Liebe Leute, die Dateien für Heft 3 von EXIT! liegen inzwischen beim Horlemann-Verlag. Nach der Erstellung und Korrektur der Druckfahnen wird das Heft voraussichtlich unmittelbar nach der Weihnachtspause in die Druckerei gehen und noch im Januar 2006 erscheinen. Voraussichtlicher Umfang: 256 Seiten, 13 Euro. EXIT! Heft 3InhaltGerold Wallner Roland Grimm Martin Dornis Roswitha Scholz Frank Rentschler Robert Kurz Alan Freeman Ulrich Leicht EditorialNach den dekonstruktivistischen, differenzbesessenen Neunzigern, in denen der Kasinokapitalismus seinen Höhepunkt erlebte, ist in der Mitte des ersten Jahrzehnts nach der Jahrhundertwende das Thema Prekarität im Gefolge von Hartz IV ein Schwerpunkt linker Beschäftigung. Die sich zuspitzende Krise wird nun zunehmend am eigenen Leib spürbar. Vor diesem Hintergrund erlebt die These vom "Ende der Arbeitsgesellschaft" eine Renaissance. Standen vor ein paar Jahren die "Glücklichen Arbeitslosen" mit ihrer Polemik noch ziemlich allein da, so ist Arbeitskritik und das "Überflüssigwerden" mittlerweile ein Hauptgegenstand nicht nur publizistischer, sondern auch künstlerischer Aktivität. So fragt etwa Martin Rinke in seinem Theaterstück "Cafe Umberto", wie Menschen jenseits von Erwerbsarbeit "sinnvoll leben" können; eine Künstlergruppe gibt sich den provokativen Namen "Club der polnischen Versager"; die Buchautorin Corinne Meier feiert "Die Entdeckung der Faulheit" und Wolfgang Engler geht es um eine Bürgerlichkeit jenseits der Arbeit ("Bürger, ohne Arbeit", so der Titel seines Buches). Beide Publikationen kamen in die Bestsellerlisten. In diesem Zusammenhang hat auch das Thema "Grundeinkommen" wieder Hochkonjunktur, und zwar um kein bisschen reflektierter als in den 80er Jahren. Gesucht wird nach der Quadratur des Kreises, nämlich wie man Arbeitssubjekt ohne Arbeit und Geldsubjekt ohne Geld sein könnte. In diesem Klima bildeten sich auch einige Wertkritiker ein, groß rauskommen zu können, wenn sie nur eine reduktionistisch zurechtgestutzte Arbeitskritik für das Bewusstsein des "kleinen Mannes" agit-prop-artig präparierten. Das Ergebnis ist, dass eine derart heruntergekommene Wertkritik im bürgerlichen und linksreformistischen Blätterwald unterzugehen droht. Offenbar erschreckt davon, versucht man nun die nahezu verloren gegangene Distinktionsfähigkeit wieder zu gewinnen, die man vor lauter oberflächlicher Vermittlerei und dem Mitschunkeln im linken Szenen-Bierzelt fast schon vergessen hatte; z.B. indem man sich nun wieder (in einer allerdings politökonomisch-objektivistisch beschränkten Weise) gegen die Idee eines Grundeinkommens wendet, die man kurzzeitig selbst einmal gar nicht mehr so abwegig fand, oder indem man eine unhistorisch gesetzte "Sinnlichkeit", wie man sie in einigen Texten selbst suggeriert hatte, nun wieder relativiert. Die angebliche "Öffnung" der Wertkritik für ein breiteres Publikum verwickelt sich in heillose Widersprüche und droht eine immer seltsamere und wahrhaft sektiererische Sozialbastler-Klientel aufzusammeln. Inzwischen ist im Umfeld dieses auf Pseudo-"Gebrauchsanweisungen" verkürzten Ansatzes sogar schon das Konzept einer "wertkritischen Lebenshilfe (!)" und einer "Emanzipation im kleinen Kreise" aufgetaucht. Vielleicht stiftet die Notstandsverwaltung noch einen Preis für diese Sorte "Arbeitskritik". Recht geschieht’s ihnen! – könnte man sagen, wäre da nicht das verheerende