Trümmerfrauen der Krise
erschienen im Neuen Deutschland
am 21.01.2005
Kapitalismus war immer auch eine Ökonomie der Geschlechterverhältnisse. Frauen wurden grundsätzlich für die von der offiziellen Gesellschaft „abgespaltenen Momente des Lebens“ (Roswitha Scholz) zuständig gemacht. Das gilt nicht nur sozialpsychologisch in der „Beziehungs- und Liebesarbeit“ (die Frau als Betüterungswesen) oder kulturell-symbolisch in bestimmten Zuschreibungen (die Frau als „Natur“), sondern auch für materielle Tätigkeiten innerhalb wie außerhalb der Privathaushalte, die wichtig für die Reproduktion sind, aber sich der Logik der Kapitalverwertung sperren. Vom Babywickeln und Kochen zu Hause bis zum berüchtigten Kaffee machen im Büro oder Aufräumen nach Seminaren: fast immer erledigen das wie von selbst die weiblichen Mitglieder der Gruppe. Mehr als 90 Prozent der Alleinerziehenden sind Frauen.
Die geschlechtliche Abspaltung zeigt sich in allen gesellschaftlichen Bereichen, nicht nur in der Privatsphäre. In der Regel werden Frauen in der offiziellen Ökonomie schlechter bezahlt bzw. müssen mehr leisten als Männer, wenn sie hochkommen wollen. Oder die Sektoren, in denen sie überproportional vertreten sind, werden abgewertet. Wo Frauen in den letzten Jahrzehnten verstärkt in Erwerbsarbeit und öffentliche Funktionen hineindrängten, wurden sie „doppelt vergesellschaftet“ (Regina Becker-Schmidt), d.h. die Abspaltung der als „weiblich“ eingestuften Lebensmomente blieb trotzdem erhalten in Form von Doppelbelastungen (Kinder und Karriere, Lustobjekt und Leistungsfrau).
Zu den postmodernen Illusionen gehörte die Erwartung, dass immer weitere Bereiche der alltäglichen Reproduktion durch Sektoren des Sozialstaats oder durch Kommerzialisierung vergesellschaftet werden könnten – zugunsten einer Befreiung weiblicher Möglichkeiten. Aber in der Krisenwirtschaft seit Ende der 90er Jahre zieht sich der Sozialstaat aus den Sektoren der Betreuung und Pflege (Kindergärten, Seniorentreffs, Behindertenwerkstätten usw.) zurück; und die Krise der Gastronomie ist nur ein Beispiel dafür, dass bei sinkenden Einkommen die „Dienstleistungsgesellschaft“ zum Flop wird. Was Staat und Markt nicht mehr erfassen können, wird an den weiblichen Teil der Gesellschaft zurückdelegiert. Die Frauen sollen in Familie, Nachbarschaft und anderen Bereichen die unbezahlte Schattenökonomie gewährleisten, um eine Fassade bürgerlicher Normalität aufrechtzuerhalten.
Besonders extrem zeigt sich dies in den Favelas der 3. Welt. Es sind wieder einmal mehr als 90 Prozent Frauen, die in sozialen Selbstverwaltungsprojekten und Nichtregierungs-Organisationen (NGOs) Grundelemente sozialer Reproduktion schaffen, von der Abwässer-Kanalisation bis zur Organisation von Schulunterricht mit Hilfe ausländischer Hilfsorganisationen. Gelegentlich wurde sogar schon von einem „neuen Matriarchat“ in den Favelas gesprochen. Aber die wirkliche Macht dort hat meist eine rein männliche, mit Schusswaffen ausgerüstete Mafia; und deren Schattenökonomie ruht auf den Säulen Drogen, Waffen und Prostitution. Der Staat seinerseits speist die weiblichen NGOs mit Almosen ab und wertet sie dafür moralisch auf. Mafia wie kapitalistische Krisenverwaltung benutzen die Frauen als Puffer der Krise und verlassen sich auf deren unentgeltliche oder miserabel bezahlte soziale Tätigkeit.
Je weiter die Krise fortschreitet, desto geringer wird auch in den sozialen Bewegungen die Thematisierung der Geschlechterfrage, obwohl sich Frauen wieder zunehmend physischer Gewalt seitens status-verunsicherter Männer ausgesetzt sehen, während die Kommunen die Zuschüsse für Frauenhäuser streichen. Je enger es wird, desto mehr häufen sich Meldungen über Mobbing speziell gegen Frauen in Betrieben und Institutionen. Sogar aus linken Theoriegruppen wurden schon unbotmäßige Frauen mit zu viel Eigenanspruch „hinauskomplimentiert“. Es sollte uns nicht wundern, wenn es in naher Zukunft, auch in der Linken, einen neuen Aufstand von Frauen gibt, die sich nicht zu moralisch beweihräucherten billigen Trümmerfrauen der kapitalistischen Krise machen lassen wollen.

