bloß qualitatives und nützliches Ding, als das sie
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im kapitalistischen Verwertungsprozeß aber nur äußerlich
und notgedrungen in Betracht kommt. Als Tauschwert aber ist sie Wert-Ding,
"abstraktes Ding", Verkörperung "menschlicher Arbeit an sich und überhaupt"
- "Vergegenständlichung" von "abstrakter Arbeit". Nur um diesen "abstrakten
Reichtum" geht es dem kapitalistischen Verwertungsprozeß. Da aber
der abstrakte Reichtum des "Werts", der vergegenständlichten "abstrakten
Arbeit", nicht unmittelbar an der einzelnen Ware in ihrer Naturalgestalt
in Erscheinung treten kann (als unmittelbar sinnliches Ding, als ein Paar
Strümpfe oder ein Werkzeug ist diese ihre "Wertgegenständlichkeit"
an ihr nicht faßbar), muß sich die Ware im GELD "verdoppeln",
wobei das Geld die abstrakte Wertgegenständlichkeit repräsentiert
in seiner Naturalgestalt (Gold und seine papierenen Surrogatformen).
Um die ganze Brisanz dieser Kategorien, die in jeder "Kapitalschulung"
abgespult, aber nie begriffen werden, voll herauszuarbeiten, ist die Aufmerksamkeit
auf folgenden Umstand zu lenken: Im Begriff des WERTS und des GELDES, dem
der Begriff der ABSTRAKTEN ARBEIT zugrunde liegt, ist die inhaltliche,
qualitative Bestimmung der Arbeit und ihres Produkts vollkommen AUSGELÖSCHT.
Was bedeutet diese Auslöschung? In den Realkategorien von abstrakter
Arbeit, Wert und Geld wird ein ABSTRAKTIONSPROZESS an Mensch und Natur
vorgenommen, der sich schließlich in der historischen Entwicklung
des Kapitals die gesamte gesellschaftliche Reproduktion unterwirft. Es
geht in diesem Prozeß um "Verausgabung von Arbeit" schlechthin, als
SELBSTZWECK und ohne jede Rücksicht auf ihren Inhalt. Die gesellschaftliche
Produktion geht dabei zunehmend den Weg des geringsten Widerstands, auf
den diese Verausgabung von inhaltslos bestimmter "Arbeit an sich" trifft,
d.h. ohne jede Hinsicht auf die natürlichen und gesellschaftlichen
Folgen. Die Masse der Menschen kann nur leben (sich reproduzieren), indem
sie sich als "Ware Arbeitskraft" diesem Selbstzweck der Anhäufung
abstrakten Reichtums unterwirft und innerhalb dieses abstrakten Selbstzwecks
"gebraucht" wird; gleichzeitig erscheint diese Verausgabung als gleichgültig
gegen jeden Inhalt. Mit anderen Worten: Die abstrakte Verausgabung von
"Arbeitskraft" kann genausogut in einer inhaltlich SINNLOSEN oder sogar
ZERSTÖRENDEN Produktion bestehen und tut dies auch zunehmend. Die
Entwicklung der PRODUKTIVKRÄFTE führt so nicht zu einer Reduzierung
der für den unmittelbaren Lebensunterhalt notwendigen Arbeit (und
damit zu einem wachsenden Zeit-Fonds für freie, selbstbestimmte Tätigkeit
aller), sondern gerade umgekehrt dazu, daß die Produktion sich als
Selbstzweck zur Vernichtungs-Produktion fortentwickeln
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muß, während gleichzeitig jede "Freisetzung" von dieser
inhaltlich gleichgültigen Arbeit als ein Abschneiden von der Reproduktions-
und damit Lebens-Möglichkeit erscheint ("Arbeitslosigkeit"). Natur
und Mensch werden also entweder zum Zweck der abstrakten Produktion "um
ihrer selbst willen" verausgabt - oder sie sind "überflüssig".
Gerade in dieser scheinbar grenzenlosen Verausgabung abstrakter Arbeit
zum Selbstzweck der Anhäufung abstrakten Reichtums aber verschränken
sich Menschenausbeutung und Naturzerstörung als zwei Momente eines
einzigen Prozesses. Wenn Marx daher sagt:
"Die kapitalistische Produktion entwickelt ... nur die Technik und
Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich
die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter"
(Kapital I, S. 529f.),
so verweist er damit keineswegs auf eine subjektiv-moralische Rücksichtslosigkeit
"der Kapitalisten", sondern auf die objektive, "dingliche" Logik der abstrakten
Arbeit, die mit ihrem gesellschaftlichen "Totalwerden" in ihrer Gleichgültigkeit
gegen menschliche und natürliche Inhalte und Qualitäten immer
größere Verheerungen anrichtet. Kapitalisten und Arbeiter, als
entgegengesetzte Pole eines einzigen gesellschaftlichen Verhältnisses,
sind so gleichermaßen einer selbstläufigen Logik ausgeliefert,
dem Zwang zur permanenten Ausdehnung einer abstrakten Produktion um ihrer
selbst willen, in der sie wissentlich zerstörerische Produktionsprozesse
ins Werk setzen müssen. Die Absurdität einer "Herrschaft der
toten Dinge" wird so in der Herrschaft des Geldes als eines dinglichen
gesellschaftlichen Schein-Subjekts zur Realität. Solange sie dieser
Logik der abstrakten Arbeit unterworfen sind, müssen die Menschen
einen Prozeß der Selbstzerstörung in Gang halten, um leben zu
können. Dieser absurde Widerspruch tritt als "Sachzwang" ihrer eigenen
unbeherrschten, "wertabstraktiven" Gesellschaftlichkeit in Erscheinung;
selbst noch die offensichtlichste Vernichtungsproduktion wird unter Hinweis
auf "Konkurrenzfähigkeit" und "Arbeitsplätze"gerechtfertigt.
Die KRISE dieser abstrakten Vergesellschaftung tritt keineswegs bloß
als "Konjunkturkrise" des "blinden" Marktes in Erscheinung, sondern von
einem gewissen Entwicklungsstadium an, das wir heute offenbar erreicht
haben, als ABSOLUTE Reproduktionskrise der Gesellschaft in doppelter Weise:
Erstens führt die technologische Herausnahme lebendiger Arbeit aus
dem unmittelbaren Produktionsprozeß (Automation, Mikroelektronik)
dazu, daß sich die Logik der abstrakten Arbeit selber ad absurdum
führt und der Abstraktionsprozeß an der MENSCHLICHEN Arbeitskraft
nicht mehr ausreichend vorgenommen werden kann; die Folge ist eine "Entwertung
des Werts" (die auch nicht z.B. durch Dienstleistungen
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ausgeglichen werden kann, da diese größtenteils im Sinne
der abstrakten Wertproduktion "unproduktiv" sind), schließlich ein
tendenzieller Zusammenbruch des Weltmarkts und des weltweiten Geldsystems
("ökonomische Katastrophe"). Zweitens führt derselbe technologische
Prozeß in seiner inhaltlichen Gleichgültigkeit gegen die natürlichen
Lebensgrundlagen, d.h. in einer Unterwerfung der Technologie unter die
Logik der Wertabstraktion, zu einer rasch fortschreitenden Naturzerstörung
("ökologische Katastrophe").
Die Konsequenz kann letztlich nur darin bestehen, daß die Menschheit
entweder sich weiterhin der Logik der abstrakten Arbeit unterwirft und
damit sich selbst zerstört, oder daß diese Logik der Wertabstraktion
revolutionär "aufgehoben" wird. Dies würde allerdings bedeuten,
daß die GESAMTE teleologische Reihe: "abstrakte Arbeit-Wert-Geld-Markt"
aufgehoben und durch eine "direkte Vergesellschaftung" ersetzt werden muß.
Zwar sind die Hinweise von Marx auf eine solche sozialistische Gesellschaftsformation
spärlich und sehr allgemein (es ist dabei zu bedenken, daß die
von ihm entdeckte Entwicklungslogik des abstrakten Werts zu seiner Zeit
noch wenig real entfaltet war), er läßt aber keinerlei Zweifel
daran, daß nicht nur der "Markt" als bloß äußerer
Zusammenhang der Warenproduktion aufgehoben werden muß, sondern die
Warenproduktion selbst und damit die zugrunde liegende Logik der abstrakten
Arbeit. Erst eine solche Aufhebung von abstrakter Arbeit, Wert und Geld
könnte zu einer bewußten "Planmäßigkeit" der gesellschaftlichen
Produktion führen, die alle qualitativ-inhaltlichen Bestimmungen und
Konsequenzen der Produktion von vornherein mit einbezieht. Die "formale
Rationalität" der Produktion wäre damit nicht beseitigt, aber
sie könnte in ihrem "natürlichen Maß" berechnet werden,
der ZEIT (d.h. als Aufwand in gesellschaftlichen ARBEITSSTUNDEN). Die notwendige
Berechnung in Arbeitszeiten stellt zwar auch eine "Abstraktion" dar, aber
diese Abstraktion kann als solche nicht von den konkreten Arbeitsinhalten
GETRENNT werden. Die direkte Berechnung des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses
nach Arbeitszeiten ist unter der Herrschaft der abstrakten Arbeit ja gerade
deswegen nicht möglich, weil der Abstraktionsprozeß der Arbeit
sich GEGEN SEINE KONKRETEN INHALTE VERSELBSTÄNDIGT hat und somit "dinglich"
verselbständigt in der Wert- und Geldform auftritt.
In den Ohren eines "traditionellen" Marxisten müssen solche Überlegungen
höchst fremdartig klingen. Der Grund dafür ist ein sehr einfacher.
Traditioneller Marxismus und alte Arbeiterbewegung haben in Wirklichkeit
der Marx'schen "Kritik der politischen Ökonomie" die Spitze abgebrochen,
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indem sie von dieser Theorie nur die Kritik des "blinden Marktmechanismus"
übrigließen, mit der Kritik der abstrakten Arbeit selber aber
überhaupt nichts anfangen konnten. In dieser bis heute geläufigen,
verkürzten Auffassung der Marx'schen Theorie erscheint von der teleologischen
Reihe: "Abstrakte Arbeit-Wert (Ware)-Geld-Markt" einzig und allein das
letzte Glied, eben der "blinde Markt", der äußere Zusammenhang
der Warenproduktion, als spezifisch kapitalistisch; um zu einer "Planwirtschaft"
zu gelangen, wäre dann einzig und allein der "Konkurrenzmechanismus"
als "falsches Prinzip" zu beseitigen, nicht aber die "Wertgegenständlichkeit"
der Produktion. Es muß dann der Gedanke einer Aufhebung der Warenproduktion
entweder gänzlich und offen fallengelassen werden (wie heute im "Realsozialismus"),
oder der Begriff einer solchen Aufhebung wird umgefälscht in eine
bloße Aufhebung der "blind" wirkenden Marktmechanismen von "Angebot
und Nachfrage", während die Wertabstraktion als solche weiterbesteht.
Letztlich wird auf diese Weise der Kapitalismus gar nicht als PRODUKTIONSVERHÄLTNIS
begriffen, sondern eigentlich nur als ZIRKULATIONSVERHÄLTNIS. Scheinbar
steht die Kritik der "Ausbeutung der Lohnarbeit" in Widerspruch dazu. Aber
bei näherem Hinsehen zeigt sich, daß auch diese Kritik in der
landläufigen marxistischen Diktion keineswegs auf den Kern des kapitalistischen
Produktionsverhältnisses zielt, also auf die Unterwerfung der menschlichen
Arbeitskraft unter die abstrakte Arbeit, sondern lediglich auf den ZIRKULATIONSPROZESS
DER WARE ARBEITSKRAFT. Das Verständnis des "Mehrwerts" nicht als immanente
Logik der Wertabstraktion selbst, sondern als bloßer "Betrug", als
"Verkürzung des Arbeitsertrags", hat hierin ebenso seine Wurzeln wie
alle Vorstellungen einer "krisenfreien Warenproduktion", in der die Lohnarbeit
nicht wirklich aufgehoben wird, sondern nur der Arbeitsmarkt ebenso wie
der Warenmarkt einer ("politischen") gesellschaftlichen Regulierung unterliegen
soll.
Natürlich hat diese verkürzte historische Rezeption der Marx'schen
"Kritik der politischen Ökonomie" selber wieder objektive historische
Grundlagen. Diese wären vor allem darin zu suchen, daß sich
von der Herausbildung der alten Arbeiterbewegung bis in die 70er Jahre
unseres Jahrhunderts die kapitalistische Logik des Werts noch nicht ausgeschöpft
hatte, daß also der abstrakte Verwertungsprozeß immer nur vorübergehend
an relative Schranken seiner Ausdehnung stieß, die sich an der Oberfläche
tatsächlich nur als "Konjunkturkrisen" im ZIRKULATIONSPROZESS bemerkbar
machten. Mit der Herausbildung neuer Produktionszweige konnte die Produktionslogik
der abstrakten Arbeit
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immer wieder auf neuer Stufenleiter große Menschenmassen einsaugen
und sie dem Abstraktionsprozeß des Werts unterwerfen ("Fordismus").
Gleichzeitig hatte der abstrakte Verwertungsprozeß noch nicht alle
"Poren" der gesellschaftlichen Produktion sozusagen flächendeckend
erfaßt, d.h. einerseits war die Lohnarbeit noch nicht total geworden,
sondern mit vielfältigen Formen von Haus- und Subsistenzwirtschaft
durchsetzt, andererseits trat die Zerstörung der natürlichen
Lebensgrundlagen aus demselben Grund noch nicht allgemein und absolut auf,
sondern nur partiell ineinigen Industriezentren.
Die "zirkulative" Verkürzung des Marxismus besaß also eine
gewisse objektive Plausibilität; sie verdammte die alte Arbeiterbewegung
allerdings dazu, selber zum MOMENT DER KAPITALISTISCHEN ENTWICKLUNGSLOGIK
ZU WERDEN statt zum Träger von deren Aufhebung. Im Westen vollendete
der Kampf der Gewerkschaften und der Sozialdemokratie die Sphäre des
ABSTRAKTEN STAATSBÜRGERS als abgespaltene "politische" Funktion der
Warenproduktion (vgl. dazu die Geschichte des zähen, sich bis weit
ins 20. Jhd. hinziehenden Kampfes um das allgemeine gleiche Wahlrecht)
und wurde zum Schrittmacher der Produktion des relativen Mehrwerts, innerhalb
dessen "fordistischer" Logik es sich über viele Jahrzehnte hinweg
innerhalb der Lohnarbeit immer besser einrichten ließ; der revolutionäre
Flügel dieser westlichen Arbeiterbewegung blieb demgegenüber
hilflos und abstrakt "politisch" (Gewaltfrage, "Diktatur des Proletariats"
etc.) in seiner Diktion.
Sogar noch die verschiedenen Versionen einer "Zusammenbruchstheorie"
(Kautsky, Luxemburg, Grossmann) kamen letztlich nicht über eine "wertimmanent"
bleibende Auffassung hinaus.
Im Osten mußte die bolschewistische Revolution aufgrund der unentwickelten
gesellschaftlichen Produktivkraft nach anfänglichen, selber zirkulativ
beschränkten Versuchen einer "Abschaffung des Geldes" direkt zum Träger
einer Forcierung der abstrakten Arbeit werden. Ihren HISTORISCHEN Sinn
erhält die wertabstraktive Produktion als "transitorische" Formation,
in der die menschliche Gesellschaft überhaupt erst aus der Bindung
an den agrarischen Boden und damit aus der Fixierung auf den Zusammenhang
der "ersten Natur" heraustreten kann, im Prozeß dieses Heraustretens
aber sich zunächst der abstrakten Arbeit unterwirft und diese schließlich
als umfassende Krise erlebt. In Rußland stand 1918 noch nicht die
Überwindung des abstrakten Werts auf der Tagesordnung, sondern im
Gegenteil überhaupt erst seine Herausbildung und gesellschaftliche
Verallgemeinerung. Nicht eine bereits verallgemeinerte Lohn-
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arbeit mußte abgeschüttelt, sondern gerade umgekehrt die
riesige Masse der bäuerlichen Kleinproduzenten erst in Lohnarbeiter
verwandelt werden. Wie im Westen wurde unter diesen Prämissen das
Zentrum der Marx'schen Wert-Kritik bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Derselbe
Prozeß, der im Westen als Integration der Arbeiterbewegung in die
"fordistische" Vergesellschaftung des Kapitals erschien, kam in der Sowjetunion
als Verwandlung einer "revolutionären Partei des Proletariats" in
die Institutionen einer wertabstraktiven Entwicklungsmaschine der "nachholenden
ursprünglichen Akkumulation" zum Ausdruck. Die daraus entstandene
"Planwirtschaft", von der die Produktionslogik der abstrakten Arbeit nicht
angetastet wird und die daher weiter auf den abstrakten Wert- und Geldkategorien
beruht, bleibt notwendig ein äußerlicher, zirkulativer Regulationsmechanismus
des Waren- und Arbeitsmarktes und kann daher auch nur blauäugig behauptend
und unter Absehen von ihrem tatsächlichen Inhalt als "gebrauchswertmäßige
Bedarfswirtschaft" bezeichnet werden.
Verbunden mit diesen historischen Gestalten der Arbeiterbewegung als
eines immanent bleibenden Moments der abstrakten Wertproduktion verstrickte
sich der Marxismus auch als Theorie immer tiefer in die zirkulative Verkürzung
der "Kritik der politischen Ökonomie"; jede Erinnerung an die "weitergehenden"
Ansätze der Marx'schen Theorie wurde wegdiskutiert und letztlich gelöscht.
Da aber die ERSCHEINUNGEN der Wertabstraktion auch im "Sozialismus" nicht
einfach weggeleugnet werden konnten, bildete sich ein merkwürdiges
System "kritischer" Apologetik heraus: Der "an sich" eigentlich schon "ökonomisch"
vermeintlich vorhandene Sozialismus ("Planwirtschaft") sollte angeblich
durch eine "Bürokratie" (die als solche aber keinen Begriff von Gesellschaftlichkeit
abgeben kann) "deformiert" worden sein und einer ganzen Palette von "ERGÄNZUNGEN"
bedürfen, z.B. einer "DEMOKRATISIERUNG". In solchen Konstrukten sogenannter
"Marxisten" ist die Theorie schon soweit verfallen, daß die Sphäre
abstrakter Staatsbürgerlichkeit ("Demokratie") nicht einmal mehr als
abgespaltenes Produkt der Wertabstraktion begriffen werden kann, das selber
zusammen mit der abstrakten Arbeit aufzuheben wäre. Stattdessen wird
ein Moment der Warenproduktion bloß gegen das andere ausgespielt,
weil die historischen Verwerfungen in der "nachholenden Akkumulation" der
sowjetischen Produktionsweise außerhalb der deformierten Begrifflichkeit
bleiben. Zusätzliche Verwirrung stiftet die heute evident werdende
Tatsache, daß eine zirkulativ-distributiv beschränkte "Planwirtschaft"
zwar für ein "nachholendes" Aus-dem-Boden-Stampfen der gröbsten
Industrialisierungs-Grundlagen tauglich sein mag, aber
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auf die Dauer funktionsunfähig bleibt und nicht zur Produktion
des
relativen Mehrwerts in großem Maßstab fähig ist. Die
gesellschaftliche Grundlage der abstrakten Arbeit, solange sie nicht beseitigt
wird, verträgt sich nicht mit einer umfassenden "politischen" Regulierung
der Zirkulations- und Distributionsprozesse. Mit der Kategorie der abstrakten
Arbeit ist auch die des "Tauschs" und damit des Marktes gesetzt; die teleologische
Reihe, die über die Wertform gebildet wird, drängt nach ihrer
Vollendung und muß diese schließlich im "Loslassen" des Marktes
erzwingen. Die Krise des "Realsozialismus" ist daher heute eine doppelte:
Er ist dem Westen nur in der Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen
"ebenbürtig", fällt dagegen in der Produktivität der abstrakten
Arbeit immer mehr zurück. Es bedarf keiner Frage, daß ein in
der Geschichte des Werts selber wertfetischistisch gewordener "Marxismus"
tatsächlich obsolet und "veraltet" ist, bestenfalls noch in der "Dritten
Welt" auf Bedingungen trifft, die ihm Momente von gesellschaftlicher Plausibilität
verleihen können (obwohl auch diese Option mit zunehmender Weltmarkt-Integration
der Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas immer unglaubwürdiger
wird).
Wenn wir nun den "Paradigmen-Wechsel" der Linken vor dem Hintergrund
der größeren Geschichte des Werts und des Marxismus betrachten,
so wird auch die relative Berechtigung dieses "Abschieds" deutlich. Der
objektive gesellschaftliche Druck einer weit über die bisherigen Konjunkturkrisen
hinausgehenden Krise der wertabstraktiven Reproduktion überhaupt muß
nicht nur den "Wert entwerten", sondern auch den "alten" wertfetischistischen
Marxismus, den die Neue Linke nach einem Durchmarsch durch fast alle "alten"
historischen Ideen gesellschaftlicher Emanzipation in ihrer naiven "Praxisorientierung"
für einige Jahre kurzschlüssig übernommen hatte.
Andererseits aber, und hier muß die schärfste theoretische
und politische Kritik einsetzen, beruht diese "Wende" der Linken gerade
nicht auf einer gewissenhaften Aufarbeitung der Geschichte (einschließlich
der eigenen), sondern folgt weiterhin einer oberflächlich-kurzschlüssigen
"Bewegungs"-Orientierung. So wurde es nicht ein "Abschied" von einer begriffenen
historischen Gestalt des Marxismus, sondern ein begriffsloser "Abschied"
von der Marx'schen Theorie überhaupt, jedenfalls bei den grün-alternativen
"Produktivkraftkritikern", während die linkssozialistische akademische
Restlinke mehr oder weniger auf den überkommenen Verkürzungen
beharrt (diese aber zunehmend eher mit Keynes als mit Marx begründet,
worin sie so Unrecht nicht hat).
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Die "Wende" von der Kritik des "Profitsystems" zur Kritik des "Industriesystems"
läßt also die verkürzte, zirkulativ beschränkte und
verbogene "Kritik der politischen Ökonomie" unaufgelöst zurück.