Resultat einer Vulgarisierung der Wertkritik; und nicht bloß das, sondern auch eine Verhunzung und Verdinglichung der Wert-Abspaltungstheorie, die darauf heruntergebracht wird, dass das Formprinzip des Werts eine im Grunde genommen vitalistisch konzipierte Abspaltungssphäre unterjocht. Über eine ableitungslogische "Sphärentrennung" ist dieses Denken nie hinausgekommen, statt sich der komplexen Wert-Abspaltung als einem alle Sphären des warenproduzierenden Patriarchats übergreifenden Prinzip theoretisch zu stellen. Interessant ist es dabei zu sehen, wie man sich in diesem verqueren Kontext in jüngster Zeit fast überschlägt, rein äußerlich Sexismus, Rassismus und Antisemitismus zu thematisieren, ohne einen inneren Zusammenhang herstellen zu können. Hieran wird allerdings auch deutlich, wie sehr die EXIT!-Konkurrrenz greift und man sich genötigt sieht, diverse EXIT!-Interventionen irgendwie "auch" zu berücksichtigen, will man sich legitimatorisch in der "Szene" halten. Schließlich haben gerade die migrantischen Riots in den Banlieus uns nachhaltig darauf aufmerksam gemacht und zu sehen gezwungen, dass es auch noch andere Betroffenheiten jenseits der herrschenden "Dominanzkultur" (Birgit Rommelpacher) und ihren Subjekten im "eigenen Land" gibt. Schaut man genauer hin, ist freilich eine androzentrisch-universalistische Wertformkritik nach wie vor der wesentliche Bezugspunkt. Jedoch nicht nur aus dem Lager einer krisenverwalterischen Arbeitskritik bekommt eine derart verkürzte Wertkritik konkurrenten Zunder, sondern dem Bestreben, unvermittelt im Schnelldurchgang arbeitskritischen "Masseneinfluß" zu bekommen, ist die Gründung der Linkspartei ins Gehege gekommen. Oskar hat’s vermasselt! Offenbar passt dem gesunden Normalo-Menschenverstand ein linkskeynesianischer Populismus immer noch eher ins Konzept als wertkritische Praxisphrasen und eine Betroffenheitsbetulichkeit, und sei es auch bloß zum Behufe einer Protestwahl, bei der man sich ebenso gut nach rechts hätte wenden können. In den letzten Jahren ist die Linke eindeutig nach rechts gerückt. Die Fremdarbeiter-Tiraden eines Lafontaine bringen dies nur besonders klar zum Ausdruck. Verstärkt wird dabei wieder anachronistisch auf den nationalstaatlich-keynesianischen Kontext als zentralen Referenzrahmen für mögliche Lösungen zurückgegriffen. Man könnte geradezu von einer rechten Entwicklung im linken Gewand sprechen. Dass dabei eine vulgarisierte Arbeitskritik und eine nationalstaatliche Orientierung bei Otto Normalbürger gut zusammengehen können, zeigt sich allenthalben. Diese Entwicklung der Linken steht freilich nicht einfach für sich. Insgesamt ist in der BRD unter dem Eindruck der Krise wieder ein Knistern, Rascheln und Raunen im Märchenwald deutschnationaler Ideologie zu vernehmen. Angeführt seien hier bloß die unsägliche "Du bist Deutschland"-Kampagne in den Medien (zur Kritik: Robert Kurz – Neues Deutschland, EXIT-Homepage) und das sogenannte Potsdamer Manifest, das unter Berufung auf die Quantenphysik Anknüpfungspunkte für eine biologistische und völkische Esoterik bietet (zur Kritik: Claus Peter Ortlieb / Jörg Ulrich – Frankfurter Rundschau, EXIT- Homepage). Nation, Leitkultur und Vaterland sind wieder einmal Hauptschlagworte im medialen Diskurs. Eine proto-antisemitische Heuschreckenschelte gegenüber "ausländischem" Finanzkapital hält unvermindert an. Solche Tendenzen dürften sich