Die Sinnlichkeit des MWW
Eine kleine Nymphomanin, eine kleine, geile Sau, das ist alles, was wir brauchen: ficken, saufen, HSV
Hamburger Fan-Gesang
Kritisches Wissen verdirbt dir nicht nur die Erektion, sie richtet ihn auch nicht wieder auf, und wenn du glaubst, mit deinen intellektuellen Spielereien kannst du eine Frau …
Martin Scheuringer, Streifzüge 45/2009
Ach Theodor! Hättest du doch mal ein Glas oder fünf Gläser zu viel geleert. Hättest du doch mal auf LSD zu Jazz-Musik getanzt. Hättest du doch mal mit Hilfe von Marihuana die Reflexion über deine Reflexion blockiert und dein Denken sich selbst überlassen, um über seine Irrwege zu lachen!
Martin Scheuringer, Streifzüge 45/2009
Doch genau diese Kluft zwischen mir und der Welt ist während der Wahrnehmung des Siegestores nicht da. Sinneseindruck und ich sind unmittelbar verbunden, genauso wie der Jubel ohne Dazwischentreten einer freien Entscheidung aus mir emporsteigt. In diesen Momenten bin ich schon entschieden und erlebe dies als befreiend.
Martin Scheuringer, Streifzüge 43/2008
Theorie, die von einem selbst abstrahiert, verhungert ob ihrer emotionalen (Be-)Dürftigkeit. Sie ist einseitige Kost, die früher oder später Appetitlosigkeit und Verdauungsstörungen auslöst. Die Angst vor dem Sinnlichen führt leicht zur Ausklammerung des eigenen Lebens, das der Theorie willig als Opfer gebracht wird. Der Verfasser dieser Zeilen schließt sich hier keineswegs aus.
Franz Schandl, Streifzüge 43/2008
Wenn die Herren Streifzüge-Redakteure tatsächlich die „emotionalen Krüppel“ sind, für die sie sich selber halten (so jedenfalls Scheuringer in Streifzüge 45/2009), so hat das wohl weniger mit der Theorie zu tun, die sie nie betrieben haben, als vielmehr mit ihrer Vorstellung von Sinnlichkeit, die ganz gewiss von kritischer Theorie und kritischem Bewusstsein nicht affiziert ist. Es ist – wie in Elmar Flatscharts „Wunschträume des gefallenen Theoretikers“ detailliert nachgewiesen – die Sinnlichkeit des MWW (des männlich-weißen-westlichen Subjekts), der sich der eine (Scheuringer) jetzt komplett zuwenden will und die der andere (Schandl) zumindest als Medizin propagiert, um die eigenen Verdauungsprobleme zu lösen. Die HSV-Fans kennen dieses Rezept schon lange und verschreiben es sich allenfalls mit weniger Skrupeln.
Die persönliche Entscheidung, den Versuch eines theoretischen Denkens gegen den warenförmigen Mainstream als doch allzu anstrengend aufzugeben und sich künftig lieber in dem von der Warenform vermittelten Emotionsstrom treiben zu lassen, ist nicht kritikabel. Sie ist unter aller Kritik, von der Kritik also so wenig zu erreichen, wie es die zitierten HSV-Fans sind, und allenfalls im persönlichen Umfeld zu therapieren. Anders sieht es allerdings aus, wenn die „Nicht-mehr-Theoretiker“ meinen, ihre Sinnlichkeit, deren Verkrüppelung ja nur einen allgemeinen Zustand widerspiegelt, nicht bloß in einer Art Casting-Show öffentlich vorführen, sondern auch noch als positiven Ansatzpunkt für ein „wahres Leben ohne Theorie“ propagieren zu müssen. Und peinlich – auch für uns – wird es, wenn die daraus resultierenden Ergüsse die Seiten eines Magazins füllen, das sich selber „wertkritisch“ nennt. Hat dieses Label noch irgendeine Bedeutung? Die Herren sitzen ja wohl nach wie vor in der Redaktion, und es steht zu befürchten, dass ihre unter besagtem Label firmierenden Belehrungen nicht die letzten dieser Art gewesen sind. So widerwärtig die Hamburger Fan-Gesänge auch sein mögen, sie belästigen immerhin niemanden mit Begründungen, und schon gar nicht mit „wertkritischen“. Das macht sie vergleichsweise erträglich.
Wer Theorie – zumal in ihrer kritischen Variante – für lebensfeindlich hält, mag in dieser Einschätzung durch Lektüre der „Bild“ oder „Kronen Zeitung“ gemeinsam mit unseren HSV-Fans sich bestätigen und dort das pralle Leben vorführen lassen. Wenn die um Erweiterung ihrer Leserschaft bemühten „Streifzüge“ neuerdings dasselbe Angebot für den gehobenen Geschmack machen, haben sie das Problem, dass sie des vor sich her getragenen Anspruchs wegen dabei einen kritischem Gestus einnehmen und so tun müssen, als ginge es darum, noch die letzten von der „Reflexions-Polizei“ errichteten Tabus zu brechen. Das kann natürlich nur in unfreiwilliger Komik enden: Wer nur sagt, was alle sagen, indem er den Anschluss an die allgemein verbreitete Theorie- und Kritikfeindlichkeit sucht, bricht schließlich keine Tabus (vgl. Robert Kurz: „Die Theoretikerin ist immer der Mörder“).
Julian Bierwirth („Geschmacks- und Herrschaftsfragen. Anmerkungen zu Martin Scheuringers Beerdigung der Kritischen Theorie“) durfte seine inhaltlich zutreffende, aber doch ein wenig schüchtern vorgetragene Replik auf Scheuringers Ergüsse in Heft 46/2009 der Streifzüge veröffentlichen, schließlich ist man dort pluralistisch und für eine anregende Diskussion immer offen. Er wird, sollte er den vorliegenden Text zu Gesicht bekommen, vermutlich abgestoßen sein (und Lorenz Glatz wird wieder einmal pastoral die Hände ringen), ist doch hier das von ihm formulierte Kriterium eindeutig verletzt, dem zufolge Kritik so darzustellen sei, dass „die Kritisierten tatsächlich auch die Möglichkeit haben, einen Schritt zurückzutreten und sich auf den Gedanken einzulassen.“ Das lag freilich auch nicht in meiner Absicht. Auf dem emotionalen Ego-Trip befindliche Leute wie Scheuringer und Schandl sind nicht durch Argumente zu überzeugen, auch nicht durch Kritiken wie die von Bierwirth oder Flatschart. Sie möchten doch bitte einfach nur stille sein und andere mit ihren Vorstellungen von Sinnlichkeit nicht weiter belästigen. Da sie uns diesen Gefallen vermutlich nicht tun werden, hier ein Vorschlag zur Güte: Entfernt das Label „wertkritisch“, das euch sowieso niemand mehr abnimmt, aus eurem Untertitel, nehmt passender Weise ein paar der üblichen Softporno-Bildchen ins Heft, macht ordentlich Auflage, und wir lassen euch in Ruhe. Der Vorschlag liegt ganz in Richtung eurer Neuorientierung, schließlich ist Wertkritik ohne Theorie nicht zu haben. Solange allerdings die Peinlichkeit bestehen bleibt, dass derartige Ergüsse des sinnlich gewordenen MWW als „wertkritisch“ firmieren, werden wir schon aus bloßer Notwehr heraus weiter auf euch herumhacken müssen.