Damit aber verfällt sie notwendig wiederum der Wertabstraktion, nur
von einer anderen Seite her. Auf den Spuren der bürgerlichen Lebensphilosophie
und ihrer romantischen Vorläufer muß die Opposition jetzt auf
den nicht minder ausgelatschten Pfaden eines bürgerlichen Kulturpessimismus
wandeln; die "vergessene" Produktionslogik der abstrakten Arbeit erscheint
wieder als vermeintliche Logik der Technik und Naturwissenschaft, die gegen
die Kritik der Mehrwertproduktion ausgespielt wird, statt sie als Momente
eines einheitlichen gesellschaftlichen Prozesses der Wertabstraktion zu
begreifen. Da für das bürgerliche Bewußtsein aber Subjektivität
überhaupt unmittelbar identisch ist mit der abstrakt-dualistischen
Subjektivität des abstrakten Wert-Geld-Individuums und des abstrakten
Staatsbürgers, kann die Kritik der Verdinglichung selber nur verdinglicht
erscheinen als Kritik des toten technologischen Apparats, der damit absurderweise
als lebendiges Subjekt anerkannt wird. Soweit diese Kritik praktisch-politisch
wird, wie etwa bei den GRÜNEN mit ihren famosen "Wirtschaftsprogrammen",
wird sie selber zur Ausgeburt der Warenproduktion: Mit den Mitteln der
abstrakten Arbeit sollen deren eigene zerstörerische Konsequenzen
behoben werden. Eine solche Konzeption, die lediglich eine "Milderung"
der abstrakten Produktionslogik anstrebt oder gar deren historisches "Zurückdrehen"
(Wiederbelebung der Genossenschaftsideologie, der kleinen Warenproduktion
usw.), ist allerdings nicht weniger zum Scheitern verurteilt als die verkürzte
"Planwirtschafts"-Ideologie des traditionellen Marxismus. Dies soll im
folgenden an der Kritik der theoretisch anspruchsvollsten Produktivkraftkritiker
herausgearbeitet werden.
2. Der Zerfall gesellschaftlicher Totalität
Mit der Ausbreitung alternativer Kleinproduktion (mehr als Ideologie
denn real, und soweit sie real ist mehr im Dienstleistungssektor als im
produktiven Bereich), mit der Entstehung der Anti-AKW-Bewegungund mit dem
politischen Aufstieg der GRÜNEN ist die populäre und wissenschaftlich-theoretische
Literatur zur "KRITIK DES INDUSTRIESYSTEMS"
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ungeheuer angeschwollen. Bis in die soziologischen Seminare hinein
reicht der "Paradigmen-Wechsel". Um den gegebenen Rahmen nicht zu sprengen,
will ich mich im folgenden hauptsächlich mit zwei Autoren auseinandersetzen,
die hinsichtlich der "produktivkraftkritischen" Literatur zumindest in
der BRD als theoretisch prägend angesehen werden können:
Otto ULLRICH und Winfried THAA. So unterschiedlich der Ansatz jeweils
ist (Ullrich beschäftigt sich allgemein mit dem Verhältnis von
Technik bzw. Naturwissenschaft und Gesellschaft, Thaa versucht eine "produktivkraftkritische"
Neubewertung der sowjetischen Produktionsweise), die theoretischen Schlußfolgerungen
gelangen zu einer so weitgehenden Übereinstimmung, daß Ullrich
und Thaa durchaus als Vertreter einer Richtung eingestuft werden können.
Dies um so mehr, als beide Autoren den "Abschied von Marx" keineswegs so
blind und undifferenziert vollziehen wie andere Industriekritiker, sondern
auf hohem Niveau der theoretischen Reflexion. Umso deutlicher werden allerdings
auch die Brüche in der Logik der jeweiligen Argumentation.
Charakteristisch für ULLRICHS theoretische Vorgehensweise ist,
daß er in seiner Gesellschaftsanalyse nicht von der ÖKONOMISCHEN
LOGIK ausgeht, also von abstrakter Arbeit, Wert/Ware und Geld, sondern
(mit Max Weber) vom Begriff der "Herrschaft"; "Technik und Herrschaft"
(Frankfurt 1977, im folgenden zitiert als TuH) lautet demnach auch der
Titel seiner wissenschaftlich umfangreicheren Publikation, die er in "Weltniveau"
(Berlin 1980, im folgenden zitiert als WN) popularisiert und zu einer quasi
gesellschaftspolitischen Konzeption ausgeweitet hat. Während Marx
die "Herrschaft des Menschen über den Menschen" in den modernen Gesellschaften
gerade in ihrer "versachlichten" Gestalt aus der Logik der Warenproduktion
konsequent abgeleitet und sie in Gegensatz gestellt hat zu allen vorkapitalistischen
Klassengesellschaften, deren Herrschaft stets auf direkten, PERSÖNLICHEN
Abhängigkeitsverhältnissen beruhte, verfällt Ullrich so
schon von Beginn an einer typisch scientifisch-positivistischen Verkürzung
des "Soziologismus": Herrschende und Beherrschte werden voraussetzungslos,
jenseits der ökonomischen Logik, als "soziale Gruppen" einander gegenübergestellt
und dann nach "Merkmalen" und "Strukturen" untersucht, deren innerer Zusammenhang
jeder übergreifenden Logik entbehren muß, außer eben der
"Tatsache" von "Herrschaft".
So geht es also um den "Widerspruch zwischen individuellen Bedürfnissen
... und einem Organisationsziel, einem Betriebsinteresse" (TuH,14), um
die "Notwendigkeit einer normgeregelten, arbeitsteiligen Rollenstruk-
20
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tur" (TuH, 14), die "Notwendigkeit einer betrieblichen Autoritätshierarchie"
(TuH, 16), die "Legitimation der Herrschaft in Produktionsstätten"
(TuH, 17), um die "strukturbildenden Kräfte" (TuH, 18) in Industrie
und Gesellschaft usw. Der Begriff der abstrakten Arbeit kommt bei dem "Fachsoziologen"
Ullrich überhaupt nicht vor, er verbaut sich damit schon von Anfang
an jeden Zugang zu den "Versachlichungspotenzen" kapitalistischer Warenproduktion.
Damit aber muß die Analyse von einem Dualismus in den anderen fallen;
für die kapitalistische Produktionsweise ist daher nicht etwa von
Anfang an der von der Realkategorie der abstrakten Arbeit gesetzte Begriff
der Versachlichung gültig, der sich stufenweise entfaltet bis zur
umfassenden Weltproduktion des relativen Mehrwerts; vielmehr zerfällt
auch die kapitalistische Produktionsweise für Ullrich in eine Phase
"personaler Herrschaft" und eine spätere Phase "versachlichter Herrschaft":
"Personale Herrschaft tritt in den Hintergrund, Herrschaft überhaupt
wird unsichtbar, alle, auch die Chefs, müssen sich nur dem rationalen
technischen(!) Prozeß unterwerfen". (TuH, 23).
Als bloße Deskription ist diese Aussage gemeinplätzlich,
aber im Zusammenhang einer Logik des Produktionsprozesses führt sie
schon zum entscheidenden Punkt: Nicht um die Logik der abstrakten Arbeit
und des Werts soll es gehen, sondern um die Logik der TECHNIK als solcher.
Der Prozeß der "Versachlichung" wird unmittelbar aus der technologischen
Entwicklung verkürzt abgeleitet, was ja auch oberflächlich so
beschrieben werden kann, da die technologische Entwicklung in der Tat aus
der Produktion des relativen Mehrwerts folgt. Ullrich erliegt hier allerdings
einem logischen Kurzschluß, wenn er scheinbar griffig vom "rationalen
technischen Prozeß" redet. Dem VERSACHLICHUNGSCHARAKTER kapitalistischer
Produktion liegt zwar eine bestimmte "Rationalität" zugrunde; es ist
dies aber, nach einem Ausdruck des heute vielbemühten Max WEBER, eine
"FORMALE RATIONALITÄT" - bei Weber die "formale Rationalität
des Marktes", die aber wiederum auf die formale Rationalität der abstrakten
Arbeit zurückgeführt werden muß: Auf die gegen jedenqualitativen
Inhalt gleichgültige Verausgabung von Quantitäten "menschlicher
Arbeit überhaupt". Es werden in dieser formalen, abstrakten Rationalität
des Werts aber nicht nur menschliche Inhalte, Bedürfnisse, Qualitäten
"ausgelöscht", sondern eben auch NATÜRLICHE und somit letztlich
auch TECHNISCHE, insofern die Technik nichts weiter ist als die QUALITATIVE
Umformung des Naturstoffs. Die Logik der Technik ist an sich nicht formal,
sondern im Gegenteil qualitativ, auf die Formung von Gebrauchswerten bezogen.
Obwohl es das Ideal der formalen Wertabstraktion
21
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wäre, kann sie doch nicht auf jeden qualitativen Inhalt verzichten;
sie muß Gebrauchswerte (wie immer diese inhaltlich bestimmt sind,
aber sie müssen inhaltlich sein, weil keine formale Quantität
ohne Inhalt existieren kann) produzieren, um ihr "Eigentliches", den abstrakten
"Wert" produzieren zu können. Aus dem Begriff der formalen Rationalität,
wie sie der kapitalistischen Versachlichung zugrunde liegt, konnte also
nur eine SUBSUMIERUNG aller qualitativen Bestimmungen von Mensch, Natur
UND Technik unter die inhaltliche Leere der Wertabstraktion gefolgert werden.
Wenn Ullrich daher behauptet, das "Prinzip der vollen Beanspruchung", der
"Ausschaltung allen Leerlaufs und ungenutzter Energien" etc. (TuH, 31)
sei von der Naturwissenschaft und Technik "auf soziale und zwischenmenschliche
Bereiche" übertragen worden (TuH, 31), so stellt er den Sachverhalt
auf den Kopf. Es gibt in Wirklichkeit keinerlei "natürliches" oder
"technisches" (also qualitatives) "Prinzip der vollen Beanspruchung" usw.
Dieses "Prinzip" als QUANTITATIV-FORMALES ist ein rein gesellschaftliches
Produkt der Menschenwelt, es entspringt der Logik der gesellschaftlichen
Wertabstraktion.
Um seinen Ansatz durchhalten zu können, muß Ullrich systematisch
die Inhalte von Technik bzw. Naturwissenschaft von der Wertabstraktion
trennen, Technik und Naturwissenschaft in einen "autonomen Bereich" verwandeln.
Dabei hilft ihm zunächst einmal der Augenschein des "Realsozialismus",
der natürlich leicht zum populären Ausgangspunkt gemacht werden
kann:
"Da entwickelte Produktivkräfte als Grundlage für eine neue
Gesellschaft in der marxistischen Analyse und Politik eine so große
Bedeutung hatten, wurde die 'rückständige' Sowjetunion nach der
Beseitigung der Zarenherrschaft auf dem 'nichtkapitalistischen Wege' erst
einmal industrialisiert. Heute, mehr als sechzig Jahre nach der Oktoberrevolution,
gibt es auch im 'real existierenden Sozialismus' entfaltete Produktivkräfte,
von denen Marx als notwendige Grundlage für den Sozialismus nicht
einmal träumen konnte. Aber von einem 'menschenwürdigen Sozialismus',
von einer freien Gesellschaft ohne Entfremdung und bevormundende Herrschaft
sind auch die Länder des 'real existierenden Sozialismus' weit entfernt.
Könnten - entgegen der ursprünglichen Annahme - mit zunehmender
Produktivkraftentfaltung die Chancen für einen menschenwürdigen
Sozialismus eher schlechter als günstiger geworden sein? Haben die
meisten Marxisten mit Marx die mögliche 'negative Seite' bei der Entfaltung
der Produktivkräfte unterschätzt?" (WN, 7).
Ullrich nimmt also den "Realsozialismus" insofern beim Wort, als er
ihm einen "nichtkapitalistischen" Entwicklungsweg konzediert. Damit freilich
hat er bereits implizit die GESELLSCHAFTLICHE Qualität des
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"Produktionsverhältnisses" reduziert auf den flachen Plan-Markt-Gegensatz
INNERHALB des Wertverhältnisses, d.h. auf dem nicht mehr hinterfragten
gesellschaftlichen Boden der abstrakten Arbeit. Es entgeht ihm völlig,
daß in der Sowjetunion die Produktivkräfte in der "nachholenden
ursprünglichen Akkumulation" gerade als eine Funktion der ENTWICKLUNG
DES WERTVERHÄLTNISSES erscheinen, daß im Zuge dieser Entwicklung
die Wertabstraktion natürlich nicht überwunden, sondern im Gegenteil
erst in großem Maßstab auf Basis der Lohnarbeit herausgebildet
wurde. NUR deswegen, nur unter der Voraussetzung einer systematischen Ausblendung
der Wertabstraktion kann er dann seine "unschuldig" klingende
Frage nach den Produktivkräften "als solchen" stellen.
Es deutet sich hier schon an, wie Ullrich mit Marx fertigzuwerden gedenkt:
Ganz im Sinne des angeblich zu überwindenden traditionellen Marxismus
wird der Begriff der "Produktionsverhältnisse" kastriert, von der
Logik der abstrakten Arbeit getrennt (und damit natürlich auch vom
gesellschaftlichen Inhalt der Produktivkraftentwicklung), letztlich also
ungefälscht zu einem Begriff bloßer Zirkulations- und äußerlicher
Eigentumsverhältnisse. Die Spuren dieser theoretischen Verkürzung
finden sich bei Ullrich in Hülle und Fülle. So behauptet er,
ganz im Sinne seiner soziologistischen Bestimmung von "Herrschaft":
"Der Zweck der Herrschaft ist also erfüllt, solange Arbeiter im
Betrieb ein Mehrprodukt schaffen, über das sie nicht verfügen
können, sondern die Firmenleitung, die Kapitalbesitzer oder sonst
eine herrschende Klasse." (TuH, 174).
Es ist fast schon rührend, wie hier der ganze alte Verteilungs-Sozialismus,
die ganze zirkulativ-distributive Verkürzung des Begriffs der Mehrwertproduktion
zum Vorschein kommt!
Noch deutlicher wird diese ganz "traditionelle" Verkürzung, wenn
Ullrich immer wieder die Vorstellung "personaler Herrschaft" ins Feld führt,
die "marxistisch" gewendet mit der (juristisch beschränkten) "Eigentumsfrage"
identifiziert wird. So baut er z.B. einerseits eine Argumentation auf,
die sich größtenteils auf konservative Technik-Soziologie (Freyer,
Schelsky u.a.) stützt:
"Man könnte ... sehr viele einflußreiche Autoren nennen,
die in der industriellen Technik eine eigenständige, vom Menschen
nicht mehr beherrschbare Macht sehen, die nach eigenen Gesetzen sich entwickelt
und ausbreitet. Besonders die Kulturkritik deutscher Provenzienz ist reich
an Thesen dieser Art." (TuH, 35).
Formell grenzt sich Ullrich von diesen reaktionären Autoren ab,
obwohl deren Stoßrichtung genau seiner eigenen Intention entspricht
(diesen Trick, dieses Waschen der eigenen Hände in Unschuld werden
wir noch öfter bei ihm erleben), um dann allerdings weiter hinten
doch zu bekennen,
23
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daß für"seinen" Zusammenhang
"bei den konservativen Autoren Freyer und Schelsky zutreffendere Analysen
über die 'Logik der Technik' zu finden waren ..." (TuH, 150)
als bei marxistischen Ansätzen. Andererseits müssen diese
"marxistischen" Ansätze dann ganz in ihrem platten zirkulativ-distributiven
Verständnis, in ihrem beschränkten, von der wirklichen Produktionslogik
der abstrakten Arbeit losgelösten juristischen "Eigentums"-Begriff
belassen und als solcher Popanz vorgeführt werden, um die "unabhängige"
Logik der Technik hervorzaubern zu können. Ullrich erörtert unter
solchen Prämissen nämlich als "marxistische Gegenthese" gegen
die Schlußfolgerungen der konservativen Technik-Soziologie (die letztlich
auch seine eigenen sind) lediglich, daß "hinter" der "Herrschaft
der Technik" eine "personale(!) Gruppen-und Klassenherrschaftversteckt"
sei (TuH, 42);
"hinter der scheinbar sachlichen Abhängigkeit steht die personale
Herrschaft profitorientierter Klassen ... Gleichzeitig mit dieser Gegenthese
wird eine 'Unschuld' oder 'Neutralität' der Technik mitgedacht oder
auch explizit formuliert. Technik ist ein Mittel in der Hand der Menschen,
einsetzbar für beliebige Ziele" (TuH,42).
Der Marxismus wird hier, teils dem traditionellen Verständnis
folgend, teils sogar dieses noch entstellend und simplifizierend, auf eine
Vorstellung der Klassenherrschaft als "personaler" Herrschaft von juristischen
Eigentümern heruntergebracht (eine Vorstellung, die weit eher dem
bürgerlichen Soziologenhirn Ullrichs selber entspringt), an die eine
"Profitorientierung" sozusagen äußerlich "angeklebt" ist. Daß
sich im Begriff des Verwertungsprozesses jede "personale Herrschaft" von
vornherein ad absurdum führt, daß innerhalb der Logik der abstrakten
Arbeit die daraus abgeleiteten Klassen, Kapitalisten wie Lohnarbeiter,
gleichermaßen dem "automatischen Subjekt" des Werts ausgeliefert
sind und somit auch die "herrschende Klasse" nichts als die "Charaktermaske"
eines gesellschaftlich-dinglichen Scheinsubjekts ist, diese Kernpunkte
der Marx'schen Theorie muß Ullrich konsequent ausblenden.
Nachdem so die verkürzte juristische Bestimmung eines bloß
äußerlichen Eigentums-Begriffs als Schwäche des traditionellen
Marxismus genügend ausgeschlachtet und quasi als Karikatur dargestellt
worden ist, kann sich der Technik-Kritiker ganz nach dem gleichen Muster
die zirkulative Beschränktheit vornehmen und in seinem Sinne ausschlachten.
Um die "Verdinglichungsprozesse", die auch im "Realsozialismus" deutlich
auszumachen sind, zumindest teilweise unmittelbar auf die "Logik der Technik"
zurückführen zu können, muß Ullrich den Verdinglichungsprozeß
der Warenproduktion sorgfältig ganz eng auf die ZIRKULATIONSSPHÄRE
begren-
24
----
zen (die er übrigens nicht einmal von der Distribution begrifflich
trennen kann), also wiederum von der zugrunde liegenden Produktionslogik
der abstrakten Arbeit abtrennen. Für diese Verkürzung, die im
traditionellen Marxismus bereits implizit enthalten ist, findet sich glücklicherweise
in Gestalt A. SOHN-RETHELS, von dem Ullrich ganz richtig sagt, "daß
er den Abstraktionsvorgang in den Tauschvorgang legt" (TuH, 91), ein expliziter
Vertreter. Die Position von Sohn-Rethel wird auch sogleich Marx selber
in die Schuhe geschoben:
"Marx hat den Prozeß der Verdinglichung vorwiegend(?!) im Zusammenhang
mit dem Warenverkehr analysiert ... Ein sehr großer Teil der Verdinglichung
läßt sich auch hierauf zurückführen. Es besteht jedoch
die Gefahr, daß durch eine zu einseitige Fixierung auf die Logik
des Kapitals andere verdinglichte Prozesse zu wenig beachtet werden." (TuH,
178 ff).
Es entbehrt nicht eines gewissen barbarischen Zugs in der Begriffsbildung,
von einem "großen Teil der Verdinglichung" zu sprechen, ganz so,
als könnte man die immanente Logik einer Produktionsweise aufteilen
und in Scheiben schneiden wie einen Laib Brot. Einer solchen Denkweise
steht es ins Gesicht geschrieben, daß sie selber verdinglicht ist.
Ganz abgesehen davon wird mit dieser Aussage die Marx'sche Analyse des
Verdinglichungsprozesses der Waren-PRODUKTION umgefälscht zu einer
des bloßen Waren-VERKEHRS, also der Zirkulation. Wenn Sohn-Rethel
behauptet:
"Die Arbeit abstraktifiziert sich nicht selber. Der Sitz der Abstraktion
liegt außerhalb der Arbeit in der bestimmten gesellschaftlichen Verkehrsform
des Austauschverhältnisses" (zit. nach TuH, 91),
dann läßt er dabei gerade den entscheidenden Punkt außer
acht: Die gesellschaftliche Arbeit wird zwar zur abstrakten durch die ÖKONOMISCHE
GETRENNTHEIT der menschlichen Subjekte, aber sie wird dies nicht erst im
"Tauschakt" der Zirkulationssphäre, sondern bereits im Arbeitsprozeß
selber, und zwar gerade dadurch, daß sich die Wertabstraktion dem
qualitativen Inhalt der Arbeit gegenüber verselbständigt, also
immer schon im Arbeitsprozeß unmittelbar präsent ist (Näheres
dazu weiter unten). Ullrich freilich, dem die zirkulative Verkürzung
Sohn-Rethels äußerst gelegen kommt, kann nun triumphierend feststellen,
"daß die abstrakten Prinzipien, die später konstituierend
sein werden für die mathematische Naturwissenschaft, nicht der Sphäre
der Arbeit, der Produktion, sondern der Distribution entstammten". (TuH,
91f. Gemeint ist offenbar die Zirkulation!).
Er hat dagegen nur insoweit Einwände, als er "ergänzend"
oder "zusätzlich" die Logik der Technik selber als eigenständiges
Element einschalten möchte. Die Reduzierung der Logik des Werts und
damit der Verdinglichung der Warenproduktion auf die Zirkulationssphäre
("Tauschhandlung")
25
----
und damit das zirkulativ verkürzte Verständnis des Kapitals
erweist sich so als bestens geeignet für produktivkraft- bzw. technik-kritische
"Ergänzungstheoretiker".
Denn auf eine "Ergänzung" des Marxismus, nachdem er seinen traditionellen
Vertretern folgend kastriert und auf eine zirkulativ-distributive Vulgärtheorie
zurechtgestutzt worden ist, läuft der ganze Ansatz schließlich
hinaus. Die "Logik des Kapitals" als angeblich bloße äußere
Eigentums- und Warenverkehrs-Logik bedarf so, in ihrem produktiven Kern
begrifflich hinfällig gemacht, einer zusätzlichen Stütze.
Merkwürdigerweise scheint Ullrich diese selbstfabrizierte bzw. übernommene
Beschränktheit der Marxismus-Interpretation, die für ihn die
authentische ist, dem 19. Jhd. für durchaus angemessen zu halten:
"Im 19. Jahrhundert war die Ausbeutung der Arbeiter noch nicht durch
einen sich verbessernden Lebensstandard mit einer technologischen Rationalität
so fast unentwirrbar verknüpft, daß zur Analyse der Herrschaftsverhältnisse
unbedingt AUCH (Hervorheb. Ullrich) differenzierte sozialpsychologische
Analysen notwendig gewesen wären und eine Analyse der Herrschaftslogik
von Wissenschaft und Technik. Die Marx'sche Analyse kapitalistischer Produktionsweisen
konzentrierte sich, historisch völlig berechtigt, auf die Kritik der
politischen Ökonomie ... Kritik der politischen Ökonomie, durch
eine historische Konstellation von Marx als vordringlich herausgestellt,
gilt seitdem im 'marxistischen Lager' als einzig zulässiger Analysen
schwerpunkt." (TuH, 47 f.).