nicht zuletzt auch infolge des extremen Sparhaushalts, den die Große Koalition beschließen will, noch verstärken. Von derartigen Entwicklungen bleiben freilich auch die Sozialwissenschaften und die Philosophie nicht unberührt. Auch in diesen Bereichen macht sich das Bedürfnis nach einem affirmativen Halt deutlich. War in den 90er Jahren alles konstruiert und trieb man sich gern in virtuellen Welten herum, "völlig losgelöst von der Erde", so besinnt man sich in der Soziologie wieder auf den "Raum" und den "Körper"; es ist geradezu von einem "somatic turn" die Rede. Und in der Naturphilosophie wird neuerlich der "Einklang mit der Natur" gesucht, wobei die Differenz im Verhältnis von Natur und Gesellschaft wieder einmal eingeebnet zu werden droht. Postmoderne Philosophen entdecken nun den Apostel Paulus als neue Lichtgestalt der "ursprünglichen" Subjektwerdung; die katholische Philosophie goutiert dies mit Genugtuung und erklärt die Kirche kurzerhand zur originären und eigentlichen Aufklärerin. Der Neumystifizierung des Zeitgeistes stehen so nun Kämpen gegenüber, die bisher noch nie in einem Boot zusammen saßen: Theologie und Aufklärungsideologie begegnen sich in der fortgeschrittenen Verfallsepoche des Kapitalismus unter dem Dach der "Vernunft" und schließen auf der anderen Seite mit der kapitalistischen Realmetaphysik Burgfrieden. In Treue fest zum gewesenen oder auch erst kommenden "Ereignis" lässt es sich gut ausharren, denn das Wissenwollen gilt nicht viel, wenn es zur Rettung der Moderne nurmehr ums Bekennen geht. Im "theological turn" der Postmoderne wird sichtbar, wie Mystifikation und moderne "Vernunft" ineinander übergehen und sich in der "Dezision" treffen, der begründungslosen Entscheidung, die an die Stelle der kritischen Auflösung tritt. Verwundern würde es so auch überhaupt nicht, wenn “Geschlecht” wieder zu einer der letzten Vergewisserungen würde, von Badiou über iek bis hin zu “Wir sind Papst”: Wenn man schon sonst nichts mehr weiß, dann wenigstens, dass man Männlein oder Weiblein ist; selbstverständlich vor einem androzentrisch-universalistischen Hintergrund. Einschlägig sind auch Anzeichen für eine neue "Alltagswende" in der Soziologie, die das prekäre "Every day life" zum Gegenstand macht. Das Gerede der verkürzten Wertkritik von einer "Alltagsorientierung" passt voll in diesen ideologischen Kontext. Die Themen der 80er Jahre lassen grüßen, nun aber in der fortgeschrittenen Verfallsepoche des Kapitalismus. In einer solchen Zeit tut eine wert-abspaltungskritische Position, die sich nicht zum populistischen Narren machen will, gut daran, Ideologie nicht nur zu kritisieren, sondern, um es in Anlehnung an Adorno zu formulieren, mit dem Begriff von Ideologie und Geschichte über eben diese Begriffe hinaus zu gelangen. Und hier wären wir auch schon beim Schwerpunkt dieses Heftes, wobei freilich bloß einige Aspekte ausgeleuchtet werden können. Dieser Konnex wird uns jedoch ansonsten – neben der sozialen Analyse und Krisentheorie – noch auf längere Zeit beschäftigen. Es kommt darauf an, sich von einer billigen Praxiseuphorie nicht dumm machen zu lassen, ohne die Notwendigkeit des sozialen Widerstands zu negieren. Die Schwelle des realen Widerstands ist noch gar nicht erreicht, und dieser ist auch gar nicht möglich ohne eine Umwälzungsperspektive, die sich der Geschichtlichkeit und vor allem auch des Begriffs der Geschichte