Einführender Kommentar zu Stefan Brendles Text “Wider den Bedeutungsfetischismus”

Stefan Brendle geht in seinem Text “Wider den Bedeutungsfetischismus” davon aus, dass gegenstandstheoretische sprachliche Reflexionen zur Grundausstattung moderner Ideologiebildung gehören. Die meisten TheoretikerInnen der kapitalistischen Gesellschaft, inklusive Marx, würden sich dieser vergegenständlichenden, ja verdinglichenden Denkweise bedienen1). “Die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke scheint sich wie selbstverständlich einer dinglichen Eigenschaft dieser Ausdrücke, ihrer Eigenschaft für Gegenstände zu stehen, zu verdanken” (Brendle, Wider den Bedeutungsfetischismus). Und weiter in Anspielung auf einen berühmten Satz Marxens: “Die Gesellschaftlichkeit ihrer Sprache erscheint den Menschen als Eigenschaft der von ihnen gebrauchten Zeichen, der von ihnen gebrauchten sprachlichen Ausdrücke, der von ihnen gebrauchten Sätze”. Damit trifft die Gebrauchtstheorie der Sprache sicherlich einen Punkt. Sprache wird von den Menschen im schlechtfaktischen Hier und Jetzt des Kapitalismus als Äußeres, sie gleichsam Einschränkendes gesehen, dabei ist Sprache selbst doch nichts weiter als gleichsam Voraussetzung (als Struktur) wie auch Produkt ihres eigenes Handelns (keine Sprache ohne Sprechende). Ohne ihr Sprechen, ohne ihre wie auch immer bewusste oder unbewusste “Aktualisierung” der Sprache, gäbe es diese nicht. Sprache erscheint nicht mehr als wie auch immer vermitteltes Produkt der Menschen, ihrer Gesellschaftlichkeit, selbst angesehen, sondern als geschichtsloses An Sich. Dabei sedimentiert sich gerade in der Sprache Geschichte, und Sprache selbst ist großen Veränderungen unterworfen.

Bestimmte Sprachphilosophien leugnen nun diesen praktischen Aspekt menschlicher Sprache, und verdinglichen diese. Eine dieser Theorien ist die sog. Gegenstands- oder Namenstheorie sprachlicher Bedeutung. Diese Leugnung kann als ideologische Verarbeitung einer Gesellschaft gelten, welche ebenfalls nicht Anderes ist als Produkt der Menschen, ihrer Gesellschaftlichkeit, ihnen aber dennoch als Äußeres erscheint, und von ihnen nicht kontrolliert wird. Genau diesem Spannungsfeld spürt Stefan Brendle nun nach. Er versucht den Zusammenhang zwischen fetischistischer Vergesellschaftung und verdinglichenden Theorien sprachlicher Bedeutung auszuleuchten. Ob dies in der von ihm vorgeschlagenen Art und Weise geschehen kann, sei der weiteren Diskussion überlassen. In seinem Text heißt es jedenfalls radikale Sprachkritik im Anschluss an Wittgenstein meets Wertabspaltungskritik.

Da Brendles Text nun sprachphilisophisch voraussetzungsreich und dank ausuferndem Fußnotenapparat und syntaktischer Verschachtelung nicht unbedingt einfach zu lesen ist, werden die von ihm gegenüber gestellten sprachphilosophischen Theorien hier in aller Kürze erläutert.