Unerfindlich bleibt, wieso ausgerechnet für das 19. Jahrhundert,
in dem sich der gesellschaftliche Aufstieg von Naturwissenschaft und Technik
als kapitalistischer Industrialisierungsprozeß gerade zunächst
am Modell des absoluten Mehrwerts in wahren Fabrikhöllen vollzog,
die Analyse dieses "Herrschafts"-Zusammenhangs weniger "notwendig" gewesen
sein soll als heute. Aber abgesehen von solchen Ungereimtheiten ist es
klar, daß Ullrich unter "Kritik der politischen Ökonomie" nach
seinen ganzen (dem traditionellen Marxismus folgenden) Verkürzungs-"Leistungen"
nur noch Kritik der juristischen Eigentumsverhältnisse und der WarenZirkulationssphäre
("Markt") verstehen will, genau diese Verkürzung aber Marx selber
unterstellt. Wenn die "Produktionsverhältnisse" derart ihres produktiven
Kerns beraubt, also gar keine Produktionsverhältnisse mehr sind, so
bedarf es für die gesellschaftliche Logik des unmittelbaren Produktionsprozesses
allerdings einer "zusätzlichen" Analyse, die dann freilich nicht mehr
von der in die Zirkulation "verbannten" Wertkategorie ausgeht, sondern
unvermittelt von der toten dinglichen Gestalt der Produktionstechnologie
als solcher.
Nachdem diese reduktionistische Umfälschung der "Kritik der politischen
Ökonomie" einmal vollzogen ist, kann Ullrich darauf immer von neuem
26
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bekräftigend zurückkommen, jede gesellschaftliche Totalität
des Kapitalverhältnisses abstreiten und gleichzeitig seine technik-kritische
"Ergänzung" offerieren, ja diese ganze rein bürgerlich-ideologische
Konstruktion sogar noch "im Rahmen marxistischer Analyse" ansiedeln:
"Um Mißverständnissen vorzubeugen: Auch ich halte die 'Kritik
der politischen Ökonomie' für den zentralen Bereich der Kritik
und Analyse kapitalistischer Herrschaft. Jedoch halte ich eine 'Ergänzung'
für möglich und notwendig, für möglich im Rahmen marxistischer
Analyse und für notwendig, weil die Entwicklungsdynamik und die Herrschaftsverhältnisse
von modernen Industriegesellschaften nicht nur von der Logik des Kapitals
bestimmt werden." (TuH,48).
Ullrich ist auf diese Weise allerdings gezwungen, die "Eigenständigkeit"
der Logik von Technik und Naturwissenschaft gesellschaftstheoretisch zu
verallgemeinern, d.h. jeden Begriff gesellschaftlicher TOTALITÄT anzugreifen.
Denn wenn die Technik sich als "autonomer Bereich" gegenüber dem "Kapitalverhältnis"
darstellen läßt, dann eben auch beliebige andere "Bereiche".
Ullrich wettert so nicht nur gegen "die 'Sehnsucht', möglichst alle
Phänomene aus einem 'Grundgesetz' oder einem 'Hauptsatz', einem 'Begriff'
ABLEITEN (Hervorheb. Ullrich) und erklären zu wollen" (TuH,145) oder
gegen die marxistischen Theoretiker, die "monomanisch(!) alles aus einer
Logik des Kapitals 'ableiten' ..." (TuH, 130), er muß sich damit
auch offen als Positivist bekennen, was er allerdings immer wieder "verschämt"
zurückzunehmen bestrebt ist, ohnedoch die anti-begriffliche Stoßrichtung
seines bürgerlichen Soziologen-Denkens aufgeben zu können:
"Um zu einer 'gelungenen Einsicht' über Herrschaftsprozesse zu
kommen, ist zunächst einmal die Einsicht erforderlich, daß heute,
wohl mehr als früher, Herrschaft durch viele, zum Teil unabhängige
Mechanismen gestützt, aufrechterhalten und stabilisiert wird ... Da
Herrschaft von Menschen über Menschen nicht von einem Punkt aus aus
den Angeln zu heben ist, verfehlt eine Theorie, die einen solchen Punkt
gefunden zu haben glaubt, in ähnlicher Weise die Wirklichkeit wie
die bürgerliche Sozialwissenschaft mit ihrem eingeengten Interesse
am partikularen Prozeß." (TuH, 149).
Die hier angedeutete Schein-Kritik am "bürgerlichen Partikularismus"
ist aber nirgends ausgeführt und hat als bloße Formulierungs-Floskel
reinen Alibi-Charakter für Ullrich, der sich eklektisch über
begriffliches Totalitäts-Denken ebenso wie über den Positivismus
hinausdünkt, dem aber ganz erzpositivistisch der Begriff von Gesellschaft
in "autonome Bereiche" zerfällt. Da er den Wert-Begriff (und damit
den Begriff der abstrakten Arbeit) aus seiner soziologistischen Analyse
eliminiert hat, entgeht ihm auch der historische Prozeß des gesellschaftlichen
TOTALWERDENS der Wertform, der allerdings nicht nur die Entwicklung der
Technik, sondern bis in die alltäglichsten Verrichtungen und bis in
die intimsten
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menschlichen Beziehungen hinein alle gesellschaftlichen Lebensäußerungen
sich unterworfen hat. Die AUFHEBUNG DES WERTS UND DER ABSTRAKTEN ARBEIT
ist damit in der Tat zu jenem "zentralen Punkt" geworden, von dem aus die
"Herrschaft des Menschen über den Menschen" aus den Angeln zu heben
wäre, wobei diese Herrschaft des Werts ja bereits die Absurdität
von Herrschaft insofern bedeutet, als es die Herrschaft eines DINGS, einer
dinglichen Abstraktion, eines "automatischen Subjekts" ist. Wie viele produktivkraftkritische
Theoretiker, die in der einen oder anderen Weise von der Kritischen Theorie
der Frankfurter Schule beeinflußt sind, stellt Ullrich die historische
Logik geradezu auf den Kopf: Soweit "andere" Mechanismen "zusätzlich"
zum Verdinglichungsprozeß der Wertabstraktion eine "herrschaftsstabilisierende"
Rolle spielen, handelt es sich um VORKAPITALISTISCHE; diese spielen ihre
"zusätzliche" Rolle umso mehr, je UNENTWICKELTER der Kapitalismus
ist, je mehr Lücken des noch rohen Vergesellschaftungsprozesses der
Wertabstraktion durch traditionelle, aus der vorkapitalistischen agrarischen
Produktionsweise stammende Verkehrsformen geschlossen werden müssen.
Mit dem Totalwerden der Wertform, mit der Herausbildung des Kapitals als
Welt-Vergesellschaftung und mit dem Verschwinden dieser Lücken verschwinden
auch tendenziell diese "zusätzlichen" vorkapitalistischen Vermittlungsformen
("Beruf", Familie, Blutsverwandtschaftssystem, Überreste von hauswirtschaftlicher
Subsistenzproduktion usw.) und werden durch wertabstraktive Formen ersetzt,
also durch Geld vermittelte Beziehungen immer abstrakter werdender Individuen
als gesellschaftliche Monaden.
So sehr diese Prozesse des Totalwerdens der Wertform anhand aller gesellschaftlicher
ERSCHEINUNGEN im einzelnen (und also durchaus empiririsch) untersucht werden
müssen, so wenig können sie BEGRIFFEN werden ohne den Begriff
der Wertabstraktion selbst und damit ohne den Begriff gesellschaftlicher
TOTALITÄT, die als solche historisch erst durch die Verallgemeinerung
des Werts herausgebildet wird. Ullrich hat sich den Zugang zu dieser Begrifflichkeit
selbst bewußt abgeschnitten und deutlich zu erkennen gegeben, daß
er von begrifflicher Logik nichts hält. So verwundert es nicht, daß
er schließlich auch noch das obligatorische Soziologen-Verdikt gegen
HEGEL loswerden muß, indem er "die Faszination der 'Hegelianischen
Choreographie' ..."(TuH, 147) pejorativ beschwört und behauptet:
"Versucht man jedoch alle relevanten gesellschaftlichen Mechanismen
und die 'allgemeinen Entwicklungstendenzen aus dem Kapitalverhältnis
abzuleiten', unterliegt man dieser Faszination und leitet wieder, wie Hegel,
die Anzahl und die Bewegungen der Planeten aus einmal für wahr gehaltenen
Begriffen ab." (TuH, 147).
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Das Kapitalverhältnis ist aber kein "einmal für wahr gehaltener
Begriff" im Sinne eines idealistisch-spekulativen Konstrukts, sondern der
konkrete Begriff einer realen, tagtäglich erfahrbaren Totalität
des Werts, aus dessen realer historischer Entfaltung die verschiedenen
gesellschaftlichen Erscheinungen "abgeleitet" werden müssen. Ullrich
verwechselt die durchaus richtige Forderung, diese Ableitung ANHAND empirischen
Materials zu leisten, d.h. nicht "jenseits" der wirklichen Erscheinungen
in ihrem Wandel, mit der Eliminierung des Totalitätsbegriffs überhaupt.
Es ist die alte Leier des Positivismus, der "Methode" und "Inhalt" als
getrennte, einander äußerliche Momente festhält und der
deshalb das empirische Material der einzelnen "Bereiche" zur einzigen Wirklichkeit
erklärt, die zu einer Gesamtheit von Erscheinungen lediglich "aufsummiert"
werden kann, während der innere logische Zusammenhang zur bloß
äußerlichen "Methode" verkommt, die sich nur im Kopf des Wissenschaftlers
abspielt. Der Verkürzung des Marxismus um seinen eigentlichen wertkritischen
Kern entspricht so bei Ullrich folgerichtig die Eliminierung des "Hegel'schen
Erbes" aus dem gesellschaftskritischen Denken. Der klägliche, abgeholzte
Strunk, der dann als angebliche Marx'sche Theorie noch übrigbleibt,
sieht allerdings sehr "ergänzungsbedürftig" aus!
Tatsächlich kann sich Ullrich der inneren Logik seiner eigenen
Argumentation nicht entziehen. Wer A sagt, muß auch B sagen. Das
Kreieren einer "autonomen Logik" von Technik und Naturwissenschaft hat
notwendig den Zerfall des gesellschaftlichen Totalitätsbegriffs in
eine an sich zusammenhanglose Logik "autonomer Bereiche" überhaupt
zur Folge. Es handelt sich dann um "viele von Menschen in Gang gesetzte
vergegenständlichte Prozesse, die relativ autonom sich entwickeln
konnten, die zwar gegenseitig sich beeinflussen und zusammenwirken können,
die aber doch ihre eigene Entwicklungslogik behalten" (TuH, 190f.), um
einen "differenzierten Prozeß", "bezogen auf unterschiedliche Lebensbereiche"
(TuH, 193), um "politische, ökonomische und rechtliche Parameter",
"neben" die dann noch der "Parameter" der "Technik" (TuH, 24f.) gestellt
wird usw.
Die Nähe zur bürgerlich-soziologischen "SYSTEMTHEORIE" ist
unübersehbar; Ullrich benutzt auch ganz offen deren Terminologie,
indem er beständig von "gesellschaftlichen Subsystemen" spricht. Er
scheut sich nicht einmal, den kapitalistischen Staat als ein solches "Subsystem"
platt positivistisch zu bestimmen und mit den übrigen "Subsystemen"
zu einem bloß äußerlichen "Verbund" zusammenzudenken:
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"Großtechnologische Projekte sind ... das Resultat eines organisierten
und konzentrierten Zusammenspiels mehrerer Subsysteme der Gesellschaft.
Um die Determinanten aufzudecken, ... ist es darum wohl sinnvoll, zunächst
die beteiligten Subsysteme einzeln vorzunehmen, um zu klären, in welcher
Weise die spezifische Logik dieser Systeme das Resultat bestimmt ... Die
wichtigsten Subsysteme für die Erzeugung großtechnologischer
Projekte sind ... der Staat, das System der industriellen Wirtschaftsunternehmen
und die scientific community." (TuH, 321).
Zwar wendet sich Ullrich gegen den hohlen Begriff der "Komplexität"
in der bürgerlichen Systemtheorie (N. Luhmann), weil dieser "alles
erklärt und somit gar nichts" (TuH, 194), unterstellt aber "dem Begriff
des Kapitalverhältnisses" einen "ähnlichen Status" (TuH, 194).
Es gehört allerdings schon eine Portion Unerschrockenheit dazu, den
von Marx umfassend bestimmten Begriff des Kapitalverhältnisses (als
logische
Einheit von Produktion, Distribution, Zirkulation und der abgesonderten
Sphäre des Staates, in der sich das abstrakte Ware-Geld-Individuum
zum ahstrakten Staatsbürger verdoppelt) auf eine Stufe zu stellen
mit der leeren Kategorie der "Komplexität"; Ullrich verwischt damit
freilich nur seine eigenen Spuren, die genau zu dieser bürgerlichen
Systemtheorie führen, eben zu einer eklektischen "multikausalen Logik"
verschiedener "autonomer Bereiche". Die bloße Spezifizierung der
"Komplexität" auf den Zusammenhang von "Technik und Herrschaft" als
"Ergänzung" zum "Kapitalverhältnis" wäre nichts weiter als
eine Konkretisierung eben des soziologistisch-systemtheoretischen Ansatzes,
verweist also keineswegs
auf eine Differenz zu diesem, wie Ullrich suggerieren möchte.
Es ist dann, in der Systemtheorie wie bei Ullrich, kein konkreter Begriff
des gesellschaftlichen Ganzen mehr möglich, sondern nur noch ein äußerlicher
Verknüpfungszusammenhang als "kybernetisches System". Die leere Abstraktheit
eines solchen soziologisch-systemtheoretischen Begriffs von "Zusammenhang"
führt Ullrich selber in seiner Argumentation in aller Deutlichkeit
vor:
"Die Begriffe müssen jeweils den Gesamtzusammenhang des einzelnen
Bereichs(!) 'reflektieren'. Ihr Sinn, ihre Bedeutung ergibt sich nur aus
dem Zusammenhang des ganzen Bereichs. Eine Synthese mehrerer 'Bereichstheorien'
auf der Basis je implizit definierter Begriffe ist also nicht so ohne weiteres
möglich. Die Synthese könnte nur erfolgen durch eine NEUE (Hervorheb.
Ullrich) implizite Begriffsbildung, entstanden aus der Kenntnis und der
Reflexion der Zusammenhänge in und zwischen den Einzelbereichen."
(TuH, 195f.).
An die Stelle des Begriffs der Wertabstraktion als zentraler und alle
gesellschaftlichen Sphären durchdringender Vergesellschaftungs-Logik
des Kapitals soll also eine bloß äußerliche "Summe der
Bereichs-Logiken" treten, eine nachgeordnete formale Meta-Begrifflichkeit,
die auf reiner
30
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"Induktions-Eselei" (Engels) beruhen muß.
Ullrich versucht diesen "positiven" Eklektizismus auch noch mit Marx
zu begründen, und zwar mit der "Offenheit für weitere Forschung
und Konkretisierung", also "gegen eine dogmatische Starrheit der Begriffe".
Eine solche stehe
"in einem bezeichnenden Kontrast zur Vorgehensweise von Marx, der sehr
sensibel für neue 'facts' war und diese ständig in seine Begriffe
einarbeitete, die sich dadurch veränderten ...". (TuH,197).
Dem ist völlig zuzustimmen, nur hätte Ullrich keinen größeren
Kontrast zu seiner eigenen Vorgehensweise beschreiben können. Diese
besteht ja, wie wir inzwischen überdeutlich gesehen haben, gerade
umgekehrt darin, die theoretischen Begriffe der Marx'schen Kapitalanalyse
links liegen zu lassen, keinerlei neue 'facts' IN SIE EINZUARBEITEN, um
sie dadurch etwa zu "KONKRETISIEREN", sondern völlig im Gegenteil
die vorgefundene "dogmatische Starre" dieser Begriffe (statt diese Starre
aufzuheben) als willkommenen Vorwand dafür zu benutzen, eine "ergänzendes
System" von "anderen Begriffen" auszuhecken, der zentralen, negativ vergesellschaftenden
Logik des Werts die "Logik der Technik" als "autonomen Bereich" ENTGEGENZUSTELLEN
statt die wirkliche Vergesellschaftungs-Logik des Werts anhand der realen
Erscheinungen (einschließlich der Technik!) weiter zu konkretisieren
und so von ihrer dogmatischen Jenseitigkeit zu befreien. Ullrich selber
arbeitet so mit den verkürzten, verengten, starren Begriffen des traditionellen
Marxismus, die ja gerade die Folie abgeben für sein Ausweichen in
systemtheoretische Ergänzungstheorien.
Auch Winfried THAA läßt schon im Titel seiner Arbeit: "Herrschaft
als Versachlichung" (Frankfurt 1983, im folgenden zitiert als HaV) anklingen,
daß er den soziologischen, verkürzten und außerhalb der
ökonomischen Vergesellschaftungs-Logik angesiedelten "Herrschafts"-Begriff
als selbständiges, äußerliches Phänomen den ökonomischen
Kategorien gegenüber voraussetzt. Freilich stellt sich die Ableitung
bei ihm wesentlich anspruchsvoller dar als bei Ullrich, da er gleichzeitig
an einer systematischen Bestimmung der Wertabstraktion festzuhalten sucht,
statt diese aus der Analyse einfach auszuklammern und eine "Herrschaftslogik"
der Technik bzw. Naturwissenschaft als solcher jenseits des Werts anzusiedeln.
Wie es ihm gelingt, trotzdem den Wertbegriff dem soziologistischen "Herrschafts"-Begriff
unterzuordnen, das ist die eigentliche Leistung seines Buches.
Das Festhalten am Wertbegriff als durchgehende Fragestellung wird nicht
zuletzt dadurch erzwungen, daß Thaa nicht das Verhältnis von
31
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Technik und Herrschaft als allgemeines untersuchen will, sondern die
spezifische Analyse der sowjetischen Produktionsweise zu seinem Gegenstand
hat. Er bewegt sich damit auf einem wissenschaftlichen Terrain, das historisch
bereits dichtbesiedelt ist und auf dem das Problem von Wert und Ware schon
immer eine so beherrschende Rolle gespielt hat, daß es nicht sofort
umstandslos als nicht weiter zu behandelndes "Subsystem" des "Warenverkehrs"
beiseite geschoben werden kann wie bei Ullrich. Thaa muß einen aufwendigen
Umweg wählen, um schließlich weiter von "abstrakter Arbeit"
und "Wert" reden, die gesellschaftliche Logik dieser Kategorien aber gleichzeitig
leugnen und schließlich "produktivkraftkritisch" ummodeln zu können.
Zunächst folgt Thaa dabei fast Schritt für Schritt den Spuren
Ullrichs, und zwar gerade in der Apologetik der sowjetischen Produktionsweise
als einer prinzipiell "nicht-kapitalistischen". Wie bei Ullrich wird diese
Behauptung an den keineswegs kritisierten, sondern für die eigene
Argumentation benutzten und ausgeschlachteten "dogmatisch-starren" Kategorien
des traditionellen Marxismus festgemacht, als da sind: "Staatseigentum"
und "Planwirtschaft".
Zunächst kritisiert Thaa einige bisherige Theoretiker der sowjetischen
Produktionsweise, wobei ich hier nur kurz auf seine Auseinandersetzung
mit E. MANDEL und Ch. BETTELHEIM Bezug nehmen will. Mandel hat sich aus
den begrifflichen Schwierigkeiten eines "warenförmigen" Sozialismus
dadurch davongestohlen, daß er das logische Monstrum einer "Übergangsgesellschaft
zur Übergangsgesellschaft" kreiert, d.h. während für Marx
der Sozialismus die "Übergangsgesellschaft" zum vollentwickelten Kommunismus
ist (und bereits nicht mehr auf der abstrakten Arbeit beruht), sieht Mandel
den "Realsozialismus" als zusätzliche "Ubergangsgesellschaft" ZUM
Sozialismus an; diese sei bestimmt durch den
"... Konflikt zweier antagonistischer Wirtschaftslogiken: Der Logik
des Plans und der Logik des Marktes (Verteilung der Wirtschaftsressourcen
nach den von der Gesellschaft bewußt gesetzten Prioritäten oder
Verteilung nach objektiven, sich hinter dem Rücken der Produzenten
durchsetzenden Marktgesetzen)...". (zit. nach HaV, 12).
Unschwer ist zu erkennen, daß Mandel sich hier umstandslos in
den
flachen Plan-Markt-Gegensatz des traditionellen Marxismus einordnet,
d.h. auf dem Boden der Wertabstraktion bleibt und die Gegensätzlichkeit
bloß als zirkulativ-distributive bestimmt. Folgerichtig kritisiert
Thaa dann auch, daß Mandel
"mit 'Wirtschaftslogik' ein Prinzip der Ressourcenverteilung meint,
nicht aber die Logik der Produktion als Verhältnis der Arbeitenden
zu Ziel UND (Hervorheb. Thaa) Gestaltung ihrer eigenen produktiven
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Tätigkeit. In Mandels Antagonismus der Wirtschaftslogiken beschränkt
sich damit die gesellschaftliche Formbestimmung der Arbeit auf die Distributionsweise
ökonomischer Ressourcen." (HvA, 12).
Es wäre nun konsequent, von dieser Kritik aus den Reduktionismus
einer Sozialismus-Vorstellung anzugreifen, die sich wesentlich auf eine
Überwindung des "blinden Marktmechanismus" beschränkt und den
Kern des gesellschaftlichen Wertverhältnisses verfehlt. Zu diesem
Kern aber stößt Thaa in seiner Kritik an Mandel nicht vor; der
Verweis auf die "Logik der Produktion als Verhältnis der Arbeitenden
zu Ziel und Gestaltung ihrer eigenen produktiven Tätigkeit" bleibt
vage und soziologisch verkürzt, d.h. ohne Bezug zum "automatischen
Subjekt" des Werts. Thaa kann seinen eigenen "produktivkraftkritischen"
Wertbegriff an dieser Stelle noch nicht einführen; allerdings deutet
er hier schon an, daß er seine spezifische Argumentation unter ABSEHEN
von der Vergesellschaftungs-Logik der Wertabstraktion aufbauen und auf
eine "autonome" Sphäre beziehen, d.h. daß er zwar auf die "Logik
der Produktion" zielen will, aber GETRENNT von der Logik der Ware und des
Marktes. Wohin die Reise gehen soll, ist zu ahnen, wenn er schließlich
Mandel gegenüber die Frage aufwirft, ob die "bürokratische Herrschaft"
ihren Ursprung statt im Plan-Markt-Gegensatz nicht "gerade im Zusammenhang
von zentraler Planung und einer bestimmten Art der Produktivkraftentwicklung"
(HaV, 15) haben könnte.