des warenproduzierenden Patriarchats versichert und durch eine nicht bloß äußerliche Ideologiekritik hindurchgegangen ist. "Gebrauchsanweisungen" können da nur eine Mogelpackung sein, nötig ist gerade unter den jetzigen Krisenbedingungen die Behauptung eines eigenständigen Stellenwerts der wert-abspaltungskritischen Theorie. Mit dem Artikel "Die Leute der Geschichte" unternimmt Gerold Wallner den Versuch, aus dem Instrumentarium unserer Gesellschaftskritik die Begriffe Fetisch und Abspaltung auf ihre Verwendbarkeit auch für die Beschreibung vormoderner Gesellschaftlichkeit zu untersuchen. Er bietet als Ergebnis dieses Unterfangens eine Epochengliederung an, die sich in ihren Einheiten Magie – Religion – Moderne neben und über die gängige Einteilung (Steinzeit, griechische und römische Antike, Mittelalter, Neuzeit etc.) legt, ohne sie jedoch ersetzen zu wollen. Es wird versucht, magische, religiöse und materialistische (als moderne) Gesellschaftszusammenhänge in diesem Aufsatz so darzustellen, dass die jeweils herrschenden Fetische in Einheit mit den zugehörigen Abspaltungen in ihren Wirkungen auf handelnde Personen, gesellschaftliche Verfasstheiten, Konsens und Sanktion, Überlieferung und Erklärung gezeigt werden. Zwar bekommt zum einen eine des öfteren im früheren "Krisis"- und jetzt im "Exit!"-Zusammenhang gemachte Behauptung, dass nämlich die "Geschichte der Menschheit als Geschichte von Fetischverhältnissen" zu dechiffrieren sei, nun endlich das erste Fleisch auf die Knochen. Doch zeigt der Artikel andererseits auch, dass es sich beim geschichtlichen Blick selbst um eine Errungenschaft unserer eigenen Verhältnisse handelt, dieser mithin ideologisches Konstrukt ist und am Fetischverhältnis der Moderne maßgeblichen Anteil hat. Dies hat Auswirkungen auf die Instrumentarien unserer Gesellschaftskritik selbst, insofern als sie eben bloß zur Beschreibung und Kritik gerade dieser Gesellschaft taugen – der Fetisch ist nicht Gott. Dieser Artikel ist auch eine Illustration des aktuellen Stands einer Gesellschaftskritik, die, um über sich selbst hinaus Aussagen machen zu können, die gewohnten Paradigmen verlassen muss. Mit dem Umbau der Bundeswehr vom Massenheer zur Interventionsarmee steht die Wehrpflicht auch in Deutschland vor dem Aus. Um neue Rüstungsprojekte zu ermöglichen, werden Kasernen geschlossen und die Armee verkleinert. Der militärisch-industrielle Komplex beginnt sich auch hierzulande des allgemeinen Kriegsdienstzwangs aus Kostengründen zu entledigen. Zeit für einen Rückblick auf eine Institution, die vor etwa 200 Jahren in Preußen als "Schule der Nation" eingeführt wurde. Um gute Soldaten zu sein, erkannten die Reformer damals, müssen aus den Untertanen Staatsbürger werden. Und ein guter Staatsbürger wird man besten auf dem Exerzierplatz. In seinem Artikel "Jeder Mann ein Bürger, jeder Bürger ein Soldat" zeichnet Roland Grimm die Entwicklung einer staatstragenden Bürgerpflicht nach, die sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt bereits in Abwicklung befindet. In Martin Dornis‘ Artikel "Von der Harmoniesucht zum Vernichtungswahn" wird der Antisemitismus als hochaktuelles Phänomen behandelt, welchem nur in seiner besonderen Qualität beizukommen ist. Antisemitismus sollte daher nicht lediglich als Rassismus oder Vorurteil analysiert werden oder im Sündenbockmechanismus aufgehen. Die offiziellen Debatten, sofern