Vom Gebrauch der Sprache und ihrer Bedeutung

Gebrauchstheoretische Ansätze haben sich nun in ihrer Entwicklung kritisch von den Namenstheorien abgestoßen. Während die Namenstheorie Bedeutung atomistisch Einzelausdrücken zuschreibt, gehen gebrauchstheoretische Ansätze direkt von der Praxis aus – ihr viel zitiertes Schlagwort lautet: “meaning is use”. Sprachliche Bedeutung wird durch den Gebrauch dieser Ausdrücke selbst erklärt. Diesen Ansatz mehr oder minder begründet und Mitte des 20 Jahrhunderts bekannt gemacht hat die sog. Sprechakttheorie. Die auf den späten Wittgenstein zurückgehende praktische Semantik und Konversationsanalyse, die die Referenzpunkte Stefan Brendles bilden (vgl. Brendle, Wider den Bedeutungsfetischismus), können als kritische Weiterentwicklung dieser Theorie gelten, wobei grundsätzlich an der Prämisse “meaning is use” festgehalten wird. Die Entwicklung der Sprechakttheorie zeigt insgesamt einen “shift” in der Sprachphilosophie seit der Mitte der 50iger Jahre des letzten Jahrhunderts an5). Waren zuvor erzpositivistische Sprachtheorien und Philosophien mit ihrer Insistenz auf formale Logik hegemonial (der junge Wittgenstein mit seinem “Tractatus” (vgl. Wittgenstein 1989) steht paradigmatisch für diese Theorietradition), so wendet sich die Sprachphilosphie mit der Sprechakttheorie der Alltagssprache zu. Sprache ist nicht mehr in einer idealen Form zu rekonstruieren, die durch formale Logik erschlossen werden kann, sondern das Denken über Sprache, die Sprachphilosophie, hat sich an der praktischen Sprachverwendung selbst zu orientieren – ihre Orientierung gilt der “ordinary language”; sie wird zur “ordinary language philosophy”. Eine grundsätzliche Einsicht der Sprechakttheorie ist nun, dass Sprechakte selbst performative Äusserungen sein können. Als solche zielen und drängen sie darauf, die Welt in gewisser Art und Weise zu verändern. Aus sprachlicher Bedeutung im engeren Sinne wird die Bedetung einer Handlung. Sprachphilosophie wird handlungstheoretisch gewendet. Sprachliche Bedeutung wird nun zu Handlungsbedeutung, und für das erfolgreiche Ausführen einer performativen Handlung ist eine Regel von Nöten. Sprachliche Handlungen werden also als intrinsisch regelhaft angesehen. Was nun genau als Regel verstanden werden kann, differiert durchaus zwischen den einzelnen gebrauchstheoretischen Theorien. Ihnen gemeinsam ist eine praktizistische Wendung in der Sprachphilosophie (“meaning is use”), wie das Überführen von Sprachphilosophie in eine allgemeine Handlungstheorie,.

Am späten Wittgenstein (auch Wittgenstein II genannt) orientierte Ansätze kritisieren nun an der Sprechaktheorie, dass sie Sprechakte zu sehr isoliere, und diese nicht in ihrem konstitutivem Zusammenhang mit den sie hervorbringenden Regeln sehen würde (vgl. auch Brendle, Radikale Sprachkritik, Fn. 27). Ausgangspunkt des Wittgenstein II in seinen “Philosophischen Untersuchungen” (vgl. Wittgenstein 1982) ist nun, dass sprachliches Handeln normativ ist. Kurzum, dass nicht alles einfach so vor sich hingebrabbelt werden kann, sondern dass sprachliche Ausdrücke systematisch vom Alltagsbewusstsein als richtig oder falsch erachtet werden. Will meinen, dass Bedeutung in ihrem Gebrauch nicht wilkürlich ist, sondern sich eben als regelhaft darstellt. Diese Normativität der Sprache versucht der späte Wittgenstein mittels des Regelbegriffs zu fassen. Regeln sind laut ihm konstitutiv für die Verwendung sprachlicher Ausdrücke, ja für die praktische Konstitution ihrer Bedeutung. Sie konstituieren diese. Dabei sieht sich Wittgenstein dem Problem des infiniten Regresses gegenüber, denn zur Spezifikation der Anwendung einer jeden Regel bedarf es einer weiteren, quasi ad infinitum. Um einen solchen infiniten Regress zu umschiffen, definiert Wittgenstein Regeln sodann als quasi “eingespielte Praktiken”, die nur durch den Gebrauch in der Sprache selbst zugänglich sind. Regeln sind somit etwas Menschengemachtes, aber dennoch nicht einfach in der Verfügungsgewalt der Einzelnen und nach Belieben zu Änderndes. Regeln in diesem Sinne sind in systematischer Weise miteinander verwoben, und bilden ein komplexes Regelganzes, welches wiederum nur als intersubjektive Praxis denkbar ist. Damit unterscheidet sich Wittgenstein von der Sprechakttheorie zumindest in einem entscheidenden Punkt: nämlich in der Anwendbarkeit der Regeln. Diese werden wechselseitig im Bezug zum Ganzen, wenn eins so will zur gesellschaftlichen Totalität, erklärt. Sprache ist diesem Ansatz gemäß nur als kollektive gesellschaftliche Praxis denk- und dechiffrierbar.

Weiterführendes

Interessant wäre es nun auch jenseits der engen fachlinguistischen Bande, einige Aspekte instrumentellen Sprechens, ja vermutlich sogar fetischistischer Sprachverwendung zu erhellen. Dabei gälte: “Wohl aber beim Wort zu nehmen, was dem Wort geschah” (Adorno 2003; 457). In der Theorie Adornos wie auch den sprachkritischen Schriften Karl Kraus finden sich nämlich mehr oder minder deutliche Fragmente einer Theorie der Sprache, jenseits von Verdinglichung, Identitätslogik und Jargon. Gerade eine kritische Diskussion dieser und anderer AutorInnen im Zusammenhang mit dem von Stefan Brendle vorgelegten Gedanken zu Regelhaftigkeit und sprachlicher Verdinglichung könnte hier von Interesse sein, und für den wertabspaltungskritischen Theoriebildungsprozess erheblichen Erkenntnisgewinn bringen.

 


Anmerkungen

 


Literatur