Ein ähnliches Ergebnis bringt die Auseinandersetzung Thaas mit
Bettelheim, der zu den "Staatskapitalismus"-Theoretikern gehört, d.h.
die sowjetische Produktionsweise als direkt kapitalistische einstuft. Er
geht dabei von der Vorstellung aus, daß das niedrige Ausgangsniveau
der Produktivkraftentwicklung in der Sowjetunion "eine technische(?!) Integration
der Betriebe (noch) nicht zuläßt" (zit. nach HaV, 16); dadurch
würden aber die einzelnen getrennten Unternehmen quasi von sich aus
zu Trägern von Tauschwertbeziehungen und deren Leiter, Direktoren
etc. zu den "Besitzern", wenn auch nicht im Sinne juristischer Besitztitel,
so doch im Sinne "faktischer Verfügungsgewalt". Daraus ergebe sich
eine "doppelte Trennung", nämlich
"die Trennung der Arbeiter von ihren Produktionsmitteln (deren Gegenstück
der Besitz der Produktionsmittel durch die Unternehmer ist, d.h. faktisch
durch ihre Leiter) und die Trennung der einzelnen Unternehmen untereinander."
(zit. nach HaV, 16).
Unter solchen Umständen komme es nun darauf an, daß
"durch eine real über die Verwendung der Produktionsmittel gebietende
Staatsmacht der die Wertform reproduzierenden Trennung der Unternehmen
entgegengewirkt" (zit. nach HaV, 16)
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werde. Bettelheim hält eine solche Einwirkung unter der Stalin-Herrschaft
noch für gegeben; die Sowjetunion sei also insofern damals noch "sozialistisch"
gewesen und erst später sei die politische Einwirkung der "Arbeitermacht"
etc. zurückgedrängt worden und die Warenbeziehungen, d.h. die
obige "doppelte Trennung", habe sich ausgedehnt. Der zentrale Plan sei
dadurch zu einem bloßen "Trugbild" geworden, das früher oder
später durch offene Warenbeziehungen und Konkurrenz ersetzt werden
müßte.
Ganz offensichtlich ordnet sich Bettelheim hier in die "maoistische"
These von der "Rekapitalisierung" der Sowjetunion ein. Seine weitergehende
Kritik gegenüber Mandel bezieht sich aber nur darauf, daß er
den gegensätzlichen Allokationsmechanismus von "Plan" und "Markt"
lediglich ergänzt durch die "Eigentumsfrage", die zwar ihrer bloß
juristischen Form entkleidet und auf "faktische" Verfügung zurückgeführt
wird, damit aber immer noch im Rahmen des soziologischen "Herrschafts"-Begriffs
verbleibt. Denn zum entscheidenden Punkt, zur Logik der abstrakten Arbeit
und VON DA AUS zu deren Entfaltung über die Kategorien von Wert, Ware-Tauschwert,
Geld UND Markt kommt auch Bettelheim nicht. Der Begriff des Eigentums als
"Verfügungsgewalt" bleibt so der Logik des gesellschaftlichen Wertverhältnisses
in seiner spezifisch-"realsozialistischen" Ausformung äußerlich;
ein Zusammenhang wird nur über die äußerst vage Bestimmung
einer "technisch-räumlichen Trennung" der "Unternehmen" aufgrund niedriger
Produktivkraftentwicklung angedeutet. Damit aber bleibt auch Bettelheim
letztlich an der zirkulativ-distributiven Oberfläche kleben und muß
ganz flach die "Leiter" der Unternehmen zu den Hauptträgern der Wertbeziehung
stempeln, die er nur als Tauschwertbeziehung (also von "Marktmechanismen"
her) zu fassen vermag. Die zentrale Staatsmacht wird so zum (jedenfalls
potentiellen oder historischen) Träger einer "fortschrittlichen",
"proletarischen", "gebrauchswertmäßigen" etc. Plan-Logik.
Aber das gerade Gegenteil ist in Wirklichkeit der Fall. Wenn die Logik
von Tauschwert-Beziehungen zwischen den Unternehmen auf die Logik der Wertbeziehung
in der Produktion selbst zurückgeführt wird, d.h. auf die Logik
der abstrakten Arbeit, dann stößt man auf die Tatsache der LOHNARBEIT,
also auf den Warencharakter der Arbeitskraft selber. Dies beinhaltet allerdings
eine andere "doppelte Trennung" als bei Bettelheim, nämlich die von
Marx her bekannte Existenz des "doppelt freien Lohnarbeiters": Frei einerseits
von traditionellen, vorkapitalistischen Abhängigkeiten und Bindungen,
frei als abstrakter Staatsbürger
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und als abstraktes Individuum, frei als Warenbesitzer (seiner Ware
Arbeitskraft), "frei" andererseits von eigenen Produktionsmitteln und daher
eben gezwungen, seine Arbeitskraft als Ware zu verkaufen.
In DIESEM Sinne nun muß die Stalin'sche Administration in der
Sowjetunion gerade in der Form der "zentralen Staatsmacht" als der HAUPTTRÄGER
der Herausbildung einer gesellschaftlichen "Ware Arbeitskraft" gesehen
werden. Nicht die technische Trennung der Unternehmen und die Verfügungsgewalt
der Direktoren war der Motor einer Herausbildung von Tauschwertbeziehungen,
sondern die zentralistisch gesteuerte VERWANDLUNG DER UNMITTELBAREN PRODUZENTEN
IN LOHNARBEITER, ihre Herauslösung aus traditionell-bäuerlichen
Verhältnissen und ihre Umformung zu Trägern der abstrakten Arbeit.
Dies entspricht den Aufgaben einer "nachholenden ursprünglichen Akkumulation",
in der auch die "verwissenschaftlichten" Produktionsmittel als gesellschaftliche
geschaffen werden, die den Lohnarbeiter als unmittelbaren Produzenten nicht
nur juristisch, sondern auch faktisch (von seiner Kompetenz her) von den
Produktionsmitteln abschneiden und ihm das gesellschaftliche Maschinensystem
äußerlich gegenübertreten lassen. Und im Unterschied zu
Westeuropa war diese "ursprüngliche Akkumulation" nicht naturwüchsig
zu vollziehen, sondern als "nachholende" nur unter Einsatz einer zentralen
Staatsmaschine. Bettelheim verfehlt also den Sachverhalt völlig, weil
er nicht von der historischen Logik der abstrakten Arbeit ausgeht und diese
bis zur Oberfläche der Marktbeziehungen verfolgt, sondern diese letzteren
unvermittelt und damit verdinglicht-"soziologisch" zum Ausgangspunkt nimmt.
Thaa nun seinerseits greift wie bei Mandel die Schwächen der Argumentation
Bettelheims auf, z.B. unter Hinweis auf die Tatsache, daß in der
Sowjetunion
"die überwiegende Zahl der großen Investitionsentscheidungen
... zentral und nicht auf Betriebsebene gefällt wird." (HaV, 18).
Thaa geht jedoch auch hier wieder nicht von dieser Kritik zurück
zu der wertabstraktiven EINHEIT DER GESELLSCHAFTLICHEN GESAMTREPRODUKTION,
auf deren Basis der Plan-Markt-Gegensatz zweitrangig wird, d.h. solange
beide Allokationsformen auf der Wertabstraktion beruhen. Stattdessen behauptet
er merkwürdigerweise, es sei
"nicht einzusehen, weshalb der Ausschluß der Arbeiter von der
Verfügung über die Produktionsmittel, der Verwertungscharakter
der Produktion und die Entwicklung einer der kapitalistischen Produktionsweise
entsprechenden Technik ausschließlich in der Form der Warenbeziehungen
möglich sein sollte." (HaV, 19).
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Daß Bettelheim letztlich wie Mandel nicht über den Plan-Markt-Gegensatz
hinauskommt, nimmt Thaa also nicht etwa zum Anlaß, auf die gemeinsame
Grundlage dieser beiden Allokationsformen in der negativen Vergesellschaftungs-Logik
der Wertabstraktion hinzuweisen, sondern im Gegenteil dazu, Bettelheim
gegenüber "die Formdifferenz von Ware und Plan" (HaV, 19) hervorzuheben!
Er hält für den Ostblock "die Ware als Totalitätsform der
Gesellschaft" (HaV, 19) NICHT für gegeben, spricht von der "in diesen
Gesellschaften in letzter Instanz gerade nicht vergesellschaftenden Warenform"
(HaV, 19) und hält Bettelheim vor, sein "Lob der Stalin'schen Industrialisierung"
sei auf seine "Fixierung auf die Wertform
der Ware" (HaV, 20) zurückzuführen.
Spätestens solche Formulierungen lassen stutzen und aufhorchen.
Existiert etwa im "Realsozialismus" die "Warenform der Produkte" oder die
"Wertform der Ware" nicht? Es deutet sich hier schon an, daß Thaa
selber mit Mandel, Bettelheim und allen traditionellen Marxisten die "Formdifferenz"
von Plan und Markt für ein PRIMÄRES Unterscheidungskriterium
der Vergesellschaftung hält und den von ihm kritisierten Autoren nur
Inkonsequenzen INNERHALB dieser verkürzten Sichtweise vorwirft. Für
ihn ist offenbar gar nicht wesentlich, daß sich auch der "realsozialistische"
Plan auf die negative Vergesellschaftungslogik des Werts bezieht und daher
auf Wertkategorien beruht, in der Form von WARENAUSTAUSCH und mittels GELD
vor sich geht.
Thaa verfällt so einem begrifflichen Dilemma, das sich etwa folgendermaßen
beschreiben läßt: Wenn "Plan" und "Markt" in den sowjetischen
Gesellschaften in einem Gegensatz stehen (wie Mandel, Bettelheim u.a. meinen,
wenn auch mit verschiedenen Schlußfolgerungen), dann bleibt es unerfindlich,
wie überhaupt eine Vergesellschaftung auf hohem Industrialisierungsniveau
nicht jeden Tag zusammenbrechen soll, die sich derart einander ausschließenden
logischen Formen ihres inneren Zusammenhangs ausgeliefert sieht. Dieses
Dilemma kann nur gelöst werden, wenn die Analyse einen Schritt hinter
den flachen Plan-Markt-Gegensatz zurückgeht und zeigt, daß sich
sowohl die Plan- als auch die Markt-"Elemente" auf ein Gemeinsames beziehen,
nämlich auf die Abstraktion des Werts als wirklich zugrunde liegende
gesellschaftliche Totalität und Vergesellschaftungs-Logik. Nur weil
sie sich auf dem gemeinsamen Boden der Wertabstraktion erheben, können
Plan und Markt überhaupt in wechselnden Formzusammenhängen koexistieren.
Thaa aber verfährt eben gerade nicht so, daß er diese gemeinsame
Grundlage des abstrakten Werts als wirkliche Grundlage der Vergesellschaftung
herausarbeitet. Im Gegenteil
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nimmt er den flachen Plan-Markt-Gegensatz beim Wort und erklärt
so die offensichtlich an der Oberfläche des "Realsozialismus" höchst
real existierende Warenform ebenso zum bloßen "Trugbild" wie Bettelheim
umgekehrt die "Planung" entgegen aller Oberflächen-Evidenz zum bloßen
"Trugbild" erklärt hatte, hinter dem sich ein völlig identischer
Formzusammenhang wie im westlichen Kapitalismus verberge!
Diesem Dilemma Thaas, daß er die verkürzte Begrifflichkeit
der von ihm kritisierten traditionellen Marxisten in der Debatte über
den Realsozialismus voll reproduziert, nur mit umgekehrten Vorzeichen,
begegnen wir in seiner Argumentation auf Schritt und Tritt. Wenn er behauptet,
daß "Staat und Bürokratie mit ihren Formen der gesellschaftlichen
Leitung die Ware in der Verallgemeinerung abstrakter Arbeit ablösen"
(HaV, 158) oder davon spricht, beim "Realsozialismus" handle es sich um
"eine gesellschaftliche Realität, in der ... die Anarchie des Marktes
und damit die Verdinglichung in Geld und Kapital durch staatliche Planung
ersetzt" (HaV,173) worden sei, so bleibt völlig unerfindlich, wieso
dann diese angeblich prinzipiell verschiedene Vergesellschaftungs-Form
weiterhin sich mittels der Wert- und Warenkategorien vollzieht, warum es
weiterhin "Tauschhandlungen" als allgemeine Verkehrsform gibt und warum
die durch Planung angeblich "ersetzte Verdinglichung in Geld" trotzdem
weiterhin als Geldform der Vergesellschaftung höchst real existiert.
Wenn Thaa treuherzig feststellt, daß im "Realsozialismus" nirgendwo
eine private und durch das Leistungsprinzip nicht legitimierte Aneignung
des Mehrprodukts stattfindet" (HaV, 200), so verfällt er damit nicht
nur begrifflich (wie auch schon Ullrich) der juristischen "Eigentums"-
und Verteilungs- Beschränktheit des traditionellen Marxismus, sondern
stellt sogar innerhalb dieser Beschränktheit noch offenkundig falsche
Tatsachen-Behauptungen auf (über die angeblich nicht vorhandene oder,
soweit doch vorhanden, dann durch das "Leistungsprinzip" legitimierte private
Aneignung des Mehrprodukts sollte er sich vielleicht einmal mit polnischen
oder DDR-Arbeitern unterhalten!).
Thaa windet und wendet sich, aber er kann der unaufgelösten Problemstellung
der Wert-Vergesellschaftung, die gleichzeitig auf "Planung" abhebt, begrifflich
nicht entkommen. So behauptet er:
"Tatsächlich werden ja auch bei zentraler gesamtgesellschaftlicher
Planung die einzelnen Produkte als Planaufgabe, als Teil einer in stofflichen
Größen formulierten Gesamtproduktion und damit eben in letzter
Instanz nicht privat(!), als bloße Träger des Werts(!) hergestellt.
Das Wertgesetz hat damit aufgehört, inneres Band der Gesellschaft
zu sein, vergesellschaftend ist der Plan ..." (HaV,247)
und spricht an anderer Stelle von einer "Einbettung der Wertformen
in eine zentrale gebrauchswertbezogene Planung" (HaV, 204). Mit dem
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Hinweis auf "Gebrauchswert-Planung" in "stofflichen Größen"
wird in der Literatur über die Sowjetgesellschaften sehr oft mehr
oder weniger kritisch-apologetisch operiert (so bei H. Ticktin, R. Damus
u.a.), aber bei näherem Hinsehen erweist sich dieses Faktum als eine
sehr windige Angelegenheit. Denn dieser angeblichen "Planung in stofflichen
Größen" liegt in Wirklichkeit keine gesellschaftliche Auseinandersetzung
über den QUALITATIVEN INHALT der Produktion, über ihr NATÜRLICHEN
UND GESELLSCHAFTLICHEN KONSEQUENZEN, kurz: Über die QUALITÄT
DER GESELLSCHAFTLICHEN GESAMTREPRODUKTION zugrunde. Stattdessen handelt
es sich bloß um ein dürres Hochrechnen der rein quantitativen
Produktionsziffern der einzelnen Branchen, das zudem seine endgültige
Festlegung immer erst im nachhinein erfährt. Die abstrakte Wertkategorie
wird dadurch nicht im mindesten gesprengt. Eben deshalb müssen diese
"stofflichen Größen" immer auch gleichzeitig als Wert- und Geldgrößen
erscheinen, d.h. als Größen inhaltslos bestimmter Mengen verausgabter
gesellschaftlicher Arbeit ohne Rücksicht auf ihre Qualität. Thaa
umschifft dieses Problem sehr wenig elegant, wenn er von einer Vergesellschaftung
spricht, die "in letzter Instanz" eine "nicht private" sei, wobei er zu
allem Überfluß auch noch mit einem offensichtlich kruden Begriff
von "Privatheit" operiert, der nicht aus dem abstrakten Wertverhältnis
abgeleitet ist und daher ganz platt im Sinne des "gesunden Menschenverstandes"
aufgefaßt werden kann, für den das Attribut "staatlich" schon
ganz unvermittelt einen Gegensatz zu "privat" darstellt (während begrifflich
der Staat durchaus als gesonderte Privatheit den Arbeitern gegenübertreten
kann, solange und weil es sich um die abstrakte Allgemeinheit auf Basis
der Warenproduktion handelt). Auch daß die "einzelnen Produkte" nach
Thaa nicht als "bloße Träger des Werts" hergestellt werden sollen,
erklärt überhaupt nichts und verdunkelt den Sachererverhalt eher.
Was soll diese Aussage bedeuten, die ein Zugeständnis enthält,
nämlich daß die Produkte durchaus als "Träger des Werts"
hergestellt werden, aber nicht als "bloße Träger des Werts"?
Solche Formulierungen enthalten eher eine begriffliche Kapitulation vor
dem Gegenstand, als daß sie analytisch noch irgendetwas erhellen
würden. Ebenso hilflos-dunkel der Hinweis auf eine "Einbettung" der
(zugegeben vorhandenen!) "Wertformen" "in eine zentrale gebrauchswertbezogene
Planung", Thaa kann offensichtlich nicht erklären, warum in eine solche
angebliche "Gebrauchswertplanung" überhaupt "Wertformen" "eingebettet"
werden müssen! Seine Analyse hängt an diesem entscheidenden Punkt
völlig in der Luft und verliert sich in unverbindliche Floskeln.
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Diese Hilflosigkeit wird noch deutlicher, wenn sich Thaa (angelehnt
an R. Damus) mit der Frage der "Zeitökonomie" auseinandersetzt. Eine
"direkt gesellschaftliche" Produktion müßte die gesellschaftliche
Arbeit auch direkt in ihrem "natürlichen Maß", der ZEIT nämlich,
messen. Darauf hebt auch trotz seiner sonstigen Fehler u.a. Sohn-Rethel
ab. Thaa nun stellt sich in der diesbezüglichen Auseinandersetzung
mit Sohn-Rethel ganz auf die Seite von R. Damus, die sich auf eine höchst
aufschlußreiche Weise gegen den Begriff direkter Zeit-Ökonomie
wendet. Wie Thaa referiert,
"... hält Damus die vollständige Hereinnahme der Vergesellschaftung
in den unmittelbaren Produktionsprozeß weder für möglich
noch für wünschenswert. Sie ist deshalb nicht möglich, weil
auch die größte Verbundmaschinerie betrieblich bleiben muß
und deshalb die Kommensuration der Arbeit auf gesellschaftlicher Ebene
nicht unmittelbar im Arbeitsprozeß stattfinden kann ... Sie ist aber
auch gar nicht wünschenswert, da die Kommensuration nach der Zeitökonomie
rein quantitativ bleibt und eine Verbindung quantitativer und qualitativer
Überlegungen bei der Gestaltung ökonomischer Prozesse nicht ermöglicht.
Die Kritik von Damus richtet sich also gegen die abstrakte Zeitökonomie
selbst, in der Sohn-Rethel das Formprinzip der sozialistischen Gesellschaft
sieht." (HaV, 89f.).
Diese Argumentation ist in doppelter Weise erstaunlich unreflektiert.
Zum einen nämlich würde die "Unmöglichkeit" einer "Hereinnahme
der Vergesellschaftung in den unmittelbaren Produktionsprozeß" auch
die "Unmöglichkeit des Sozialismus" bedeuten, d.h. eine Verewigung
der Warenproduktion. Die "Möglichkeit" aber ergibt sich aus der "Verwissenschaftlichung
der Produktion", d.h. aus der Tatsache, daß die Existenz von "betrieblicher"
Produktion in räumlich-technischer Hinsicht nicht mehr identisch ist
mit einer gesellschaftlich-ÖKONOMISCHEN Getrenntheit dieser "Betriebe",
sondern diese vielmehr zu bloßen Teilen eines unmittelbar gesellschaftlichen
Gesamtorganismus der Produktion macht (zumindest auf der heutigen Stufe
der Mikroelektronik). Zum anderen aber ist diese "Hereinnahme der Vergesellschaftung"
als direkte Zeit-Okonomie auch mehr als wünschenswert, nämlich
heute bereits LEBENSNOTWENDIG, weil nur dadurch die gesellschaftliche Gesamtreproduktion
in ihrer inhaltlichen Qualität für Mensch und Natur bestimmt
und unter Kontrolle gebracht werden kann. Zusammen mit R. Damus kann Thaa
offensichtlich direkte Zeit-Ökonomie und Wert-Ökonomie nicht
auseinanderhalten. Der Wert wäre eben nicht der Wert, wenn er sich
DIREKT als gesellschaftliche Arbeitszeit ausdrücken könnte. Diese
liegt ihm zwar zugrunde (wie JEDER Ökonomie), aber eben auf INDIREKTE,
GEGEN DEN INHALT DER ARBEIT VERSELBSTÄNDIGTE WEISE. Es ist deshalb
völlig falsch, daß eine Kommensuration der gesellschaftlichen
Arbeit nach (direkter) Zeitökono-
39
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mie "rein quantitativ bleibt und eine Verbindung quantitativer und
qualitativer Überlegungen bei der Gestaltung ökonomischer Prozesse
nicht ermöglicht". Eine solche Kennzeichnung beruht ganz offensichtlich
auf einem Gleichsetzen von Wert und direkter Zeitökonomie. Das genaue
Gegenteil ist wahr, denn die Messung einer Stunde gesellschaftlicher Arbeit
in direkter Form kann nicht vom INHALT dieser Arbeit (einschließlich
der gesellschaftlichen und natürlichen Folgen) GETRENNT werden, während
der abstrakte Wertausdruck dieser Arbeit in indirekter (Geld-)Form gerade
diesen qualitativen Inhalt "auslöscht" und daher Vernichtungsproduktion
ermöglicht bzw. sogar erzwingt! Die "Abstraktion" der Zeit hinsichtlich
der Arbeit ablehnen wie Damus und Thaa hieße nichts anderes, als
gesellschaftliche Produktion überhaupt ablehnen und zur blanken Haus-
und Subsistenzwirtschaft zurückzukehren (selbst in dieser wäre
die Abstraktion der Zeit als Arbeitszeit nicht völlig zu umgehen).