sie sich der Thematik überhaupt annehmen (z. B. in der Debatte über den "neuen Antisemitismus" im Jahre 2003), taumeln hilflos zwischen dem Eintreten für westliche Werte auf der einen Seite und der Relativierung des Antisemitismus auf der anderen hin und her. Ein wesentlicher Schwerpunkt des Textes liegt demgegenüber im Aufweisen der strukturellen Verankerung des Antisemitismus in der Warengesellschaft. Postones zentraler Text "Nationalsozialismus und Antisemitismus" ist dabei nicht nur ein wichtiger Referenz-, sondern auch ein Abstoßungspunkt. Die Analyse entfaltet den Antisemitismus sowohl aus der Wertabspaltung als Strukturlogik der patriarchalen Warengesellschaft als auch in seinen Wirkungen auf der soziostrukturellen Ebene. Obwohl der Antisemitismus wesentlich in die Subjektkonstitution eingelassen ist, werden die Einzelnen nicht von ihrer Verantwortung freigesprochen, letztere allerdings im gesellschaftlichen Kontext einer ungesellschaftlichen Gesellschaft "vereinzelter Einzelner" diskutiert. Roswitha Scholz geht es in ihrem Artikel "Die Rückkehr des Jorge" um die Ausbreitung eines neuen Sicherheitsimperialismus. Nach dem laissez faire der lustigen Postmoderne, die Differenzen hypostasierte, werden heute wieder autoritäre und ordnungsstiftende Maßnahmen in einer aus den Fugen geratenen (Welt-)Gesellschaft gefordert und real auch durchgeführt. Als Hintergrundfigur wählt Scholz dabei den blinden Seher Jorge von Burgos aus dem Anfang der 80er Jahre erschienenen Roman "Der Name der Rose" von Umberto Eco, der das Lachen verbieten will und von Eco ganz und gar negativ gezeichnet wird. Eben diese Figur des Jorge, so ihre These, kehrt jetzt mit der Zuspitzung der ökonomischen Situation und dem Umsichgreifen einer allumfassenden Prekarisierung zurück. Nun wird wieder nach Halt gesucht. In diesem Zusammenhang kommt es auch zu einem Carl-Schmitt-Revival in Politik und Theorie sowie zu einem Rückgriff auf Religion im christlich-traditionellen Kontext. Bezeichnend hierfür ist etwa ein "theological turn" (Doris Akrap) in der postmodernen Philosophie und die Hinwendung zum Apostel Paulus mit Carl-Schmittschem Antlitz, bei dem "Differenzen" wieder einmal untergepflügt werden. Scholz plädiert stattdessen für eine Sicht im Sinne der "negativen Dialektik" Adornos, die Differenzen in ihrer Eigenqualität gelten lässt und dennoch an einer Totalitätsperspektive festhält. Wie gegenwärtig an den migrantischen Riots in Frankreich deutlich wird, heißt dies gerade auch heute, Rassismus (aber auch Sexismus) nicht pauschalisierend in der "sozialen Frage" oder gar in einer Klassenkonzeption aufgehen zu lassen, sondern sie als eigene Ungleichheitsdimensionen ohne Subsumtion unter eine abstrakte Allgemeinheit anzuerkennen. Frank Rentschlers Beitrag "Die kategoriale Abwesenheit des Geschlechts" ist eine Auseinandersetzung mit Holger Schatz' Buch "Arbeit als Herrschaft". Rentschler bezeichnet seinen Text selber als "kreative Rezension", da der theoretische Gehalt des Buches auf Grund der eklektizistischen Vorgehens- und Darstellungsweise seines Autors erst einmal zu rekonstruieren war. Was Rentschler dabei zu Tage fördert, hält er für nur begrenzt brauchbar. Zwar erlaubt die von Schatz konzipierte Kategorie des Leistungsprinzips, das als diskursiv erzeugtes Legitimationsmuster im Warenfetisch ansetzt, jedoch sodann eine eigene Logik entfaltet, die Präzisierung