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Robert Kurz
Das Ende der Wirtschaftspolitik
Der Keynesianismus nützt nichts mehr gegen die Krise. Auch wenn einige
Linke noch nostalgisch darauf hoffen
Immerhin, die ersten Fensterscheiben klirrten: in der Bonner FDP-Zentrale und
auf den Großbaustellen für die Pyramiden der "Berliner Republik".
Aber es ist kein emanzipatorischer Zorn, der sich da Luft macht. "Wir wollen
Arbeit", heißt die Parole von Menschen, die nichts lieber tun als Pyramiden
bauen. Die Bauarbeiter wollen deutsche Arbeit für deutsche Pyramiden, und
die Bergleute möchten weiter nationalökonomisch subventioniert werden.
Zutiefst berechtigt ist das Verlangen nach Existenzsicherung, aber in der Form
der Lohnarbeit führt sich heute die Gerechtigkeit selber ad absurdum.
Dass alle denkbaren Maßnahmen nur in immer neue Paradoxien führen,
deutet auf die Paralyse jeder Wirtschaftspolitik überhaupt hin. Das moderne
Marktsystem einmal vorausgesetzt, gilt das als die Stunde des Liberalismus.
Denn dessen Wirtschaftspolitik ist es, keine zu haben. Abgesehen von der Sicherung
der formalen Rahmenbedingungen soll die "unsichtbare Hand" der blinden Marktkrätfe
frei zuschlagen dürfen. Das Versprechen, dass dies zum "allgemeinen Wohlstand"
führen werde, war schon immer ohne Gewähr. Seit dem 18. Jahrhundert
pochte der Liberalismus darauf, dass die gesellschaftliche Mechanik der Märkte
im Guten wie im Bösen eine unabänderliche Naturgesetzlichkeit darstelle.
Wenn Massen sozial nicht mehr integrierbar sind, bedeutet dies aus liberaler
Sicht nicht, da§ das Marktsystem obsolet wird, sondern dass die betroffenen
Menschen obsolet werden. Dies entspreche dem "Bevölkerungsgesetz" von Thomas
R. Malthus [britischer Nationalökonom im 19. Jahrhundert; A.d.R.]: "Die
Natur selbst", so dessen Konsequenz, befehle den "Überflüssigen",
sich von der Erde zu trollen.
Da der Liberalismus die europäischen Marktgesellschaften schon im 19.Jahrhundert
an den Rand des Bürgerkriegs zu führen drohte, entstanden unter konservativer
und sozialdemokratischer ägide Elemente einer paternalistischen staatlichen
Wirtschafts- und Sozialpolitik. Dabei setzten freilich selbst die radikalsten
Sozialisten immer schon eine "Arbeitsgesellschaft" für den verinnerlichten
Selbstzweck der Geldverwertung voraus: Die sozial entmündigten Massen sollten
ausreichend "beschäftigt" werden, um die Maschine des (freien oder geplanten)
Marktes am Laufen zu halten. Unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise kippte
Keynes das liberale Dogma auch in der offiziellen Volkswirtschaftslehre: Durch
makroökonomische Steuerung und staatliches Deficit spending sollte die
Krise gebannt werden.
Tatsächlich haben auf eine prekäre Weise beide recht, der Liberalismusäebenso
wie der Keynesianismus. Ein derart hybrides und an sich instabiles System wie
eine totale Marktwirtschaft kann nur existieren, solange die euphemistisch als
"Selbstheilungskraft" bezeichnete Erschließung immer neuer Felder für
die Verwurstung von Arbeitskraft gelingt und gleichzeitig durch massive Staatseingriffe
gestützt wird. Das "Wirtschaftswunder" war nur möglich durch eine
Kombination von neuen arbeitsintensiven Industrien (Autos, Haushalts- und Unterhaltungselektronik)
mit permanentem staatlichem Deficit spending.
Seit Anfang der 80er Jahre haben sich beide Elemente eines tragfähigen
Marktsystems erschöpft. Die mikroelektronische Revolution höhlt nichtnur
die industrielle Reproduktion, sondern die "Arbeitsgesellschaft" überhaupt
aus. Die rentable Anwendung von Arbeitskraft erlischt weltweit unter dem Rationalisierungsdruck
schneller, als neue Verwertungsfelder erschlossen werden, während das Deficit
spending an den absoluten Grenzen der Staatsverschuldung scheitert. Der reihenweise
Zusammenbruch ganzer Nationalökonomien an der kapitalistischen Peripherie,
vor allem das Ende der staatssozialistischen Varianten "nachholender Modernisierung",
wurde als Warnsignal völlig missdeutet, nämlich zum "Sieg" des selber
schon dahinsiechenden westlichen Kernsystems erklärt: 1989 waren plötzlich
alle offen oder klammheimlich Liberale, bis tief in die Linke hinein.
Wie vorauszusehen, konnte die Deregulierungs- und Privatisierungswut des triumphierenden
Neoliberalismus die globale Krise nur beschleunigen. Die Verschuldungslawine
von Staaten, Unternehmen und Privaten wurde nicht gebremst, sondern verstärkt;
und die betriebswirtschaftliche Globalisierung des Kapitals zwingt die Staaten
zum selbstzerstörerischen Wettlauf eines Sozial-, Öko- undSteuerdumping.
Gleichzeitig strömt das nicht mehr rentabel in Realinvestitionen anlegbare
Kapital auf die spekulativen Finanzmärkte: In einer komplementären
Bewegung heben die fiktiv gesteigerten Aktienwerte ab, und die globale strukturelle
Massenarbeitslosigkeit schwillt von Zyklus zu Zyklus an.
Jetzt wäre die Erneuerung utopischer Energien gefragt, um den Modernisierungsroboter
zum Stehen zu bringen und die mikroelektronischen Produktivkräfte für
eine autonome Reproduktion jenseits von Markt und Staat umzuwidmen, die marktwirtschaftlich
brachliegenden Ressourcen emanzipatorisch anzueignen und die kapitalistische
Globalisierung durch eine transnationale Vernetzung sozialer Gegenbewegung zu
konterkarieren. Aber eine Linke, die sich auf marktwirtschaftlichen "Realismus"
vergattern ließ, blamiert sich lieber durch eine ebenso verzweifelte wie
haltlose keynesianische Nostalgie. Es mag ja gut gemeint sein, wenn Pierre Bourdieu
in Frankreich neue soziale Ideen fordert, aber sein Vorschlag einer "Rettung
der keynesianischen Zivilisation" ist wie Joschka Fischers Beschwörung
des "rheinischen Kapitalismus" weder neu noch eine Idee.
Realistisch ist die Hoffnung auf eine neue marktkonforme Wirtschaftspolitik
nur als Option einer repressiven Notstandsverwaltung und selektiven sozialen
Ausgrenzung. Bereits jetzt gibt sich die keynesianische Nostalgie teilweise
offen sozialnationalistisch. Wenn Bonn den einschlägig revoltierenden Bauarbeitern
und Bergleuten keynesianische Konzessionen macht, dann wird dies postwendend
eine liberale soziale Restriktion anderswo zur Folge haben. Auf dem Boden des
auseinanderfallenden Systems von Markt und Staat kann jede beliebige Regierung
nur noch die Verlaufsformen der Entsolidarisierung akzentuieren. Von wegen "sozialökologischerUmbau".
Das waren Schönwetterphantasien. Alle, die 1989 einen Schritt in Richtung
Liberalismus gemacht haben, müssen heute den nächsten Schritt in Richtung
Malthusianismus tun.
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