Erst der WERT ist es, der die Abstraktion dem Inhalt der Arbeit gegenüber
verselbständigt, und zwar gerade durch seine abgetrennte Existenzform
in der Zirkulationssphäre als GELD. Thaa wiederholt das eigentlich
ungeheuerliche Mißverständnis später noch einmal, wenn
er darauf verweist, daß in der DDR, Sowjetunion usw. häufig
der Hinweis von Marx aus den "Grundrissen" zitiert werde, daß sich
"alle Ökonomie schließlich in Ökonomie der Zeit auflöst"
(so HaV, 198). In der DDR- und Sowjet-Literatur wird dieser Hinweis von
Marx nun gerade in der Weise verwendet, daß er nicht etwa auf die
Obsoletheit der eigenen "wertabstraktiven" Produktionsweise hindeutet,
sondern ganz platt in einem "betriebswirtschaftlich"-kapitalistischen Sinne
die maximale Auspressung der lebendigen Arbeit der unmittelbaren Produzenten
unter dem Diktat der Wertabstraktion legitimieren soll! Statt diese Verkehrung
der Marx'schen Aussage in ihr Gegenteil zu kritisieren, nimmt Thaa die
"realsozialistische", wertfetischistische Interpretation dieser Stelle
nur als ein Indiz, daß (von Marx wie von den DDR-Autoren) die Zeit
(Arbeitszeit) eben "als die abstrakte Zeit der Wertproduktion verstanden
wird" (HaV, 198). Weder die DDR-Autoren noch Thaa können und wollen
begreifen, daß die Auflösung "aller Ökonomie in Ökonomie
der Zeit" vor allem eine KRITIK des Werts bedeutet, da dieser die Zeit
als Abstraktion im Geld VERDINGLICHT und so von ihrem Inhalt trennt, diesen
"auslöscht". Aufzuheben ist nicht die Abstraktion der Zeit als Arbeitszeit
überhaupt, sondern ihre dingliche Verselbständigung im Wert,
d.h. die Erscheinung der gesellschaftlichen Arbeit als abstrakte Arbeit,
als Selbstzweck der Verausgabung menschlicher Arbeitskraft ohne Inhalt
und ohne Schranken.
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Letztlich läuft die ganze Argumentation von Thaa auf eine fast
schon gewaltsame Ignoranz gegenüber der evidenten Existenz von Wert-
und Warenform im "Realsozialismus" hinaus. Er ist zu dieser Ignoranz gezwungen,
wenn er dort ankommen soll, wohin er - zusammen mit Otto Ullrich - unbedingt
kommen will, nämlich zu einer separaten, "autonomen" Verdinglichung
durch "die Technik". Dies deutet sich schon an, wenn er behauptet, daß
die Verdinglichung durch Warenproduktion "eine - und vielleicht nicht die
einzige - Form ist, die Menschen der Wertabstraktion zu unterwerfen" (HaV,
114). Gestützt wird diese Behauptung einzig und allein durch eben
jene Ignoranz gegenüber der Realexistenz der Geldform im "Realsozialismus",
so etwa, wenn Thaa munter drauflos erklärt, die "Warenform-Verdinglichung"existiere
nur dort, wo
"der gesellschaftliche Zusammenhang durch Geld vermittelt wird ...
Geschieht dies nicht(!), sondern herrscht in letzter Instanz(!) eine bewußte
Planung(!) - so verliert das allgemeine Äquivalent auch seinen Subjektcharakter(!).
Von Verdinglichung des Werts im vollen Sinn(!) kann dann auch bei fortdauerndem
Warentausch(!!) nicht mehr die Rede sein." (HaV, 114).
Um noch eins draufzusetzen, redet er gleich danach vom
"Herrschaftscharakter der Produktion auch bei nicht durch Warentausch
vermittelter Vergesellschaftung." (HaV, 116).
Die Konfusion ist offenbar eine vollkommene! Einerseits soll die Vergesellschaftung
"nicht durch Warentausch" vermittelt sein, andererseits muß von eben
diesem Warentausch zugegeben werden, daß er "fortdauert"; einerseits
soll der gesellschaftliche Zusammenhang "nicht durch Geld" vermittelt sein,
andererseits das doch wieder "fortdauernde" Geld seinen "Subjektcharakter"
verlieren. Es gibt dann nicht mehr die "Verdinglichung des Werts", oder
vielmehr gibt es sie doch wieder, aber "nicht imvollen Sinn" usw.
Die ebenso heillose wie angestrengte Verwirrung Thaas rührt daher,
daß er, um endlich zu seiner "separaten" Verdinglichung durch "Technik
an sich" zu kommen, nur zu gern bereit ist, der "realsozialistischen" Planungs-Ideologie
aufs Wort zu glauben und deren logische Antinomien geflissentlich zu übersehen
bzw. direkt in die eigene Argumentation hineinzunehmen. "Bewußte
Vergesellschaftung" und "Warenproduktion" schließen einander aus,
sind absolut unvereinbar. Die realsozialistische Absurdität, VERMITTELS
der Wert- und Warenkategorien "planen" zu wollen, kann nur historisch erklärt
werden: Aus dem spezifischen gesellschaftlichen Widerspruch der "nachholenden
ursprünglichen Akkumulation" in der Sowjetunion. Diese umfassende
"Planung des Marktes" (eine logische contradictio in adjecto!) stößt
heute im übrigen an absolute Grenzen; vielleicht kann Gorbatschow
Thaa und Co. noch einiges erzählen, was
41
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den "fortdauernden" Subjektcharakter des allgemeinen Äquivalents
betrifft. Das Wertgesetz ist im Realsozialismus weder ausgehebelt noch
"unter Kontrolle", aber es soll "wirken" durch das Nadelör bürokratischer
"Bewußtheit" hindurch - eine Konstruktion, die schließlich
zur Agonie der gesellschaftlichen Reproduktion führen muß, wenn
der Markt nicht "losgelassen" (oder die abstrakte Arbeit revolutionär
aufgehoben) wird.
Dieser Widerspruch des "Realsozialismus" ist in seiner historischen
Genesis angelegt: Im Zwang, die "ursprüngliche Akkumulation", d.h.
die Verwandlung der Massen in Lohnarbeiter, die UNTERWERFUNG DER UNMITTELBAREN
PRODUZENTEN UNTER DIE ABSTRAKTE ARBEIT als Voraussetzung einer industriellen
Produktivkraftentfaltung, im Unterschied zum Westen durch gesellschaftliche
Zentralisierung, d.h. mittels einer zentralistischen Staatsmaschine zu
bewerkstelligen. In der IDEOLOGIE findet hier, wie immer, eine VERKEHRUNG
statt; die Logik der Verhältnisse wird auf den Kopf gestellt. Während
sich der "fortdauernde" Waren-und Wertform-Charakter der äußerlich-bürokratisch
zentralisierten gesellschaftlichen Reproduktion einzig und allein aus dem
Warencharakter der menschlichen Arbeitskraft ergibt, also aus der historischen
Notwendigkeit, die unmittelbaren Produzenten zwecks Produktivkraftentwicklung
der Logik der abstrakten Arbeit zu unterwerfen, stellen die "realsozialistischen"
Ideologen diesen Sachverhalt auf den Kopf und behaupten, gerade die menschliche
Arbeitskraft trage im Unterschied zu den Produkten keinen Warencharakter
mehr; "begründet" wird dies mit der abgeschmackten Behauptung, durch
die Eliminierung eines (juristischen) Privateigentums an Produktionsmitteln
seien die Arbeiter zu "Herren" und "Kollektivbesitzern" der Betriebe geworden.
Auch in diesem Punkt muß Thaa die "realsozialistische" Ideologie
unbesehen übernehmen, um seine eigene Argumentation durchhalten zu
können; so sucht er alle Ansätze als haltlos zu denunzieren,
die "auf den angeblichen Warencharakter der Lohnarbeit" (HaV, 157) in den
Sowjet-Gesellschaften abheben. Da er es sich allerdings spart, in diesem
Punkt die real existierende Geldform des Arbeitslohns durch beschönigende
Floskeln zu umnebeln (etwa durch die Formulierung, daß dabei von
einem ganz ordinären Lohnarbeits-Lohn "im vollen Sinn" nicht mehr
gesprochen werden könne usw.), kann ich mir hier auch weitere Kritik
sparen.
Nachdem Thaa nun durch alle relevanten Fragestellungen hindurch die
Wert- und Warenform im "Realsozialismus" zum bloßen "Trugbild" erklärt
und alle real existierenden Erscheinungen dieser Wert- und Warenform der
gesellschaftlichen Reproduktion nach Prokrustes-Manier
42
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weggesäbelt hat, kann er diesen hartnäckigen Erscheinungen
zum Trotz von einer blanken "direkten Vergesellschaftung" im "Realsozialismus"
reden. Es kann also jetzt der soziologistische "Herrschafts"-Begriff, scheinbar
ins Recht gesetzt, ganz wie bei Ullrich seine Funktion entfalten. Denn
die realen Erscheinungen von "Herrschaft", die Menschen über Menschen
ausüben, beliebt Thaa bezüglich des "Realsozialismus" anzuerkennen;
in diesem Punkt widerspricht er der DDR- und Sowjet-Ideologie. Gestützt
auf R. Damus u.a. behauptet er aber, bei dieser "Herrschaft" handle es
sich als "Spezifikum der Sowjetgesellschaften" um eine "vom Kapitalismus
prinzipiell verschiedene VergesellschaftungsFORM (Hervorheb. Thaa) direkter
Herrschaft" (HaV, 157). "Direkte Herrschaft" nun, wenn der Begriff überhaupt
einen Sinn haben soll, könnte sich nur auf PERSÖNLICHE ABHÄNGIGKEITSVERHÄLTNISSE
stützen, die "direkt" durch Gewalt vermittelt wären: Also durch
bewaffnete Selbstorganisation einer herrschenden Klasse gegenüber
den unmittelbaren Produzenten in VORKAPITALISTISCHEN, agrarischen Produktionsverhältnissen,
deren Vergesellschaftungsgrad noch sehr niedrig ist. Weder Thaa noch seine
theoretischen Gewährsleute können erklären, wie sich moderne,
gesellschaftliche Produktionsmittel mit einer solchen "direkten Herrschaft"
vertragen sollen, die doch begrifflich gerade an nicht-gesellschaftliche
Produktionsmittel gebunden ist.
Ebensowenig kann mit diesem Begriff "direkter Herrschaft" die reale
Existenz ABSTRAKTER STAATSBÜRGERLICHKEIT im "Realsozialismus" erklärt
werden oder überhaupt das gesamte Rechtssystem bzw. der Prozeß
der "Verrechtlichung", der auf der Basis dieser abstrakten Staatsbürgerlichkeit
auch in den Sowjetgesellschaften sich historisch durchgesetzt hat. NUR
die Existenz der Wertform als zentraler Vergesellschaftungsform kann auch
die Verdopplung des abstrakten Ware-Geld-Individuums zum abstrakten Staatsbürger
erklären, während jede Vorstellung "direkter Herrschaft" unfähig
bleibt, die reale Logik solcher Verhältnisse zu begreifen.
Thaa aber arbeitet nun mit dieser mehr als unbefriedigend eingeführten
soziologistischen Begrifflichkeit "direkter Herrschaft" systematisch weiter
und sucht sie in Beziehung zu setzen zu einem höchst sonderbaren Begriff
von "Wertabstraktion", der völlig von der Wertform und Waren-Vergesellschaftung
abgelöst ist:
"So beseitigen das staatliche Eigentum an Produktionsmitteln und die
zentralisierte Wirtschaftsplanung zwar die verdinglichte Existenzform des
Werts im Kapital, aber an dessen Stelle tritt die Realisierung der Wertabstraktion
durch die sachlich legitimierte, hierarchisch organisierte Bürokratie."
(HaV, 248).
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Die "Bürokratie" (eine unerträgliche Leerformel, die immer
nur den fehlenden Begriff von konkreter Gesellschaftlichkeit ersetzen muß)
soll also der Träger jener ominösen "direkten Herrschaft" sein;
aber woraus ist wiederum diese "Bürokratie" abzuleiten? Thaa gibt
zunächst nur negative Hinweise:
"...Direkte Vergesellschaftung setzt, anders als der Tausch, eine bestimmte
herrschaftliche Instanz voraus, die nicht aus der Vergesellschaftungsform
selbst abzuleiten ist." (HaV, 83).
Da wir nun wissen, daß die "direkte Herrschaft" der Bürokratie
eine "Wertabstraktion realisiert", diese aber gar nichts mehr mit dem "Warentausch"
zu tun haben soll, ja überhaupt nicht einmal mehr etwas mit der "Vergesellschaftungsform",
kommen wir nun langsam zu des Pudels Kern. Thaa versichert uns nämlich:
"Die Wertabstraktion existiert aber nicht nur im Geld" (HaV, 114)
und:
"Die der Verdinglichung analoge Verkehrung im Verhältnis der Individuen
zu ihrer Tätigkeit benötigt nicht eine dem Geld entsprechende,
rein dingliche Darstellungsform." (HaV, 121).
Diese phantastische "Wertabstraktion", die sich "nicht im Geld" darstelle,
sei aber nichts anderes als "die innere Wertform der Technik" (HaV, 145).
Herrn Winfried Thaas Umwälzung der Wissenschaft! Hier haben wir
sie nun, erkennbar als das logische Monstrum einer nicht-warenförmigen
Wertabstraktion! Es soll eine "innere Wertform der Technik" existieren,
die nicht das geringste mit der Existenzform des Werts als Geld in der
Zirkulation zu tun habe - diese Zumutung an das logische Denken muß
Thaa allen Ernstes seinen Lesern aufnötigen. Die tollen Bocksprünge
einer solchen Argumentation sind allerdings fast schon wieder bewunderungswürdig;
so erklärt er ohne mit der Wimper zu zucken:
"Die Vergesellschaftung der Produktion, die im einzelnen Betrieb die
Arbeit in reiner, qualitätsloser Quantifizierung zur 'funktionellen
Gesamtarbeit' synthetisiert, ist eine direkte Vergesellschaftung der Arbeit
als abstrakt wertproduzierender." (HaV, 93).
Das Auseinanderreißen der gesellschaftlichen Totalität von
Produktion und Zirkulation durch Thaa zeitigt hier seine absurden Ergebnisse:
Er behauptet in einem einzigen Satz gleich zweimal eine contradictio in
adjecto, nämlich einmal eine "qualitätslose Quantifizierung",
zum andern eine "direkte Vergesellschaftung der Arbeit als abstrakt wertproduzierender".
Er vergißt, daß es keine Quantifizierung geben kann ohne einen
qualitativen Inhalt, der quantifiziert wird. Thaas "unmittelbarer Produktionsprozeß"
wäre einer, in dem die Arbeiter zwar ihre Arbeitskraft
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verausgaben, aber weder an irgendeinem stofflichen Material noch indem
sie stoffliche Produkte herstellen (und seien es zerstörerische Produkte),
also eine logische und praktische Unmöglichkeit. Richtig wäre
einzig und allein die Bestimmung, daß sich die abstrakte (scheinbar
inhaltslose) Quantifizierung erst in der Zirkulation in der Realabstraktion
des Wertes als Geld gegenüber dem immer qualitativen Inhalt der Arbeit
VERSELBSTÄNDIGT, gerade dadurch aber die Arbeit zum Selbstzweck macht
und ihr sinnlose und sogar zerstörerische Inhalte aufnötigt.
Damit aber wäre auch klar, daß sich der Abstraktionsprozeß
des Werts nur aus der TOTALITÄT kapitalistischer, wertabstraktiver
Reproduktion erklären läßt, also gerade aus der logischen
Verschränkung von Produktion und Zirkulation.
Die Verselbständigung des abstrakten, quantifizierenden Moments
der PRODUKTION kann als solches nur in seiner unmittelbar dinglichen Gestalt
ERSCHEINEN in der ZIRKULATION, als GELD und darauf gründende allgemeine
gesellschaftliche Verkehrsform. Die Abstraktion wird als Gleichgültigkeit
dem Inhalt der Arbeit und den Bedürfnissen des Arbeiters gegenüber
in der Produktion vorgenommen, kommt aber erst als Geld in der Zirkulation
"zu sich". Diese Grundtatsache hat ganz offensichtlich nichts zu tun mit
der äußeren Vergesellschaftungsform des Werts, d.h. ob die Warenzirkulation
einem "freien" oder einem "geplanten" Markt unterliegt (beide Sekundärformen
der Wert-Vergesellschaftung kommen heute auf je spezifische Weise in eine
katastrophale Reproduktionskrise). Weil Thaa aber genau dieses SEKUNDÄRE
Differenzierungsmerkmal zum Anlaß genommen hat, den "Regelkreis"
der "äußeren Vergesellschaftung" (Marktmechanismus) von der
Produktionslogik völlig abzutrennen, muß er die Absurdität
einer "qualitätslosen Quantifizierung" INNERHALB der unmittelbaren
Produktionsprozesse behaupten.
Aus demselben Grund vergißt er, daß die Wertabstraktion
als Logik der abstrakten Arbeit jede "direkte Vergesellschaftung" per definitionem
ausschließt. Die Verselbständigung des quantifizierenden Aspekts
gegenüber dem Inhalt kann sich gegen die qualitative Bestimmung der
Arbeit im unmittelbaren Produktionsprozeß nur wenden, weil sie im
Zirkulationsprozeß eine selbständige dingliche Gestalt gefunden
hat, die aber als solche nur eine Vergesellschaftung durch TAUSCH-WERTE
ermöglicht. Die Wertabstraktion in der Produktion erzwingt den TAUSCHWERT
in der Zirkulation und damit eine allgemeine warenförmige Verkehrsform,
also gerade eine INDIREKTE Vergesellschaftung der Arbeit. Wie die meisten
kritischen Apologeten der Sowjetökonomie verwechselt Thaa die
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politisch-administrative Regulierung von weiterhin warenförmigen
Zirkulationsprozessen mit einer "direkten Vergesellschaftung" der ARBEIT
und verfällt damit dem "Planfetischismus", der unhaltbaren "Planung
des Marktes", die nur ein historisches Übergangsstadium nachholender
ursprünglicher Akkumulation darstellen kann. Thaa verfehlt die Kritik
dieser Produktionsweise völlig, indem er systematisch Produktion und
Zirkulation (bzw. "Vergesellschaftungsform") auseinanderreißt, um
zu seiner phantastischen, "nicht dinglich verselbständigten" "inneren
Wertform der Technik" zu gelangen, aus der heraus die "direkte Herrschaft"
einer "Bürokratie" sich herleitenund legitimieren soll. Soweit hier
überhaupt noch die gesellschaftliche Reproduktion begrifflich aufscheint,
läuft die Kritik bestenfalls auf die Albernheit hinaus, den toten
Dingen ihre Dinglichkeit vorzuwerfen, während die ökonomisch-soziale
Gesellschaftlichkeit der Menschen als soziologischer "Herrschafts"-Begriff
der konkreten Totalität der Verhältnisse äußerlich
bleibt. Ironischerweise hat Thaa die crux dieser Denk- und analytischen
Vorgehensweise, die er selber mit umgekehrtem Vorzeichen betreibt, an den
von ihm kritisierten traditionell-marxistischen Ansätzen zur Auseinandersetzung
mit der sowjetischen Produktionsweise mit wünschenswerter Deutlichkeit
benannt:
"Tatsächlich zieht sich durch die Geschichte marxistischer Gesellschaftskritik
eine verfestigte Tradition der Trennung zwischen Gesellschaftsform und
Produktion(!!), die die Geschichte der kritischen Hilflosigkeit
gegenüber den Sowjetgesellschaften erst verständlich werden läßt."
(HaV, 50).
Es ist wirklich selten, daß ein Theoretiker in aller Gelassenheit
ein derart vernichtendes Urteil über sich selbst ausspricht!
Wir können nun ein vorläufiges Fazit ziehen, was die grundlegende
Methode der Produktivkraft-Kritiker angeht. Sowohl Ullrich als auch Thaa
sind gezwungen, "Produktionslogik" und "Vergesellschaftungslogik" grundsätzlich
und systematisch voneinander zu trennen und als einzige, äußerlich
bestimmte Klammer zwischen diesen beiden "Bereichen" oder "Subsystemen"
den soziologistischen Begriff von "Herrschaft" zuzulassen, der voraussetzungslos
jenseits der ökonomischen Vergesellschaftungslogik angesiedelt bleibt.
Sowohl Ullrich als auch Thaa beweisen damit, daß die Produktivkraftkritik
nur mit den positivistischen Mitteln der bürgerlichen Soziologie sich
eine wissenschaftliche Fundierung schaffen kann und jeden konkreten Totalitätsbegriff
der Gesellschaft aufgeben muß. Nicht um eine "Ergänzung" des
Marxismus kann es sich dabei handeln, sondern um seine Reduktion auf eine
soziologische "Bereichs"-Logik des "Warenverkehrs". Und sowohl Ullrich
als auch Thaa sind darauf
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angewiesen, die historischen Verkürzungen des traditionellen Marxismus,
die Reduktion der Marx'schen Theorie auf eine vulgäre juristische
"Eigentums"- und Zirkulations-Logik, nicht etwa zu kritisieren und aufzuarbeiten,
sondern geradezu als Voraussetzung ihrer produktivkraftkritischen "Ergänzungs"-Theorien
über weite Strecken voll zu übernehmen und als Popanz und falsche
Legitimation in ihr bürgerlich-soziologisches theoretisches System
einzubauen.
3. Die Fetischisierung der Technik
Die systematische Trennung von Produktions- und (äußerer)
Vergesellschaftungs-Logik, d.h. die Zerstörung jedes Begriffs gesellschaftlicher
Totalität, wie sie bei Ullrich und Thaa deutlich zum Ausdruck kommt,
stellt nur die methodologische, letztlich trotz aller eingestreuten Dementis
am bürgerlich-positivistischen Verständnis von "Sozialwissenschaft"
orientierte Grundlage des produktivkraftkritischen Denkens dar. Von dieser
methodischen Grundlage aus entfaltet sich der Inhalt der Produktivkraft-Kritik
in einer Reihe von aufeinanderfolgenden Schritten.
a) Subjektivierung der Natur und "Herrschaft" als Erbsünde
Wir haben bereits gesehen, wie der an sich voraussetzungslose soziologistische
"Herrschafts"-Begriff methodisch in die produktivkraftkritische Argumentation
Eingang gefunden hat. In seiner näheren inhaltlichen Bestimmung erfährt
dieser "Herrschafts"-Begriff nun jedoch eine klammheimliche Umdeutung.
Die Leerformel, daß Herrschaft eine "gesellschaftliche" sei (im Grunde
eine logische Banalität), verwandelt sich unter der Hand in eine neue,
völlig andere Bestimmung; danach sei "Herrschaft" die Form einer Beziehung
"des" Menschen zur vor- und außermenschlichen NATUR. Diese Verkehrung
des Herrschafts-Begriffs findet sich bereits in der bürgerlichen "Lebensphilosophie"
zu Beginn des 20. Jahrhunderts (Simmel, Klages, Spengler usw.), wo sie
dazu dient, die "subjekt-tötende" Entwicklung der dinglich-monetären
kapitalistischen Vergesellschaftungs-Logik einerseits zu beklagen und äußerlich
zu bekämpfen, andererseits
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aber auch zu mystifizieren als naturhafte, unentrinnbare ontologische
Gegebenheit, als "Verhängnis". Der Faschismus hat diese philosophische
Ideologie des zerfallenen idealistischen Denkens der Bourgeoisie positiv
gewendet und in sein rassistisches System eingebaut als "Naturnotwendigkeit"
von (Rassen-) Herrschaft. In verwandelter From taucht dieses kulturpessimistische
Motiv auch bei Horkheimer und Adorno auf, spätestens in der "Dialektik
der Aufklärung": "Herrschaft" ist demnach zuerst und vor allem eine
"herrschaftliche" (repressive, vergewaltigende) Beziehung des Menschen
zur Natur. Das "Selbst", d.h. der Mensch als der Natur bewußt Gegenübertretender,
sei in seiner Konstitution die "Durchschneidung" des "fluktuierenden Zusammenhangs"
mit der Natur (Dialektik der Aufklärung, Frankfurt 1981, S. 48). Kultur
und Zivilisation überhaupt sei so
"mit der Verleugnung der Natur im Menschen bezahlt ... um der Herrschaft
über die außermenschliche Natur und über andere Menschen
willen. Eben diese Verleugnung, der Kern aller zivilisatorischen Rationalität,
ist die Zelle der fortwuchernden mythischen Irrationalität: Mit der
Verleugnung der Natur im Menschen wird nicht bloß das Telos der auswendigen
Naturbeherrschung sondern das Telos des eigenen Lebens verwirrt und undurchsichtig.