ideologiekritischer Fragestellungen und macht viele Bezüge zwischen der gegenwärtigen Subjektkonstitution und der gleichfalls zu konstatierenden Transformation des Staates auf; andererseits fehlt es an jeder Aussage darüber, was denn die Eigenlogik dieses Diskurses konstituiert. Frank Rentschler zeigt sodann, dass Schatz über keinen Begriff der symbolischen Ordnung verfügt und darüber hinaus eine Auseinandersetzung mit dem geschlechtlichen Charakter des Kapitalismus schlicht verweigert. Die kategoriale Abwesenheit des Geschlechts führt so letztlich nicht nur zu Analyseschwächen bei Schatz, sondern gerät in der politischen Sphäre – Frank Rentschler geht insoweit insbesondere auch auf die Linkspartei ein – zur Propaganda für die aufklärerische, d.h. männliche, weiße und westliche Subjektform. In dem von Robert Kurz mit einer kurzen Einleitung "Wunderliche Wirtschaftswissenschaft" versehenen Text "Die Himmel über uns" kritisiert Alan Freeman den common sense der herrschenden Volkswirtschaftslehre, der von der kontrafaktischen Annahme ausgeht, dass "der Markt" sich sich ständig in einem Gleichgewicht befände. Der Autor ist ein an der Marxschen Theorie orientierter Wirtschaftswissenschaftler an der University of Greenwich und leitet dort die "International Working Group on Value Theory". Mit diesem Gastbeitrag soll der Versuch unternommen werden, die bisher kaum geführte Diskussion mit der im angelsächsischen Raum ja durchaus bestehenden Kritik der Warengesellschaft aufzunehmen. Freeman vergleicht die herrschende Idee vom stets präsenten ökonomischen Gleichgewicht mit der Rolle, die der "Himmel" für die ptolemäische Kosmologie des Mittelalters gespielt hat, und zeigt, dass die Auswahlmechanismen der wirtschaftswissenschaftlichen Theorie weniger von exoterischen bzw. erklärenden Methoden beherrscht werden als vielmehr von esoterischen bzw. ethisch-politischen Vorstellungen. Das Phantasma vom ökonomischen Gleichgewicht, dessen Erklärungskraft eher vernachlässigbar sei, könne nur mit Blick auf diese andere, die Wirtschaftswissenschaft mit bestimmende Ebene verstanden werden. Den Abschluß dieser EXIT!-Ausgabe bildet Uli Leichts Rezension des Buches "Die Abenteuer der Ware. Für eine neue Wertkritik" von Anselm Jappe, das im Frühjahr 2005 im Unrast-Verlag erschienen ist (ISBN 3-89771-433-7). Leicht würdigt das in Grundzügen bereits in den späten 90er Jahren auf Grundlage einer Dissertation entstandene und zuerst 2003 in französischer Sprache erschienene Buch als Rekonstruktion der Genesis wertkritischen Denkens aus der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie; gewissermaßen als eine Art "Einführung in die Wertkritik für Marxisten". An Textproben insbesondere zur Krisentheorie und zum Problem des Verhältnisses von produktiver und unproduktiver Arbeit werden wesentliche Momente dieser Rekonstruktion gezeigt, die Jappe mit zahlreichen Verweisen insbesondere auf die Publikationen des jetzigen EXIT!