In dem Augenblick, in dem der Mensch das Bewußtsein seiner selbst
als Natur sich abschneidet, werden alle die Zwecke, für die er sich
am Leben erhält, der gesellschaftliche Fortschritt, die Steigerung
aller materiellen und geistigen Kräfte, ja Bewußtsein selber,
nichtig, und die Inthronisierung des Mittels als Zweck, die im späten
Kapitalismus den Charakter des offenen Wahnsinns annimmt, ist schon in
der Urgeschichte der Subjektivität wahrnehmbar." (ebenda, S. 51).
Indem so das bürgerlich-lebensphilosophische Erbe der Kritischen
Theorie durchschlägt, schlägt auch die Positivismus-Kritik unvermittelt
um in Zivilisationskritik, ja Denk-Kritik überhaupt. In dieser Kulturkritik,
in die auch die reaktionär-pessimistische Kulturideologie FREUDS eingearbeitet
ist, geschieht ein Doppeltes: Zum einen wird die Geschichte der Emanzipation
des Menschen vom bloßen Naturzusammenhang umgedeutet in die Geschichte
seiner Selbst-Entfremdung als Naturwesen und damit in eine ontologische
Logik der Selbstzerstörung; zum anderen wird die subjektlose Natur
umgedeutet zum "Opfer" der ontologischen menschlichen Selbstentfremdung,
also zum leidenden Subjekt, das von menschlicher "Herrschafts"-Logik objektiviert
wird. Die rein historisch-gesellschaftliche Selbstentfremdung des Menschen
in der Klassengesellschaft und im Kapitalismus als deren Höhe- und
Umschlagspunkt wird so ausweglos mystifiziert als Selbstentfremdung des
Menschen von der Natur, letztlich das Menschsein überhaupt zur Entfremdungstatsache.
Herrschaft und Entfremdung verwandeln sich so aus historischen, gesellschaftlichen
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in anthropologische und also ontologische Zusammenhänge, die nicht
mehr als aufhebbar gedacht werden können. Die Existenz von "Herrschaft"
in den gesellschaftlichen, sozial-ökonomischen Beziehungen kann so
nicht mehr aus der historischen Gesellschaftlichkeit selbst, aus der historischen
Logik von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen abgeleitet
werden, sondern erscheint als unveränderliche, SEKUNDÄRE Konsequenz
des "Herrschafts"-Verhältnisses zur subjektivierten Natur. Die fetischistische
Mystifizierung des kapitalistischen Produktionsverhältnisses kommt
also nur in einer neuen Verkehrung zum Ausdruck: Nicht die historisch-gesellschaftliche
Unterwerfung des Menschen unter die dingliche Vergesellschaftungs-Logik
der abstrakten Arbeit erzwingt zerstörerische Produktionsprozesse
und Vernichtungsproduktion gegen Mensch und Natur, sondern umgekehrt soll
es die "herrschaftliche" Naturbeziehung als solche sein, die Existenz des
Menschen als "toolmaking animal", die innerhalb der Menschenwelt selber
in ihrer Gesellschaftlichkeit "Herrschaft" erzeugt. Die "Erbsünde"
der "Naturbeherrschung", des auflösenden Erkenntniswillens menschlicher
Subjektivität, der im Stoffwechselprozeß mit der Natur als Produktivkraftentwicklung
erscheint, konstituiert damit die zweite, sekundäre "Erbsünde"
der Herrschaft des Menschen über den Menschen. Die historisch-gesellschaftliche
Logik der kapitalistischen Produktionsweise wird auf den Kopf gestellt
und bis in die Anfänge der Zivilisation zurückverlagert.
Es kann kaum überraschen, daß dieser unhistorische, anthropologische
Entfremdungs- und Herrschaftsbegriff der Kritischen Theorie Eingang gefunden
hat in die Argumentation unserer neuesten Produktivkraft-Kritiker. Nachdem
die kapitalistische Produktionsweise "systemtheoretisch" als bloßes
"Subsystem" von äußerlichen Eigentums- und Zirkulationsverhältnissen
bestimmt und beiseitegeschoben worden ist, kann die "autonome" Logik der
Technik nun umso ungehemmter als "Herrschaftslogik" des Menschen gegen
die NATUR herausgearbeitet werden.
Damit aber wird "neben" oder sogar "statt" dem Kapitalverhältnis
vor allem die NATURWISSENSCHAFT zur primären Zielscheibe der Kritik.
So sagt Ullrich über die Anfänge der modernen Naturwissenschaften:
"Es ist die schon rationalere Gestalt der 'Ursehnsucht' der Magie,die
Naturgewalten durch eine 'Formel' zu beherrschen, durch das richtige Symbol
die fremden Mächte in die eigenen Dienste zu zwingen ...Die Herrschaftssehnsucht
der Magier erhält durch die experimentelle Naturwissenschaft bezogen
auf die Natur erstmals eine reale Potenz." (TuH, 100f.).
Allen sonstigen und wiederholten Beteuerungen zum Trotz wird hier
49
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die "Herrschaft", nachdem sie schon vorher begrifflich zur voraussetzungslosen,
soziologisch-positiven "Tatsache" heruntergebracht worden ist, in eine
vorzivilisatorische, anthropologisch-ontologische "Ursehnsucht" verwandelt,
deren primäres Bezugsobjekt ("Sündenfall"!) die "Natur" ist.
Der gesellschaftliche Konstitutionszusammenhang von Herrschaft wird ausgeblendet
und in eine Naturbeziehung umgedeutet, um ihn dann als sekundäre,
aus dieser Mystifizierung abgeleitete Erscheinung in der Menschenwelt wieder
einzuführen, aber eben abgeschnitten von seiner wirklichen historischen
Genesis. Der bürgerlich-"lebensphilosophische" Ursprung dieser Mystifikation
wird überdeutlich, wenn Ullrich vom "lebensreduzierenden Prinzip der
Naturwissenschaften" (WN, 47) spricht und behauptet:
"Im Industriesystem können diese lebensverneinenden Abstraktionen
auch ohne kapitalistische Besitzverhältnisse und Ausbeutung durch
die Technologie eine bedrohende Wirkung behalten." (WN, 47).
Man nehme also Kapitalverhältnis und Ausbeutung weg, dann bleibt
übrig - das "ursprüngliche", "primäre", "eigentliche" Übel,
der "Herrschaftszusammenhang" zur Natur, die anthropologische Ur-Konstante,
die in der Naturwissenschaft zu ihrem höchsten Ausdruck gefunden haben
soll.
Noch deutlicher wird diese von der Kritischen Theorie und deren bürgerlich-lebensphilosophischen
Lehrern ererbte Mystifikation bei Thaa. Er greift dabei zurück auf
die in der Neuen Linken wenig diskutierten Thesen von H. J. Krahl über
den Charakter der Wertabstraktion, in denen die anthropologische Umdeutung
des Herrschafts- und Entfremdungsbegriffs der Kritischen Theorie geballt
zum Ausdruck kommt:
"Die Wertabstraktion ist das innergeschichtliche a priori der technischen
Vernunft, der Wert ist idealisierte Naturbeherrschung, die politische Vernunft
ist auf den Menschen ausgedehnte Herrschaft über Natur." (zit. nach
HaV, 95).
Konzentrierter kann man diese Mystifizierung eines gesellschaftlichen
Verhältnisses nicht mehr formulieren! Die "Wertabstraktion" als ein
rein historisches gesellschaftliches Verhältnis wird umgedeutet in
"idealisierte Naturbeherrschung" und damit aus der dinglich-gesellschaftlichen
Logik des Geldes verwandelt in das "a priori der TECHNISCHEN Vernunft",
die historische Konstituierung dieses Formzusammenhangs also auf den Kopf
gestellt. Wie in der "Dialektik der Aufklärung", wie in der bürgerlichen
Lebensphilosophie und deren Vorläufern, nur noch deutlicher, wird
also die Herrschaft des Menschen über den Menschen nicht aus der Entwicklung
seiner Gesellschaftlichkeit abgeleitet, sondern aus
50
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seiner Naturbeziehung. Daß auch diese Naturbeziehung immer schon
"a priori" eine gesellschaftliche ist, kann dann zwar zugegeben, aber als
leere Bestimmung der Analyse äußerlich bleiben. Die "eigentliche"
Herrschaft als das Primäre erscheint eben nicht mehr gesellschaftlich
vermittelt, sondern als reine, abstrakte Naturbeziehung, die erst sekundär
als negative Vergesellschaftung auf die sozial-ökonomischen Beziehungen
zurückwirkt:
"Abstrakte Arbeit, die Wertsubstanz, ist ... die gesellschaftlich hervorgebrachte
und auf den Menschen projizierte reine Naturbeherrschung." (HaV, 135).
Mit Genugtuung kann Thaa also feststellen, daß "bei Krahl bereits
eine Kritik an Technik und Naturwissenschaft angelegt" (HaV, 96) ist, denn
er "sieht in Technik und Wissenschaft ... eine eigene Erscheinungsform
der Wertabstraktion" (HaV, 97). Während also Ullrich die "Herrschaftslogik"
der Naturwissenschaft gegen die subjektivierte Natur einfach als soziologisches
Ur-Phänomen stehen läßt, versucht Thaa mit Hilfe dieser
Mystifizierung den Begriff der Wertabstraktion und der abstrakten Arbeit
selber "produktivkraftkritisch" umzudeuten, aus einer Kategorie kapitalistischer
Vergesellschaftung in eine Kategorie der Naturbeziehung zu verwandeln.
Hier haben wir schon den begrifflichen Kern der logischen Monstrosität,
die Thaa "innere Wertform der Technik" nennt: Den Wert nicht mehr als innergesellschaftliche
Abstraktion der Arbeit, sondern als Abstraktion der Naturbeziehung. Diese
soll dann, wie schon Krahl behauptet, von der negativen Vergesellschaftung
des Kapitalverhältnisses, von der VERWERTUNG DES WERTS unabhängig
sein:
"Mit der Expansion des kapitalfixierten Maschinensystems vermag sich
der Wert als solcher - ohne den Umweg der Vermittlung über den Tauschwert
zu nehmen(!) - den Gebrauchswert zu unterwerfen." (zit. nach HaV, 97).
Es zeigt sich nun, wie notwendig es für Thaa war, die logische
Verschränkung von Produktion und Zirkulation zu leugnen und gegen
jede Evidenz auseinanderzureißen; nur so kann der Krahl'sche Begriff
des "Werts als solchen", der "unabhängig vom Tauschwert" sein soll,
als angebliche "Wertabstraktion der Naturbeziehung" eingeführt und
zum Primum, zum "eigentlichen a priori" erklärt werden. Die wirkliche
gesellschaftliche Realabstraktion des Geldes wird aus der Schußlinie
der Kritik genommen und zur sekundären, vielleicht sogar unwichtigen
Erscheinungsform erklärt, während sich der Kern der Kritik auf
Naturwissenschaft und Technik "als solche" bezieht. Grotesker kann man
das gesellschaftliche Verhältnis der Wertabstraktion nicht verbiegen
und umdeuten. Als gesell-
51
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schaftliches Verhältnis kann der Wert nicht unmittelbar an den
Dingen erscheinen, gerade dann nicht, wenn er sich die gesamte gesellschaftliche
Produktion im "kapitalfixierten Maschinensystem" unterworfen hat; vielmehr
kann er immer nur in der Zirkulation, in der dinglichen Abstraktion des
allgemeinen Äquivalents, "zu sich" kommen. Die historische Herausbildung
des "kapitalfixierten Maschinensystems" ist daher begleitet von der historischen
Verallgemeinerung und Totalisierung der Geldform aller gesellschaftlichen
Beziehungen. Diese evidente Tatsache kann durch den produktivkraftkritischen
Umdeutungs-Hokuspokus zentraler Kategorien der Marx'schen Kritik der Politischen
Ökonomie nicht weggewischt werden.
Thaa allerdings bildet sich ein, mit Hilfe seiner lebensphilosophischen
Umdeutung des Wertbegriffs endgültig über Marx hinaus zu sein:
"Von da aus läßt sich nun eine Reinterpretation der 'Kritik
der Politischen Ökonomie' entfalten ...". (HaV, 97).
Und mit völlig unangebrachtem Entdeckerstolz verkündet er:
"Während das Verdinglichungsphänomen in der Regel an den
verkehren den gegenständlichen Formen gesellschaftlicher Verhältnisse,
also vor allem an Wertform und Geld, diskutiert wird, kann hier, an der
inhaltlichen Bestimmung der Gesellschaftlichkeit der Arbeit im Wert, eine
tiefer liegende versachlichende Verkehrung ausgemacht werden." (HaV, 104).
Thaa macht hier, wie auch im folgenden, eine falsche Differenzierung
auf zwischen "Verdinglichung" (verstanden als Phänomen des "Warenverkehrs")
einerseits und "Versachlichung" (durch "herrschaftliche" Naturbeziehung
von Naturwissenschaft und Technik) andererseits, die ganz seinem falschen
Auseinanderreißen von Produktion und Zirkulation entspricht. Die
"Verdinglichung" durch "Wertform und Geld" als "verkehrende gegenständliche
Formen gesellschaftlicher Verhältnisse" soll sekundär und geradezu
unwichtig sein, das angeblich "gewöhnliche" Verständnis, wie
es angeblich "in der Regel diskutiert wird", während es sich bei jenem
"Wertbegriff" der reinen Naturbeziehung, der unglaublicherweise "keine
Form" annimmt, um eine "tiefer liegende" "Versachlichung" handeln soll.
Das Unding eines "formlosen" Werts verweist in Wirklichkeit auf das "Anderssein"
des Werts in der Zirkulation, auf seine Erscheinungsform im Geld, und damit
auf die Totalität von wertabstraktiver Produktion und Zirkulation,
wie sich Thaa auch drehen und wenden mag. Wie vollends die "Gesellschaftlichkeit
der Arbeit" auf der Grundlage der Wertabstraktion begriffen werden soll
durch die "inhaltliche Bestimmung" eines "formlosen" Werts, der unabhängig
von der Geldform und damit außerhalb der "gegenständlichen Form
gesellschaftlicher Verhältnisse"
52
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existieren soll, bleibt Thaas Geheimnis. Festzuhalten bleibt, daß
sowohl Ullrich als auch Thaa unabhängig von Wertform und Geld und
außerhalb der wirklichen gesellschaftlichen Beziehungen eine vorgängige,
völlig abstrakte "herrschaftliche" Naturbeziehung als "eigentliche"
Grundlage von "Herrschaft" in lebensphilosophischer Manier setzen. Außerhalb
und "unterhalb" des Kapitalverhältnisses, unabhängig von den
gesellschaftlichen Beziehungen zu denken, sei eine "reine Naturbeherrschung",
"Unterwerfung der Natur", "Wahn totaler Naturbeherrschung", "abstrakte
Naturbeherrschung", "reine Logik der Naturbeherrschung", "technologische
Rationalität der Naturbeherrschung" (HaV, 100,102,103,106,109 usw.)
die prämäre Grundlage aller negativen Erscheinungen menschlicher
Gesellschaftlichkeit, wie Thaa nicht müde wird zu wiederholen und
in immer neuen Zusammenhängen aufzutischen (ohne allerdings je die
letztlich bürgerlich-lebensphilosophische Herkunft des Grundgedankens
zu erwähnen).
Wie soll sich nun das "lebensreduzierende Prinzip der Naturwissenschaften"
(Ullrich) oder die "innere Wertform der Technik" (Thaa) konkret darstellen?
Thaa bezieht sich hier direkt positiv auf Ullrich, dem er bescheinigt,
es sei ihm gelungen,
"mit seiner Strukturcharakteristik den Herrschaftscharakter von Wissenschaft
und Technik an ihrer Form selbst zu beschreiben." (HaV, 146).
Bei dieser "Strukturcharakteristik" geht es aber wie bei der Wert-
und Geldform selbst um das, was Ullrich "lebensverneinende Abstraktionen"
nennt. Nur soll eben die (schlechte) Realabstraktion des Geldes noch überboten
werden durch die davon angeblich unabhängigen, autonomen "Abstraktionen"
der Naturwissenschaft, die sogar die "eigentliche" Grundlage aller "schlechten,
lebensfeindlichen Abstraktionen" überhaupt bilden sollen. Thaa nennt
dies die "wertabstraktive Versachlichung" durch Naturwissenschaft und Technik,
die er als unabhängig von der "Verdinglichung der Warenform" versteht.
Worin aber bestehen die "selbständigen Abstraktionen" der Naturwissenschaft
gegenüber dem "Warenverkehr" oder "Kapitalverhältnis"? Letztlich
handelt es sich um die "quantifizierenden Abstraktionen" des Messens, Zählens,
Wiegens usw. Schon seit der Romantik wird Galilei immer aufs neue der Prozeß
gemacht, weil er die Devise ausgegeben hatte, Wissenschaft bestehe darin,
"alles, was messbar ist, zu messen, und alles, was nicht meßbar ist,
meßbar zu machen" (die einschlägige Kritik an Galilei und der
modernen Naturwissenschaft überhaupt findet sich querbeet bei der
anschwellenden Masse
53
----
mehr oder weniger populärer produktivkraftkritischer Literatur,
so bei L. Mumford, C. Hofmann u.a.). Auch diese Konkretisierung des "Herrschafts"-Begriffs
in der Mystifizierung als abstrakte Naturbeziehung ist nichts Neues, sondern
findet sich schon auf breiter Front in der lebensphilosophischen Literatur
nach der Jahrhundertwende. Implizit stützt sich auch Ullrich in seinen
Grundgedanken über die "Herrschaftslogik der Naturwissenschaft" auf
diese alte Kritik der quantifizierenden naturwissenschaftlichen Abstraktionen
des "Messens", die als "lebensfeindlich" interpretiert werden. Der "Strukturzusammenhang"
der Naturerkenntnis ist daher für Ullrich gekennzeichnet "durch Zerlegen,
durch Auftrennung und Isolierung des natürlichen Prozesses" (TuH,
98), woraus sich "der partikulare, eingegrenzte Horizont der Wissenschaft"
(TuH, 100) und schließlich eine "Beliebigkeit und Gleichgültigkeit
als Bestandteil der naturwissenschaftlichen Rationalität" (TuH, 106)
ergebe (über den Aspekt der "Außensteuerung" von "gleichmäßig
ablaufenden Prozessen" als Ideal von Naturwissenschaft und Kapital vgl.
weiter unten den Abschnitt über die Degradation des Arbeiters).
An dieser Argumentation ist nur so viel Wahres, daß in der Tat
die Naturwissenschaft sich gar nicht anders entwickeln KONNTE als in der
Weise, daß die großen naturphilosophischen Spekulationen des
Altertums, die eine gewisse begriffliche Grundlage gelegt hatten, abgelöst
werden mußten durch ein ungeheures Sammeln empirischen Materials,
von zahllosen Details aus allen Naturzusammenhängen. Dies bedeutete
in der Tat ein "Zerlegen, Auftrennen und Isolieren des natürlichen
Prozesses". Um den lebenden Körper des Menschen in seinen organischen
Funktionszusammenhängen zu begreifen, mußte erst der tote Körper
des Menschen (teilweise gegen kirchliche Verbote) aufgeschnitten und in
seine toten Einzelteile zerlegt werden; dasselbe galt für alle übrigen
Gebiete der Naturerkenntnis. Und aus diesem Zusammenhang heraus findet
auch Galileis berühmte Definition ihre historische Berechtigung. Nichts
Neues freilich ist, daß sich aus dieser (notwendigen) historischen
Etappe der naturwissenschaftlichen Erkenntnis ein empiristischer, "positivistischer"
Geist von Wissenschaftlichkeit herausgebildet hat, der bis heute die Universitäten
beherrscht und das begrifflich-synthetisierende Denken mit abwehrender
Skepsis behandelt. Spätestens seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ist
die empirische Materialfülle, der "Tatsachenreichtum" der Naturwissenschaften
so angeschwollen, daß diese mehr oder weniger voneinander isolierte,
zusammenhanglose Fülle geradezu nach begrifflichen Synthetisierungen
schreit. Periodisch ist daher auch seit
54
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dem Ende des letzten Jahrhunderts immer wieder von einer "Krise der
Naturwissenschaft" die Rede, und ebenso periodisch flüchten sich die
positivistisch reduzierten Naturwissenschaftler und Verächter des
"philosophischen" Begriffs in die Arme des Spiritualismus, der Religiosität,
einer irrationalen "Ganzheit" usw., um ihrem unerträglich gewordenen
Partikularismus der Erkenntnis zu entfliehen; Capra, Dürr u. Co. betreiben
dieses Geschäft heute wieder äußerst schwungvoll. Unbestreitbar
ist auch, daß die Naturwissenschaft zusammen mit dem historischen
Aufstieg der Bourgeoisie logischerweise als "bürgerliche Wissenschaft"
entstand, d.h. zusammen mit und durchtränkt von den bürgerlichen
GESELLSCHAFTLICHEN Denkformen. Die Affinität des naturwissenschaftlichen
Positivismus zu bürgerlichen Gesellschaftstheorien ist daher selbst-evident
und längst aufgedeckt; seit gut einem Jahrhundert gibt es dazu auch
eine ausführliche marxistische Diskussion (u.a. von Engels und Lenin).
Aber diese Zusammenhänge der historischen Entwicklung der Naturwissenschaften
und der bürgerlich-positivistischen Ideologie und Gesellschaftstheorie
meinen Ullrich und Thaa gar nicht eigentlich. Tatsächlich stehen sie
ja mit ihrer soziologistischen "Herrschafts"-Begrifflichkeit, ihrer systemtheoretischen
"autonomen Logik der Bereiche", ihren positivistischen Verdikten gegen
die angebliche "hegelianische Choreographie" bei Marx usw. selbst bereits
längst auf dem Boden des bürgerlichen Wissenschaftsverständnisses
und sind so selber bereits jener historisch ererbten Logik der positiven
Naturwissenschaften erlegen. Es geht ihnen also letztlich um etwas ganz
anderes, nämlich darum, die gesellschaftliche Realabstraktion des
Werts durch die quantifizierenden Abstraktionen des naturwissenschaftlichen
"Messens" zu ersetzen bzw. sie damit gleichzusetzen. Nicht etwa die gesellschaftliche
Bornierung der naturwissenschaftlichen Denkweise ist also ihr Thema, sondern
unmittelbar der positive Inhalt von Naturerkenntnis selbst als angeblich
"lebensfeindlich" und als "wahre Grundlage" der zerstörerischen gesellschaftlichen
Abstraktionen. Sie verwechseln hier in derselben Weise wie schon beim Verhältnis
von Wert-Ökonomie und Zeit-Ökonomie die im Geld zu sich kommende,
gegen jede inhaltliche Bestimmung und Qualität sich verselbständigende
gesellschaftliche Abstraktion des Werts mit Abstraktion überhaupt.
Menschliches Denken kann sich Natur und die eigene Gesellschaftlichkeit
gar nicht anders aneignen als mittels begrifflicher Abstraktionen und einfacher
abstrakter Bestimmungen als deren Grundlage. Das "Verrückte" des Wert-Verhältnisses
ist ja gerade, daß es sich dabei um eine REAL-Abstraktion handelt,
um eine (im Geld) DINGLICH VERSELBSTÄNDIGTE Abstraktion gegenüber
Mensch
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und Natur. Es ist völlig unsinnig, der Naturwissenschaft das "Messen"
vorzuwerfen, eine Vorstellung, die sich erkennbar aus dem ausweglosen Gedanken
einer "Erbsünde" der im Menschsein überhaupt angelegten "Naturbeherrschung"
speist. Was immer die Naturwissenschaftler messen, dieses Messen kann sich
"als solches", als Quantifizierung, grundsätzlich nicht in seiner
Abstraktheit gegen die Inhalte verselbständigen, eben weil "das Messen"
sich in seiner Abstraktheit nicht selber dinglich darstellen kann wie das
Geld. Es mag sogar besessenen empirischen Forschern zuweilen etwas Derartiges
vorgeschwebt haben, also die Auflösung der Welt in ein Meer von Zahlen
und Fakten; soweit sie wirklich Naturwissenschaftler sind, kann man ihnen
solche Albernheiten verzeihen. Das gesellschaftlich Zerstörerische
ist eben nicht die skurrile Besessenheit des Insektenforschers oder selbst
des Atomphysikers, sondern die zum Herrschafts-Subjekt gewordene dingliche
Abstraktion des Geldes, die als abstrakte Arbeit in der gesellschaftlichen
Reproduktion alle Inhalte auslöscht. Das bloße naturwissenschaftliche
Messen ist immer das Messen "von etwas" und kann nichts anderes darüber
hinaus sein; es ist als solches, als Messen von Dingen, nicht determinierte
Logik der menschlichen Vergesellschaftung. Selbst dem ausgeflipptesten
Wissenschaftler dürfte es schwerfallen, einen gewogenen Elefanten
und einen gewogenen Felsbrocken nach erfolgter Prozedur des Wiegens fortan
nur noch als "gleiche Erscheinungsform von Schwere", unterschieden nur
durch die Quantität, wahrzunehmen. Ebenso dürfte es auch im positivistischsten
Wissenschaftsbetrieb auf wenig Verständnis stoßen, wollte jemand
ohne jede inhaltliche Bestimmung alle menschliche und natürliche Welt
auf Längenmaße reduzieren, das Versuchskaninchen ebenso wie
den Instituts-Korridor und seine Vorgesetzten oder Untergebenen; ein solches
Unterfangen würde ziemlich rasch durch Männer in weißen
Kitteln beendet werden. In der negativen Vergesellschaftungslogik der abstrakten
Arbeit und des Werts ist solche Verrücktheit aber längst als
"normal" anerkannt und zur unbezweifelbaren Lebenstatsache geworden, eben
weil sich hier die Abstraktion der indirekten Gesellschaftlichkeit in einem
toten Ding, dem Geld, gegen alle menschlichen und natürlichen Inhalte
verselbständigt hat. Diese in ihrer Totalitätsform zerstörerische
Grundtatsache des "modernen Lebens" aber ist offenbar so schwer zu begreifen,
gerade wegen ihrer Alltäglichkeit, daß es dem positivistischen
Wissenschaftsverstand, der auch derjenige der Produktivkraftkritiker ist,
tatsächlich unmöglich wird, die "verrückte" gesellschaftliche
Real-Abstraktion der Wert-Okonomie von der gewöhnlichen, bloß
gedanklichen Abstraktion überhaupt zu unterscheiden.
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In Wahrheit sind Naturwissenschaft und Technik ebenso wie alle anderen
gesellschaftlichen "Bereiche" der zentralen, hegemonialen Logik der Wertabstraktion
unterworfen, die sich mit ihrem Totalwerden in der Geschichte des 20. Jahrhunderts
als absolute Vernichtungs-Logik entfaltet. Trotz der (durchaus zu beachtenden)
Formunterschiede gilt diese Logik in ihrem Kern, der abstrakten Arbeit
und dem Geld, heute in West und Ost gleichermaßen. Die Mystifizierung
dieses rein innergesellschaftlichen Verhältnisses zur Naturbeziehung,
zum angeblichen "Sündenfall" einer "Herrschaftslogik" gegen die Natur
als primäre, bis in vorzivilisatorische Verhältnisse geschichtlich
zurückreichende Gegebenheit, verschüttet jeden Zugang zur realen
Aufhebung der verdinglichten gesellschaftlichen Zerstörungslogik und
ist daher nichts weniger als hilfreich. Es sollte Ullrich und Thaa zu denken
geben, wie die ihrer Argumentation zugrunde liegenden lebensphilosophischen
Gedanken auch heute wieder selbst von der ordinärsten reaktionären
Journaille aufgewärmt werden, um das gesellschaftliche Obsoletwerden
der abstrakten Arbeit (und des Geldes alsihrer Inkarnation) religiös
und pseudo-moralisch zu verkleistern. So schwafelte die politisch rechts
gewendete Betroffenheits-Moral nach Tschernobyl vom "anthropologischen
Schock" und der berüchtigte Springer-Kommentator Wilfried Hertz-Eichenrode
verbreitete sich angesichts der "vergewaltigten Natur" schluchzend in einem
Hausblatt des westdeutschen Kapitals:
"Umwelt ist entfremdete Natur, vom Menschen okkupiert, um ihr Nutznießer
zu sein ... Die Nachdenklichkeit unseres Bundespräsidenten brachte
es jedoch dahin, daß Richard von Weizsäcker in eine Rede über
den Rang der Umwelt und Natur in unserer Weltordnung dreimal das Wort 'Schöpfung'
einflocht. Das grundlegende Ziel sei es, die Schöpfung zu bewahren:
'Nur wenn wir die Natur um ihrer selbst willen schützen, wird sie
uns Menschen erlauben, zu leben'. Zu leben, so möchte man hinzusetzen,
nicht nur als vernunftbegabtes Wesen, sondern auch mit unserer vegetativen
und instinktiven Existenz ...". (Die Welt, 22.11.1986).
In solch unerträglichen reaktionären Schmonzes muß
die Mystifikation des gesellschaftlichen Wertverhältnisses als "herrschaftliche
Naturbeziehung" stets von neuem münden. Es wäre für Ullrich
und Thaa einer Überlegung wert, ob sie ihre als "Ergänzung" oder
gar "Weiterentwicklung" des Marxismus präsentierte produktivkraftkritische
Theorie in ihrer lebensphilosophischen Grundlage vielleicht doch mehr ihrer
"vegetativen Existenz" als ihrer "Vernunftbegabung" verdanken ...
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b) Verdinglichung des Produktivkraftbegriffs und Logik der Vernichtungsproduktion
Es wäre nun zu klären, welcher Produktivkraft-Begriff notwendig
aus der Mystifizierung des aus einer gesellschaftlichen Beziehung in eine
Naturbeziehung umgedeuteten Wertverhältnisses folgt. In der Marx'schen
Kritik der Politischen Ökonomie stellen die "Produktivkräfte"
vor allem eine GESELLSCHAFTLICHE POTENZ, ein gesellschaftliches Vermögen
dar das sich auf allgemeine Naturerkenntnis gründet. Wie es nun auf
der Ebene der einzelnen, individuellen Arbeit innerhalb der gesellschaftlichen
Gesamtarbeit nötig ist, einen Unterschied zu machen zwischen "ARBEITSKRAFT"
(als Potenz, Vermögen) einerseits und "AUSGEFÜHRTER ARBEIT" (wie
sie sich gesellschaftlich-fiktiv in den Produkten "vergegenständlicht"),
so wäre derselbe Unterschied analytisch auf der Ebene der gesellschaftlichen
Gesamtreproduktion herauszuarbeiten zwischen "PRODUKTIVKRÄFTEN" und
"PRODUKTIONSMITTELN" im unmittelbaren Sinne. Eine bestimmte Höhe der
gesellschaftlichen Naturerkenntnis und deren allgemeine Vermittlung mit
der Produktion erzeugt auch eine bestimmte Höhe der Produktivkräfte
als einer allgemeinen gesellschaftlichen Potenz. Die dinglich-"technische"
Form aber, in der diese gesellschaftliche Potenz erscheint, ist notwendig
geprägt von den PRODUKTIONSVERHÄLTNISSEN, d.h. von den innergesellschaftlichen
Beziehungen in den Reproduktionsprozessen.
Der gesellschaftliche Charakter der Produktivkräfte kann also,
wie jedes MOMENT in der an sich real gegebenen Einheit gesamtgesellschaftlicher
Reproduktion, nur von einem konkreten Totalitäts-Begriff der Gesellschaft
her verstanden werden. Da die Produktivkraftkritiker aber ja bereits methodisch
diesen Totalitäts-Begriff systematisch aufgelöst und eine isolierte
"Produktionslogik" der Naturwissenschaft und Technik "als solcher" behauptet
haben, d.h. als reine Naturbeziehung, verschwindet für sie zwangsläufig
auch der Charakter der Produktivkräfte als gesellschaftliche Potenz.
Stattdessen VERDINGLICHT sich dieser Begriff, d.h. die Produktivkräfte
werden "unvermittelt" nicht in ihrer gesellschaftlichen Potentialität
wahrgenommen, sondern platt-unmittelbar in ihrer "vergegenständlichten"
Gestalt, als tote "technische" Dinge. Da die angeblich "tiefste Grundlage"
der Produktionslogik als reine Naturbeziehung bestimmt worden ist, verschwindet
der ganze gesellschaftliche Vermittlungszusammenhang, aus dem heraus sich
die Potenz der Produktivkräfte, bestimmt durch die Logik der Produktionsverhältnisse,
in einer konkreten technolo-
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gischen Produktionsmittel-Struktur "vergegenständlicht".
Es dürfte nicht uninteressant sein, daß eine solche Fetischisierung
der Technik in Verbindung mit einer soziologistisch verkürzten Denkweise
auf dem Boden des historischen Marxismus durchaus nichts völlig Neues
oder Ungewöhnliches ist; nur daß der ideologische Bezug sich
eben nicht als "produktivkraftkritischer" darstellt, sondern natürlich
gerade umgekehrt als "technologischer Fortschrittsglaube", als dessen Erbe
sich ja die alte Arbeiterbewegung weitgehend verstand. Trotz dieser Seitenverkehrtheit
ist eine wesentliche strukturelle Identität von Produktivkraftkritik
und technologisch verkürzter Fortschrittsgläubigkeit nicht zu
übersehen. Diese Identität ist nicht nur in der soziologistischen
Verkürzung auf methodischer Ebene gegeben, sondern auch direkt inhaltlich
in der Verdinglichung des Produktivkraftbegriffs, nur mit jeweils umgekehrten
Vorzeichen. Als ein bekannter Vertreter dieses "marxistischen" Soziologismus
kann N. BUCHARIN angesehen werden, der in seinem mehr oder weniger berüchtigten
Werk "Theorie des historischen Materialismus" mit dem bezeichnenden Untertitel
"Gemeinverständliches Lehrbuch der marxistischen Soziologie" (deutsch
Hamburg 1922) neben anderen Verkürzungen der Marx'schen Theorie auch
einen solchen verdinglichten Produktivkraftbegriff transportiert und unmittelbar
"der Technik" eine entscheidende Rolle in der gesellschaftlichen Entwicklung
zuschreibt, also implizit ganz ähnlich wie heute Ullrich und Thaa
den Zusammenhang von Wertverhältnis und Naturbeziehung auf den Kopf
stellt (allerdings eben mit positiver Technologie-Gläubigkeit).
Gerade dieser strukturellen Ähnlichkeit der Argumentation wegen
kann die scharfe Kritik, die G. Lukács 1925 in einer Rezension an
der Position Bucharins geübt hat, fast unverändert als Kritik
der heutigen produktivkraftkritischen Positionen von Ullrich und Thaa etc.
gelesen werden. Zunächst kritisiert Lukács die dem bürgerlichen
Positivismus angenäherte Methodologie Bucharins:
"Die sehr stark dem bürgerlichen - naturwissenschaftlichen - Materialismus
angenäherte Theorie Bucharins erhält dadurch den Typus eines
'science' (nach dem französischen Wortgebrauch), und in ihrer konkreten
Anwendung auf Gesellschaft und Geschichte verwischt sie deshalb zuweilen
das Entscheidende der marxistischen Methode: SÄMTLICHE PHÄNOMENE
DER ÖKONOMIE und der 'Soziologie' AUF GESELLSCHAFTLICHE BEZIEHUNGEN
DER MENSCHEN ZUEINANDER ZURÜCKZUFÜHREN. Die Theorie erhält
den Akzent einer falschen 'Objektivität': Sie wird fetischistisch."
(Georg Lukács, Schriften zur Ideologie und Politik, Neuwied/Berlin
1967, S. 191).
Es handelt sich also um denselben Vorwurf, der methodisch auch Ullrich
und Thaa zu machen ist. Und wie bei den Produktivkraftkritikern erscheint
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diese verkürzende Methode auch bei dem "Fortschrittsgläubigen"
Bucharin als Fetischisierung der Technik:
"Dieser Rest von unaufgelöster Dinghaftigkeit, von falscher 'Objektivität'
kommt am schärfsten zum Ausdruck in der Behandlung der Rolle der TECHNIK
in der gesellschaftlichen Entwicklung. Bucharin mutet ihr eine Rolle zu,
die ihr sachlich ganz bestimmt nicht zukommt ... Es ist einleuchtend, daß
die ... Identifizierung der Technik mit den Produktivkräften weder
richtig noch marxistisch ist. Die Technik ist ein TEIL, ein allerdings
sehr wichtiges Moment der Produktivkräfte der Gesellschaft, sie ist
aber weder einfach identisch mit ihnen, noch ... das letzthin oder schlechthin
entscheidende Moment der Umwandlung dieser Kräfte." (ebenda, S. 191
f.).
Lukács begründet dies damit,
"daß jeder Versuch, in einem anderen Prinzip als in der gesellschaftlichen
Beziehung der Menschen zueinander im Produktionsprozeß ..., also
in der richtig aufgefaßten ökonomischen Struktur der Gesellschaft,
die grundlegende Bestimmung der Gesellschaft mit ihrer Entwicklung zu erblicken,
zu einem Fetischismus führt ..." (ebenda, S. 192)
und daß
"... die verselbständigte Technik als Grundlage der Entwicklung
aus dem groben Naturalismus bloß einen dynamisch verfeinerten (macht).
Denn die Technik ist, wenn sie nicht als MOMENT des jeweiligen Produktionssystems
gefaßt wird, wenn ihre Entwicklung nicht aus der Entwicklung der
GESELLSCHAFTLICHEN Produktivkräfte erklärt wird (statt diese
zu erklären), genauso ein den Menschen transzendent gegenübertretendes
fetischistisches Prinzip ..." (ebenda, S. 193).
Wie man sieht, braucht das positive Vorzeichen bei Bucharin nur durch
ein negatives ersetzt zu werden, bei sonst völlig gleichbleibender
logischer Struktur des technologischen Fetischismus, und wir haben die
Logik der Produktivkraftkritiker vor uns. Während sich der Technik-Optimismus
Bucharins historisch natürlich aus dem "sozialistischen Aufbau" (in
Wirklichkeit der nachholenden "ursprünglichen Akkumulation") erklärt,
leitet sich die negative Bestimmung von Naturwissenschaft und Technik bei
den Produktivkraftkritikern ebenso historisch erklärbar aus der heute
manifest gewordenen Vernichtungsproduktion und der Zerstörung der
natürlichen Lebensgrundlagen ab. Aber beide, die früheren Technologie-Gläubigen
ebenso wie die heutigen Technologie-Kritiker, verfehlen die wirkliche gesellschaftliche
Logik des Wertverhältnisses völlig und bleiben damit deren Erscheinungen
gegenüber hilflos.
Während in dieser Frage Winfried Thaa allgemein bleibt, kommt
die Verdinglichung des Produktivkraft-Begriffs bei Otto Ullrich gerade
dadurch besonders stark zum Ausdruck, daß er (vor allem in der populären
Broschüre "Weltniveau") geradezu einem konkretistischen Wüten
in seiner Technologiekritik erliegt und auf diese Weise die Schwächen
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der produktivkraftkritischen Argumentation deutlich bloßlegt.
Kunterbunt subsumiert er Naturwissenschaft, technische Produktionsmittel,
bestimmte Maschinen und Produkte, ja sogar einfache Gebrauchsgegenstände,
z.B. "ein Fahrrad" (WN, 72), unter den Begriff der "Produktivkräfte".
Nachdem er den Produktivkraftbegriff derart verdinglicht und aus einer
historisch-gesellschaftlichen in eine tote Gegenstands- und "System"-Kategorie
verwandelt hat, kann er der "marxistischen Formel" vom "Doppelcharakter
der Produktivkräfte" (WN, 72) unterstellen, sie meine die platte Hinübernahme
jedweden Technologie-Systems, jedweder technologischen Zerstörungsproduktion,
jedweder Maschinerie unabhängig von ihrer qualitativen Bestimmung
in den "Sozialismus", ganz unvermittelt in der toten, dinglichen Gestalt,
wie sie die kapitalistische Produktionsweise hinterlassen hat. Sogar die
"Staatsmaschine" und die "Militär- und Kriegsmaschine" (WN,
72f.) läßt er unter diesen Zusammenhang fallen, wobei natürlich
nach bewährtem Muster der "Realsozialismus" der sowjetischen Produktionsweise
die Folie abgibt für eine solche Interpretation.
Der rationale Kern von Ullrichs (und jeder anderen) Technologie-Kritik
ist die zentrale Frage der GESELLSCHAFTLICHEN GEBRAUCHSWERT-ORIENTIERUNG,
die als Forderung unbedingt berechtigt und sogar lebensnotwendig geworden
ist. So wäre Ullrich zunächst einmal sogar zuzustimmen, wenn
er sagt, daß
"für viele ... Technologiesysteme und Maschinen gilt: Sie sind
so durchdrungen vom Zweck der Herrschaft und Ausbeutung, so sehr auf Kostenverschiebung,
Vergeudung und Zerstörung hin konstruiert worden, daß sie unmöglich
durch eine 'andere Anwendung' ein Instrument der Emanzipation werden können.
Man kann sie nur abschaffen" (WN, 72f.)
und daß
"man gezwungen (ist), einzeln die Technologien und Technologiesysteme
zu überprüfen: Man muß 'Technologiekritik' betreiben."
(WN, 77).
Aber "Technologiekritik" in DIESEM Sinne hätte in Wirklichkeit
gar nichts mehr mit Ullrichs eigener ideologischer Herleitung aus dem abstrakten
Naturverhältnis zu tun; sie könnte sich nicht aus einer grundsätzlichen
Kritik an den "quantifizierenden Abstraktionen" speisen, sondern müßte
umgekehrt gerade selber mit diesen Mitteln und Abstraktionen der Naturwissenschaften
arbeiten, um überhaupt eine solche Gebrauchswert-Überprüfung
auf gesellschaftlicher Ebene vornehmen zu können. Mit einer technologie-fetischistischen
Ideologie ist diese notwendige Gebrauchswert-Orientierung und eine daraus
abgeleitete konkrete Technologie-Kritik im einzelnen eben gar nicht zu
leisten. Eine Ahnung von dieser Logik mußte in
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der Debatte um Tschernobyl aufdämmern. So schrieb, offenbar selbst
ein wenig erstaunt über solche Zusammenhänge, die ins (feministische)
wissenschafts- und produktivkraftkritische Lager übergewechselte ehemalige
Marxistin Christel Neusüß über die Situation nach Tschernobyl:
Ich denke, ich spinne. Seit ich in die 'Wissenschaft' eingestiegen
bin, und in der Politik ist es mir ähnlich ergangen, werde ich immer
wieder mal verwarnt wegen meines mangelnden Interesses für 'hard facts',
für die Zahlen, das Meßbare. Es wird mir erzählt: Meine
Liebe, was nicht quantifizierbar ist, das kann kein Gegenstand der Wissenschaft
sein, das ist Ideologie ... Die Lage hat sich seit Tschernobyl seltsam
umgekehrt. Plötzlich sind es die Frauen, die partout messen wollen.
Die Mütter wollen den Sand im Kindergarten, den Rasen, die Milch,
ihre eigene Milch, die Luft, den Regen, das Wasser gemessen haben. Die
Mütter mit den kleinen Kindern, sie wollen die Zahlen, die Meßgeräte
... Augen, Hände und Gehirn, dies also seien die einzig wirkliche
Natur, das heißt die Naturgesetze wahrnehmenden Organe. Die Hände
und das Gehirn, sie machen Meßinstrumente, und unsere Augen sehen,
lesen. UNSERE Augen? Nein, die Augen der Experten, die mit den Geräten
umgehen können, und die werden ja, wie wir gesehen haben, häufig
genug zum Schweigen verpflichtet. Auch unsere Augen also können uns
genommen werden, eben weil es nicht mehr die unsrigen sind. Ohne Meßgeräte
sind wir unfähig, die Gefahr überhaupt wahrzunehmen." (Christel
Neusüß, Sie messen, und dann essen sie es doch: Von der Wissenschaft
zum Aberglauben. In: Gambaroff, Mies u.a., Tschernobyl hat unser Leben
verändert, Reinbek 1986, S. 108ff.).
Abgesehen von der durchklingenden dumpfen Mutter-Ideologie kann jedenfalls
gegen die hier zitierten Sätze kaum etwas eingewendet werden. Aber
dann wird auch sofort klar, daß der produktivkraftkritische Technologie-Fetischismus
das Thema verfehlt, daß es um die GESELLSCHAFTLICHE Grundbeziehung,
um die Frage der GESELLSCHAFTLICHEN GEBRAUCHSWERTORIENTIERUNG geht und
nicht um die abstrakte Naturbeziehung, die in der "Technik als solcher"
als tote Gegenstands-Kategorie wahrgenommen wird.