-Mitherausgebers Robert Kurz in einer durchaus eigenständigen Diktion ausgearbeitet hat. Leicht weist aber auch auf ein Defizit von Jappes Buch hin: Es ist noch nicht aus der Perspektive der inzwischen weiterentwickelten Wert-Abspaltungstheorie geschrieben; die dafür zentralen theoretischen Publikationen von Roswitha Scholz erscheinen nur marginal und möglicherweise missverständlich. Nicht unerwähnt bleibt, dass Jappe, der schon bei der alten "Krisis" mitgearbeitet hatte, bei der Spaltung gegen das Vorgehen der jetzigen Rest-Krisis Stellung bezog und sich heute gegen eine Vereinnahmung durch diese Leute verwahrt, da es die von diesen unterstellte Kontinuität von "Krisis" auch für ihn nicht gibt. Viele Leserinnen und Leser werden vielleicht die Fortsetzung der Artikelserie "Die Substanz des Kapitals" von Robert Kurz in dieser Ausgabe vermissen. Das Projekt wurde jedoch nicht abgebrochen, sondern erscheint 2006 komplett mit fünf Teilen im Horlemann-Verlag als Buch. Vom Umfang her drohte die Serie ohnehin den Zeitschriften-Rahmen zu sprengen und lief eher auf eine Monographie hinaus. Die ersten Teile wurden unter dem Eindruck der Unwägbarkeiten nach dem Bruch innerhalb der alten "Krisis" in die neue Theoriezeitschrift EXIT! übernommen, weil nicht klar war, ob im Anfang die Personaldecke ausreicht, um eine regelmäßige Publikation durchhalten zu können. Es hat sich aber überraschend schnell gezeigt, dass die Spaltung geradezu einen Reichtum an Textproduktion freigesetzt und neue Autorinnen und Autoren hervorgebracht hat. EXIT! erscheint häufiger, ist wesentlich umfangreicher und thematisch weiter gespannt als die alte "Krisis" (von der etikettenschwindlerischen Rest-Krisis ganz zu schweigen). So konnte die Artikelserie jetzt ohne Schwierigkeiten als Buchprojekt mit dem Arbeitstitel "Tote Arbeit. Die Substanz des Kapitals und die Krisentheorie von Karl Marx" ausgekoppelt werden. Die beiden ersten Teile werden überarbeitet (besonders die Auseinandersetzung mit Michael Heinrichs Werttheorie soll forciert werden), neu gegliedert und von Fehlern bereinigt. Hinzu kommt als dritter Teil die Krisentheorie im engeren Sinne, als vierter Teil die Analyse von produktiver und unproduktiver Arbeit und als letzter Teil die Auseinandersetzung mit der subjektiven Wertlehre im Kontext von Kreditsystem, fiktivem Kapital und postmoderner Virtualisierung. Anzuzeigen sind schließlich gleich mehrere im Herbst 2005 erschienene neue Bücher von EXIT!-AutorInnen und Neuauflagen. Im Horlemann-Verlag erschien von Roswitha Scholz "Differenzen der Krise – Krise der Differenzen. Die neue Gesellschaftskritik im globalen Zeitalter und der Zusammenhang von >Rasse<, Klasse, Geschlecht und postmoderner Individualisierung" (ISBN 3-89502-195-4), 14,90 Euro. In der Berliner "Edition Tiamat" (Verlag Klaus Bittermann) erschien von Robert Kurz "Das Weltkapital. Globalisierung und innere Schranken des modernen warenproduzierenden Systems" (ISBN 3-89320-085-1), 18 Euro. Im Verlag Ulmer Manuskripte erschien von Jörg Ulrich, Roswitha Scholz und Robert Kurz als Sammelband bereits elektronisch publizierter Analysen und Polemiken "Der Alptraum der Freiheit. Perspektiven radikaler Gesellschaftskritik" (ISBN 3-934869-38-6), 12,80 Euro. In zweiter Auflage erschienen ist soeben von Robert Kurz im Horlemann-Verlag das Buch "Blutige Vernunft. Essays zur emanzipatorischen Kritik der kapitalistischen Moderne und ihrer westlichen Werte" (ISBN 3-89502-182-2), 12,90 Euro sowie in der 4. Auflage bei Ullstein als Taschenbuch mit neuem Cover das "Schwarzbuch Kapitalismus" (ISBN 3-548-36308-3), 12,95 Euro. Schließlich kommt im Januar beim Eichborn-Verlag eine Neuausgabe von "Marx lesen" mit aktuellem Vorwort als günstige Paperback-Ausgabe heraus. Roswitha Scholz und Petra Haarmann für die
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