Dies wird auch vollkommen klar, wenn sich Otto Ullrich mit der Chemie-Industrie
und mit der industrialisierten Landwirtschaft auseinandersetzt. Soweit
er davon spricht, daß in der Chemie-Industrie "riesige Mengen gefährlicher
Stoffe" bei "geringem Sicherheitsstandard" (WN,
86) produziert werden, daß "nur wenige der künstlich erzeugten
Stoffe bis jetzt systematisch und in Langzeitversuchen überprüft
worden (sind)" (WN, 87), ist ihm auf der Ebene der Gebrauchswertfrage unbedingt
zuzustimmen; aber dies wäre dann eben keine eigentliche Produktivkraft-
und Wissenschaftskritik mehr, sondern eine selber mit naturwissenschaftlichen
Mitteln arbeitende Gebrauchswert-Überprüfung und Umorientierung
der gesellschaftlichen Industrie. Dies gilt auch für die Kritik bestimmter
Produktionen der chemischen Industrie, wie sie Ullrich unter Verweis
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auf die Untersuchungen des amerikanischen Biologen und Ökologen
Barry Commoner vorträgt:
"Um den gleichen Gebrauchsgegenstand, z.B. ein Hemd, herzustellen,
benötigte man 1971 sehr viel mehr Energie und Rohstoffe und verursachte
durch Herstellung und Verbrauch sehr viel mehr Müll als 1946." (WN,
89).
Wenn Ullrich hinzusetzt:
"Das sieht nicht nach Fortschritt der Produktivkräfte aus, ist
aber ganz wesentlich durch angeblich fortschrittlichere Technologien verursacht
worden" (WN, 89),
dann versetzt er damit seiner eigenen Basis-Ideologie einen Fußtritt
und gibt unfreiwillig zu erkennen, daß "Produktivkräfte" (als
gesellschaftliche Potenz) und "bestimmte Technologien" eben nicht unmittelbar
identisch sind, daß die gesellschaftliche Beziehung der Wert-Ökonomie
es ist, die den Gegenstandscharakter der "angewendeten" Produktivkräfte
vermittelt, und zwar in durchaus (und zunehmend!) kontraproduktiver Weise
im Hinblick auf die gesellschaftliche Gesamt-Reproduktion. Aber dann müßte
wieder die Realabstraktion des Werts als Geld thematisiert werden, die
Ullrich selber systematisch ausgeblendet hat als "Subsystem" des "Warenverkehrs"
usw. Erst recht argumentiert Ullrich unfreiwillig gegen sich selbst, wenn
er plötzlich unvermittelt feststellt:
"Trotz der insgesamt sehr negativen Bilanz der petrochemischen Industrie
kann man diese Industrie jedoch nicht total ablehnen" (WN, 90)
und zustimmend Commoner zitiert, der sagt:
"Einige ihrer Nutzungen SIND einzigartig und wichtig ... Aber diese
Nutzungen stellen nur einen geringen Teil der Milliarden Pfund Plastik
dar, die alljährlich ... produziert werden." (zit. nach WN, 90).
Also geht es doch gar nicht gegen die Produktivkräfte "als solche",
sondern um die Gebrauchswertorientierung der gesellschaftlichen Industrie?
Die ganze crux von Ullrich wird mit einem Schlag klar, wenn er dazu sagt:
"Man wird jedes einzelne Produkt und die dazugehörige Technologie
der petrochemischen Industrie sorgfältig in der Gesamtbilanz und im
Vergleich zu anderen Technologien überprüfen müssen. Schon
jetzt ist jedoch sicher: Einen sehr großen Teil dieser 'fortschrittlichen'
PRODUKTIVKRÄFTE (Hervorheb. R.K.) kann man nur nutzbringend anwenden,
indem man sie verschrottet." (WN, 90).
Ganz offensichtlich hat Ullrich sich hier in seiner falschen, fetischistischen
Verdinglichung des Produktivkraftbegriffs verheddert. Er sagt "Produktivkräfte",
meint aber einzelne, bestimmte dingliche Produktionsmittel und Produkte,
die sich von ihrem gesellschaftlichen GEBRAUCHSWERT her als schädlich
erwiesen haben. Wenn aber, wie Ullrich selber sagt,
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man die petrochemische Industrie "nicht total ablehnen" kann, dann
müssen nicht die Naturwissenschaft und die Produktivkräfte "als
solche" kritisiert werden, sondern die rein gesellschaftliche LOGIK DER
WERTABSTRAKTION, die daraus zerstörerische Produktionsmittel und Produkte
heckt (auf die im letzten Zitat angesprochene "Gesamtbilanz" komme ich
gleich weiter unten).
Dieselbe crux der fetischistischen Produktivkraftkritik finden wir
bei der Behandlung der industrialisierten Landwirtschaft durch Ullrich.
So stellt er wieder völlig richtig über die "fatalen Folgen"
der "Folgeketten" des industriellen Eingriffs in die Agrarproduktion fest:
"Das Vieh wird von den Weiden genommen und in Fütterungssilos
kaserniert. Der Kot und die Abfälle, die hier anfallen, wandern nicht
als Dünger auf den Boden zurück, sondern werden zu 'Müll',
der beseitigt werden muß: Diese stickstoffhaltigen Abfälle werden
in lösbare Verbindungen wie Ammoniak und Nitrat verwandelt, die dann
in den Flüssen und im Grundwasser ernste Umweltschäden verursachen.
Der so beseitigte natürliche Dünger muß nun auf dem Feld
durch Kunstdünger ersetzt werden. Das Düngerproblem verschärft
sich, weil das Vieh in den Silos nicht mit Gras oder Heu gefüttert
wird, sondern mit Getreide. Eine Getreidebewirtschaftung des ehemaligen
Weidelandes belastet den Boden stärker. Er braucht noch mehr Kunstdünger.
Durch Intensivbewirtschaftung großflächiger Monokulturen kann
der Boden sich immer weniger aus eigener Kraft regenerieren. Ihm müssen
immer größere Mengen Kunstdünger zugeführt werden.
Um den GLEICHEN (Hervorheb. Ullrich) Ertrag zu erzielen, mußte in
Amerika 1968 fünfmal soviel Kunstdünger verwendet werden wie
1949 ... Allgemein ist ... zu beobachten, daß in der industrialisierten
Landwirtschaft auf 'höherer ökonomischer Stufe' ein immer riesigerer
Apparat bewegt werden muß, der bei gleichem Einsatz immer geringere
Erträge bringt und nur durch Kostenverschiebung noch rentabel erscheinen
kann." (WN, 91ff.).
Ullrich beschreibt einen dinglichen, gegenständlichen Verkettungszusammenhang
von gebrauchswertschädlicher Produktion, und weil dieser Zusammenhang
sich so beschreiben läßt, führt er ihn auch unmittelbar
auf dingliche Ursachen zurück, auf "die Technik" oder "das Industriesystem"
bzw. auf deren geistige Mutter, die moderne Naturwissenschaft. Der ganze
GESELLSCHAFTLICHE Verkettungszusammenhang der Wert-Okonomie, der diesen
Widersinn erst erzeugt und geradezu erzwingt, bleibt völlig ausgeblendet
und der toten Gegenständlichkeit äußerlich. Ullrichs Gewährsmann
Commoner freilich ist dieser Zusammenhang nicht verborgen geblieben,
auch wenn er sich nur mit Oberflächenkategorien dazu äußern
kann:
"Man kann das UNTERNEHMERTUM und die CLEVEREN VERKÄUFEREIGENSCHAFTEN
(Hervorheb. R.K.) der petrochemischen Industrie fast bewundern. Irgendwie
hat sie es fertiggebracht, den Farmer zu überreden, die freie Sonnenenergie
aufzugeben, welche alle natürlichen Zyklen betreibt, und statt dessen
die erforderliche Energie - in Form von Düngern und Brennstoffen -
von der petrochemischen Industrie zu beziehen." (zit. nach WN, 92).
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Ullrich reagiert auf diesen Hinweis ebenso unsicher wie unwirsch, um
sofort zur "Rettung" seiner produktivkraftkritischen Basis-Argumentation
wieder den "Realsozialismus" aus dem Zylinder zu ziehen:
"Wenn man verfolgt, warum die Sackgassen der chemischen Industrie und
der Landwirtschaftsindustrie betreten wurden' so sind in den kapitalistischen
Ländern die Profitmotive von Kapitalgesellschaften überdeutlich
zu erkennen. Commoner z.B. verweist ständig darauf. Aber es ist ebenso
wichtig, zu sehen, daß bei der Übernahme dieser Technologien,
bei der Übernahme oder eigenen Entwicklung der Petrochemie in großem
Maßstab und bei der Industrialisierung der Landwirtschaft der Weg
in die Sackgassen fortgesetzt wird, auch wenn das Profitmotiv ausgeschaltet
ist. Da der real existierende Sozialismus all die beschriebenen Sackgassentechnologien,
auch die Kriegsmaschine und die Kerntechnologie, übernommen oder selbst
entwickelt hat, wäre es für einen Systemvergleich sehr wichtig,
die 'kapitalähnlich' wirkenden Mechanismen für diese Entwicklung
herauszufinden." (WN, 93).
Mit "kapitalähnlich wirkenden Mechanismen" meint Ullrich natürlich
die Naturwissenschaft und Technik "als solche", als "autonomen Bereich"
usw.; komplettiert wird diese Vorstellung, wie wir gesehen haben, durch
Thaas "innere Wertform der Technik", die ja als ebenso "autonomer" wie
"kapitalähnlich wirkender" Mechanismus der toten technischen Gegenständlichkeit
konzipiert ist. Aber die wirkliche Basis-Identität der beiden Gesellschaftsformen,
die sich heute gegenüberstehen, besteht eben nicht in der Gleichartigkeit
ihrer technisch-naturwissenschaftlichen Produktionsgrundlagen ("Industriesystem"),
sondern darin, daß beide Systeme in ihrer GESELLSCHAFTLICHEN Grundbeziehung
auf der abstrakten Wert-Ökonomie beruhen. Das "Profitmotiv" ist insofern
auch im "Realsozialismus" nicht einfach "ausgeschaltet" im Sinne eines
spurlosen Verschwindens durch Übergang zu wirklicher Gebrauchswertproduktion,
sondern lediglich formverwandelt durch die spezifischen Akkumulations-Mechanismen
der gesellschaftlichen Wert-Produktion in einer historischen Konstellation
der staatlich zentralisierten "nachholenden ursprünglichen Akkumulation"
(die spezifische Krise, die sich für die Gesellschaften mit sowjetischer
Produktionsweise aus dem Übergang zur Produktion des relativen Mehrwerts
ergibt, einer Entwicklungsstufe der Wert-Ökonomie, die bei fortdauernder
staatlich-bürokratischer Regulierung der Marktprozesse zur Stagnation
führen muß und daher zunehmend ein "Loslassen" des Marktes erzwingt,
muß hier nicht näher erörtert werden. Ich will diesen Punkt
nur in Erinnerung rufen, um Mißverständnisse über eine
unmittelbare Identität der gesellschaftlichen Reproduktion in Ost
und West, die natürlich in dieser Plattheit nicht gegeben ist, zu
vermeiden).
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In beiden Gesellschaftsformationen jedoch ist die reale Basis der Zirkulations-
und Distributionsprozesse, ungeachtet deren unterschiedlicher Regulierung,
die abstrakte Wert-Produktion. Für die von Ullrich angeführten
Beispiele von "Sackgassen-Technologien" in gebrauchswertmäßiger
Hinsicht sind dabei vor allem zwei Erscheinungen dieser Wert-Ökonomie
von Bedeutung: Erstens bedeutet die Produktion von Produktions- und Konsumgegenständen
unter dem Diktat der Wertabstraktion den unbedingten Zwang zur Verausgabung
menschlicher Arbeitskraft als SELBSTZWECK. Der historische Sinn dieses
Zwangs, darauf habe ich oben bereits hingewiesen, besteht in der "Entwicklung
der Produktivkräfte" über die alte Klassengesellschaft hinaus,
d.h. in der Ablösung der gesellschaftlichen Reproduktion vom bloßen
Naturzusammenhang der vorkapitalistischen agrarischen Produktionsweisen;
auf einer heute erreichten Entwicklungsstufe der Industrialisierung aber
muß diese historische Form der Wert-Ökonomie in eine umfassende
Reproduktionskrise münden und durch direkte gesellschaftliche Gebrauchswertproduktion
ersetzt werden. Unter dem Diktat der Verausgabung menschlicher Arbeitskraft
als Selbstzweck jedoch muß jede im Sinne des abstrakten Werts "kostenlose"
Produktion als sinnlos erscheinen; sogar das inhaltlich, qualitativ, gebrauchswertmäßig
sinnloseste und gefährlichste Projekt wird notwendigerweise innerhalb
einer Wert-Ökonomie so gerechtfertigt werden müssen (z.B. unter
Verweis auf "Arbeitsplätze" - also unter direktem Verweis auf den
Selbstzweck!). Im bewußtlos vorausgesetzten Sinne der gesellschaftlichen
Akkumulation abstrakten Reichtums, also des "Werts", erscheinen nun die
dinglichen Verkettungszusammenhänge von Großchemie und Landwirtschaft,
über die man unter gebrauchswertmäßigen Gesichtspunkten
nur den Kopf schütteln kann, durchaus nicht so absurd, sondern vielmehr
als direkter "Sachzwang". Die stofflich sinnlose und gefährliche Ersetzung
natürlicher Reproduktionsprozesse durch geradezu wahnwitzige Überdüngung,
die totale Auspowerung des agrarischen Bodens usw. wird wertmäßig
erzwungen durch das Interesse, jeden Stoffwechselprozeß mit der Natur
IN PRODUKTION VON WERT ZU VERWANDELN. Und da der abstrakte Wert real nur
im GELD erscheinen kann, muß man diesen Prozeß auch "Monetarisierung
der Welt" nennen: Von diesem blind vorausgesetzten Mechanismus her erscheint
jedes Moment des gesellschaftlichen Stoffwechsels mit der Natur, das nicht
irgendwo als GELD erscheint, als "un-ökonomisch". Solange Ullrich
also systematisch die Logik der Wertabstraktion ausblendet, muß seine
Kritik der Vernichtungsproduktion ins Leere zielen. Er geht naiv von Gebrauchswert-Kriterien
aus, ohne die gesellschaftlichen Mechanis-
66
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men aufdecken zu können, von denen die Produktivkräfte in
die Bahnen der Vernichtungsproduktion gelenkt werden.
Zweitens aber schließt jede Wert-Ökonomie per definitionem
jede gesellschaftliche "Gesamtrechnung" prinzipiell aus. Wenn Ullrich den
"qualitative(n) Maßstab einer gesellschaftlichen Gesamtbilanzierung"
(WN, 9) verlangt, jedoch gleichzeitig keinerlei Klarheit über die
Logik der abstrakten Arbeit und damit des Werts besitzt, daher auch für
ihn die erhobene Forderung nach einer "Gesamtbilanz" keineswegs identisch
ist mit der Forderung nach Abschaffung der Wert-Ökonomie, so hat er
die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Eine tatsächliche Gesamtbilanz
würde eine unmittelbare, bewußte Distribution der gesellschaftlichen
Arbeitskraft nach verfügbaren ARBEITSSTUNDEN bedeuten (direkte Zeit-Ökonomie),
an die der qualitative Maßstab des gesellschaftlichen Gebrauchswerts
angelegt wird. Dies würde ermöglichen, jede einzelne Produktion
"ex ante" in ihrem gesamten gesellschaftlichen Verkettungszusammenhang
zu sehen und zu beurteilen. Das Problem der Wert-Ökonomie besteht
aber gerade darin, daß sich die Distribution der gesellschaftlichen
Arbeitskraft nur INDIREKT herstellt, nicht nach dem "natürlichen Maß"
der Arbeitszeit, sondern fetischistisch-dinglich verselbständigt im
"Wert", der real erscheint als GELD in der Zirkulationssphäre. Diese
im Geld verdinglichte, indirekte, bewußtlose Vergesellschaftung der
Arbeit erzwingt für jeden konkreten einzelnen Produktionsprozeß
eine getrennte BETRIEBSWIRTSCHAFTLICHE Kalkulation, d.h. eine prinzipiell
PARTIKULARE RATIONALITÄT, deren Oberflächenerscheinung Max Weber
die "formale Rationalität des Marktes" genannt hat. In dieser formal-betriebswirtschaftlichen
Rationalität aber sind notwendig die stofflichen Verkettungszusammenhänge
ausgelöscht, nach denen die Akkumulation des abstrakten Werts nicht
fragt und nicht fragen kann: Die abstrakte Gleichheit des Geldes unterscheidet
nicht nach dem gesellschaftlichen Gebrauchswert, sondern allein nach der
größeren oder geringeren Quantität des abstrakten, inhaltslosen
Reichtums. In diesem entscheidenden Punkt unterscheidet sich die "realsozialistische"
Wert-Ökonomie prinzipiell nicht von der westlichen. Alle historischen
Eingriffe der sowjetischen Administration in die Distribution der Ware
Arbeitskraft gingen nicht von einer gebrauchwertorientierten Gesamtbilanzierung
aus, sondern ausschließlich von Erfordernissen der Wert-Ökonomie
unter den Bedingungen der nachholenden ursprünglichen Akkumulation:
Administrativ erzwungener Vorrang der Entwicklung schwerindustrieller Grundlagen,
zentralisierte Abschöpfung des gesellschaftlichen Mehrwerts zwecks
Investition in als wesentlich erachtete Basis-Industrien
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usw. (nicht umsonst wurde die deutsche Kriegswirtschaft des 1. Weltkriegs
oft als organisatorisches Vorbild genannt). Ein solcher äußerlicher
administrativer Eingriff hat mit einer wirklichen Gesamtbilanzierung nach
Arbeitszeiten und qualitativen Gebrauchswerten nichts zu tun. Ebensowenig
stellt die "Planung" in "stofflichen Größen" (als mickriger
Zusatz zur "Planung" in Wert-Kategorien) eine solche direkt gesellschaftliche
Gesamtbilanz dar, da sie ja nichts weiter ist als die qualitätslose
Hochrechnung von Produktionsziffern, deren stoffliche Verkettungszusammenhänge
unberücksichtigt bleiben. Die reale gesellschaftliche Produktion bleibt
so in Wirklichkeit der betriebswirtschaftlichen, formalen Rationalität
unterworfen, die sich von sich aus nicht schert (und nicht zu scheren hat)
um ihre natürlichen und gesellschaftlichen Zusammenhänge und
Konsequenzen. Daß die zirkulativen und distributiven Prozesse durch
den politisch-bürokratischen Regulationsmechanismus hindurchmüssen,
ändert nichts an der Logik der Partikularität, wie sie notwendig
von der Wertabstraktion erzeugt wird. Daß diese weiterhin gültige
Logik in das Korsett einer Bürokratie gepreßt wird, mindert
ihre wert-ökonomische Effizienz, läßt aber ihre gebrauchswertmäßig
kontraproduktive Vernichtungspotenz umso hemmungsloser hervortreten. Es
ist eine Tatsache, daß die natürlichen Lebensgrundlagen im gesamten
Ostblock noch weit rücksichtsloser und brutaler der Wert-Ökonomie
ausgeliefert und zerstört werden als im Westen: Das immer weitere
Zurückfallen in der Produktion des relativen Mehrwerts peitscht die
staatliche Administration des "geplanten Marktes" zu immer hemmungsloserer
Vernichtungsproduktion, zum Ausklinken aller Sicherungen und zu verantwortungsloser
Risikobereitschaft gegen Leben und Gesundheit der arbeitenden Massen. Wenn
Ullrich also von "Gesamtbilanzierung" spricht, ohne die Wert-Ökonomie
in West und Ost als Verursacher der stofflich-gebrauchswertmäßigen
Absurditäten anzugreifen, so weiß er nicht, wovon er überhaupt
spricht. Daß er selber in diesem Zusammenhang bloß von "Kostenverschiebung"
spricht und die "Rentabilität" der von ihm kritisierten "Sackgassentechnologien"
auf gesamtgesellschaftlicher Ebene bezweifelt, signalisiert nur, daß
er die formalen betriebswirtschaftlichen "ökonomischen" Kriterien
naiv und unvermittelt an die geforderte qualitative Gesamtbilanz anlegt
und selber in der verdinglichten Geld-Kategorie denkt. Die gesellschaftliche
Existenz des Geldes aber ist es ja gerade, die jene formale Partikularität
erzwingt, deren stoffliche Konsequenzen er kritisiert! Es zeigt sich also
gerade an den von Ullrich selber angeführten Beispielen von gebrauchswertmäßig
kontraproduktiver Produktion, wie die produktivkraft-
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kritische Ideologie mit ihrer falschen Frontstellung gegen Naturwissenschaft
und Technik "als solche" an den realen Erscheinungen der Vernichtungsproduktion
analytisch scheitert. Die Verdinglichung des Produktivkraftbegriffs, wie
sie aus der Verkehrung kapitalistischer Vergesellschaftungslogik in abstrakte
Naturbeziehung notwendig folgt, muß der verdinglichten Logik des
Geldes aufsitzen und so bewußtlos versuchen, auf der ontologisierten
Basis der zum bloßen "Subsystem" erklärten Wert-Ökonomie
deren eigene Konsequenzen mit untauglichen Mitteln zu bekämpfen. Qualitative
Gebrauchswertproduktion und gesellschaftliche Gesamtbilanzierung sind unvereinbar
mit der Realabstraktion des Geldes, sie sind nicht zu haben ohne dessen
revolutionäre Überwindung in einer direkt gesellschaftlichen
Zeit-Ökonomie, und sie sind nicht zu haben durch die fetischistische
Kritik von Naturwissenschaft und Technik, sondern umgekehrt nur dadurch,
daß die Mittel der Naturerkenntnis selber gegen die verrückte
und lebensgefährlich gewordene Logik des Geldes ins Feld geführt
werden.
P.S.: In der folgenden Nummer der 'MK' wird dieser Artikel fortgesetzt.
Dann werden der noch fehlende Unterpunkt zu 3, die Degradation des Arbeiters,
abgehandelt und als Punkt 4 Dürftige Moral und Moral der Dürftigkeit:
Konsequenzen der Produktivkraftkritik, ausgeführt. Dieser Abschnitt
gliedert sich unter in a) Entgesellschaftung und Warenfetisch: "Small is
beautiful", b) Dürftige Moral: Die "Reduzierung der Dimension des
Machens", c) Moral der Dürftigkeit: Die "Reduzierung der Bedürfnisse"
und d) Die Rettung des unmittelbaren Produzenten als seine Verewigung.
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